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RZ / Rote Zora

Der Mythos des Bewaffneten Kampfes

Diesen Auszug entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung der Maiausgabe des Revolutionären Zorns.

Was wir uns bei der ganzen Sache eigentlich denken, fragen viele. Nun wir glauben, daß wir durch unsere Aktionen und ihre Erklärungen, durch unsere Zeitungen und das Interview auf das geantwortet haben, worauf wir ne Antwort wissen - und das ist eine vorläufige.

Das Seltsame ist, daß sowohl unsere Praxis als auch unsere Theorie die Fragesteller überhaupt nicht interessieren, denn sie sind mit ihrer Antwort längst fertig. Sie haben sich ein Monster aufgebaut, das sie BEWAFFNETER KAMPF nennen und das sie gemeinsam zu erlegen trachten. Der Bogen derjenigen, die da am Schreibtisch auf die Jagd gehen, ist wahrscheinlich weit gespannt, und scheinbar unversöhnliche Gegner finden doch wieder ihren gemeinsamen Nenner:

Zitat 1:"Unter der perfekt sitzenden Maske des Samariters und Menschenfreundes zeigt sich die Fratze des Terroristen, der über Leichen geht." (Hamburger Abendblatt vom 10./ 11. Mai 1975 über K. H. Roth)

Zitat 2: "Vom das lichte Antlitz des Helden hatten Widerstandskämpfers, hinter dem aber bereits die Fratze des Bullen der zukünftigen Volkspolizei zum Vorschein kommt." (Joschka Fischer in Autonomie Nr.5,S.55)

Woher rührt diese Hysterie, die einen Joschka Fischer bei Axel Springer Zuflucht suchen läßt? Warum können in diesem Land so viele Widerstand nur als Gerücht diskutieren, als Gerücht vom bombenden, ballernden Django zum Beispiel, der seinen Sarg hinter sich herzieht (Todestrip)? Weil diese Wichsvorlage, an der man sich immer wieder einen voll Schaudern runterholen kann, die Funktion hat, die konkrete Fragestellung zu verhindern:

Ist es richtig, daß versucht wird gefangene Revolutionäre rauszuholen? Ist es richtig daß US- Kasinos brennen? Sollen wir Fahrscheine lieber bezahlen oder nachdrucken

Oder die Automaten abbrennen? Sollen wir Schwarzfahrerkarteien lieber vervollständigen stattt anzuzünden? Ist es richtig Bauspekulanten anzugreifen?

Das heißt die Frage konkret gestellt. (Welch irres Interesse es daran gibt, die Diskussion genau darüber nicht zustande kommen zu lassen, kann man, daran ablesen, daß man sich selbst nicht scheut, die Hygiene gegen den Bewaffneten Kampf ins Feld zu führen: da wird dringend geraten, sauber zu bleiben, sich sozusagen täglich die Hände in Unschuld zu waschen, denn wer kämpft, wird von den Bullen infiziert.)

Die Frage konkret zu stellen, heißt: sie zu beantworten - so oder so. Wer nicht antworten will produziert Gerüchte, Gerüchte, die sich inzwischen zu einem handfesten Mythos ausgewachsen haben: Für die einen ist der Bewaffnete Kampf die aktuelle Verkörperung des Leibhaftigen, etwas Fürchterliches, es läuft ihnen schon beim Gedanken daran, eiskalt den Rücken runter. Für die anderen ist er das absolut Größte, so was wie ein Glaubensbekenntnis, ein Werk von Giganten - eben auch ein Mythos!

Dieser Mythos, der negativ aber auch der positiv besetzte, hat die Funktion aus der selbstverständlichsten Geschichte der Welt: daß der Unterdrückte Widerstand leistet - und zwar nicht nur mit dem Mau l - eine übermenschliche, auf jeden Fall eine nicht machbare Angelegenheit zu machen.

