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Im folgenden dokumentieren wir ein Gespräch der Zeitschrift
interim mit 5 Autonomen über die Festnahme von
mutmaßlichen Mitgliedern der Revolutionären Zellen und
deren Bedeutung (in der von der taz gekürzten und am 31.03.2000
veröffentlichten Fassung)
"Militanz ohne Bewegung"?
Ende Dezember 1999 wurden bei einer Großrazzia drei Leute
festgenommen, denen Mitgliedschaft in den RZ vorgeworfen wird. Ist
das das Ende der Ära der bewaffneten Linken?
Johnny: Ja und nein. Ja, weil es eine der letzten großen
Verfolgungswellen ist, was bewaffnete Reste aus der alten Bundesrepublik
angeht, die verbissene Rache der Bundesanwaltschaft, die frustriert
ist, weil sie nie jemand von den RZ gekriegt hat. Und weil es nur
noch mal das Ende der RZ bestätigt. Nein, weil militanter Widerstand
immer weiter gehen wird, sich neue Formen sucht und neue Leute dazu
stoßen.
Karla: Ich sehe aber eine lange Durststrecke, in der sich nur
einzelner Widerstand militant bemerkbar macht, aber keine kontinuierliche
Gegenmacht. Ich glaube, dass wir sehr nachdrücklich
daran arbeiten müssen, neue Strukturen aufzubauen.
Ist organisierter, militanter Widerstand heute, gut zehn Jahre nach
Mauerfall, acht Jahre nach dem Ende der RZ und drei Jahre nach der
Auflösung der RAF überhaupt noch zeitgemäß?
Liliane: Militanz entwickelt dann eine Kraft, wenn es darum geht,
eine Idee, eine Utopie, die in Ansätzen hier und heute umgesetzt
wird, durch unmissverständliche Zeichen zu unterstützen.
In bewegungslosen Zeiten wie jetzt ist für mich Militanz eher
ein subjektiver Befriedigungsfaktor, um aus der alltäglich
erlebten Ohnmacht auszubrechen. Aber es gehört oft eine Menge
Ignoranz oder Selbstbetrug dazu, die politische Wirkungslosigkeit
einfach so zu schlucken.
Johnny: Es war noch nie so, dass die Herrschenden freiwillige
Zugeständnisse gemacht haben, geschweige denn, dass sich prinzipielle
Dinge geändert hätten, nur weil mensch darum bittet. Gesetze
werden außerdem nicht deshalb weniger verschärft oder
gar zurückgenommen, weil es keine Straßenschlachten oder
Anschläge mehr gibt.
In der Linken wird anlässlich der Razzien und Festnahmen viel
über die Politik der Revolutionären Zellen diskutiert.
Habt ihr oder was habt ihr aus der Geschichte der RZ gelernt?
Antonio: Viele Aktionen und auch Erklärungen der RZ und noch
viel mehr der Roten Zora fand ich sehr gut. Es gibt aber schon einige
Geschichten, die ich kritisiere oder ablehne. Dazu gehören
die Erschießungen (Wirtschaftsminister Karry 81) oder
Knieschussaktionen (wie gegen den Chef der Ausländerbehörde
von Berlin, Hollenberg, 1986 und gegen den Asylrichter Korbmacher
1987) gegen politische Gegner. Wir befinden uns heute meiner Meinung
nach in keiner politischen Situation, die eine Liquidierung unseres
Gegners, einzelner Repräsentanten des Systems erfordert. Für
die Zukunft kann das jedoch grundsätzlich bei einer Verschärfung
der gesellschaftlichen Verhältnisse (wie z. B. Diktatur
oder Faschismus) nicht ausgeschlossen werden. Politischer Mord ist
und sollte das letzte und unausweichliche Mittel sein, um weiteres
Menschenleben zu retten.
Johnny: Ich kann deine Kritik nachvollziehen, aber die RZ haben
das damals auch sehr genau begründet: Sie fanden es unangemessen,
jemandem wie Korbmacher, der so viel Leid und Elend verantwortet,
einfach nur das Auto abzufackeln.
Karla: Was ich aus dem Komplex RZ gelernt habe ist, dass man solch
eine Praxis nur in einer ganz bestimmten Lebensphase leisten und
leben kann. Es liegt eindeutig die Tendenz der Verselbständigung
in einer klandestinen Lebensweise. Wenn mensch einmal mit bestimmten
Sachen angefangen hat, darfs darunter nicht mehr sein. Daraus schließe
ich, dass ein Abwechseln organisiert werden muss.
