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RZ / Rote Zora

Konkret 02/92, S. 24

Revolutionäre Zellen; Wolfgang Pohrt

"...sondern auch die schlimmsten Kräfte"

Mitte Dezember letzten Jahres verschickten die Revolutionären Zellen (RZ) eine Erklärung, in der sie die Ermordung eines RZ-Mitglieds durch eine palästinensische Gruppe zum Anlaß einer selbstkritischen Reflexion der Geschichte nicht nur ihrer eigenen antiimperialistischen Praxis genommen haben. Unter der Überschrift "Gerd Albartus ist tot" setzen sie sich vor allem mit der Entführung eines Flugzeuges 1976 nach Entebbe, mit der dort unter Beteiligung zweier RZ-Mitglieder vorgenommenen Selektion jüdischer Passagiere, dem darin zum Ausdruck gekommenen Antisemitismus deutscher Linker und der nationalrevolutionären Borniertheit antiimperialistischer Gruppen in der BRD auseinander. KONKRET dokumentiert den vollständigen Text der Erklärung. Wolfgang Pohrt kommentiert sie

Vom Klassenkampf und von der Notwendigkeit revolutionärer Gewalt redet keiner mehr, aber die Linken haben nicht einfach Kreide gefressen, sie haben das Zeug gleich bergeweise vertilgt. Nun liegt es ihnen schwer im Magen, der wiederum auf die Seele drückt. Das führt dazu, daß die Leute Depressionen kriegen und man sie nur noch seufzen und stöhnen hört, wo sie argumentieren sollten. Auch die Revolutionären Zellen schlagen neue Töne an. Erstmals haben sie ein Papier publiziert, das man im vollen Wortlaut dokumentieren kann, ohne Schikanen durch irgendwelche Strafverfolgungsbehörden befürchten zu müssen. Statt wie gewohnt zur Militanz aufzurufen, nur diesmal angesichts von Hoyerswerda und deutscher Großraumpolitik mit plausibleren Gründen, zieht die Gruppe selbstkritisch, fast reumütig Bilanz. "Der Weg der Veröffentlichung ist zugleich die Kapitulation vor weitergehenden Ansprüchen", heißt ein Satz, der den Tenor des Textes auf eine knappe Formel bringt.

Nichts ist dagegen einzuwenden, wenn Leute nach 20 Jahren die Lust verlieren an einem Spiel, worin sie selber lange Haftstrafen, mitunter Verletzung und Tod riskierten, während der einzige Gewinner dabei das sensationshungrige Publikum war. Man hätte sich von den Revolutionären Zellen einen hämischen Abschiedsbrief gewünscht, gerichtet an die Adresse derer, die 20 Jahre lang Lebenshilfe und Lebensinhalt gratis bekamen. Die brave, gute, gewaltfreie Linke wäre da zu nennen, die sich den Machthabern, der Öffentlichkeit und dem eigenen Über-Ich mit der schlichten Botschaft empfahl: So wie die Terroristen sind wir nicht. Den Jungs vom BKA hätte man nahelegen können, sich schon mal beim Arbeitsamt für einen Umschulungskurs anzumelden. Es wäre doch ein nettes Bild, wie der an schicke, schnelle Schlitten gewöhnte Zielfahnder und Combat-Schütze nun als Kontaktbereichsbeamter der Oma beim Tragen der Einkaufstüte und den Schulkindern über die Straßenkreuzung hilft.

Doch statt die Übrigen mit der Nachricht zu foppen, daß sie nunmehr ihren Dreck alleine machen müssen, worin man sie einfach vermodern lassen wird, hat es die Revolutionären Zellen offenbar mehr gereizt, den eigenen Abgang mit Bedeutungsschwere zu befrachten. Schon das Gedicht als Garnierung kündet von der Entschlossenheit, sich in eine feierliche, getragene Stimmung zu versetzen. Dem außerordentlichen Ernst des Anlasses will sich dann auch die Sprache gewachsen zeigen, die Verfasser wissen um Vieles, etwa "um die Gewalt in den eigenen Reihen", "um seinen Tod", "um die tausenderlei Geschichten", aber nichts wissen sie genau, und was sie genau wissen, verschweigen sie lieber. Das Resultat ist ein Text, der manchen richtigen Gedanken enthält und an dem zugleich nichts stimmt, nicht mal der Titel, der "Gerd Albartus ist tot" heißt und eine wahre Falschmeldung insofern ist, als er den wichtigen Zusatz "seit 4 Jahren" nicht enthält, welcher den Charakter der Meldung vollkommen verändert.