Zu Revolutionären gehört die Angst wie ihr Zorn und ihre Entschlossenheit, sich als Menschen neu zu schaffen, in den Metropolen anzugreifen und damit den weltweiten Kampf gegen den Imperialismus zu unterstützen. Wir müssen mit dieser Angst umgehen lernen und sie nicht wie einen dunklen Fremdkörper verdrängen. Denn verdrängte Angst macht ängstlich, irrational, durchgeknallt. Angst, die man gelernt hat in Griff zu kriegen, die einem nicht mehr fremd ist, macht cool, zuversichtlich und fürsorglich untereinander (weil wir sie nicht mehr gegenseitig ausspielen). Ein wesentlicher Schritt vom, angstkranken Untertan zum neuen Menschen .

Aus diesen praktischen Erfahrungen heraus glauben wir auch nicht an jene Zärtlichkeit, an jenes neue Verhalten untereinander, das ein Teil der Linken zur Zeit propagiert. Weil es als Alternative zum Kampf propagiert wird. Das ist eine Zärtlichkeit, die keinem Druck standhält, ein Verhalten untereinander, das von Betulichkeit strotzt - kurzum man bestätigt sich furchtbar lieb und verständnisvoll in dem, was man man/ frau ist .

Diese rücksichtsvolle Krankenhausmentalität ist schon erklärlich angesichts der vielen Wunden, die jedem von uns zugefügt worden sind. Bloß: je länger man sich ins Bett legt, um so schwerer fällt einem das AUFSTEHEN.

Revolutionäre Zärtlichkeit besteht nicht darin, die Wunden zu hätscheln, sondern gegenseitig die noch verbliebenen Abwehrkräfte zu aktivieren, im Verhältnis untereinander nicht großzügig, sprich schlampig zu sein, sondern liebevoll genau und für den anderen verantwortungsvoll. Denn es kann kein revolutionäres Bewußtsein oder Verhalten außerhalb des Kampfes geben. Oder wie es unser verehrter Freund Jean - Paul Sartre etwas pathetisch auszudrücken beliebt:

"Die wahre Kultur ist die Revolution, d.h. sie wird im Feuer des Kampfes geschmiedet. "

Oder wie wir selber sagen würden: der Bewaffnete Kampf ist nicht die Lösung aller Widersprüche, aber ohne ihn gibt es keine Lösung

Die Existenz der Stadtguerilla hat diesen Mythos nur wieder aktualisiert, gewachsen ist er in den jahrhundertelangen Niederlagen des deutschen Volkes - der Bauern, der Arbeiter, der Frauen, der Alten, der Kinder, der Minderheiten (wie der Juden) gegenüber Herrschaft - Herrschaft in jeder Form.

Alle Herrschaftsverhältnisse kommen auf die Dauer nicht mit der physischen Unterwerfung der Menschen aus, sie müssen sich in den Köpfen und Seelen einnisten sie kolonisieren. Hat in der Vergangenheit diese Funktion im wesentlichen Religion übernommen, so ist das heute zu einem harten Job für ein Millionenheer von Richtern, Journalisten, Technikern, Wissenschaftlern, Meistern, Medizinern , Beamten, Psychiater geworden. Die Produktionsverhältnisse, die Wohn- und Schulverhältnisse, die Lebens- und Sterbeverhältnisse sind so organisiert, daß sie nicht nur tägliche Zerstörung produzieren, sondern auch das Gefühl des Unabänderlichen- Ewigen - den Mythos von der Macht.

Die Macht und ihr Mythos halten die ihr unterworfenen Menschen im Status von Kolonisierten. "Der Kolonisiertenstatus ist eine Neurose." (Satre) Eine Neurose, die ständig die Lebenskraft der Menschen untergräbt, sie an ungelebten Möglichkeiten, an den täglich erduldeten Niederträchtigkeiten ersticken läßt, so wie die Verschmutzung in einem See den Sauerstoff bindet, den die Fische zum Leben brauchen. Das Ergebnis ist die massenhafte Auflösung von Personen, das Auseinanderbrechen von Identitätsresten - plastic people, geladen bis zum Zer bersten mit Furcht und Aggressionen. "Diese zurückgehaltene Wut dreht sich, wenn sie nicht ausbricht, im Kreis herum und richtet unter den Unterdrückten selbst Verheerungen an" (Satre). Man braucht sich nur in der deutschen Linken umzugucken und man stößt überall auf die katastrophalen Spuren dieser VERINNERLICHTEN REVOLTE:

Wer die Macht und die Herrschaft nicht mit seinen ganzen Fähigkeiten und Möglichkeiten angreift, sich nur wegduckt, wie die Alternativbewegung, der strickt selber mit am Mythos von der Macht und damit auch an seiner Entsprechung: dem Mythos vom Bewaffneten Kampf.

