www.freilassung.de
Zurück zur Startseite  
RZ / Rote Zora

"Ich habe plötzlich die harte Einsicht, daß wir, die politischen Flüclhtlinge, die gehetzten Revolutionäre, dreifach besiegt sind, weil manche von den "Unsrigen" nicht mehr die -Unsrigen- sind, da sie bis auf den Grund ihrer Seele demoralisiert sind; und daß in unserer Mitte ein schmutziger Kampf um die Plätze im letzten Rettungsboot des sinkenden Schiffes beginnt."

(Victor Serge auf seiner Flucht vor dem Faschismus)

FRAGMENTE ZU DEN KLEIN- INTERVIEWS

Vieles mutete in den Artikeln zu Klein wie ein Philosophieren um die Kategorien 'Verrat' und 'Verhindern' an. Gerade der Vorwurf Verrat wird von den Gegnern der Guerilla begierig aufgegriffen, erinnert er doch an Volksgericht - Urteil - Vollstreckung, verbreitet Angst. Die grausame Aktion gegen Ulrich Schmücker vom 4.6.74 bietet dazu den Stoff. Keiner von uns wünscht Joachim Klein Schmückers Schicksal. Jedoch haben hier Mächte die Bühne betreten, auf die wir keinen Einfluß haben. Sie reichen vom israelischen Geheimdienst Mossad, deren Killer im lautlosen Töten geschult sind, über arabische bis zum persischen Geheimdienst. Sicher auch verbliebene Mitglieder der Gruppe um Wadi Haddad aus dem Irak. Hinzu kommen die deutschen Staatsschützer. Es grenzt an Wunder, daß Joachim Klein bisher unerkannt bleiben konnte, berücksichtigt man seine Naivität, die darin gipfelte, nach OPEC wäre ein Sprung zurück in die Frankfurter scene möglich.

Jenseits der Philosophie von Verrat und Verhindern steht jedoch das folgende:

Laut Klein, so der Spiegel in seinem RZ- Report, werden die Zeillen in der BRD noch mächtig unterschätzt. Was bedeutet denn Kleins Hinweis gegenüber dem Spiegel anderes, als die Aufforderung an die Staatsschützer, die RZ's künftig realistischer einzuschätzen, sie schärfer ins staatliche Visier zu nehmen als bisher?

Kleins zweites Spiegelinterview war der sensationsjournalistische Aufhänger, die Vorbereitung des RZ- Reports, der von der Anklage im sog. Düsseldorfer Entebbeprozeß gegen Gerd Albartus und Enno Schwall herangezogen wurde. Der Prozeß in Düsseldorf bereitet den Staatsschutzbehörden Schwierigkeiten und zieht sich seit Januar 78 hin, weiß der Spiegel zu bemerken. Interviews und 'Report' sollen nun Prozeßschwierigkeiten der Anklage beseitigen. Ob das Material das hergibt, was sich die Anklage davon versprich ist für uns eine andere Frage.

Vorweg: Wir sind für den ins deutsche übersetzte Abdruclk des nun einmal produzierten Liberation-Interviews mit Klein, der Hoffnung wegen, daß es eine politische Auseinandersetzung in der durch Sprachlosigkeit gekennzeichneten Linken - über bestehende Fraktionen hinweg - zur Gewalt, damit Widerstand und zu den Gefangenen in der BRD und den Befreiungsbewegungen der Dritten Welt möglich wird. Berücksichtigt werden muß, daß das Interview in Frankreich und der Abdruck in Lotta Continlua in Italien breite Diskussionen unter den Linken in diesen Ländern auslöste "Exemplarische Beschlagnahmeaktionen " des Interviews in Frankfurt während der hier stattgefundenen an tiimperialistischen Woche sind vor diesem Hintergrund nicht nur lächerlich, sondern Ausdruck der Hilflosigkeit, eine politische Antwort zu finden.

Wir haben einen Tag nach dieser "exemplarischen Aktion" versucht, mit den Akteuren zu diskutieren. Feststellbar war, daß die wenigsten das Interview überhaupt gelesen haben. Warum auch "Staatsschutzprodukte" gehören vernichtet und nicht gelesen.

Es erscheint uns aber zu billig, schlägt man verbal auf die Akteure dieser Aktion ein und Die Liberation veröffentlicht ein Interview von Hans- Joachim Klein mit Jean Marcel Bourgreau. Der Pflasterstrand übersetzt diesen Artikel und veröffentlicht ihn in einer Auflage von 5000. Wir fragen uns, was dieses Interview so interessant macht.

