|
Wendet das Blatt bevor es welkt
Sofort nach Hermanns Unfall am 23.6.78 und nach Sibylles Verhaftung
am Tag darauf -aufgrund angeblicher Aussagen Hermanns - bildete
sich in Heidelberg ein Solidaritätskomitee für Hermann
und Sibylle. Ziel der Arbeit waren Sibylles Freilassung und freie
Besuchsmöglichkeiten für Hermann. Die Arbeit des Komitees
war zu dieser Zeit sehr schwierig. Versuche, Hermann zu besuchen,
endeten mit Festnahmen. Es gab kaum Informationen über Hermanns
tatsächliche Situation. Statt dessen erschienen in der Presse
lancierte Artikel, in denen H's Unfall und angebliche Aussagen des
lebensgefährlich Verletzten als die große Chance, in
die RZ einzudringen, aufgebaut wurden.
Das Solidaritätskomitee hat damals eine Dokumentation herausgegeben
mit dem Titel: "WENDET DAS BLATT BEVOR ES WELKT!"
Der folgende Artikel "Zur Situation der Linken in Heidelberg"
ist dieser Dokumentation entnommen und schildert das politische
Klima in der Linken in Heidelberg (sicher nicht nur dort) l978.
Nicht nur aus historischem Interesse drucken wir ihn hier nochmals
ab.
Zur Situation der Linken in Heidelberg
Zweifel nicht an denen, die dir sagen.daß sie Angst haben,
habe Angst vor denen, die sagen, daß sie keine Zweifel kennen.
Erich Fried
Als Sybille im Knast und Hermann hinter Klinikmauern verschwunden
waren, ging in Heidelberg ein Schreckgespenst um: sag mir, ob Du
schuldig bist und ich sag dir, ob ich mich mit dir solidarisieren
kann. Unschuldig heißt dabei zunächst einmal nichts anderes
als nichts gemacht zu haben im Sinne des Strafgesetzbuches, und
schon gar nix "Gewaltsames", und was heißt das nun schon wieder?
Es soll hier nicht drum gehen, Ängste von uns zu diskriminieren.
Angst essen Seele auf, vor allem, wenn wir sie nicht wahrnehmen
wollen.
Doch, wie konnte es passieren, daß sich Solidarität
für Linke fast nur noch an der Frage Schuld - Unschuld festmacht?
Und das heißt doch in Denk- und Handlungsschablonen der Klassenjustiz,
auf der Ebene von: was ist legal, was ist illegal ...
Legal ist normal, gesund, staatstreu, ich will ein guter Bürger
werden... Entscheidung für den Übergrund, den Polizeistaat,
die Gesellschaft von gestern, stell dich der Polizei, laß
dich aushorchen und beschnüffeln, ich wars nicht, vielleicht
mein Nachbar, der oder die ...
Illegal ist unnormal, kriminell, kaputt, krank und Punk ... Entscheidung
für den Untergrund, die Gesellschaft 'von morgen, Ihr könnt'
mich alle ..., ein Leben auf der Flucht ...
Oder: ist das vielleicht nur eine Bullenalternative? Die freie
Wahl zwischen zwei kaputtmachenden Existenzschablonen. Muß
sich für uns die Frage nicht ganz anders stellen? "Das ist
doch gerade die Aufgabe der Bewegung, die Schablonen und Zwangsjacken
der Bullen unbrauchbar zu machen. Der Computer kennt nur ja oder
nein, bzw. R und Z ...Es gibt fließende Übergänge
zwischen Legalität und Illegalität. Leute, die nicht gesucht
werden, können ungesetzliche Dinge tun. Leute, die gesucht
werden, können jahrelang leben, ohne sich an irgendwelchen
typischen Stadtguerillaaktionen zu beteiligen, etwa im Ausland leben,
in Landkommunen oder mit falschen Papieren in einem Büro, einer
Fabrik oder sonstwo arbeiten.
Und was gestern erlaubt war, kann schon morgen verboten sein, wie
es den Herrschenden in den Kram paßt...
Illegalität, Legalität, Fabrik, Knast, CDU, SPD immer
haben wir die freie Wahl igitt und pfuibäh. Keiner wird freiwillig
illegal, und wenn wir illegalisiert werden, dann wehren wir uns
gegen die Schablonen "Illegalität" und Terrorismus. Wir wehren
uns und leisten Widerstand. Genau wie das in allen anderen Lebensbereichen
und Situationen möglich und nötig ist.(frei zitiert nach
dem Konkret- Interview mit Fritz Teufel, Gerald Klöpper, Ralf
Reinders und Ronald Fritsch)
Illegalität ist nichts besonderes, das kann jedem passieren,
wie ein Tritt in die Heidelberger Zundelscheiße. Das läßt
sich aufzeigen an Verfolgung und Kriminalisierung von Teilnehmern
der ersten Cabora- Bassa- Demonstration, von Release und SPK, bis
zu HSB- Aktionen und Reaktionen und all dem, was heute unter "Terrorismusverfolgung"
läuft ...
Illegalisierung ist ein Mittel der Bullen, Leute zu isolieren.
