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RZ / Rote Zora

Solidarität

Wie in jedem Hungerstreik, so war es auch im letzten, vierten Hungerstreik der RAF, der bald nicht mehr nur von der RAF gemacht wurde, sondern dem sich angebliche oder wirkliche Mitglieder des 2.Juni, des Gefangenenrats und sog.normale Gefangene angeschlossen hatten, außerhalb des Knasts in der "Linken" unheimlich schwer, eine kompaktere Solidarität zu praktizieren. Ich meine, daß allerdings diesmal die Schwierigkeiten der Individuen und Gruppen, sich zu diesem 4.Hungerstreik zu verhalten, deutlicher als früher artikuliert wurden. Deshalb besteht vielleicht eher eine Chance, sich mit den Schwierigkeiten auseinanderzusetzen und sie - vielleicht - zu überwinden.

Die öffentlich - auf Plenen oder sonstigen Versammlungen - oder halböffentlich - in Wohngemeinschaften oder Kneipen - artikulierten Gründe für die Schwierigkeiten, den Hungerstreik in irgendeiner Weise zu unterstützen, sind allerdings ziemlich vielschichtig und verwischt.

1) Der am häufigsten genannte Grund für die Schwierigkeiten, den Hungerstreik zu unterstützen, ist die Ablehnung des bewaffneten Kampfes, sei es in der BRD, sei es überhaupt.

Am eindeutigsten und konsequentesten wird dieser Grund von denjenigen Individuen und Gruppen vorgebracht, die die Politik des bewaffneten Kampfes als unmittelbare Ursache des Ausbaus und Einsatzes staatlicher Gewaltmittel betrachten. Bewaffneter Kampf verhindert nach diesen Auffassungen den richtigen politischen Weg, in der BRD den Sozialismus durchzusetzen.

Wenn dem so ist, muß man konsequenterweise die Gruppen, die den bewaffneten Kampf führen, bekämpfen, sei es, daß man die Individuen dem Staat ausliefert - wie der Lehrer, der Ulrike Meinhof verriet - oder zumindestens den bewaffneten Kampf ideologisch verurteilen, wie es die K- Gruppen mit verschiedener Intensität oder das SB tun. Es ist klar, daß aus dieser Einstellung heraus das Schicksal von Gefangenen aus der Guerilla im Knast den Gefangenen als Konsequenzen ihrer verfehlten Politik selbst zugeschrieben wird, auf deutsch: sie sind an ihren Bedingungen im Knast selbst schuld. Moralisch gesehen, ist es dann vielleicht schlimm, wie diese Gefangenen im Knast behandelt werden; aber die Reaktionen des Staatsapparats sind dann nicht Ausdruck des Staatsapparats und seines Zustandes selbst. Vielmehr reagiert der Staatsapparat nur punktuelI, ohne daß aus diesen Reaktionen, wie z.B. der Isolationshaft auf den allgemeinen Charakter des BRD-Staats geschlossen werden kann. Die Reaktionen des Staatsapparates sind m.a.W. nicht Ausdruck seiner neu hervortretenden faschistischen Strukturen. Sie sind vielmehr Überreaktionen, Exzesse des Rechtsstaats, an dessen bürgerlicher Normalform sich aber noch nichts grundlegendes geändert hat.

2) Die sog. Spontis haben oder hatten es schwerer. Sie gingen oder gehen vielleicht noch davon aus, daß die Reaktionen des Staatsapparats auf den bewaffneten Kampf nicht verursacht werden, sondern daß der Staatsapparat die Aktionen der bewaffneten Gruppen nur zum ANLASS nimmt, um die Verschärfung der sog. Repression nach außen zu legitimieren.

Die Spontis setzen damit ausdrücklich voraus, daß der Staatsapparat selbst an der Verschärfung der Repression interessiert ist und nur darauf wartet, daß er irgendeinen Aufhänger findet, mit dem er nach außen - gegenüber der Bevölkerung - die Verschärfung der sog. Repression legitimieren kann. Politisch heißt das einerseits. daß man diesen Staat nicht mehr als Rechtsstaat begreift; allerdings auch nicht als faschistisch, eben weil dieser Staatsapparat noch Legitimationen braucht, um die Entfaltung seiner Gewalt zu rechtfertigen. Bezogen auf die Guerilla heißt das andererseits, daß man ihr nicht die Schuld für die Veränderung der staatlichen Gewalt zuschieben kann, zumal dann nicht, wenn bei den sog. Massenkämpfen die Staatsgewalt selbst unmittelbar sinnlich erfahren worden ist.

Diese Einstellung äußert sich dann auch bei der Frage, ob man den Hungerstreik der Guerilla unterstützen und wie das aussehen soll.

