Jungle World
11. Oktober 2000
Dossier: Abgerechnet wird zum Schluss
von Wolf-Dieter Vogel, Christoph Villinger und der autonomen Lupus
Gruppe:
Feuer, Flamme und Pistolen
Die verlorene Hoffnung auf Sieg
Aktionen wie der Überfall auf die Opec-Konferenz sind nur
vor dem Hintergrund des Konzepts der trikontinentalen Befreiung
zu verstehen.
Es gibt aber auch einen Teil unserer Politik, den viele Genossen
nicht verstehen und nicht akzeptieren und den auch die Massen nicht
verstehen und der sie vorläufig auch nicht interessieren wird.
Wir halten ihn dennoch für richtig, erklärt die Revolutionäre
Zelle (RZ) der ersten Tage im Jahr 1975. Und:
Dieser Teil des Kampfes bezieht sich auf den Internationalismus,
wo es primär um die Solidarität mit den Genossen ausländischer
Guerillabewegungen geht.
Man ahnt es schon: Diese Politik ließ sich kaum mit dem gleichzeitig
formulierten Anspruch vereinbaren, eine populäre Guerilla aufzubauen.
Und so ist das damalige RZ-Mitglied Hans-Joachim Klein mächtig
genervt, als nach der täglichen Waffenausbildung im Südjemen
plötzlich über Kleinkram wie die Sabotage von Fahrkartenautomaten
diskutiert wird.
An mindestens zwei Aktionen, die weltweit Aufsehen erregen, sind
RZ-Mitglieder beteiligt: am Überfall auf die Wiener Opec-Konferenz
und an der Entführung einer Air-France-Maschine nach Entebbe
in Uganda.
Am 21. Dezember 1975 überfällt ein aus Palästinensern,
Lateinamerikanern und Deutschen bestehendes Kommando die turnusmäßige
Sitzung der in der Opec organisierten Erdöl-produzierenden
Staaten in Wien. Angeführt wird die Aktion von dem Venezolaner
Illich Ramirez Sanchez, genannt Carlos. Als das Gebäude erstürmt
wird, sterben zwei Leibwächter und ein österreichischer
Polizist. Ein Querschläger verletzt den am Kommando beteiligten
Klein so schwer, dass er in einem Krankenhaus notoperiert wird.
Mehrere arabische ölminister werden als Geiseln genommen und
sollen bei einem Rundflug durch ihre arabischen Heimatländer
gegen Geld und politische Gefangene ausgetauscht werden. Geplant
ist außerdem, so schreibt Klein später, den saudischen
und den persischen ölminister zu erschießen. Nach harten
Verhandlungen stellt die österreichische Regierung den Geiselnehmern
ein Flugzeug zur Verfügung. Mit den Geiseln fliegen sie nach
Algier. Bereits in der Luft, um ihre Rundreise durch die arabischen
Länder zu beginnen, muss das Kommando wieder umkehren, denn
der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi verweigert
die Landeerlaubnis in Tripolis. Gerüchteweise liegt zudem ein
millionenschweres finanzielles Angebot aus Saudi-Arabien vor. Zurück
in Algier, werden alle Geiseln freigelassen. Die am Kommando Beteiligten
erhalten politisches Asyl. Später reisen sie in den Südjemen
weiter.
In ihrem Kommuniqué beschwört dieses Kommando der Bewegung
der arabischen Revolution vor allem den Willen zur arabischen Einheit
gegen die zionistische Aggression . Die arabischen Regimes hätten
angefangen, sich vor der wachsenden Stärke des palästinensischen
Widerstands als Avantgarde der totalen [!] arabischen Revolution
in Form des bewaffneten Volkskrieges zu fürchten. Sie fühlen
sich bedroht von der zunehmenden Vereinheitlichungs- und Befreiungstendenz,
die sich an dem ruhmreichen Oktober [gemeint ist der Jom-Kippur-Krieg
1973; d.V.] entzündet hat. Weiter wird wer auch immer Israel
anerkennt oder einwilligt, mit ihm zu handeln oder zu verhandeln
, als Verräter bezeichnet. Solchen Verrätern droht das
Kommando mit Bestrafung durch die Massen.
Während sich fast das gesamte Kommuniqué um Israel
und damit zusammenhängende Fragen dreht, wird die innerarabische
soziale Situation nur in einem Satz gestreift: Verstaatlichung der
ölmonopole und Übergang zu einer nationalen öl- und
Finanzpolitik, die es dem arabischen Volk ermöglicht, seinen
Reichtum für seine eigene Entwicklung, seinen Fortschritt,
Wahrung seiner nationalen Interessen und Stärkung seiner Souveränität
zu benutzen. Aber selbst hier ist der Finanzierung des palästinensischen
Widerstands Vorrang zu geben.
Sieben Monate später entführt ein weiteres internationales
Kommando eine Air France-Maschine auf dem Flug von Tel Aviv über
Athen nach Paris. Sie landet im ugandischen Entebbe. An der Aktion
beteiligt sind neben zwei Palästinensern auch zwei Deutsche:
die Frankfurter RZ-Mitglieder Brigitte Kuhlmann und Wilfried Boese.
Nach der Landung werden die Passagiere nach ihren Pässen getrennt.
Alle israelischen Staatsbürger müssen im Flugzeug bleiben,
der größte Teil der anderen Passagiere wird freigelassen.
Die Gruppe fordert die Freilassung von 53 politischen Gefangenen
aus israelischen und deutschen Knästen. Nach dreitägigen
Verhandlungen stürmt ein heimlich angereistes israelisches
Kommando das Flugzeug. Vier Entführer werden getötet,
alle Geiseln befreit und nach Israel zurückgebracht. Ein Opfer
bleibt zurück: Die belgische Staatsbürgerin, Jüdin
und ehemalige KZ-Insassin Dora Bloch stirbt im Laufe der Entführung
unter ungeklärten Umständen.