Isolation gibt es in allen Lebensbereichen, in einigen Bereichen,
Knast z.B. erreicht sie eine neue traurige "Qualität". Vielleicht
schlimmer dabei ist, daß die Trennscheibe als symbolischer
Ausdruck der Isolation nicht nur im Knast Wirklichkeit ist, sondern
sie. auch in unsere Gedanken und Gefühle eingeschlichen hat,
nicht nur deshalb, weil für viel Trennscheiben nichts besonderes
mehr, sondern zur Gewohnheit geworden sind, sondern auch, weil wir
uns selbst die Trennscheibe haben ansozialisieren haben lassen;
damit will ich nichts zu tun haben, mit denen gibt es keine Solidarität
mehr und das weist weniger aus Angst als aus Bequemlichkeit, Gedankenlosigkeit,
Gleichgültigkeit... viele sagen auch Resignation ...
Klar, die Repression der Herrschenden hat sich verstärkt,
verfeinert, differenziert. Sie haben ihre einzige Chance erkannt:
unseren Widerstand aufzuweichen, aufzubrechen, uns zu spalten, isolieren,
zerschlagen mit allen Mitteln, alles ist erlaubt... Bespitzelung,
bei meinem Nachbarn gehen so komische Gestalten aus und ein, gucken
sie doch mal nach, vielleicht ist es der große Fang ... laß
den Fisch zappeln, vielleicht kriegen wir noch nen größeren
... Sie sind verdächtig, kommen Sie mit...
Wir müssen alle verdächtig werden, uns nicht in kleinbürgerlicher
Moral und Spießigkeit verkriechen -huhu, draußen ist
es so kalt, schmutziger Schnee, verseucht vom KKWeh, ich kriech
lieber hint in Ofen und will schlofen ... - Laßt euch verlocken
von der Spaßguerilla, Widerstand gegen den Biederstand macht
Spaß wir wandern in einen neuen Frühling.
Als Studentenlinke war und ist die Heidelberger Linke stark auf
die Uni fixiert, sowohl im was wie auch im Wie ihrer Aktionen. Klar,
daß es auch einige Ansätze über die Hochschulmauern
hin, aus gab -Release, SPK, HSB, Free Clinic, CA und diese Bewegungen
wurden auch nicht nur von Student(innen) getragen...
Zugleich war es jedoch für die Reaktion ziemlich einfach,
die Unilinke zu zerschlagen, zumal sich in der Linken sowieso allzufrüh
der kleinbürgerliche Mief breitgemacht hat (Autoritäten
und Hierarchien, Zersplitterung in tausend Grüppchen, die kochen
alle ihre eigenen Süppchen ...).
Man mußte nur viele Relegationen bringen, HRG, Zerschlagung
des ASta, den Widerstand juristisch und polizeilich in Griff zu
kriegen. Und es ist schon einsichtig: wer einen Abschluß machen
will und einen gut bezahlten Job anstrebt -oder sagen wir besser
Beruf -, der überlegt es sich schon gut, ob er noch dies oder
lieber nur jenes macht macht. In Heidelberg gab es auch nur wenig
Aktionen für die und in der Stadt, obwohl beispielsweise Zundels
Stadtpolitik klar ein offensiveres Vorgehen gerechtfertigt hätte.
Am stärksten waren die Bewegungen und ihre Aktionen immer
dann, wenn die Betroffenen konkret von ihren Interessen ausgingen
und Studenten Schüler, Lehrlinge, Arbeitslose, Freaks und Frauen
gemeinsam vorgingen, z.B. bei den Rote Punkt- Aktionen,- aber auch
bei kleineren und z.T. schon wieder vergessenen Sachen, z.B. als
die Bullen das Seestudio in Walldorf zumachen oder 1978, als sie
unbedingt ein Konzert von Heidelberger Musikern auf dem Uniplatz
verhindern wollten. Die Aktionen waren deswegen Zeitweise erfolgreich,
weil gerade "militant", "illegal" vorgegangen wurde, und die Bullen
zum Rückzug einfach gezwungen wurden. Sicher, beim CA sah das
alles dann noch mal anders aus. Und doch wäre es vielleicht
nicht nur mathematisch interessant, wie's zu der Differenz von 3000
beim Fest und 300 bei der Besetzung kam. Nicht auszumalen, was wir
vielleicht alles erreicht hätten ...oder noch erreichen?
"Wir wollen nicht eines fernen Tages den Sozialismus aufbauen,
sondern für uns vollzieht sich Befreiung in unserem alltäglichen
Widerstand, in unserem Leben. Und je stärker der Druck der
Verhältnisse auf uns lastet, umso mehr streben Widerstand und
Leben auseinander. Die einen denken nur an ihr Überleben und
versteinern dabei. Für sie ist Revolution, Befreiung, Sozialismus,
Solidarität eine Sache der Theorie, ein politischer Anspruch,
der mit ihrem tagtäglichen Leben sehr wenig zu tun hat. Für
sie sind es eben die "Systemzwänge", dieser "Zwang der deutschen
Verhältnisse" macht sie zu dem, was Linke in unserem Lande
schon immer geworden sind, zu "Untertanensozialisten" reinsten Wassers.
Und taucht irgendwo einmal das Problem der Gewalt von unten auf,
da finden sie zu nichts anderem als zu erschreckender Distanzierung
oder maximal bürokratischer Belehrung über die Sinnlosigkeit
solcher Gewalt"
(Beitrag auf dem Antirepressionskongress, l976)
|