Einerseits hält man die Politik des bewaffneten Kampfes für falsch, andererseits aber nicht deshalb. weil er die eigenen Vorstellungen von Politik und deren Durchsetzung wirklich verhindern würde, sondern deshalb, weil man darin für die Gruppen und Individuen keine Erfolgsaussichten sieht.

Die Spontis begreifen, - oder haben begriffen - die Mitglieder der Guerilla noch als Genossen, weil sie sie nicht als objektive Handlanger des Staatsapparates sehen; sie begreifen sich und die Guerilla immer noch als auf der einen Seite der Barriere stehend, während auf der anderen Seite der gemeinsame Gegner steht. Die Unterschiede bestehen im wesentlichen nur in der Frage, WIE man gegen den gemeinsamen Gegner kämpft.

Diese - historisch und bei einigen Gefangenen auch individual- geschichtlich bestehende Gemeinsamkeit erzeugt einen politisch- moralischen Druck zur Solidarität mit den gefangenen Guerilleros. Einerseits versteht man sich noch immer als Genossen, andererseits hat man sich im Lauf der Zeit voneinander isoliert. Die Ambivalenz der Spontipolitik, Militanz mit neuen Lebensformen hier und jetzt zu verbinden, eine Ambivalenz, die jahrelang auch praktisch durchgehalten werden konnte, macht den bewaffneter Kampf von seiten der Militanz verständlich, von seiten der neuen Lebensformen sieht man an den gefangenen und freien Guerilleros, daß der Staatsapparat neue Lebensformen unmöglich macht, sobald eine bestimmte Schwelle der Militanz überschritten wird.

Diese Ambivalenz der Spontis kam letztes mal bei der Ulrike- Demo am 10.5.76 zum Ausdruck. Die Wut, die sich in einer Steigerung der Militanz auf dieser Demo auswirkte, sie rief erstmals das gesamte Arsenal staatlicher Gewalt gegen die Spontis auf den Plan.

Einige Genossen sehen sich der, Gefahr einer Mordanklage - d .h. lebenslänglichem Gefängnis unmittelbar konfrontiert. Alle Genossen haben gemerkt, daß der Staatsapparat dabei nicht wählerisch war, daß jeder Gerard Strecker oder Gisela Ickler hätte werden können. Die Römerbergrede signalisierte das Ende einer Verknüpfung von Militanz und neuen Lebensformen, jedenfalls in der Praxis der Spontipolitik. Die ganze Alternativ- Diskussion, das ganze Alternativverhalten hat die Ambivalenz - jedenfalls zur Zeit - einseitig aufgelöst: praktiziert werden fast nur neue Lebensformen; die Militanz ist verschwunden, nicht theoretisch, aber praktisch. Das meine ich NICHT denunziatorisch; denn die Militanz entlädt sich natürlich nicht nur in Psychoterror in den Beziehungen, sondern wurde bei KKW's zum Teil auch noch politisch- praktisch. Ich will auch gar nicht in Abrede stellen, daß für viele die Altemativprojekte ein Versuch sind für die verlorengegangene Einheit von neuen Lebensformen und Militanz aller erst wieder die Bedingungen zu schaffen unter denen man diese Widersprüche aushalten und praktizieren kann.

Ich fürchte aber, daß dieser Versuch illusorisch ist. Und zwar deshalb. wie einerseits die 'galoppierende Entwicklung des Staatsapparats dabei nicht berücksichtigt wird, andererseits, weil es eine Tendenz gibt, die Gewalt von Unten und Gewalt von oben nur noch abstrakt- moralisch begreift und damit identifiziert. Diese Tendez wäre nicht weiter tragisch wenn sie nicht gerade in der augenblicklichen Situation von theoretisch sehr geschulten Vertretern, deren eigene Lebensgeschichte ihn1enl eine große Vertrauens- und Überzeugungsbasis schafft vehement durchgesetzt würde.

Solidarität verkümmert bei diese Tendenz zu mitmenschlichem Mitleid. Damit will ich NICHTS negatives über Mitleid sagen. Wer dazu noch fähig ist, zeigt wenigstens noch menschliche Regungen, 'die irgendwo eine Gemeinsamkeit enthalten. Aber: dieses abstrakt- menschliche Mitleid hat NUR noch eine moralische Dimension. Der politische Inhalt, das selbstverständliche Wissen von der Barriere - hier die Unterdrückten, dort die Unterdrücker - und der Notwendigkeit, gemeinsam gegen die Unterdrücker jenseits der Barriere KÄMPFEND sich zu wehren, dieser politische Gehalt ist weg.

Nach allen Erfahrungen hat das aber eine politisch verhängnisvolle Konsequenz: Resignation und Rückzug, Verzweiflung und Selbstaufgabe, Verkehrung der Wut gegen die eigenen Genossen oder letztlich gegen sich selbst (die Suffszene im Elfmeter ist vielleicht der deutlichste Hinweis).

