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RZ / Rote Zora

Konkret 01/81

Verhör auf der Intensivstation

Laut Anklage sind drei Menschen der Bildung einer terroristischen Vereinigung und des durchgeführten und geplanten Sprengstoff-Anschlags zu überführen. Sylvia Herzinger, Sybille Straub und deren Verlobter Feiling sollen in den Jahren 1977178 einen Anschlag auf die Kaiserslauterner Firma KSB, die Atomanlagen liefert, verübt haben, außerdem wird ihnen ein - mißglückter - Anschlag auf das Heidelberger Schloß vorgeworfen. Ein drittes geplantes Attentat auf das argentinische Konsulat in München sei nur deshalb gescheitert, weil der Sprengsatz in den Händen von Hermann Feiling vorher explodierte. Feiling ist seither ein Krüppel, blind, an beiden Oberschenkeln amputiert. Aber die Justiz braucht ihn. KONKRET dokumentiert Auszüge aus dem Antrag auf Einstellung des Verfahrens gegen Feiling von Rechtsanwalt Stephan Baier.

Karikatur - Konkret 1/81WENN Feiling heute nicht gekommen ist, so hat das seinen Grund nicht darin, daß er nicht geladen wurde, das auch - nicht darin, daß er die Anklage nicht lesen kann - das auch; nicht darin, daß das Gericht sich offensichtlich nicht um seinen Transport gekümmert hat; man geht wohl davon aus, daß seine Verlobte sich verpflichtet hält, ihn in den Gerichtssaal zu schieben. Das alles sind nur Begleiterscheinungen.

Warum soll er denn hier erscheinen? Wird ein Gerichtsverfahren gegen ihn durchgeführt, weil es gegen ihn ein Urteil geben muß und Strafe? Freiheitsstrafe?

Was bedeuten Gitter an Fenstern für jemand, den seit 2 Jahren für immer die Nacht umgibt. Was bedeuten die Gefängnismauern für jemand, der sich - blind - nur mit den Armen fortbewegen kann? Bedeutet Gefängnis für Feiling ein empfindliches Übel?

Sprechen wir aus, was hier jeder weiß, wenn er sich fragt: Mein Gott, was will der Staat von ihm denn noch: Feiling wird hier nochmals gebraucht.

Aber nicht etwa, weil es für die Gerechtigkeit unerläßlich wäre, daß gegen Feiling noch ein Urteil ergehen und er eingesperrt werden muß.

Sämtliche Strafzwecke, die Rechtsphilosophien entwickelt haben - die Vergeltung, die Sühne, die Züchtigung, die Abschreckung, die Unterwerfung - sie alle sind eine Anmaßung gegenüber dem Schicksal, das über Hermann Feiling hereingebrochen ist. Oder glaubt hier jemand, es ginge ein Aufschrei der Entrüstung durch die Bevölkerung, es könne die Einhaltung der Gesetze für niemand mehr ernstlich gefordert werden, die Bevölkerung fühle ihre Treue zur Rechtsordnung vergewaltigt, wenn gegen einen blinden Torso keine Gerichtsverhandlung durchgeführt wird?

Nein, er wird gebraucht, weil er als Angeklagter hier stehen muß, damit andere verurteilt werden können; weil er angeklagt werden muß, damit - was früher aus ihm herausgeholt worden ist - jetzt gegen die beiden Mitangeklagten verwendet werden kann.

Feilings Part als Angeklagter besteht ausschließlich darin, die Eigenschaft eines Angeklagten zu haben. Er braucht nichts zu sagen, nach einer bestimmten Zeit kann auf seine Anwesenheit vielleicht auch völlig verzichtet werden - aber er muß mit seiner Verlobten und Herzinger zusammen angeklagt sein, damit sie aufgrund seiner Aussagen für viele Jahre ins Gefängnis gesteckt werden können, mag er - Feiling - auch straflos bleiben.

Wäre er nicht mitangeklagt und machte er - als Zeuge - von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, so könnten nämlich gegen die beiden angeklagten Frauen die 1.296 Seiten der Verhöre ebensowenig verlesen wie die Verhörer vernommen werden. So schützt nämlich das Strafverfahrensrecht die persönlichen und nahen Beziehungen von Angehörigen und läßt das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zurücktreten.

Ein Schutz auf dem Papier allerdings. Es gibt nämlich keinen Schutz dieser persönlichen nahen Beziehungen, wenn die Staatsanwaltschaft auch den verlobten Zeugen mit anklagt. Das riecht nach Willkür und Manipulation, wenn der Rollenwechsel vom mit beschuldigten Zeugen zum Mitangeklagten die Verteidigungsmöglichkeit eines Angeklagten drastisch verschlechtert. Ausschließlich ein Mittel ist Feiling, ausschließlich Mittel zum Zweck.