  • soll es vielleicht den Niedergang des genossen Klein dokumentieren?
  • oder vielleicht den bankrott des linken Journalismus?
  • oder vielleicht den Konkurs des Konzept Stadtgueilla?

Normale Bewertungskriterien lassen sich hier nicht finden.

Es sei denn: Emotionen.

Der Stinknormale frankfurter Typ, als der sich H.J. Klein bezeichnet, hat sich auf die Rolle des prinzipiellen Verrates begeben. Prinzipiell an seinem Prinzip.

Er will, was das BKA auch will, nämlich Genossen davon abhalten in die Stadtguerilla zu gehen; dabei greift er zu der gleichen Methodik, die das BKA auch anwendet. Nämlich: ein Brei aus hören und sagen, aus subjektiver Einschätzung, und nicht zu letzt aus Denunziationen, zunächst denunzieren- der Schock!

Als der erste Brief im Spiegel erschien, wo er seine Knarre abgibt und seinen Ausstieg aus der Guerilla zu erklären versuchte, um seine Ernsthaftigkeit unter Beweis zu stellen, in dem er die Anschläge auf Galinsky etc. platzen ließ, ist unter dem Eindruck von Entebbe schon zu erklären. Uns interessiert dieser Aspekt zunächst nur beschreibend.

Uns wird gruselig, denken wir an die Steigerung, die die Interview- Serie Kleins erfahren hat.

An Anfang stand das "ehrenhafte" Motiv, wo es um die "Sache" und nicht um Personen gehen sollte. Doch schon im nächsten Interview ging es um die Person eines arabischen Kämpfers (wie sie genannt werden), der zwar nicht genannt wurde, doch wovon jeder wußte, wer gemeint war. Klein hatte die "noble Geste" des "ich sage nichts" drauf. Schon im nächsten Interview fallen die ersten Namen. Eine erschreckende Tatsache, wenn wir die Geschichte bis hinten durchdenken. Fiktiv. Zuerst verbrät H.J.K. die Namen von Genossen außerhalb Deutschlands; dann diejenigen die bereits tot sind (Boese und Kuhlmann) und nebenbei fällt - ach verdammt - ein Name eines Genossen, der noch - dem droben seis gedankt - unter uns lebt. Ein perfider Aspekt? Bei der Perspektive, daß wenn Klein so weiter macht, auch die Namen von Genossen fallen, die bereits jetzt schon sitzen ( teilweise sogar für den Rest ihres Lebens) kriegen wir Angst.

Klein steht unter Zuzwang, sein "Publicity" wird sich nur durch die "neue Qualität" durchziehen lassen. An diesem Punkt unterscheidet sich linker Journalismus wenig von dem des bürgerlichen, die Sensation machts. Welche Sensation hat Klein denn noch zu bieten? Sein Wert auf dem Markt ist gesunken, er muß sich eine neue Storry einfallen lassen, auf wessen Kosten? Auf unsere, aber auch vor allem sind Namen, Namen, Namen wichtig. Alle Welt, die bürgerliche oder die Linke, warten darauf. Und er, er ist der Mittelpunkt. Das kann aber nur der erste Aspekt sein. Es gibt noch einen anderen, z.B. die Frage: wie geht er mit Informationen um? Während er sich im ersten teil des Interviews als der Insider gibt, der alles weiß, tut H.J.K. in der Geschichte, was z.B. Stammheim angeht, als wäre er direkt nebenbei gesessen. Er mißbraucht sein Wissen, um Sachen, die für ihn nur Spekulationen sein können, um anderen Leuten Sensationen bieten zu können, das nennen wir Verkommenheit.

Es wäre falsch, H.J.K. die Schuld allein dafür aufzubürden, denn das hieße seinen Interviewer aus der Kritik herauszunehmen. Er ließ es zu, daß eine Geschichte herauskam, die in ihrer Machweise sehr an Boulevard- Journalismus erinnert. Ein Machwerk aus überdrehter Emotionalität (d.h. nicht, daß wir gegen Emotionen sind), wo die Priorität nicht auf einer analytischen Aufarbeitung subjektiver und objektiver Faktoren, die Klein in die Stadtguerilla gebracht haben, besteht.

