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RZ / Rote Zora

Wenn das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird...

In den letzten 6 Wochen haben zwei sehr unterschiedlich und in der Vergangenheit

gegensätzlich politisch argumentierende bewaffnete Gruppen, die RAF und eine Gruppe der RZ das(vorläufige) Ende ihres bewaffneten Kampfes angekündigt.

Beim Lesen der beiden Erklärungen fallen überraschende Parallelen in der Begründung ihrer Aufgabe auf. Diese an vielen Stellen sehr pauschalen Argumentation provozieren bei vielen von uns Widerspruch. Wobei. mir persönlich bei

der Lektüre des RZ- Textes in der 'konkret' richtig die Wut hoch kam, während hingegen der Text der RAF an einigen Stellen für mich richtig was Neues enthielt.

Beiden Texten scheint noch was gemeinsam zu sein: Mensch kann nur zwischen den Zeilen erraten, warum sie jetzt diesen Schritt tun, denn die politische Begründung für die Einstellung ihrer bewaffneten Politik ist vielfach dünn und widersprüchlich. Ärgerlich ist die Gleichsetzung von revolutionärer Politik und bewaffnetem Kampf. Trotzdem: es tun sich neue Möglichkeiten auf, über alte Fehler von bewaffneten und militanten Gruppen jetzt schonungsloser und ohne politische Scheuklappen zu diskutieren um vielleicht daraus ein neues gemeinsames politisches Terrain uns zu erobern.

Zu der RZ-erklärung:

Die RZ schreiben, "daß die Form und Struktur unseres Kampfes Ausdruck einer bestimmten Phase der Entwicklung der gesellschaftlichen Widersprüche in der BRD nach 1968 war, die unwiderruflich mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus und den darauffolgenden Zersetzungsprozessen, der deutschen Wiedervereinigung und der im zweiten Golfkrieg skizzierten 'Neuen Weltordnung' ihr Gepräge verändert haben". Zwei Sätze weiter sprechen sie von "endgültigen Sprung Deutschlands zur Weltmacht". Diese "objektive Analyse" erfordere "im Grunde eine ganz andere Stufe der Organisierung des militanten und revolutionären Widerstande". Und noch allgemeiner für die Linksradikalen stellen sie resigniert fest: "Die Bedingungen linksradikaler Politik haben sich innerhalb kürzester Zeit vollkommen verändert". Schließlich beklagt diese Gruppe der RZ einen "Wandlungs- und Auflösungsprozeß der Linken insgesamt."

Diesen globalpolitischen Einschätzungen ist einiges entgegenzusetzen:

a) Wenn Deutschland nach dem 9.11.89 plötzlich Weltmacht geworden ist, müßte schon gesagt werden durch welche ökonomischen und militärischen Schritte dies erfolgt ist. Meiner Meinung nach hat sich die wirtschaftliche Stellung der BRD auf dem Weltmarkt -zumindestens für die nächsten Jahre - eben u.a. wegen der... finanziellen Lasten der Wiedervereinigung - eher verschlechtert. Die Wirtschaftsseiten der bürgerlichen Presse sprechen auch nicht von einer Verbesserung für die großen (west-)deutschen Multis durch die Wiedervereinigung, sondern warnen eher im Gegenteil vor einer 'Vernachlässigung' der übrigen Märkte. Ernüchterung ist auch bei den Herrschenden eingetreten, was die neuen vermeintlich großen Absatzmärkte im Osten angeht..

Militärisch gesehen ist zwar die NATO jetzt ohne atomaren, gleichwertigen Gegner. Die Bedeutung der BRD innerhalb der NATO ist jedoch noch keinesfalls die. einer 'Weltmacht'. Wie der Golfkrieg gezeigt hat, ist die BRD Weltmeister im Zahlen geworden. Zwar gibt es immer wieder neue Pläne der Bundeswehrspitze über die möglichen 'out- of- area- Einsätze' und über die Aufstellung einer sogenannten 'Schnellen Eingreiftruppe , mit bundesdeutschem Adler. Aber innenpolitisch und gegenüber den früheren Westallierten scheint das derzeit politisch nicht durchsetzbar. Zumal in der BRD mehr und mehr Menschen, dies belegen bürgerliche Meinungsforschungsinstitute, den Sinn und Zweck der Bundeswehr in Zweifel ziehen.