Beide Aktionen werden in der deutschen linken Szene nicht diskutiert.
In den einschlägigen Blättern findet sich hierzu zumindest
kein einziger Beitrag. Anders im Spiegel. In der Ausgabe 28/1976
schreibt das Hamburger Nachrichtenmagazin, daß ausgerechnet
zwei Deutsche in Entebbe die Juden von den übrigen Passagieren
selektierten , habe in Israel bitterste Erinnerungen heraufbeschworen.
Jedem Spiegel-Leser, jeder Leserin kann also schon zu diesem Zeitpunkt
die mögliche antisemitische Dimension dieser Aktion nicht unbekannt
gewesen sein. Immerhin wird dieser Aspekt auch von Klein in einem
Interview mit der französischen Tageszeitung Libération
im Jahr 1978 problematisiert. Die RZ, so schreiben sie später,
sind zu diesem Zeitpunkt noch zu sehr im antiimperialistischen Denken
verfangen, um auf solche Kritik einzugehen.
Dieses Denken in Konzepten des antikolonialen und antiimperialistischen
Befreiungskampfes entwickelt sich in den fünfziger Jahren.
Im Laufe dieses Jahrzehnts befreien sich mehrere Länder im
Trikont selbst durch den bewaffneten Kampf. So z.B. Kuba und Algerien.
In vielen anderen Staaten toben später Kämpfe zwischen
nationalen Befreiungsbewegungen und Staatsmacht oder imperialistischen
Besatzern, wie etwa in Südvietnam, in Angola sowie in vielen
Staaten Mittel- und Südamerikas.
Ihren programmatischen Höhepunkt hat diese Stimmung mit der
Trikontinentalen Konferenz 1966 in Havanna, auf der Bewegungen und
Regierungen aus 82 Staaten den bewaffneten Befreiungskampf als Standardweg
der Emanzipation verkünden. Das ist, formal betrachtet, eine
satte Uno-Mehrheit. Che Guevara ruft die Studenten und Studentinnen
in Europa und den USA dazu auf, den Kampf im Herzen der Bestie aufzunehmen.
Befreiung scheint nur noch eine Frage einer letzten subjektiven
Anstrengung. Zudem machen die USA mit dem von ihnen unterstützten
Putsch in Chile im Jahr 1973 klar, dass sie einen friedlichen Weg
zum Sozialismus nicht akzeptieren würden. Wohl nicht nur zufällig
werden in diesem Jahr die RZ gegründet.
Am 25. April 1974 stürzen junge linke Offiziere und ihre Soldaten
das faschistische Regime in Portugal. Die trikontinentale Befreiung
scheint auf dem europäischen Festland gelandet zu sein. In
dieser Stimmung beteiligen sich RZ-Mitglieder an weltweit operierenden
Kommandos der vermeintlichen trikontinentalen Revolution .
Doch bald müssen sie bittere Erfahrungen machen, die nach
der Entebbe-Aktion zu einer Spaltung der RZ führen. Von nun
an gibt es einen Inlandsflügel , der sich bewusst auf sozialrevolutionäre
Aktionen beschränkt, orientiert an den Bedingungen in der BRD,
und einen internationalen Flügel , der sich der Gruppe Internationaler
Revolutionäre anschließt. Diese Gruppe wird von den Medien
als Carlos-Gruppe bezeichnet. Bis weit in die achtziger Jahre soll
allerdings das RZ-Mitglied Gerd Albartus Querverbindungen zwischen
den beiden Gruppierungen unterhalten haben. Diese werden ihm im
Dezember 1987 zum Verhängnis. Er wird von Mitgliedern der Carlos-Gruppe
als Verräter hingerichtet.
Bekanntestes überlebendes deutsches Mitglied dieser Gruppe
ist Johannes Weinrich, den das Berliner Kammergericht im Januar
dieses Jahres wegen eines Anschlags auf das Maison de France 1984
zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Schlussplädoyer dieses
Prozesses versucht der linke Berliner Anwalt Rainer Elfferding den
Lebensweg seines Mandanten Weinrich nachvollziehbar zu machen, allerdings
ohne seine Konsequenzen zu teilen. Die deutschen Guerilleros hätten
erkennen müssen, wie wenig "revolutionär" die meisten
dieser Bewegungen in Wirklichkeit waren, wie nationalistisch, wie
eingebunden in regionale Interessen, wie abgeschnitten von der "Weltrevolution",
wie eifersüchtig aufeinander, wie zerstritten untereinander,
wie abhängig von Regierungen und deren Geheimdiensten, die
alles andere als "revolutionäre" Ziele interessierten, denen
es um die Macht ging, um öl, um Geld, und die mal mit diesem,
mal mit jenem paktierten. In den Zelten der palästinensischen
Flüchtlingslager hätten sich Hitlerbilder gefunden und
Menschen, die Hitler gut fanden, weil er gegen die Juden vorgegangen
sei .
Erst 15 Jahre später äußert sich eine RZ-Gruppe
öffentlich zur faktischen Spaltung im Jahr 1976. Die berechtigte
Sorge, der falschen Seite in die Hände zu arbeiten, darf nicht
zum bequemen Freibrief werden, jeglichen Dreck unter den Teppich
zu kehren , heißt es in der Erklärung Gerd Albartus ist
tot . Vielleicht müsse man umdenken und lernen, daß Schwindel
und Selbsttäuschung weit mehr zu unserem Scheitern beitragen,
als die offen geführte Debatte um unsere internen Widersprüche
. Doch jetzt hat leider erstmal der Staatsanwalt das Wort.
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