Objektiv in dem Sinne: wo liegen die politischen Tatsachen z.B. auch in einer Scene, aus der sich Cowboy- Verhalten entwickeln kann? (etc.) Statt dessen kommt ein Konglomerat heraus, dessen Wert sich in den Überschriften manifestiert. Übel! Also, über H.J.K.'s Kindheit sind wir bereits informiert, über die Brutalität dreier Bullen gegen eine Frau auch, das Vietnam AUCH Völkermord war, wissen wir Bescheid. Daß die Bundeswehr Scheiße ist ebenfalls, daß es zwei Fragen der Gewalt gibt, wissen wir auch nicht erst seit dem Kein- Interview. Ebenso wissen wir, daß Klein ein anständiger Klopper war.

Wie viele in Wien dabei waren, ist ein Frage, die ihm nicht die Linke stellt, sondern andere. Daß es in der OPEC- Aktion um politische Geschichten ging, müssen wir dankbar zur Kenntnis nehmen.

Daß Carlos nur via Übersetzer mit H.J.K. babbeln konnte, ist vielleicht auch nicht besser, denn wer weiß, was er noch hätte alles mißverstehen können. Er hat geschossen? So naiv kann doch Joachim nicht sein, denn er muß sich im klaren darüber gewesen sein, daß dies hätte passieren können. Zumal bei einer solch dicken Nummer.

Es gibt die Verflechtungen, die uns eigentlich nicht neues sind, Veröffentlichungen darüber gibt es mehr als genug. Dies allerdings als Funktionalisierung darzustellen, besonders in solch abstrakter Weise, halten wir für sonderbar, denn genau an diesem Punkt wäre es an dem Begriff proletarischer Internationalismus in seiner konkreten Ausprägung bis hin zur tatsächlichen Funktionalisierung zu diskutieren gewesen.

Den Interviewer hat dies wahrscheinlich nicht sonderlich interessiert. Verdammt. Leben wir hier im informationspolitischen Disneyland, wo sich nur Schatten- oder Lichtseiten von Politik aus allem herausfixen lassen.

Nur gut, daß wenigsten der stink normale Typ, an der Entebbeaktion nicht teilgenommen hat. Er deutet sein Unverständnis in Bezug auf Boese und Kuhlmann an, sagt aber nichts dazu, welche Strukturen die Bedingung dafür waren. Wir sind uns keineswegs sicher, ob H.J.K. nicht auch auf die Selektion der Passagiere eingestiegen wäre. Denn wir glauben, daß unreflektierte Revolutionsträumereien AUCH mit ursächlich für solche Geschichten sind. Daß Joachim auch ein Revolutiosträumer war oder auch noch ist, entnehmen wir dem Interview. Wir zweifeln an seiner Glaubwürdigkeit, wenn ein Genosse aus Blindheit an einer Aktion wie OPEC teilnimmt und sich so ganz selbstverständlich hinsetzt und so tut, als wäre es für ihn ein Unding! Denn mit der gleichen Blindheit hätte er möglicher weise an der Selektion teilgenommen. Er soll an sich selbst hinterfragen, was in Entebbe passiert ist!

Wir werden uns ersparen, noch weiter auf seine Schreibe einzugehen, uns würde vielmehr interessieren, was er nicht (gefragt) oder gesagt hat; so wie er schreibt oder schreiben läßt, hört es sich nach dem naiven, politisch unnützen Klein an. Das Opfer, das beschreibt was er nicht wollte - aber nichts von dem herausläßt, was er überhaupt wollte oder will.

Des weiteren: kein Blick auf die Kämpfe im Nahen Osten. Kein Wort davon, wie die Menschen in Palästina Tag für Tag um ihr überleben fighten müssen. Auch wird nichts von den Massakern, denen die Palästinenser seit Jahren (10 und mehr) ausgesetzt sind. Ob H.J.K. versteht, worauf wir hinaus wollen? Wenn er dazu nichts zu sagen hat, kann er sich in Zukunft alles schenken. Wir haben keine Lust mehr, Gesabber zu vernehmen, bzw. zusehen zu müssen, wie er sich vermarktet.

Nächste Seite: in Frankfurt findet ein "anti- imperialistische Kongreß statt, wo sich "Anti- Imperialisten" aus ganz Deutschland und dem nahen Ausland treffen.

