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RZ / Rote Zora

OFFENER BRIEF AN RUDOLF RAABE

seine Unterstützungs- Komitees/ Gruppen und die Öffentlichkeit

Von der Rudolf- Raabe- Gruppe Hannover stammt der folgende Brief:

Wir sind eine Gruppe in Hannover, die sich (aus anderen Zusammenhängen wie Anti- AKW) seit ca. 1/4 Jahr zum "Fall Raabe" trifft. Die Motivation war recht unterschiedlich (aus menschlichen Gründen / aus Interesse an politischen Hintergründen / als Fortsetzung der Arbeit mit anderen Kriminalisierten). Momentan sind wir an einem Punkt angelangt, der uns vor die Frage stellt, warum bei uns die Motivation zur (Unterstützungs-) Arbeit immer mehr sinkt. Bei Gesprächen über dieses Problem sind wir zu Einschätzungen und Fragen gelangt, deren Veröffentlichung wir als einen Schritt hin zur 'konkreten Arbeit' verstehen. Denn neben Leerformeln wie "Solidarität" oder "Unterstützung" konnten wir unser (Wunsch-) Verhältnis zu Rudolf nicht klar kriegen (was heißt "Hilfe" für Rudolf, wollen wir überhaupt "helfen", ...? ). Und wir konnten die Arbeit zu/ für Rudolf noch nicht in einen politischen Zusammenhang (mit Perspektive) stellen.

Eine Diskussion um Sinn und Beantwortung unserer Fragen erscheint uns als einzige Möglichkeit, die Leerformeln füllen zu können.

Unterstützung oder die Wahl zwischen Igitt und Pfui- Bäh

Was uns eine 'Unterstützung' für Rudolf zu Beginn an erschwerte/ verunmöglichte, war, daß wir über und von ihm nichts wissen ... - außer ein paar Fakten und einen politischen Hintergrund, in den wir seinen Fall einzuordnen suchten. Dieser Mangel machte eine ehrliche Öffentlichkeitsarbeit unmöglich:

Entweder, wir beschränken uns auf die Verbreitung der reinen Fakten, oder wir stellen nach unserer Ansicht nach existierenden Zusammenhänge (z.B. zwischen BRD & Südirland) am Fall Raabe dar.

Ersteres würde uns, unsere Arbeit reduzieren auf die Verkündung einer (moralisch- menschlichen) "Ungeheuerlichkeit des Staates" gegenüber dem OPFER Rudolf. Zielsetzung wäre die Schaffung einer breiten, liberal- empörten Öffentlichkeit. Die politische Perspektive eines solchen Vorgehens erscheint uns als fast null. Wir würden nur Unterschriften und/oder Spenden sammeln und alles an die entsprechenden Stellen weiterleiten. Und wenn der "öffentliche Druck" stark genug wäre, würden die staatlichen Stellen vielleicht aufgrund innerer Querelen oder aus Angst um die innere Ruhe den Fall Raabe nicht ganz so hart durchziehen, wie sonst zu befürchten. Solch eine Arbeitsweise/ Perspektive stimmt einfach nicht mit unserem politischen Selbstverständnis überein, da hier - der Fall Raabe zur Ausnahme wird -das bürgerliche Gewissen sich per Unterschrift beruhigen kann - falsche Hoffnungen auf den Staat & das Funktionieren der Demokratie geweckt werden...

Die zweite Möglichkeit, also Ausbreitung einer Analyse der Verhältnisse unter Einbeziehung des Fall Raabe, wäre eine Funktionalisierung des Individuum Rudolf. Denn er selbst hat sich (im größeren Rahmen) noch nicht dazu geäußert, wie er seinen Fall einschätzt. Wir könnten ihn also in Zusammenhang bringen mit Flächenfahndungen in Südirland, die mit der Suche nach ihm legitimiert wurden, sich aber (auch) gegen die I RA wendeten. Die Bekämpfung der I RA, die ,Austrocknung' ihres ,Hinterlandes Südirland' liegt dabei sowohl im Interesse Südirlands, da diese keine wirtschaftlichen Investitionen & Subventionen erwarten können, solange ihr Land ein Unruheherd ist. Zum anderen hat auch die BRD ein Interesse an der Vernichtung der I RA, spätestens, seit diese Anschläge auf bundesdeutschem Gebiet durchführte. In diesem Interessenfeld kam ein nach Irland geflüchteter 'Terrorist' sehr gelegen. Ebenso weist der Fall Raabe auf innerdeutsche Entwicklungen hin: die Bundesstaatsanwaltschaft verspricht sich wohl Informationen über die RZ, Baum dagegen hofft wohl noch, mit einem, reuigen, und darum gnädig aufgenommenen' Raabe seine Liberalisierungskampagne ein Stück voranzutreiben. Doch die Darstellung all dieser Hintergründe hilft nicht viel weiter... weder Rudolf, der in Irland sitzt - noch uns, die wir ja nicht gute Analysen liefern wollen, sondern nach Handlungsmöglichkeiten suchen. Und in einer Öffentlichkeit wird dies auch nicht viel bewegen, da diese Hintergründe (jedem Interessierten) hinlänglich bekannt ist, und nicht durch den moralischen Druck eines menschlichen Schicksals zum Aufschrei der Empörung führt.