Er war es, als er in Lebensgefahr auf der Intensivstation der Universitätsklinik in Heidelberg verhört wurde. In dem "menschlichen Wrack" - so das "Heidelberger Tageblatt" über Feiling am 26. Juni 1978 - sah "der Generalbundesanwalt erstmals eine Möglichkeit, in die Revolutionären Zellen seitens der Strafverfolgungsbehörden einzudringen" - so der Bericht der "Rhein-Nekkar-Zeitung" vom 5. Juli 1978 über die Pressekonferenz Rebmanns.

Die Wahl des Wortes "Eindringen" sagt viel aus über die Art und Weise, wie die Verhörer sich zu dem Wissen Feilings Zutritt verschafften und wie das Bohrgerät beschaffen war, mit dem sie das Bohrloch zur Quelle all dieser Aussagen schlugen. Er blieb Mittel zum Zweck, als er genesen, von einer Polizeikaserne in die andere verbracht wurde, um die "Aussagetüchtigkeit" Feilings (so der Ermittlungsrichter des BGH im Haftbefehl gegen Sylvia Herzinger vom 14. September 1978) zu erhalten, die Verhöre fortsetzen zu können und zu verhindern, daß die Aussagequelle nach dem Besuch von Freunden und dem Anwalt, die er rief, versiegte.

Er ist es heute, wenn ein Verfahren gegen ihn durchgeführt werden soll, in dem er einzig und allein die Funktion hat, die Verwertung von früheren Verhören gegen die beiden mitangeklagten Frauen möglich zu machen - und dies, obwohl die Wiederholung der früheren Verhörsituation in ihm Affekte freisetzen und ihn derart aufwühlen kann, daß epileptische Anfälle mit der Gefahr irreparabler Gehirnschädigungen wahrscheinlich werden.

Da somit das Ermittlungsverfahren gegen Feiling eingeleitet, durchgeführt, mit dem Verfahren gegen Straub und Herzinger verbunden, Anklage gegen ihn erhoben und das Hauptverfahren gegen ihn eröffnet wurde, um ihn ausschließlich als Mittel zum Zweck zu verwenden, da alle maßgebenden Erläuterungsbücher einhellig der Meinung sind, es verstoße gegen die Menschenwürde, wenn der Mensch zum Objekt eines staatlichen Verfahrens gemacht wird, beantrage ich, das Verfahren gegen Hermann Feiling einzustellen, und werde im einzelnen nunmehr begründen, wie Hermann Feiling und seine Situation verwendet wurden, um von ihm Aussagen zu erlangen, die er nicht oder nicht so abgegeben hätte, hätten nicht seine Verhörer von Anfang an von ihm totalen Besitz ergriffen - total sowohl über seinen Körper , wie über sein Bewußtsein - und ihn erst wieder losgelassen, als sie alles, was sie wollten, aus ihm herausgesaugt hatten.

Der Sprengsatz explodiert auf dem Schoß von Feiling am 23. Juni 1978 gegen 10.00 Uhr. Er wird sofort in die Universitätsklinik Heidelberg gefahren. Dort werden ihm beide Beine knapp unterhalb des Beckens amputiert und die beiden Augen entfernt. Die Operationen dürften gegen 13.00 Uhr beendet sein; ihr genaues Ende ist nicht bekannt, die Krankenblätter beginnen jedoch mit den Eintragungen von 13.00 Uhr. Feiling liegt auf der Intensivstation. Wann die Wirkungen des wahrscheinlich morphinhaltigen Narkosemittels völlig abgeklungen sind, weiß derzeit niemand; er erhält im Laufe des 23. Juni mehrfach starke Schmerzmittel. Am Tag darauf kann er morgens noch nicht sprechen, da er immer noch intubiert ist. Nachdem er vorher schon wußte, daß beide Augen entfernt waren, erfährt er auch im Laufe des Vormittags des 24. Juni, daß er auch beide Beine verloren hat. Zu dieser Zeit leidet Feiling zusätzlich zu den bereits beschriebenen Verletzungen noch an Platzwunden und Verbrennungen Zweiten Grades im Gesicht und an der Kiefernhöhlenverletzung, einem Einbruch im Bereich des Kiefernhöhlendaches (Blow-Out-Fraktur). Durch ein Gutachten eines Neurologen konnte im September dieses Jahres festgestellt werden, daß er auch eine Hirnverletzung erlitten haben muß.