Als bekannt wird, daß die Klein- Dokumentation raus ist; wird die Karl- Marx- Buchhandlung Ziel einer Beschlagnahmeaktion, der die Klein- Dokumentation und Bommi "Wie alles anfängt" zum Opfer fallen; das Gleiche soll im Druckladen und Pflasterstrand passieren. Die Aktion fällt auf Unverständnis und der bogen von Bullenaktion bis faschistisch gezogen. Wir glauben, daß die Aktionisten einfach die Verhältnismäßigkeit aus den Augen verlohren haben. Von allen Paralelen halten wir alle zum Teil berechtigt.

Ein wenig erinnert die Aktion an etwas "volkssanitäres", was besagt, daß einfach bestimmte Auseinandersetzungen mit allen Mitteln verhindert werden müssen. Im Faschismus wurden öffentlich Bücherverbrennungen abgehalten, in den letzten Jahren verhindert der Staat Auseinandersetzungen durch den § 88a und aller neustens werden die Sachen gleich vin den Linken selbst beschlagnahmt. Deutlich muß gesagt werden: wer sich als Bulle aufspielt, wer entscheidet, was gelesen werden darf und was nicht, muß sich gefallen lassen auch als Bulle bezeichnet zu werden. - Hier als linker Bulle oder?

Mit keinem Wort ist von den Beschlagnehmern bisher klar gemacht worden, wie sie die Broschüre einschätzen bzw. und wo/ wie eine Auseinandersetzung politisch zu führen sei.

Vereinzelt ist von "exemplarischer Aktion" die Rede. Ansonsten tun sie so, als wäre die Klauaktion für sich genommen schon politisch genug, und keine diktatorische Angelegenheit. Wollen sie aufzwingen was wir zu lesen haben? Das hieße, Mäuler zu nähren und Gehirn abschalten. Hier fällt die Doppelbödigkeit der Aktion auf, sie begreifen nicht die Dimension ihres Verhaltens.

Sie reden von desorientierung der Gefangenen (deren Interessen sie zu vertreten uns vorspiegeln, weil sie laut BKA, "die Zellen dicht gemacht" kriegen. Darunter fällt auch die zensur von Büchern, linken Zeitschriften. Sie verweisen auf Begründungen, die fadenscheinig sind und das gleiche beinhalten "die Sendung ist tendenziös", "stört sie Sicherheit und Ordnung der Anstalt"....."hat einen unguten Einfluß öauf die Gwefangenen und verhindert ihre Sozialisierung". Frage liegt auf der hand: meint ihr das Klein- Interview hätte ungünstige Einflüsse auf uns Leser - oder haltet ihr uns für unmündig, so daß ihr uns vorschreiben müßt, was wir... oder mit was wir uns auseinaderzusetzen haben. Diese Tendenz steckt in eben eurem Leben. Wir denken, wenn ihr die artikel nur mit sorgfalt gelsen hättet, die ihr vorgebt für die gefangenen zu haben, wäret ihr davon abgerückt, ins Arsenal der Kriegsführung gegen linke zu greifen

Diese Kritik berücksichtigt nicht das Klima in der Frankfurter Linken, das solche Actions mitproduziert. Nicht- Abdruck etwa von ,Artikeln und Erklärungen zur und von der Guerilla, mit dem lapidaren Satz, all dies würde der "Scene" eh zum Hals raushängen, die Stadtguerilla als Killer und durchgeknallte Cowboys denunzieren, den "Todestrip" in allen Varianten für die Guerilla konstatieren, als wüßte jemand in unser aller Hoffnungs - und Ratlosigkeit und Passivität und Rückzug, was "'Lebenstrip"' wäre, Leben um jeden Preis doch sicher nicht, Zum anderen Klatschgeschichten und in Frankfurter Kreisen denunziatorische Listen, wenn nicht real schwarz auf weiß, so doch in ihren Köpfen zusammengestellt. Ist denn dies alles vergessen?

Neuanfang -nun gut, Idee einer Amnestiekampagne, sicher diskussionswürdig, aber Genossen, doch nicht so! (siehe Tageszeitung Nr. 2), Amnestieforderung für die Genossen, die sich von der Guerilla losgesagt haben und die Perspektive Lebenslang für die anderen, unter Überwachung der Haftbedingungen einer "unabhängigen" Kommission. Selektion der Gefangenen - mehr als finster!

