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aus: Info BUG Berlin 110 (21.6.1976)
Zeit zum Aufstehn !
Wir drucken hier den Redebeitrag ab, den die Frankfurter Spontis
auf dem Pfingstkongress des Sozialistischen Büros in Frankfurt
gehalten haben. Dies war einer der wenigen Artikel, die wir ausführlich
diskutiert haben; dies hängt eng sowohl mit dem Inhalt, aber
auch mit dem Stil des Beitrags zusammen. Wir hoffen, daß dieser
Artikel Diskussionen auslöst, die sich auch in den nächsten
INFO's niederschlagen. Auch die INFO-Redaktion hat vor, sich zu
diesem Beitrag zu äußern.
Genossinnen und Genossen,
was ich hier im folgenden vortragen werde, handelt von dem, was
in Frankfurt in den vergangenen drei Wochen sich abgespielt hat.
Es ist das Ergebnis mehrerer Diskussionen von uns Frankfurter Spontis.
Am 8. Mai wurde Ulrike im Knast von der Reaktion in den Tod getrieben,
ja, im wahrsten Sinne des Wortes vernichtet. Daraufhin hat sich
- zumindest in Frankfurt - Protest und Widerstand dagegen auf der
Straße erhoben. Dreitausend Linke hatten das Gefühl gehabt,
daß es jetzt reicht mit dem staatlichen Terror gegen die politischen
Gefangenen, daß man jetzt, um den Preis des Verlustes der
eigenen Menschlichkeit,
seiner Sensibilität für Gewalt und Unterdrückung,
seiner linken Identität, auf die Straße gehen muß,
handeln muß. Und sie haben gehandelt. Die Kämpfe auf
der Straße dauerten über drei Stunden hinweg, die Bereitschaft,
sich für die politischen Gefangenen auf allen möglichen
Ebenen einzusetzen, war plötzlich massenhaft vorhanden.
Andererseits soll hier aber auch nicht verschwiegen werden, daß
wir mit dieser Demonstration am Montag anläßlich des
Todes von Ulrike an die Grenze unserer militanten Aktionsformen
gestoßen sind und drauf und dran waren, denselben Fehler wie
die Stadtguerilla zu begehen, nämlich unsere militärische
Stärke nicht mehr im Zusammenhang mit unserer politischen Isolierung
zu sehen. So hart die Auseinandersetzungen an diesem Montag auch
gewesen waren, sie können eines nicht überdecken: je isolierter
wir politisch wurden, desto militaristischer wurde unser Widerstand,
desto leichter wurden wir isolierbar, desto einfacher war es für
die Bullen, uns von "Politrockern" zu "Terroristen" umzustempeln,
und auf den Landfriedensbruch die kriminelle Vereinigung und Mordanklage
folgen zu lassen. In diesen Tagen waren wir Spontis sehr nahe an
ein wirkliches Zerschlagenwerden herangekommen und es war allein
die politische Antwort, zu der sich die Bewegung nach den Verhaftungen
massenhaft mobilisierte, die innerhalb einer Woche das Blatt wenden
konnte. Mittels des solidarischen rückhaltslosen Einsatzes
zahlloser Genossinnen und Genossen gelang es, den Angriff von Polizei
und Landesregierung auf uns in einen Angriff, in die Befreiung von
Gerhard Strecker umzusetzen. Polizeipräsident Müller und
Justizsstaatssekretär Werner waren politisch ins Wanken geraten,
ein gleichgeschalteter Hessischer Rundfunk mußte seine stärkste
innere Zerreißprobe seit Jahren bestehen - und dies alles
in Zeiten finsterster politischer Repression und Radikalenverfolgung.
Ein weiteres Mal hatten gewaltsame Eruptionen einerseits und die
Angst andererseits sich als stärkende, überlebensnotwendige
und daher untrennbare Korrektive einer Massenbewegung in dieser
Stadt gezeigt. Wir haben am Montag ganz in der Tradition der Häuser-
und Straßenbahnkämpfe gehandelt, ohne zu merken, daß
wir politisch in der Luft hingen. Das hätte uns beinahe das
Genick gebrochen. Andererseits ist aber die Spontibewegung offensichtlich
noch stark genug, daraus zu lernen.