Denn wer Herrschaftsverhältnisse nicht angreift, erklärt sie dadurch praktisch für unangreifbar , egal was er sich theoretisch dazu denkt. Folglich können die, die sie mit Erfolg angreifen, keine normalen Menschen sein. Deutlich wird das bei der Lorenz- Entführung: da ist von eiskalten, frechen Spezialisten die Rede, von Politpro,fis, von genialen Strategen ...kurzum von Obermenschen - von Monstern. Die Niederlagen, die der Revolutionär IIIich Ramirez Sanches einigen Herrschaften bereitet hat, versuchen sie in ihrer Beweiskraft dadurch zu entschärfen, daß sie sie zu den Geniestreichen eines Phantoms verzerren - des Phantoms "CarIos". Dieses Verfahren wird grundsätzlich jeder erfolgreichen Aktion gegenüber angewandt: Erfolgreicher Widerstand wird an Ort und Stelle zur Legende verarbeitet - zum Werk von Über- oder Untermenschen jedenfalls Nichtmenschen gemacht, für die Unterdrückten gilt also weiterhin: Widerstand liegt nicht im Bereich des MENSCHENMÖGLICHEN, Herrschaftverhältnisse sind unabänderlich, daher unangreifbar.

Die ETA sagt dazu, wie sie Carrero Blanco in den Himmel hat fahren lassen, folgendes:

Jon: "Zusammenfassend kann man sagen: es ist nicht notwendig, Bergbauingenieur zu sein, um einen Tunnel zu graben, noch muß man Sprengstoffspezialist sein, um das Pflaster in die Luft zu jagen, ebensowenig ist es notwendig, Spezialist für Optik zu sein, um ein Auto so hinzustellen, daß man eine Stelle markiert und jemanden hinzustellen, der ein Zeichen gibt. Anders gesagt, man muß die Mythen vernichten. Niemand ist ein Gott und keiner braucht das zu sein: das ist das Werk ganz normaler Leute ..."

Die Entmenschlichung der Revolutionäre, ihre Vertierung oder Gigantisierung, diese beiden Varianten der Mythologisierung, ist die klassische Ideologische Waffe der Konterrevolution.

Die Linke macht diese Dreieinigkeit komplett, indem sie den Mythos von den Politruks dazusteuert, die sich gegenseitig und ihre Umwelt mit einem abstrakten, todeswütigen politischen Leistungsdruck erpressen, funktionalisieren, verheizen.

Keiner soll sich in den Revolutionären wiedererkennen .

Denn sich mit uns identifizieren, heißt zu begreifen, daß Revolution immer ist, daß es kein "vor der Revolution" und kein "nach der Revolution" gibt. Selbst wenn sich die revolutionären Kräfte

nicht rühren, findet Revolution statt, nämlich Konterrevolution. Es gibt in den Beziehungen zwischen Herrschenden und Beherrschten keine Sekunde einen Stillstand. Jede Lebensäußerung eines Menschen ist von diesem Krieg geprägt: sie hat entweder den Charakter des Hinnehmens oder den Charakter des Aufbegehrens: dazwischen gibt es nichts. Oder anders ausgedrückt : man kämpft entweder gegen dieses System oder man wird vom System gelebt .

Wer Kämpft, steht auf der Liquidierungsliste dieses Staates. Wer nicht Kämpft, stirbt den systemimmanenten Erstickungstod. Wer uns also Todestrip vorwirft, hat sich für letzteres entschieden und zwar kampflos, während wir mit allen Mitteln um Unser physisches und psychisches LEBEN Kämpfen.