Nun zurück zum Klein:

Wesentlich für uns ist doch die Frage, wie es möglich ist, daß ein Frankfurter Bub, ein Militanter, in die internationale Guerilla reinpurzelt und erschreckt wieder heraustaumelt. Von dem, was Klein in seinen Interviews zum 'besten' gibt, wird deutlich, daß er vom palästinensischen Widerstand, auch wenn er mit irgendwelchen Scheichs Tee getrunken haben will, nichts, aber auch gar nichts begriffen hat. Und daß trotz dieser Begriffslosigkeit ein Wadi Haddad in der Art mit ihm zusammenarbeitete, daß Joachim Klein an der OPEC-Aktion teilnahm. Wenn eine internationale Guerilla, und nicht nur die, mit einem "potentiellen Verräter" zusammenarbeitet, so ist doch zu fragen, welche Strukturen dies ermöglichten, denn Unwissenheit - folglich Unsicherheit und damit angelegter Rausflipp ist doch eine Binsenweisheit. die Frage also nach dem produzierten Verrat.

Weiter. Klein stellt die Beziehung der deutschen Guerilla zu der palästinensischen Gruppe um Wadi Haddad als eine abhängige dar, Sie soll sich derart niederschlagen, so Klein, daß bei logistischen Problemen Hilfe erfolgt unter der Bedingung diktierter Aktionen. Wer soll zu diesem mit Anekdoten angereichertem Vorwurf etwas sagen? Haddad starb in Ost- Berlin, die palästinensischen Genossen und Guerilla hier werden ihre Formen der Zusammenarbeit nicht öffentlich zur Diskussion stellen - und wir waren nicht dabei, Kleins Vorwurf der Funktionalisierung macht uns jedoch hellhöriger, und das ist gut so.

Historische Beispiele über Abhängigkeit und Funktionalisierung, etwa Komintern- Politik gegenüber den Anarchisten während des spanischen Bürgerkriegs, sind bekannt. Verhängnisvoll ist es jedoch, historische Ereignisse platt auf aktuelle Abläufe zu übertragen. Wie rasch werden von vielen, die es besser wissen konnten, Funktionalisierung durch Abhängigkeit, eiskalte Machtpolitik, der Vorwurf des Stalinismus konstatiert, um ihre Ignoranz gegenüber Befreiungsbewegungen der Dritten Welt zu kaschieren. Von Tel Al Zaatar, Südafrika bis Persien und Nicaragua zieht sich in der "Scene" ein roter Faden der Gleichgültigkeit und Ignoranz, Es ist eher die Frage "Was hat dies alles mit mir zu tun?" - zu hören als zumindest Betroffenheit zu fühlen. Über eines sind wir uns doch wohl im klaren: Befreiungsbewegungen sind keine Maffia- clans!

Während der antiimperialistischen Woche in Frankfurt wurde in den verlesenen Beiträgen der weltweite Bogen gespannt. Etwa so, daß der bewaffnete Kampf der Guerilla in den Metropolen des Imperialismus als die 2. Front des weltweiten Antiimnperialistischen Kampfes zu begreifen ist, Während die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt die 1. Front im Krieg gegen den Imperialismus bilden. Diese programmatischen allgemeinen Aussagen lassen und ließen auch während der antiimperialistischen Woche in Frankfurt alle konkreten Fragen unbenannt.

Am Beispiel der palästinensischen Revolution versuchen wir, einige wesentliche Unterschiede zwischen "1. und 2. Front" zu benennen. was in diesem Rahmen nur verkürzt geschehen kann. Zunächst ist davon auszugehen, daß sich der palästinensische Widerstand aus den verschiedensten politischen Richtungen zusammensetzt, worauf die Existenz der verschiedenen Gruppen und Organisationen hinweist. Diese Gruppen operieren von verschiedenen arabischen Ländern aus und unterhalten zum Teil unterschiedliche Beziehungen zu den einzelnen arabischen Ländern und auch zu revolutionären Organisationen in Europa. Die politischen Richtungen reichen von Nationalisten- Nasseristen über ML'er. Aller Schattierungen bis hin zu libertären Kommunisten, deren aller Gemeinsamkeit in der Zerschlagung des zionistischen Staates Israel und der Wiedergewinnung ihres besetzten Landes Palästina liegt. Die PLO als Dachorganisation der verschiedenen politischen Gruppen führt einen Kampf auf militärischer Ebene (bewaffnete Aktionen in den besetzten Gebieten), sozialer Ebene (Aufbau von Schulen und Kindergärten in den Lagern, Gesundheitsversorgung, Roter Halbmond, Unterstützung der Familien von gefallenen oder gefangenen Genossinnen und Genossen), in wirtschaftlichen Bereichen (Aufbau von Produktionsstätten wie etwa Samed) und politischer Ebene (weltweite Anerkennung der PLO).