Ihr habt das Thema Schusswaffen angesprochen. Die RZ haben aber
auch sonst auf einem technisch hohen Niveau agiert. Wie beurteilt
ihr ihre sonstige Praxis jenseits der Schüsse?
Antonio: Auch die Anwendung von Sprengstoff und komplizierteren
Brandsätzen, die eher zum SpezialistInnentum neigt, als dass
es zu massenweiser Nachahmung anregt, ist hinterfragenswert. Die
Praxis vieler militanter Kleingruppen heutzutage mit sehr einfach
nachzubauenden Schukartons (mit Benzinflaschen, Jogurt-Bechern,
den Kohleanzündern usw.) motiviert und regt andere auch viel
mehr an, da selbst mit einzusteigen.
Giovanni: Für viele von uns, die der undogmatischen autonomen
Linken zuzurechnen sind, hatten die RZ schon so etwas wie eine Orientierungsfunktion.
Insofern, dass wir eine große Bedeutung gerade auf die Verankerung
unserer Politik in einer sozialen Bewegung legen. Da sind wir aber
auch schon bei unserem großen Problem. Soziale Bewegungen
existieren kaum. Auch durch das permanente Hochhalten des Widerstandes
gegen Castor-Transporte lässt sich keine große, soziale
Bewegung herbeireden.
Johnny: Die RZ haben nicht nur, wie die meisten autonomen Gruppen,
einen Anschlag gemacht und dann einen Absatz dazu veröffentlicht,
sondern sich in längeren Erklärungen intensiv mit einem
Thema auseinander gesetzt. Ich möchte erst mal die autonomen
Strukturen sehen, die in der Lage sind, so intensiv so lange zu
Themen zu arbeiten.
Die RZ und die Rote Zora haben, rückblickend betrachtet,
praktisch als erste Themen wie Antirassismus und Gentechnologie
angepackt. Liegt darin für euch ein Anknüpfungspunkt?
Giovanni: Die RZ waren sicherlich einer der Ersten, die erkannt
haben, welche Brisanz gerade in den Flucht- und Migrationsbewegungen
liegt. Aber auch hier befinden wir uns in einem permanenten Abwehrkampf.
An militantem Widerstand ist zwar einiges passiert, aber immer häufiger
werden die staatlichen Entscheidungsträger bei diesen Aktionen
ausgenommen. Nicht, dass es falsch wäre, z. B. das DRK
für seine schweinische Rolle beim Unterhalten der Wohnheime
verantwortlich zu machen, aber es gibt auch die staatlich Verantwortlichen
in den Bezirksämtern und Regierungsgebäuden. Aber gerade
diese scheinen uns immer unantastbarer.
Antonio: Ich denke, die Flüchtlingskampagne der RZ kam mindestens
zehn Jahre zu früh. Ihre Aktionen waren wenig eingebettet.
Das Ziel der Vermassung konnte nicht erreicht werden. Ich wage überhaupt
zu bezweifeln, ob es möglich ist, allein durch militante Aktionen
gesellschaftliche Prozesse und Bewusstseinsveränderung anzustoßen.
Karla: Zu früh? Gerade das frühe Erkennen von Themen
oder, wie ich es viel lieber sagen möchte, der Kampf gegen
die Anfänge, ist eine unschätzbare Leistung.
Viele linke Utopien sind durch den Verrat von Tarek M. auf den
Boden der Tatsachen zurückgeholt worden.
Antonio: Tareks Aussagen sind bitter, sehr bitter. Die, die sich
ihm damals anvertraut haben, werden sich jetzt wohl Vorwürfe
machen - wie konnte das passieren. Ich weiß es auch nicht.
Interessieren würde mich jedoch, wie es passieren kann, dass
Leute, die jahrelang in der Szene aktiv waren, plötzlich oder
weniger plötzlich aufhören, Politik zu machen, und warum
löst sich das ganze soziale Umfeld auf und verändert sich?
Was ist unser Anteil daran? Ich habe im Moment mehr Fragen als Antworten.
Johnny: Tarek ist ein Sonderfall, ich kenne nur ganz wenige vergleichbare
Werdegänge. Er hat in den 80er-Jahren eine Entwicklung durchgemacht,
die viel zu schnell viel zu tief ging. Zu einem Zeitpunkt, zu dem
andere eigentlich entweder entschieden haben, nicht mehr die Seiten
zu wechseln, oder aber schon abgesprungen sind, hat sich Tarek dann
von der Szene verabschiedet und sein Leben drastisch geändert.