Denn Leben muß erst erkämpft werden, es muß Stück für Stück aus den Krallen des Molochs zurückerobert werden. Denn wir tragen alle das Kainsmal von Kolonisierten: Angst, Scham, Konkurrenz, Neid, Brutalität vermengt mit Sentimentalität ..Und nur durch die radikale Negation all dessen, was man aus uns gemacht hat, werden wir Menschen werden, werden wir leben lernen. Das bedeutet: "um gegen den Feind zu kämpfen, müssen wir gegen uns selber kämpfen. Beides ist ein und dasselbe" (Satre). Und das, was uns treibt, ist die Ahnung davon, was Menschen sein könnten, was autonome Völker sein könnten. Wenn wir Chile erleben, Wenn wir Te Saatar erleben, wenn wir Stammheim erleben, wenn wir Brokdorf erleben, dann wissen wir, daß der unversöhnliche Haß :auf diese Menschen- und Völkerfresser in all unserer Verstümmelung das Menschlichste in uns noch ist.

" Diese ununterdrückbare Gewalt ist kein absurdes Unwetter, auch nicht das Wiederaufleben eines Ressentiments: SIE, IST NICHTS WEITER' "ALS DER SICH NEU SCHAFFENDE MENSCH" (Satre Wir behaupten, daß jemand, der nicht m all seinen Kräften, Fähigkeiten, seine Phantasie, seinen Gefühlen, seinen Möglichkeiten den Kampf gegen dieses Menschenfressersystem aufnimmt - Und zwar mit der Perspektive, das Leben zu gewinnen, d. h. sich bewaffnet - ein Kolonisierter bleibt, ein vom System gelebter. Und wir behaupten weiterhin, daß der bewaffnete Kampf im Rahmen der Möglichkeiten jedes Menschen liegt. Das wissen wir, weil wir es an uns selber praktisch erfahren haben.

Nichts macht einen Menschen mehr fertig, als die weltweiten, die großen und kleinen Niederträchtigkeiten hinnehmen zu müssen, weil die Angst vor dem Zorn der Staatsgewalt größer ist, als die Angst, an der eigenen schrittweisen Korrumpierung allmählich zu ersticken. Wir haben auch Angst, denn was dieses System an Verfolgung, Folter, Vernichtung denen zugedacht hat, die es angreifen, ist wahrlich furchterregend.

ZWEI WEITERE ZITATE AUS DER MAI- NUMMER DES "REVOLUTIONÄREN ZORNS"

  • Das Wichtigste ist absolute GENAUIGKEIT, die man sich erst als verschlampte(r) Linke(r) unter großen Anstrengungen draufschaffen muß. Denn die Fehler der Guerilla im Kampf gegen den Metropolenimperialismus sind oft ihre letzten. Deshalb ist absolute Genauigkeit in der politischen Analyse erforderlich, in den Beziehungen der Genossinnen und Genossen untereinanderander , den Sympathisanten gegenüber, sich selbst gegenüber. Denn die meisten Fehler entspringen verdrängten Ängsten, verdrängten Spannungen in den Beziehungen der Militanten Untereinander.
  • Das Material, mit dem man es zu tun hat, IST TÖDLICH . Wenn wir nicht äußerst sorgfältig damit umgehen AUCH FÜR UNS . Deshalb: sich Zeit lassen, ruhig bleiben, alles andere wegräumen, an kleinsten Mengen Versuche machen, immer wieder überprüfen, Kontrollmöglichkeiten und Sicherheitsvorkehrungen unbedingt einbauen,

Finger weg von "Rezepten" wie im "Kochbuch ".

Den Arbeitsplatz übersichtlich organisieren

Aus: Zur Hinrichtung Bubacks

...... Deshalb haben wir in diesem Staat unsere Rechte nur, solange wir sie nicht wahrnehmen.

Revolutionärer Kampf ist nicht legal zu führen, weil in der Legalität notwendig die Anpassung an herrschende Spielregeln besteht. Daher ist praktischler Widerstand nur in der Illegalität möglich.

Organisiert euch in Kampfgruppen!

Schafft viele Revolutionäre Zellen!

MAIL
http://www.freilassung.de/div/texte/rz/ps10e.htm