Daraus wird erklärbar, warum Sponti- Genossen sich instrumentalisiert fühlen, wenn das Problem des Kampfes gegen den Staatsapparat in Form des Hungerstreiks wieder auf die Tagesordnung gesetzt wird. Plötzlich sehen sie sich wieder mit dem Problem der Vernichtung in den Knästen konfrontiert, einem Problem, das sie verdrängen können, solange die Vernichtung "leise" abläuft, nur die Haftbedingungen den Zerstörungsprozess der Gefangenen vorantreiben. Erst dann, wenn die Gefangenen zum letzten ihnen verbliebenen Kampfmittel greifen, wenn die Aktualität ihres Todes wieder einmal öffentlich' wird, erst dann versagen die Verdrängungsmechanismen, wird das Bewußtsein, das sich auf den eigenen unmittelbaren Lebens- und Erfahrungsbereich beschränkt hat, mit dem von anderen geführten Kampf gegen den Staatsapparat konfrontiert. Und dann bricht die moralische Dimension auf, setzt einen unter Druck, sich politisch verhalten zu müssen.

Es ist verständlich, wenn man sich dann instrumentalisiert fühlt. Es ist aber eine Instrumentalisierung, der man sich selbst aussetzt, eben weil man vorher die politische Gemeinsamkeit der Stoßrichtung gegen den gemeinsamen Gegner aufgegeben hat, indem man sich zu der Vernichtungshaft nicht kontinuierlich praktisch verhielt.

Die Instrumentalisierung wird nicht im eigenen Kopf oder Bauch gesucht. Sie wird projiziert auf die Gefangenen. Und erleichtert wird diese Projektion in der Tat durch diejenigen, die Solidarität allein mit moralischen Argumenten verlangen.

Ich meine diese Komiteestrukturen, die nicht nur bei den früheren Komitees, sondern auch bei einem gewissen Teil der Szene vorherrschen. Um es klar zu sagen, damit meine ich die Argumentationsstruktur , die einem zum Schwein erklärt, weil man nichts macht oder selbst wenn man etwas macht, noch verlangt, daß man die richtige Linie getickt hat. Ich behaupte damit nicht, daß diese VER WALTER der angeblich richtigen oder ausschließlich Politik, die andere MACHEN, die Ursache dafür setzen, daß sich viele Genossen nicht oder nur sehr millIsam zum Hungerstreik verhalten. Ich behaupte nur, daß diese Argumentationsmuster eine Auseinandersetzung mit den wirklichen Schwierigkeiten verhindern und die Verweigerung der Auseinandersetzung fördern, auch denjenigen gegenüber, die nicht auf der Schweineebene diese Auseinandersetzung führen wollen, sondern die immer noch vorhandene Gemeinsamkeiten suchen, auf deren Grundlage ein Bündnis noch möglich ist.

III.

Als Basis dieser Gemeinsamkeiten scheint nur immer noch die Tatsache, daß es sich bei den Gefangenen aus der Guerilla um Genossen handelt, daß die Isolierung von der Guerilla noch nicht zu einem völligen Bruch geführt bat, auch wenn deren politische Praxis, der bewaffnete Kampf, für aussichtslos gehalten wird.

1) Allerdings sehe ich zur Zeit die Tendenz, diese Isolierung - die gar nicht zu bestreiten ist - zu einem Bruch voranzutreiben. Diese Tendenz innerhalb der Spontis hängt mit der abstrakten Verurteilung von Gewalt zusammen, die staatlichen Terror und den sog. Terrorismus durch die Guerilla identifiziert. D.h. es wird nur noch abstrakt - moralisch eine Gleichsetzung von jeder Form von Gewalt vorgenommen. Danach ist das Attentat auf Buback eben eine Todesstrafe, genauso wie der Tod von Gefangenen. Danach hat jeder Genosse, der Gewalt anwendet, selbst bei körperlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei, bereits Züge, Charakteristiken des Gegners in sich. Danach führt eine Politik des bewaffneten Kampfes selbst da, wo sie erfolgreich war, nur zur Errichtung eines neuen Herrschafts- und Gewaltsystems, ohne daß sich im Grunde etwas Wesentliches verändert hat (Vietnam, Laos )

2) Diese Betrachtungsweise, die in letzter Konsequenz zum Verzicht auf jede Gewalt führt, auch da wo sich Individuen, Gruppen oder Bevölkerungsteile gegen ihre Vernichtung wehren, ist gefährlich. Nicht weil sie das Problem der Gewaltanwendung überhaupt stellt, sondern weil sie es falsch stellt und so zu einer Entsolidarisierung mit denjenigen führt, die Gewalt in bestimmten Situationen für unausweichlich halten, und deren Entscheidung für die Gewaltanwendung nicht mehr POLITISCH verstehen und deshalb auch nicht mehr politisch kritisieren kann. Diese abstrakt- menschliche Betrachtungsweise kann die anderen, die diese Betrachtungsweise nicht teilen, nur noch psychologistisch - als Ausgeflippte - verstehen. Der Schritt zur Psychiatrisierung ist dann nicht mehr groß.