Für Tarek haben offenbar schon Statussymbole wie Geld und repräsentative
Frauen einen wichtigen Stellenwert gehabt.
Antonio: Ich verstehe nicht, was Statussymbole wie Geld
und repräsentative Frauen mit seinen Aussagen und Belastungen
zu tun haben. Wir sollten solche vereinfachten Erklärungsmuster
für seine Aussagebereitschaft zurückweisen.
Warum agiert ihr im Gegensatz zu den RZ als autonome Gruppen,
nicht unter kontinuierlichem Namen?
Antonio: Du wirst im Falle einer Verhaftung nur für eine
Aktion haftbar gemacht und nicht für alle Aktionen, die im
Namen einer Gruppe stattgefunden haben.
Johnny: Was autonome Gruppen wollen, weiß doch heute über
die Interim-LeserInnen hinaus niemand mehr. Und wer, welche da für
was steht, auch nicht mehr. Ich fände es konsequent, für
die eigene politische - nicht nur militante - Praxis auch politisch
einzustehen und sie weiter zu entwickeln. Die allermeisten Texte
autonomer Gruppen sind inhaltlich auf einem peinlichen
Niveau.
Liliane: Es gibt auch inhaltliche Brüche, nämlich die
Zementierung der Hierarchie. Du erhältst einen Markennamen
und gibst politisch richtungweisende Erklärungen ab. Das ist
selbst ernannte, unkontrollierbare Avantgarde. Wenn du wechselnde
Namen nimmst, machst du dich selbst auch nicht so wichtig. Es lastet
auch nicht der Fluch auf dir, technisch immer besser und versierter
zu sein, möglichst hohen Schaden anzurichten.
Eine der Lieblingsaktionen autonomer Gruppen ist
das Anstecken von Autos. Teils zielgerichtet, wie gegen das DRK,
teils relativ wahllos gegen Bonzen-Autos. Das ist nicht
unumstritten.
Antonio: Den Anschlag auf das DRK vom 13. Oktober 99 halte ich
für nicht so gelungen. Der Anschlag auf ein Auto des DRK-Parkplatzes
erfolgte in Solidarität mit den 180 Flüchtlingen, die
sich zu diesem Zeitpunkt im Hungerstreik in drei von den DRK betreuten
Wohnheimen befanden, um unter anderem die Abschaffung der Zwangsverpflegung
zu erreichen. Leider geht aus der Erklärung zum Anschlag jedoch
nicht hervor, wessen Auto denn nun gezündelt werden sollte.
In der Berliner Zeitung war zu lesen, dass sich auf dem DRK-Parkplatz
ständig sechs Fahrzeuge befinden. Wessen Auto, bleibt somit
dem Zufall überlassen.
Und das Anzünden von Bonzen-Autos? Zu Silvester
sind ein Dutzend Autos abgefackelt worden.
Antonio: Das Abfackeln von Luxuskarossen ist keine uneingebettete
Einzelaktion. Auch wenn das etwas diffus erscheint, sie reiht sich
vielmehr ein in eine Fülle von antikapitalistischen Aktionen
und Aktivitäten. Die Message ist sonnenklar. Es geht gegen
die immer größer werdene Kluft zwischen Arm und Reich.
Und die Medien haben das ganz gut begriffen. Denn sie titelten nach
der Aktion Luxuskarossen abgebrannt. Die Aktion war
auch deshalb gut, weil sie sich durch sich selbst auch ohne BekennerInnenbrief
gut vermittelt hat.
Johnny: Das sehe ich anders. Das Abfackeln von Bonzenkarren ist
für mich nur dann eine politische Tat, wenn sie sich klar und
unmissverständlich vermittelt. Nur, weil das teure Autos sind,
hat das noch keine Botschaft.
Die RAF und die RZ sind sehr offensiv mit Schusswaffen umgegangen.
Habt ihr jemals darüber nachgedacht, Schusswaffen gegen Nazis
anzuwenden?
Antonio: Nazis zu töten ist (derzeit) nicht unser politisches
Ziel, auch wenn wir nicht hundertprozentig ausschließen können,
dass es bei Auseinandersetzungen mit Nazis auch dazu kommen kann,
auch wenn das ausdrücklich nicht gewollt ist. Es gilt, dieses
Risiko so weit wie möglich zu minimieren, was zum Beispiel
heißt, keine Messer mitzunehmen.