Unter dem Schock der Bewußtwerdung seiner körperlichen Versehrungen liegt der verstümmelte Feiling nun unter Tüchern an den Schläuchen, als unmittelbar nach der Extubation, also der Beendung der Beatmung, die Vernehmungen beginnen ob: wohl Feiling noch immer in akuter Lebensgefahr schwebt. Um 13.30 Uhr nähert sich ihm ein Staatsanwalt, der ihn - wie er in der Akte vermerkt - ausdrücklich nicht belehrt, ihn aber dann umfangreich verhört.

Die Verhöre werden fortgesetzt 25. Juni für die Dauer von 3 3/4 Stunden. Am 30. Juni 1978, als z.B. Regierungsrat Schuhmacher von der Justizvollzugsanstalt eine erhöhte Selbstmordgefahr für Sybille Straub deswegen für möglich hält, weil er erfahren hat, daß Feiling möglicherweise nicht überleben werde, wurde Feiling mindestens 2 Stunden 42 Minuten verhört. "Mindestens" sage ich deswegen, weil die Verhörer es unterlassen haben, das Ende des um 19.30 Uhr beginnenden Verhörs aufzuzeichnen. In den 4 Tagen vom 27. bis 30. Juni 1978, als Feiling noch in akuter Lebensgefahr war, wurde er mindestens zusammen 8 3/4 Stunden verhört.

Diese Verhöre, selbst wenn die Auffassung vertreten würde, sie könnten dann gerechtfertigt sein, wenn durch das Auffinden weiterer tickender Sprengsätze Menschenleben gerettet werden könnten, sind noch nicht einmal so zu rechtfertigen. Der gesamte Inhalt dieser Verhöre ist darauf ausgerichtet, Feiling dazu zu bringen, wie der Anschlag auf das Argentinische Konsulat im einzelnen geplant war, welche Personen sich an der Planung beteiligt hatten, darüberhinaus noch weitere Personen, die angeblich Anschläge durchgeführt hätten, zu belasten und sie mit ihm in Verbindung zu bringen. Nie, an keiner Stelle der Verhöre, ging es darum, von Feiling Aussagen zu erhalten, die es ermöglicht hätten, in den nächsten Minuten, Stunden oder Tagen bedrohte Menschenleben zu retten. Es gibt keine andere Begründung dafür, warum Feiling, der in diesen Tagen noch um das Überleben kämpfte, verhört werden mußte, als die, daß es den Ermittlungsbehörden darauf ankam, für den Fall, daß Feiling nicht überleben würde, ihm wenigstens so viel wie möglich von seinem Wissen entreißen zu können. Es ging eben darum, wie es der Generalbundesanwalt Rebmann formulierte, "seitens der Strafverfolgung in die Revolutionären Zellen einzudringen", auch wenn das Mittel zu diesem Zweck im Bewußtsein seiner Verstümmelungen und unter den Operationsschmerzen leidend, im Sterben lag. Medizinisches Hilfspersonal, das sich gegen diese Art und Resteverwertung, begangen durch die Ermittlungsbehörden, gewehrt haben, konnten sich nicht durchsetzen ...

Schließlich kommt eine noch sehr viel komplexere Dimension hinzu: Infolge seiner völligen und totalen Hilflosigkeit als Erblindeter und Amputierter war Feiling bewußt, daß er in totaler Abhängigkeit von der Hilfestellung anderer war. Medizinisches Pflegepersonal und Polizeibeamte waren für ihn nicht unterscheidbar. Andererseits steht auch fest, daß die Polizeibeamten ihn auch tatsächlich versorgt haben. Alles, was mit ihm geschah, erfolgte nur aufgrund der Zustimmung durch die Polizeibeamten. Er wurde gewaschen, gefüttert, auf die Schüssel gebracht, umgebettet, zur Vermeidung des Wundliegens gepudert, getragen etc.; er hatte keinerlei Möglichkeit der eigenen Auswahl in seinen sozialen Kontakten und befand sich zu den ihn umgebenden Polizeibeamten im engsten Abhängigkeitsverhältnis. Er reproduzierte - allerdings mit dem Unterschied, daß er dies bewußt erlebte - die frühkindliche Situation der Abhängigkeit des Kindes von der Mutter.