Und dann kam es - von allen erwartet, von manchen erhofft und von
vielen gefürchtet: der Beitrag der Stadtguerilla zu dieser
Massenbewegung, ihre Antwort auf die Ermordung von Ulrike - zwei
Bomben explodierten im Frankfurter US-Hauptquartier. Die Genossen
der Revolutionären Zelle können nicht einen Augenblick
ernsthaft über das, was sich in Frankfurt in den vergangenen
drei Wochen an Massenbewegung abgespielt hat, nachgedacht haben
- und in ihrem Kommunique wird sie ja auch mit keinem Wort erwähnt
-, denn anders laßt sich diese Aktion nicht erklären.
Sie wollten mit den Bomben ein Signal für den bewaffneten Widerstand
setzen und haben den Genossen, die sie zu verstehen suchen, ihre
politischen und sonstigen Waffen aus der Hand geschlagen. Sie wollten
uns damit Mut zum Kampf und Widerstand machen, und haben die meisten
von uns doch nur verschreckt und in einen ohnmächtigen Zorn
getrieben. Und schließlich wollten sie uns zeigen, daß
bewaffneter Widerstand möglich und notwendig ist und zeigen
uns dabei doch nur den Weg zur Selbstvernichtung.
Wir meinen es mit dieser Selbstvernichtung ernst, sehr ernst sogar
und keineswegs diffamierend. Das Ankämpfen dagegen, die Weigerung,
sich noch nicht selbst politisch aufzugeben, obwohl der Gegner übermächtig
und seine Gewalt jeden Tag barbarischer erscheint, macht einen wesentlichen
Bestandteil der politischen Identität von vielen von uns aus.
War es früher der Neid des Hungernden, den die Bourgeoisie
unter ihrem reichlich gedeckten Tisch vermutete, so ist es heute
der Wahnsinn gescheiterter Existenzen, die sich in Karriere und
Konsumgesellschaft nicht zurechtfinden. Generäle und Politiker,
die die globale Selbstvernichtung planen, sind normal. Die Bourgeois,
die am millionenfachen Tod verdienen, sind normal. Der Soldat, der
Gefängnisdirektor, der Lehrer - alle die tun, was man von ihnen
verlangt, sind normal. Und ein Prolet, der sein dreißigjähriges
Fließbandjubiläum begeht, ist auch normal. Und wir Linksradikale,
die wir von Glück und Befriedigung reden, von anderen Arbeits-
und Lebensformen, die wir nicht einfach wegsehen können, wenn
wir Chile sehen, die den Fordstreik 1973 als das kleine Santiago
des westdeutschen Kapitalismus erlebt haben, und die auch das schleichende,
antiseptisch saubere Santiago in den Knästen nicht vergessen
können, wir sind die Wahnsinnigen, die Utopisten. Wir wollen
ein anderes Leben, ein revolutionäres Leben. Wir wollen nicht
eines fernen Tages den Sozialismus aufbauen, sondern für uns
vollzieht sich Befreiung im alltäglichen Widerstand, in unserem
Leben. Aber Widerstand und Leben stehen bei uns in einem sehr prekären
Verhältnis zueinander. Sobald sich das eine vom anderen isoliert,
geben wir entweder auf oder gehen in den Untergrund. Und je stärker
der Druck der Verhältnisse auf uns lastet, um so mehr streben
Widerstand und Leben auseinander. Die einen denken nur an ihr Überleben
und versteinern dabei. Für sie ist Revolution, Sozialismus,
Befreiung, Solidarität eine Sache der Theorie, ein politischer
Anspruch, der mit ihrer tagtäglichen Lebenspraxis sehr wenig
zu tun hat. Für sie sind es eben die "Systemzwänge",
denen sie als Lehrer, Professoren, Sozialarbeiter und Betriebsräte
nicht entkommen können. Und diese Systemzwänge dieser
"Zwang der deutschen Verhältnisse'" macht sie zu dem,
was Linke in unserem Lande schon immer geworden sind, zu "Untertanensozialisten"
reinsten Wassers. Sozialismus ja, auf dem Papier, aber sobald die
Sache konkret wird, sobald es nicht um eine abstrakte Kritik an
Familie und Sozialisation geht, sondern um konkrete Lebensalternativen,
um andere Formen von Leben und Arbeit, da passen sie und verweisen
auf ihre "Systemzwänge." Und taucht irgendwo einmal das
Problem der Gewalt von unten praktisch auf, da finden sie zu nichts
anderem als zu erschreckender Distanzierung oder maximal zu bürokratischer
Belehrung über die Sinnlosigkeit solcher Gewalt.