Viele Linke lehnen neue Technologien ab. Muss sich nicht linker
Widerstand genau dort modernisieren?
Johnny: Ende der 80er-Jahre kursierten Flugblätter und Aktionsaufrufe
gegen Telefonkarten, und Autonome zerkloppten an der FU einen Haufen
Computer - wegen der Technik. Und heute? Telefonkarten sind schon
wieder antiquiert und in jedem Büro stehen haufenweise Computer.
Und die Linke, die für sich in Anspruch nimmt, kreativ-subversiv
zu sein? Wir haben da viel verpasst. Ursprünglich war das Internet
von einem antikommerziellen Geist geprägt. Es ist Usus in der
Linken, die passiven Mittel der neuen Techniken zu nutzen, Verschlüsselung
etwa. Aber die aktiven Mittel praktisch kaum. Ein jüngstes
Beispiel: Der Angriff von Hackern auf die hippen Internetunternehmen
hat die Firmen Millionen Mark gekostet, enorme Imageschäden
produziert und ein weltweites Medienecho hervorgerufen. Da möchte
ich mal den Brandanschlag sehen, der all dies erreicht. Wäre
diese Aktion gut inhaltlich begründet gewesen, würde mich
das begeistern.
Was sind für euch Themen der Zukunft?
Antonio: Antifa, Antira und Castor sind Bereiche, in denen auch
in Zukunft militante Politik ihren Niederschlag finden wird. Ansonsten
könnten sich folgende Themen aufdrängen. 1. Die Verhinderung
der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Dies könnte
vielleicht ein Erfolg wie bei der Anti-Olympia-Kampagne werden.
2. Die deutschen Firmen, die sich weigern, den Zwangsarbeiterinnen
freiwillig minimale Entschädigung zu zahlen, angreifen. 3.
Abschaffung und vollständige Auflösung des deutschen Adels
- da Beschlagnahme ihrer Reichtümer schwer durchsetzbar ist.
Liliane: Du hast eines vergessen: die Expo. Aber es dürfte
nicht Themen der Zukunft heißen, sondern wo sehen wir strategische
Ansätze und wie sehen die aus? Diese Antis haben immer ihre
Berechtigung, sind aber langweilig und letztendlich unbefriedigend.
hintergrund
Radikale Linke, Revolutionäre Zellen, militante Politik und
autonome Gruppen
Im Dezember 1999 hatten Polizei und Staatsanwaltschaft den Kreuzberger
Mehringhof durchsucht. Zeitgleich wurden drei Personen, darunter
der Hausmeister des linksalternativen Zentrums, als mutmaßliche
Mitglieder der Revolutionären Zellen/Rote Zora
(RZ) festgenommen. Unter dem gleichen Vorwurf war schon im November
Tarek M. festgenommen worden. Er soll gegenüber der Bundesanwaltschaft
von der Kronzeugenregelung Gebrauch gemacht haben. Anders als die
straff organisierte Rote Armee Fraktion (RAF) waren die RZ ein Zusammenschluss
unabhängig handelnder Gruppen. Die ersten waren 1973 entstanden.
Seit 1976 nannte sich die Organisation Revolutionäre
Zellen (RZ), wenig später kam der feministische Flügel
Rote Zora dazu. Die den Autonomen nahestehenden RZ grenzten
sich von der RAF ab. Gezielte Angriffe auf Menschenleben lehnten
sie ab. So genannte Knieschussaktionen hielten die RZ für zulässig.
Nach Erkenntnissen der Bundeswanwaltschaft (BAW) haben sich die
RZ zu mindestens 186 Anschlägen bekannt, 40 davon in Berlin
und Umgebung. Auf ihr Konto gehen unter anderem die Knieschüsse
auf den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günter
Korbmacher, 1987 in Lichterfelde. Auch das tödliche Attentat
auf den hessischen Wirtschaftsminister Herbert Karry 1981 soll nach
RZ-Aussagen als Knieschussaktion geplant gewesen sein.
1992 haben zahlreiche Zellen ihre Auflösung erklärt.
Die Autonomen-Zeitschrift Interim hat nun in ihrer Sonderausgabe
Runder Tisch der Militanten ein Gespräch von fünf
Autonomen über die Bedeutung der RZ und die Arbeit militanter
Gruppen nach den Festnahmen veröffentlicht. Das Gespräch
wurde nach Angaben der Interim von einem militanten
Moderator geführt.
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