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aus: Kassiber Bremen
Entebbe in der zeitgenössischen bürgerlichen Presse
Neugierig, ob tatsächlich der Vorwurf der Selektion ursprünglich
aus der zeitgenössischen "bürgerlichen" Presse
stammt, habe ich mir diese noch einmal zu Gemüte geführt,
und zwar sowohl die ap/dpa/afp- und Reuter-Meldungen in der Tagespresse
(FAZ, FR, NZZ) als auch die Berichte in den wöchentlich erscheinenden
Blättern (Die Zeit und Der Spiegel).
Danach ergab sich erstaunlicherweise keineswegs ein homogenes Bild:
Am Sonntag, dem 27.6.1976 wird nach einer regulären Zwischenlandung
in Athen eine Air France-Maschine mit "rund 250 Personen"(NZZ,
laut FR/FAZ 258 Personen), die sich auf dem Weg von Tel Aviv nach
Paris befand von einem vierköpfigen Kommando entführt.
Die Maschine wird zunächst nach Benghasi/Lybien dirigiert,
wo eine schwangere britische Staatsangehörige, Patricia Heyman,
freigelassen wird, fliegt dann weiter in Richtung Südosten
und landet schließlich in den frühen Montagmorgenstunden
des 28.6 in Entebbe/Uganda, nachdem Khartum/Sudan die Landeerlaubnis
verweigert hatte (FAZ, FR, NZZ). In Entebbe, wo mindestens 3 weitere
Palästinenser zu dem Kommando dazustoßen, werden die
Geiseln in einem leerstehenden Flughafengebäude zunächst
gemeinsam untergebracht und später die israelischen Staatsangehörigen
von denen anderer Nationalität separiert (FAZ, NZZ). Nicht
wie sonst üblich über die palästinensische Nachrichtenagentur
Wafa in Beirut, sondern in einem Telefongespräch mit einem
Reuter-Korrespondenten in Kuwait bekennt sich ein Kommando der PFLP
zur Aktion. Die PFLP-"Stammorganisation" dementiert denn
auch umgehend (FR, NZZ). Über die Beteiligung von zwei Westdeutschen
wird zwar bereits nach den ersten Berichten freigelassener Geiseln
gemutmaßt, ihre Identität, Wilfried Böse und Brigitte
Kuhlmann, zwei Gründungsmitglieder der Revolutionären
Zellen wird aber erst nach Erstürmung der Maschine offiziell
bekanntgegeben. Gegenüber dem französischen Außenminister
- Frankreich erklärt sich offiziell für die Sicherheit
seiner nationalen Luftfahrtlinie verantwortlich - wird die Freilassung
von 53 Gefangenen bis Donnerstag 13 Uhr MEZ gefordert, darunter
40 aus Israel, 6 aus der BRD (Jan-Carl Raspe, Inge Vieth, Ralf Reinders,
Fritz Teufel, Ingrid Schubert, Werner Hoppe), 5 aus Kenya und jeweils
1 aus Frankreich und der Schweiz (FAZ, FR, NZZ). In der Nacht von
Dienstag auf Mittwoch finden dann auch umgehend Zellendurchsuchungen
in mehreren BRD-Knästen statt (FR).
Am Mittwoch, dem 30.6.1976, werden 47 Geiseln freigelassen, womit
sich vor allem der ugandische Diktator Idi Amin als Vermittler im"Dienste
der Humanität" in Szene setzt. Nach FAZ, FR und NZZ heißt
es übereinstimmend "Frauen, Kinder und ältere Personen"
seien freigelassen worden, und "Israelis wurden nicht freigelassen."
Der Spiegel Nr. 29 vom 12.7.1976 wird später in seinem Bericht
"Entebbe. Die zähen jungen Burschen" über die
Entwicklung zur israelischen Befreiungsaktion schreiben: "Mittwoch,
30.Juni: Nachdem in Entebbe Juden von nichtjüdischen Geiseln
selektiert worden sind, wächst die Sorge in Jerusalem..."
Doch zunächst zurück zu den Meldungen der Tagespresse:
Ebenfalls am Mittwoch kommt es in Israel zu einer Demonstration
von Angehörigen vor der Knesset. Hatte Frankreich zunächst
Unnachgiebigkeit demonstriert, während sich die anderen betroffenen
Regierungen bedeckt hielten, signalisiert Israel am Donnerstag Vormittag
kurz vor Ablauf des Ultimatums Verhandlungsbereitschaft (FAZ, FR,
NZZ). Daraufhin wird das Ultimatum bis Sonntag verlängert,
und weitere etwa 100 (FR: 101) Geiseln werden freigelassen. Unisono
heißt es in FAZ und FR vom 2.7. sowie in der NZZ vom 4.7.,
festgehalten würden weiterhin "Israelis, Fluggäste
mit doppelter Staatsbürgerschaft und die Besatzung". Lediglich
die FR vom 3.7. schreibt, die meisten der noch festgehaltenen seien
"Israelis oder Personen mit jüdisch klingendem Namen".
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