Politische (Zusammen)Arbeit oder ein möglicher Ansatz

Mit den skizzierten Hintergründen im Kopf, sowie dem Bedürfnis, eine Auseinandersetzung mit der Situation eines Kriminalisierten zu führen und ihm auch zu helfen, kam es in Diskussionen zu folgenden Ergebnissen: Wir wollen und können nicht länger an einem "Fall" arbeiten, d.h.: Rudolf muß für uns zu einem Menschen, zu einem politischen Subjekt werden. Wir wollen nicht etwas für ein OPF ER tun. Opfer sind wir mehr oder minder offensichtlich alle, wir können nicht einfach für die Opfer dieses Systems etwas tun. Denn wir wollen und können keine Sozialarbeiter werden, die die inhumansten Seiten des Systems durch ihre Arbeit etwas humanisieren.

Wir können uns, unsere politische Arbeit nur verstehen in Zusammenhängen, die sich darüber bestimmen, daß gegen Auswirkungen des Systems eine Auseinandersetzung um mögliche Widerstandsformen geführt, und Perspektiven diskutiert werden... (an den Konfliktpunkten, die dies System fortlaufend produziert, müssen für die Betroffenen Erfahrungsprozesse und Widerstandsmöglichkeiten sich eröffnen).

Damit Rudolf für uns zu einem Menschen wird, damit wir nicht zu ,Unterstützern' reduziert werden, damit er nicht Kalkül unserer Politik wird, muß für uns eine Auseinandersetzung mit ihm möglich werden. Unter den gegebenen Bedingungen (er muß schließlich im ,Untergrund' leben) ist dies sicherlich schwierig. Doch müßte es möglich sein, mit ihm seine Vorstellungen von Unterstützung zu diskutieren, muß eine Klärung stattfinden, wie er seine momentane Position einschätzt/erklärt und was er von unserer Einschätzung hält. Solch eine Auseinandersetzung wäre Grundlage jeglicher ,Unterstützung', wahrscheinlich sogar die einzig- mögliche Form. Denn in einer Auseinandersetzung bzw. ( pol. ) Diskussion kann die Sicherheit liegen, nicht isoliert, nicht nur Opfer zu sein, sondern Teil einer politischen Entwicklung, die mensch erklären/einschätzen und darüber auch mitbestimmen kann. Die Gewißheit, in solch einem (Diskussions-) Zusammenhang zu stehen, gibt (unseres Erachtens) mehr Kraft und Möglichkeiten, als dreimal im Jahr ein Päckchen und etwas Mitleid.

Wir erwarten nun keineswegs von Rudolf straighte, politische Einschätzungen, oder eine Übereinstimmung mit unseren Stellungnahmen. Was wir wollen, ist eine Diskussion mit ihm über seinen Fall, die Hintergründe, seine Einschätzungen und Perspektiven und die unseren. Und wenn solch eine Diskussion zumindest ansatzweise öffentlich geführt wird (z.B. über Offene Briefe), erscheint uns das als sinnvolle Öffentlichkeitsarbeit. Denn dann kann die "empörte Öffentlichkeit" nicht nur ihren Namen und 5.-- DM geben, sondern wird neben dem Fall konfrontiert mit den Re- Aktionen von Menschen auf Vorfälle. Und aus dieser Konfrontation versprechen wir uns die politische Perspektive, mehr Menschen einzubeziehen in eine zunächst nur theoretische Auseinandersetzung mit dem Staat. Und dieses Ziel, Konflikte, Widersprüche und Unterdrückung offenzulegen, und nach Widerstandmöglichkeiten zu fragen, wollen wir nicht verschweigen... - weder als Rudolf- Raabe- Gruppe noch als AKW- Gegner.

Uns geht es nicht nur um eine gemeinsame Empörung, einen gemeinsamen Protest mit vielen, sondern auch um Positionen. Diese zu verdecken, um eine breitere Öffentlichkeit anzusprechen, hielten wir darum für falsch.

n paar Fragen an RUDOLF:

  • Warum stellst du nur Minimalforderungen an die BRD? (Warum z.B. nicht: Weg mit dem Haftbefehl?
  • Warum willst du zurück in die BRD? (deine im STERN- Interview gegebene Begründung bezog sich nur auf die Krankenhausgeschichte. Ist das schon alles, oder steht noch mehr dahinter? )
  • Was erwartest du von einem Prozeß in Deutschland? (Glaubst du an einen ,rechtsstaatlichen' Prozeß, einen Freispruch, oder erscheint dir der Prozeß lediglich unumgänglich.)
  • Warum hast du vor dem STERN- Interview nicht eine Stellungnahme an ,linke' Medien (taz, Pflasterstrand etc. pp.) losgelassen? (Wir wurden vom STERN- Interview total überfahren, und können die Inhalte kaum einordnen!!)
  • Wie siehst du deine Rolle/Position in der politischen Situation in der BRD? (Stichworte wie z.B. Baum'sche Strategie, BRD- Südirland)
  • Was stellst du dir als Unterstützung vor, was erwartest du von uns? (Konntest du z.B. mit diesem Brief was anfangen?)

....... und an die anderen 'Unterstützter (insbesondere in Frankfurt):

Warum richtet ihr eure Informationen sehr auf das OPFER Raabe aus? Wie soll er für uns zum Subjekt werden, wenn ihr ihn nur als FALL behandelt?

Wie ordnet ihr das STERN- Interview ein, warum verwendet ihr es bruchlos in eurer Argumentation gegenüber dem Staat? Welche Art von Öffentlichkeit wollt ihr herstellen? (Wie versteht ihr eure Politik in Hinblick auf die Baum'sche Liberalisierungskampagne)

Welche inhaltlichen Positionen verknüpft ihr mit Öffentlichkeitsarbeit (wollt ihr nur per Öffentlichkeit ,Druck' ausüben - als Appell - oder geht es euch um mehr).

Rudolf- Raabe- Gruppe Hannover

MAIL
http://www.freilassung.de/div/texte/rz/id335_6_300580a.htm