3) Ich will damit nicht behaupten, daß diejenigen, die diese Beurteilung der Gewalt vertreten, objektiv oder gar subjektiv zum Staatsschutz zu rechnen sind. Das wäre wieder mal 'ne Kommitee- Argumentation, die genauso blöd ist wie die im letzten Pflasterstrand mal wieder gezogene Parallele zwischen Guerilla und Stalinismus. Das Problem ist ja gerade, daß diese Argumentation in der Tat auf die Beispiele verweisen kann, die in den sogenannten sozialistischen Ländern haufenweise zu finden sind und die die These zu belegen scheinen, daß gewaltsamer Umsturz von Systemen dort ein neu es Gewalt- und Herrschaftssystem etablieren, was sich von alten nur unwesentlich unterscheidet, ja, daß hinsichtlich sogenannter Dissidenten die westliche Welt teilweise "humaner" verfährt als die östliche.

Sicherlich kann Gewalt und Gewaltanwendung mißbraucht werden. Aber genauso enthält jeder Hammer, jedes Messer, jeder Stuhl die Möglichkeit, für etwas anderes als den eigentlichen Gebrauch verwendet zu werden. Nicht die Gewalt an sich ist das Gefährliche, sondern die gesellschaftlich- geschichtliche Situation entscheidet darüber, ob Gewalt richtig war oder nicht.

4) Wenn Rosa Luxemburgs These, daß Meinungsfreiheit immer die Freiheit der Meinung der anderen sei, richtig ist, wenn diese These praktisch realisiert wird, dann ist die Legitimität von Gewalt reduziert auf die Situationen, wo anders eine Veränderung nicht mehr möglich ist, wo das Ziel der Freiheit preisgegeben wurde, ob sich ein solcher Staat nun demokratisch oder volksdemokratisch oder sozialistisch nennt .

Im Klartext: nicht die Gewaltanwendung bei der Beseitigung alter Systeme ist die Ursache für die im neuen System fortbestehende Gewaltherrschaft, sondern die Unfehlbarkeit der jeweils Herrschenden. Niemand wußte das besser als Marx, der es so formlulierte: "Wer kontrolliert die Kontrolleure'?"

5) Der Unterschied zwischen dem Anschlag auf Buback und der Tötung gefangener Guerilleros ist natürlich nicht vorhanden, wenn ich beides mal eine Todesstrafe sehe. Der Unterschied wird nur klar, wenn ich. sehe, daß die einen durch eine organisierte, nur ungeheuren Macht- und Gewaltmitteln ausgestattete Staatsmaschinerie getötet werden, der andere dagegen durch einige wenige, die zu diesem Mittel greifen, weil sie anders keine Veränderung sich hier mehr vorstellen können.

6) Diese Begriffsverwirrung in der Linken signalisiert, daß sie den Staatsapparat als den Gegner aller, die eine andere, eine bessere, d.h. notwendig eine nicht- kapitalistische Gesellschaft wollen, aus den Augen verloren hat. Würde sich die Linke dem Staatsapparat stellen, so käme sie um die Einsicht nicht herum. daß ein weltweiter Krieg stattfindet, vielleicht der letzte, der die Barbarei noch verhindern kann - wenn es nicht schon zu spät ist. Ein Krieg, der von dein Herrschenden und der Guerilla geführt wird, in einem sich immer mehr vergrößernden Umfang, so daß die Freiräume für diejenigen, die sich nicht an diesem Krieg beteiligen, immer kleiner werden. Robert Jungk hat den Begriff des Atomstaats geprägt, um diese Tendenz ,-- bezogen auf den Staatsapparat - zu kennzeichnen. Das ist nichts anderes als die technizistische Version des ,"neuen Faschismus."

Der Widerstand gegen diese Tendenz, auch und gerade mit anderen Mitteln als denen der Guerilla, ist notwendig und (noch) möglich. Der praktizierte Widerstand gegen den faschisierten Staatsapparat entscheidet mit darüber ob der auch in der BRD schon stattfindende Krieg eskaliert oder nicht. Augstein hat das kapiert - die legale Linke muß es kapieren, wenn sie ihren legalen Status bewahren will. Solidarität mit den politischen Gefangenen ist auch für die legale Linke eine existentielle Notwendigkeit.

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