Von Polizeibeamten war ihm ja die Mitteilung überbracht worden, daß sein Leben durch Dritte bedroht sei. Dies ließ ihn die Polizeibeamten, die ja seine ausschließlichen Bezugspersonen waren, als Beschützer erleben. Die Abhängigkeit von ihrer Hilfestellung mußte in ihm ein Gefühl der Dankbarkeit erzeugen, ebenso wie das Bewußtsein, daß von Seiten der Polizeibeamten erwartet werde, er werde sich für den Schutz und Befriedigung seiner Bedürfnisse revanchieren. Die totale Abhängigkeit von diesen Beschützern, von denen er weiß, daß sie eine Gegenleistung erwarten, wird begleitet von einer inquisitorischen Vernehmungssituation. Dies läßt die Anstrengung fast unmenschlich erscheinen, einem von seinen Bewachern unabhängigen und autonomen Wunsch auch nur zu äußern.

im Gegensatz zu den Polizeibeamten, die sich ihrer Funktion genau bewußt waren, erscheint es nicht vorstellbar, daß Feiling erstens genau unterscheiden konnte, wer von den Stimmen jetzt medizinisches Hilfspersonal, Polizeibeamter oder der ärztlichen Schweigepflicht unterworfener Arzt war und zweitens, was die Polizeibeamten mit ihm anstellten . Erst spät, als er aus dieser ungeheuren Erschütterung heraus in einer unmenschlichen Anstrengung wieder zu sich selbst fand, mußte er feststellen, daß seine Beschützer in Wirklichkeit Bewacher waren und daß seine Beichtväter zu Anklägern geworden waren. Dies gipfelt in einer späteren Feststellung Feilings, daß er den Staatsanwalt mit Namen Wechsung, der am 24. Juni 1978 an sein Krankenbett herantrat, für einen Rechtsanwalt gehalten habe. Auf einer Tonbandkassette, die er später an die Öffentlichkeit schmuggelte, beschrieb er seine damalige Situation so:

"Ich war also mehr so in einem Zustand, wo ich eigentlich gar nicht wußte, wer um mich war und das einzige, was ich wollte, darin bestand, nicht verlassen zu werden."

Diese Situation der Hilflosigkeit, der Orientierungslosigkeit und der totalen Abhängigkeit haben die Ermittlungsbehörden in skruppelloser und barbarischer Weise genutzt.

Von allen Freunden abgeschirmt, haben sie sich seiner wie eines Leibeigenen bedient. Sie haben sich, als er in seinem Wahrnehmungsapparat völlig zerstört und durcheinander geworfen und in seinem Persönlichkeitserlebnis völlig zerschmettert, von ihm selbst und von seinem Wissen Besitz ergriffen, ihn wie ein Asservat behandelt und untersucht, ohne Rücksicht auf seine seelische Not in seinem Gehirn geblättert und sich daraus bedient, wie in einem Selbstbedienungsladen.

Das ist kein Rückfall in finstere Inquisitionsmethoden des Mittelalters, das ist die Fortentwicklung modernster Verhörtaktik in finsterster Gegenwart ...

Die Tatsache, daß das Gericht Hermann Feiling für verhandlungsfähig erklärt, obwohl er wegen seiner Blindheit, Immobilität und Epilepsie einerseits mit großer Wahrscheinlichkeit dem Risiko schwerer gesundheitlicher Schädigung ausgesetzt ist und andererseits in großen Teilen das Verfahren nicht als Beteiligter mitgestalten kann, sondern als Objekt über sich ergehen lassen muß, zeigt zusätzlich, daß das Verfahren nicht darauf angelegt ist, Feiling als Angeklagten mit dem Strafanspruch des Staates, zu konfrontieren, sondern daß er - und soweit reichen seine Fähigkeiten dem Gericht offensichtlich aus - dazu gebraucht wird, die Aussagen aus den früheren Verhören gegen seine beiden Mitangeklagten verwertbar zu machen.

Hermann Feiling ist in diesem Verfahren immer nur Objekt staatlichen Handelns gewesen:

  • sein verbrannter und verstümmelter Körper und sein Bewußtsein davon war das Werkzeug, mit dem in ihn eingedrungen werden konnte; er war ein monatelang bearbeitetes Werkzeug, mit dem Staatsanwalt und Kriminalbeamte in die Revolutionären Zellen eindringen wollten,
  • er war und ist das Mittel, um den Prozeß in Gang zu bringen und zum Urteil zu treiben, Beweismittel für die eigene Verurteilung und die seiner Mitangeklagten,
  • er dient als Demonstrationsobjekt, um die Sinnlosigkeit jeder Auflehnung und des Protestes gegen die bestehendenVerhältnisse zu demonstrieren.

Ein Urteil über Feiling wird auch ein Urteil über die Justiz und diesen Staat sein.

Der Versuch der Resteverwertung geht weiter. Dem Antrag Rechtsanwalt Baiers wurde zwar teilweise stattgegeben: Das Verfahren gegen Feiling wurde "vorläufig" eingestellt. Um seine Aussagen gegen die verbleibenden Angeklagten dennoch verwenden zu können, ordnete der 4. Strafsenat die Verlesung von Feilings richterlicher Vernehmung an.

Stephan Baier

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