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aus: Kassiber Bremen
Linke Sicht auf Israel: Vom "tapferen David" zum "zionistischen
Goliath"
Kommen wir schließlich zu dem letzten in unserem Zusammenhang
wichtigen Begriff, dem Antizionismus. Die Referenten haben in der
Veranstaltung zurecht darauf hingewiesen, daß die Neue Linke
zunächst weitgehend proisraelisch war und dann mit dem 6-Tage-Krieg
1967 komplett umgekippt sei. Sehen wir uns das noch einmal genauer
an: Bereits die öffentliche Debatte um die Wiedergutmachung,
mit der die nationalsozialistische Judenvernichtung überhaupt
erstmals von deutscher Seite in größerem Rahmen thematisiert
wurde, wurde maßgeblich von Linksliberalen christlicher Provinienz
und SozialdemokratInnen initiiert.(21) Als erster Studentenverband
hatte sich der SDS auf breiter offizieller Ebene im Herbst 1951
an Aktionen zur "Aussöhnung mit Israel" beteiligt.
Das Wiedergutmachungsabkommen vom 10.9.1952, das die Regierung Adenauer
aufgrund heftiger Kritik im eigenen Lager nur mit den Stimmen der
SPD im Bundestag ratifizieren konnte, war als Voraussetzung für
das Londoner Schuldenabkommen (22) vor allem ein weiterer Schritt
in Adenauers Strategie der Westanbindung.
Gerade wegen der Kritik konservativer Kreise am Wiedergutmachungsabkommen
und wegen der durch die Hallstein-Doktrin (23) verwehrten diplomatischen
Anerkennung Israels durch die Bundesregierung blieb die Israel-Solidarität
Bestandteil des antifaschistischen Selbstverständnisses (SU-kritischer)
linker Opposition. 1957 wurden die ersten Deutsch-Israelischen Studiengruppen
(DIS) konstituiert, die bis Ende der Sechziger weitgehend vom SDS
dominiert wurden. Im Rahmen der DIS, der Aktion Sühnezeichen
(24), aber auch der DGB-Jugend begann eine Reisetätigkeit nach
Israel, die sich in den sechziger Jahren zu einem regelrechten Kibbuztourismus
ausweitete. Betrachtete man doch die Mitarbeit im Kibbuz nicht nur
als symbolische Hilfe für die Opfer, sondern auch als Teilhabe
an einem alternativen, sozialistischen Experiment. Die große
Publizität des sogenannten Ulmer Einsatzgruppenprozesses 1958
in den bundesrepublikanischen Medien, eine Welle antisemitischer
Anschläge im Winter 1959/60 und der weltweit Aufsehen erregende
Eichmann-Prozeß in Jerusalem 1961 waren weitere Mobilisierungsfaktoren
für eine linke - im Wortsinne - "Vergangenheitsbewältigung"
mittels einer bis zu pathetischer Glorifizierung reichenden Israel-Solidarität,
die nicht zu unrecht als "zeitgeschichtliche Antizipation der
1967 einsetzenden konservativen Israelbegeisterung" bezeichnet
wurde.(25)
Mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der BRD und
Israel im Mai 1965 - von Regierungsseite wie folgt kommentiert:"Israel
als europäischer Vorposten im Nahen Osten und als 'diplomatische
Weltmacht' mit einem Einfluß überall auf der Welt
(...) kann der Bundesrepublik viele Türen öffnen"
- und angesichts des kurz zuvor an die Öffentlichkeit gelangten,
bereits 1960 geheim unterzeichneten Abkommens zwischen Franz Josef
Strauß und Shimon Perez über militärische Kooperation
büßte das proisraelische Engagement seinen so bequemen
automatischen Oppositiongehalt ein. Zwar stieg der Kibbuztourismus
aufgrund der einfacheren Bedingungen nach der offiziellen deutsch-israelischen
Vereinbarung zunächst noch einmal an, doch die Bundesorganisation
der DIS beklagte bald dessen zunehmende Entpolitisierung. Kloke
spricht von einem seit 1965 "virulenten Legitimationsdefizit"
der Israel-Solidarität und dem Anfang vom "Ende einer
Phase neulinken Engagements für den jüdischen Staat".(26)
Mit dem 6-Tage Krieg vom 5.-11.6.1967, der nicht nur von der Springerpresse
als "Blitzkrieg" der "israelischen Wüstenfüchse"
und "Erben Rommels" gefeiert wurde, sondern auch zu einer
breiten Diskussion in der bundesdeutschen Öffentlichkeit führte,
inwiefern das mit kriegerischen Mitteln "wiedervereinte"
Jerusalem als Modellfall für eine entsprechende Lösung
der Berlin-Frage dienen könnte, entzündete sich bis dahin
beispiellose innerlinke Kontroverse um die Positionierung bezüglich
Israel, die sich bis Ende '69 zu einem mit vorwiegend imperialismustheoretischen
Kategorien begründeten Antizionismus verdichtete. Zwar wurden
auch '67 noch linke proisraelische Solidaritätsbekundungen
initiiert, diese wurden aber bereits weitgehend vom gemäßigten
oder altlinken Spektrum dominiert, also Personen, deren Engagement
sich z.B.bis zur Anti-Atom-Tod Bewegung zurückverfolgen läßt.