Die anderen denken nur an Widerstand, an Kampf, und haben sich
ein anderes Leben aus dem Kopf geschlagen. Sie treiben ihre vom
System erzwungene Selbstentfremdung bis zu physischer und politischer
Selbstaufgabe. Ihre Utopie finden sie nunmehr als Soldaten der Weltrevolution
in den unterdrückten Massen der Dritten Welt. Ihre Revolution
wird zur alleinigen Frage der militärischen Verunsicherung
des Hinterlandes des imperialistischen Feindes. Sie handeln wie
Techniker, wie Soldaten, wie ein Stoßtrupp im Feindesland,
abgeschnitten von den konkreten Bedürfnissen, den persönlichen
und politischen Erfahrungen und Problemen jener Menschen, unter
denen sie leben. Sie isolieren sich von jeglichem Massenwiderstand,
stempeln uns zu Zuschauern ihrer Attentate und setzen dem System
einsam und vereinzelt das Messer der militärischen Machtfrage
auf die Brust, mit dem ihnen dann jedesmal von den Bullen die eigene
Kehle durchgeschnitten wird.
Wir können uns aber nicht einfach von den Genossen der Stadtguerilla
distanzieren, weil wir uns dann von uns selbst distanzieren müßten,
weil wir unter demselben Widerspruch leiden zwischen Hoffnungslosigkeit
und blindem Aktionismus hin- und her schwanken.
Aber aus demselben Grund müssen wir die Aktionen der Genossen
der Stadtguerilla entschieden angreifen, weil wir wissen und fühlen,
daß sie die Selbstaufgabe bedeuten, den Verzicht auf Leben,
den Kampf bis zum Tod und damit die Selbstvernichtung. Wir meinen,
daß Revolutionäre an dieser Einheit von Widerstand und
anderem Leben auch unter den gegenwärtigen deutschen Verhältnissen
um jeden Preis festhalten müssen. Nur so kann Befreiung, unsere
Befreiung, wirkliche Gestalt annehmen. Wenn unser Programm nur Verzweiflung,
Gefängnis und Tod enthält, so sind wir dieser Gesellschaft
endgültig unterlegen. Sie hat uns dann unserer Hoffnungen,
unserer Kraft zur Utopie und unserer Fähigkeit zum Widerstand
beraubt.
Andrerseits verstehen wir nur zu gut, wenn Genossinnen und Genossen
sagen, daß sie einfach nicht mehr können. Uns treibt
nicht mehr der Hunger nach Essen, uns treibt der Hunger nach Freiheit;
Liebe, Zärtlichkeit, nach anderen Arbeits- und Verkehrsformen.
Und dieser Hunger ist auf die Dauer durch noch so kluge Reden und
Analysen nicht aufschiebbar, gar wenn man noch unter den deutschen
Verhältnissen der Gegenwart zu leben hat. Wir können sie
weder als Agenten noch als Verrückte abtun, als "Desperados,
die nichts, aber auch gar nichts mit der Linken zu tun haben', wie
das ein linker Professor einmal formuliert hat. Aber wir können
ihnen in ihrer Politik auch nicht folgen, da sie für uns alle
Entwaffnung und Selbstvernichtung bedeutet.
Gerade weil unsere Solidarität den Genossen im Untergrund
gehört, weil wir uns mit ihnen so eng verbunden fühlen,
fordern wir sie von hier aus auf, Schluß zu machen mit diesem
Todestripp, runter zu kommen von ihrer "bewaffneten Selbstisolation",
die Bomben wegzulegen und die Steine und einen Widerstand, der ein
andern Leben meint, wieder aufzunehmen.
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