"Der Sinn der Veröffentlichung", wird in dem Papier erläutert, "ist furchtbar einfach: Wir wollen verhindern, daß ein Genosse, der uns wichtig ist, spurlos verschwindet." Die Erklärung ist nötig, weil ohne den Wink mit dem Zaunpfahl keiner dem Papier ausgerechnet diesen Sinn unterstellen würde. Ganz abgesehen davon, daß für den Tag geschriebene Texte morgen vergessen und deshalb nicht in der Lage sind, jemandem ein ewiges oder auch nur längeres Angedenken zu bewahren: Man kann nicht verhindern, was geschehen ist, und einer, dessen Todesanzeige mit 4 Jahren Verspätung erscheint, hat das spurlose Verschwinden hinter sich. "Wir wollen uns dem Eindruck widersetzen", heißt es weiter, "als könne einer der unseren ohne Widerspruch umgebracht werden, selbst wenn uns die Mittel fehlen, dies zu vergelten." Dem Eindruck, dem eigenen vermutlich, müssen die Verfasser sich widersetzen, weil er zu Recht entsteht. Sie versichern zwar, wie lieb und teuer ihnen der Ermordete war, aber sie ringen sich nicht einmal dazu durch, die Täter namentlich anzuprangern, sie sagen sogar ganz offen, um "Enthüllung oder Anprangerung" ginge es ihnen nicht. Von irgendeiner Palästinensergruppe ist die Rede, doch welche es war, erfährt man nicht. Zur Rücksichtnahme auf Leute, welche man für die Mörder eines Freundes hält, paßt die Sprache. In unmittelbare Beziehung zueinander werden die Wörter umbringen und Widerspruch gesetzt, etwa so, wie wenn der Mord eine Art Diskussionsbeitrag wäre. Man wundert sich am Ende schon gar nicht mehr, wenn die Verfasser von "unserem Entsetzen und unserer Trauer" reden, was wie ein verspätetes Echo auf die Verlautbarungen des Regierungssprechers wirkt, der den Verlust von Buback oder Schleyer melden mußte.

Gewiß sind die Zeiten lange vorbei, in denen für Revolutionäre die Ermordung eines Gefährten die Verpflichtung war, das begonnene Werk zu vollenden. Zu viele sind seither gestorben. Jeanne Moreaus Monolog in Louis Malles "Viva Maria", frei nach Shakespeares Julius Ceasar, 3. Akt, zweiter Auftritt, wie der Kunstschütze und der Zauberer kennerisch bemerken; die Trauerrede also, die zum Fanal für den bewaffneten Aufstand wird, ist schön, aber Kino: "Flores lebte. Ich liebte ihn. Flores ist tot. Ich beweine ihn. Aber ich bin nicht hier, um einen Mann zu rächen, den man getötet hat, sondern um einem Volk Gerechtigkeit zu verschaffen. Flores ist nicht mehr. Ich habe seine letzten Worte gehört. An uns alle waren sie gerichtet, und ich gebe sie an euch weiter. Aber was sehe ich hier: Eine verängstigte Herde; einen mutlosen Haufen, der den Kopf hängen läßt. Oh Urteil du, du bist entflohen zum blöden Vieh. Und der Mensch ward unvernünftig. Ihr werdet ausgebeutet. Ihrer werdet entehrt und gedemütigt. Und ihr bedankt euch noch und küßt die Hände eurer Peiniger. Wacht endlich auf, die Freiheit bedarf nur einer Geste, und überall in den Bergen wird euer Zorn widerhallen. Wer von euch ist so tief gesunken, um das Sklavenlos zu wünschen? Ist hier jemand? Soll er sprechen, denn ich hab ihn beleidigt. Ich halte inne, um eure Antwort zu hören."