Andere ältere, ebenfalls dem traditionell altlinken Spektrum
entstammende Linksradikale wie Ulrike Meinhof verwahrten sich zunächst
gegen ein eindeutiges pro- oder antiisraelisches Bekenntnis. Meinhof
forderte im Juli 1967 eine den Staat Israel einschließende
Solidarität mit den Opfern des Nationalsozialismus ebenso wie
eine Kritik der israelischen Eroberungspolitik.(27) Der vormals
proisraelische SDS ließ noch während des 6-Tage Krieges
verlauten: "(...) wir Sozialisten in der BRD (...) [dürfen]
in der jetzigen Situation unsere Gefühle für das israelische
Volk nicht verwechseln (...) mit der rationalen, ökonomischen
und politischen Analyse der Position des Staates Israel im internationalen
Konfliktsystem zwischen den hochindustrialisierten Ländern
und den Ländern der Dritten Welt."(28)
Doch es war keineswegs allein die "rationale Analyse"
des später sogenannten "imperialistischen Gesamtsystems",
die zur antizionistischen Kehrtwende führte. Gerade innenpolitische
Situation mit der die Linke konfrontiert war hatte einen nicht unerheblichen
Einfluß auf diesen Positionswechsel, schließlich machte
dieselbe Presse, die den 6-Tage Krieg als "Blitzkrieg"
feierte, in ihrer fast zeitgleichen Berichterstattung zum 2.Juni
mit Schlagzeilen wie "Wer Terror produziert muß Härte
in Kauf nehmen" und ähnlichem Opfer zu Tätern. Dabei
war man sich dessen zumindest partiell damals bewußt, wie
ein Briefwechsel des SDS Vorstands zeigt, wo es heißt:"Wir
können nicht zu einer Zeit emphatisch für den Staat Israel
eintreten, wo die gesamte Presse dessen Kriegsführung mit demselben
Begriff 'Blitzkrieg' feiert, mit dem die Nazis in drei Tagen
Polen ausradiert und seine jüdische und nichtjüdische
Bevölkerung massakriert haben."(29) Doch derlei Überlegungen,
aus denen Ansätze zu einer weitergehenden Reflexion über
sozialpsychologische Mechanismen von Identifikation und Projektion
der Tätergeneration und ihrer Kinder und im diesem Rahmen eben
auch der Linken hätten entstehen können, wurden nicht
weiterverfolgt. Stattdessen verkehrt sich das mehr als Identifikation
mit den Opfern des Nationalsozialismus, denn als Solidarität
betriebene proisraelische SDS-Engagement im September '67 endgültig
in ihr Gegenteil: "Der Krieg zwischen Israel und seinen arabischen
Nachbarn kann nur auf dem Hintergrund des antiimperialistischen
Kampfes der arabischen Völker gegen die Unterdrückung
durch den angloamerikanischen Imperialismus analysiert werden. (...)
Der SDS verurteilt die israelische Aggression gegen die antiimperialistischen
Kräfte im Nahen Osten."
Damit war das "analytische" Raster festgelegt: US-Imperialismus
und seine "Brückenköpfe" versus antiimperialistische
KämpferInnen. Aus dieser Perspektive blieb - bei aller berechtigten
Kritik zionistischer Ideologie und Politik (30) - kein Platz mehr
für Differenzierungen zwischen verschiedenen Entwürfen
des Zionismus im 19.Jahrhundert, der zionistischen Bewegung vor
'33, ihrer durch den Nationalsozialismus erzwungene Massenbasis,
dem Zionismus als israelischer Staatsraison und Politik-Legitimation,
oder gar für innerisraelische Widersprüche. Stattdessen
heißt es nur noch: "Zionistische Kolonisierung Palästinas
hieß und heißt bis heute: Vertreibung und Unterdrückung
der dort lebenden eingeborenen arabischen Bevölkerung durch
eine privilegierte Siedlerschicht."(31)
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