Die palästinensischen Genossen knüpften zunächst an nationalen Elementen an, etwa dem Flüchtlingsstatus und der Rückgewinnung der verlorenen Heimat, mit dem Ziel der Mobilisierung der in Resignation verfallenen und über verschiedene arabische Länder zerstreut in Flüchtlingslagern lebenden Palästinenser.

Also: NATIONALER Befreiungskampf zur Zerschlagung des Staates Israel mit dem Ziel Bildung eines unabhängigen und demokratischen Staates in Palästina.

Die Unterschiede zur "2. Front" liegen nach diesem kurzen Absatz auf der Hand. Massenhafter nationaler Befreiungskampf des palästinensischen Volkes auf allen Ebenen, während in den Metropolen die Stadtguerilla isoliert als INTElRNATIONALISTEN bewaffnet kämpft und deren Aktionen im wesentlichen auf die Befreiung gefangener Genossen abzielen, während eine Verbindung von Guerilla und Massenperspektive noch in weiter Ferne liegt.

Die palästinensischen Genossen richten sich natürlich nach ihren Zielen, verfolgen ihre Strategie, wie kompliziert sich ihr Kampf darstellte, zeigt sich im Libanon, wo die Existenz der palästinensischen Revolution auf dem Spiel stand. Ein Konglomerat aus reaktionären arabischen Regimes, libanesischen Faschisten und deren internationale Söldnereinheiten, hauptsächlich französische Ex- Legionäre, zionistische Eliteeinheiten mit US-amerikanischer und westdeutscher Unterstützung, versuchte, den bewaffneten Befreiungskampf ein für alle Mal zu liquidieren. Höhepunkt des Vernichtungswillens bildete das Massaker in dem dem Erdboden gleichgemachten Flüchtlingslager Tel Al Zaatar.

Trotz ihrer relativen Machtposition und ihres Apparates ist des den palästinensischen Genossen bisher nicht gelungen, mehrere ihrer 6.000 Gefangenen aus den israelischen Knästen zu befreien. Bei einem Blick auf unsere Möglichkeiten zur Befreiung der Genossen aus bundesrepublikanischen Knästen bei vorhandenen Kräfteverhältnissen und gleichzeitiger systematischer Liquidierung der Gefangenen tritt mehr als Ratlosigkeit auf. Hier hat die Diskussion weiterzugehen.

Absicht für unseren Artikel und die Hoffnung, die wir damit verbinden, ist es, von den diversen Klein- Interviews und den bisher geschriebenen Artikeln darüber wegzukommen hin zu einer Auseinandersetzung über politische Intervention, die sowohl der Stadtguerilla und unser Verhältnis zu unseren gefangenen Genossen als auch die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt zum Inhalt hat.

Früher hieß sowas 'Strategiediskussion' (proletarischer Internationalismus). Notwendig für diese Auseinandersetzung ist es, die von der Liberation abgewiesene RZ- Erklärung zum Klein- Interview abzudrucken (über Liberation's Ablagekorb habt Ihr im Pflasterstrand aufgrund eurer guten Beziehungen doch sicherlich Zugang).

"Die russische Intelligenz hatte mir frühzeitig eingeschärft, der Sinn des Lebens bestehe darin, daß man BEWUSST an der Erfüllung der Geschichte teilnehme. Je mehr ich darüber nachdachte, desto wahrer erscheint mir das. Es bedeutet: sich tätig gegen alles zu bekennen, was die Menschen kleiner macht, und an allen Kämpfen teilzunehmen, die darauf abzielen, sie zu befreien und größer zu machen. Daß diese Teilnahme unvermeidlich von Irrtümern befleckt wird, mindert nicht ihren kategorischen Imperativ; es ist ein schlimmer Irrtum, gemäß den von Unmenschlichkeit befleckten Traditionen nur für sich zu leben."

(Victor Serge "Erinnerungen eines Revolutionärs 1901 -1945)

2 Beiträge aus einer Diskussionsgruppe

 

MAIL
http://www.freilassung.de/div/texte/rz/ps2.htm