Man soll die Wirklichkeit nicht am Kino messen, doch auch im rauhen Leben hat keiner einen Nachruf verdient, der aus lauter Formelkompromissen besteht, wie sie jeder Pfaffe benutzt, wenn er die trauernden Anverwandten nicht verprellen und die Wahrheit nicht über Gebühr strapazieren darf: "Die Art und Weise, wie er seine Überzeugung lebte, hat uns immer fasziniert, gerade weil sie uns in der Form fremd war. ... Wer ihn kannte, weiß um die tausenderlei Geschichten, auf die er sich einließ, ohne sich auf eine reduzieren zu lassen. ... Was bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck von Unstetheit erweckt haben mag, war die Lust, in Widersprüchen zu leben, die geboren war aus der Gewißheit, daß der geradlinige Weg mathematisch zwar die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten, politisch aber mit Sicherheit nicht der schnellste und beste Weg zum Erfolg ist. ... Daß er mit dieser Auffassung, die er nicht propagierte, sondern lebte, überall aneckte, kann man sich vorstellen, wenn man sich die ganze Palette seiner Tätigkeiten vergegenwärtigt, die sein Leben nach dem Knast ausmachten." Nicht jedem ist es vergönnt, ergreifende Nachrufe schreiben zu können. Zum transitiven Gebrauch intransitiver Verben jedoch ist keiner gezwungen. Man muß nicht Sätze fabrizieren, die schwülstig wie das Motto zum letzten CDU- Parteitag klingen, welches "Die Zukunft leben" hieß.

Halbherzig, wie es der Nachruf ist, bleibt trotz allem punktuellen Verbalradikalismus die Selbstkritik, für welche der Nachruf den Aufhänger liefert. Hart und schonungslos klingt die folgende Passage, aber sie ist es nicht, weil das Wir aus einem bitteren Vorwurf ein weinerliches Geständnis macht, das rührselige Einheit nach der Devise stiftet, wir seien doch allesamt arme Sünder: "Die Gewißheit, daß auch wir als Linke nicht gegen antisemitische Ressentiments gefeit sind, die notdürftig mit nationalrevolutionären Definitionen kaschiert werden, hat uns praktisch blockiert." Zu einem Bewußtsein, welches sich selber Immunschwäche gegen Antisemitismus attestieren kann, ohne nach den Gründen zu forschen, ohne sich damit grundsätzlich infrage zu stellen, passen frappierende logische Inkonsequenzen. Sich einerseits ihres Wissens "um die Gewalt in den eigenen Reihen" zu rühmen und über die nationalen Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt manches deutliche Wort zu sagen, hindert die Verfasser nicht daran, an anderer Stelle den Verdacht zurückzuweisen, die Gruppe, welche den Gefährten umbrachte, sei für den "palästinensischen Widerstand" exemplarisch. "Wir haben jedoch keinerlei Veranlassung zu irgendwelchen Pauschalisierungen", verlautbaren die Revolutionären Zellen, und schon die Sprache wirkt, als nehme die Bundesregierung gerade mal wieder die wegen einiger schwarzer Schafe ins Gerede gekommene deutsche Waffenindustrie in Schutz. Der Text fährt fort: "Wir halten es für verkehrt, von den Regeln einer Gruppe auf die Verfaßtheit einer ganzen Bewegung zurückzuschließen" - gerade so, als wäre es den Verfassern noch nicht zu Ohren gekommen, daß der Terror palästinensischer Femegerichte und Vollstreckungskommandos unter den Palästinensern mittlerweile mehr Opfer fordert als alle Zusammenstöße mit israelischen Sicherheitskräften. Wo radikale Enthüllung geboten wäre, weichen die Revolutionären Zellen aus und greifen zu Beschwichtigungsformeln.

Sie sind damit auf dem besten Weg, sich rückwirkend jede Legitimation ihrer Praxis zu entziehen und, was dasselbe ist, ihre Heimkehr ins wiedervereinigte Deutschland vorzubereiten. Stets wird den Idealisierten die Idealisierung heimgezahlt, die Bewohner der Dritten Welt werden es dann büßen müssen, daß man sie für die besseren Menschen hielt, die zu sein die Verdammten dieser Erde niemals eine Chance hatten. Nicht ihre vermeintliche Solidarität im Umgang miteinander, sondern die bestialische Art, auf die sie sich wechselseitig maltraitieren, ist der Beweis für das Unrecht, das ihnen geschehen ist. Dessen Abschaffung setzt mehr Gewalt voraus, als die von den spanischen Anarchisten schwärmenden Revolutionären Zellen sich vorstellen können. Sie wenden sich dagegen, daß eine politische Entscheidung durch den Zwang der Verhältnisse gerechtfertigt werde, und sie verlangen, daß die Entscheidung moralischen Ansprüchen standhalten können müsse. Sie verlangen dies in genau dem Moment, wo die bittere historische Erfahrung lehrt, daß amoralische Entscheidungen wie die der chinesischen Führung, auf dem Platz des Himmlischen Friedens ein Massaker anzurichten, sich nachträglich als politisch gerechtfertigt erweisen können, weil der gewaltsame Tod Hunderter Tausenden den Hungertod ersparen half, den heute die Alten und die Schwachen in der Sowjetunion zu erwarten haben.

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