Wenn es eine Weltmacht- Stellung der BRD gibt, dann hat das BRD-Kapital diese schon seit längerem in bestimmten Branchen inne und ist nicht erst durch die Wiedervereinigung in diese Rolle geschlüpft. Ein gutes Beispiel dafür scheint mir die Rolle der westdeutschen Banken bei den Umschuldungsverhandlungen mit Polen und der UdSSR seit Mitte der.80er Jahre zu sein, denn seitdem sind u.a. gegenüber diesen Ländern die drei westdeutschen Großbanken die Hauptgläubiger. Aus den ökonomischen und militärischen Veränderungen seit 1989 lassen sich demnach unmittelbar keine negativen Veränderungen für die Handlungsbedingungen militanter Gruppen ableiten. Eben weil die sich gar nicht so sehr verändert haben die warn und sind schon Jahre vor der Wiedervereinigung für uns ziemlich mies.

b) Was sich für die Linksradikalen vollkommen verändert hat, liegt eher auf der ideologischen Ebne. Der Realsozialismus - oder eben was die Bevölkerung darunter versteht: der Marxismus/ Kommunismus - ist am Ende. Politisch, wirtschaftlich und ideologisch in sich zusammengebrochen. Wir können jetzt nicht mehr tun, als sei für unser Handeln die. politische Landschaft von der Elbe bis zum Ural für uns völlig unerheblich. Ober Jahrzehnte war sie für uns wie ein weißer Fleck. Diese Versäumnisse rächen sich jetzt bitter. Es war unser eigener Fehler, daß wir die Gefahren der Zentralisation der Macht im Namen der 'Diktatur des Proletariats' runtergespielt haben oder sie als notwendiges Übel im Kampf mit dem inneren Klassenfeind und dem äußeren imperialistischen Gegner eingestuft haben. Es war unser eigener Fehler, zu wenig entschieden, zu ungenau den Stalinismus und seine späteren Spielarten in Osteuropa schonungslos zu kritisieren. Wenn überhaupt haben einige von uns das auf der theoretischen Ebene vorgenommen und Stalin als Verfälscher der vermeintlich 'reinen Lehre' des Marxismus-Leninismus demaskiert

Aber über die tatsächlichen Herrschafts- und Lebensverhältnisse in den realsozialistischen Ländern hatten doch die meisten von uns keine Ahnung oder schlimmer noch, interessierte uns überhaupt nicht.

Insofern ist die von den RZ beklagte "vollkommene Veränderung" der Bedingungen für linksradikale Politik nur das Ergebnis eigener, jahrelanger Versäumnisse -zumindest auf ideologischer Ebene, und das gilt für uns alle. Von deswegen sind wir auch zu Recht "von der Geschichte überrollt" worden.

Wenn die RZ einen "Wandlungs- und Auflösungsprozeß der Linken insgesamt" beklagen, so gilt das derzeit doch vor allem für die sich auf den Marxismus-Leninismus berufende Linke von DKP über KB bis hin zu der 'Radikalen Linken', die außer Zeitungen produzieren und ellenlange Papiere über die Krise zu schreiben in den letzten Jahren nix zustande gebracht haben. Eben weil sie seit Gorbatschow nur noch dabei waren, die Trümmer ihres eigenen ideologischen Gemäuers zusammen zu kehren. Diese 'Papierlinke' hat zurecht ihren politischen Abgang gemacht.

c) Darüber hinaus gibts doch aber noch ein paar Linksradikale (der VS zählt allein Berlin "zum harten Kern" 1000 ) Autonome, die sich nicht aufgelöst haben. Wir stecken zwar schon seit mehreren Jahren in einer tiefen Krise, spätestens seit dem Ende der IWF- Kampagne, seitdem die letzte große politische Bewegung verschwunden ist. Wir hocken in einer tiefen Identitätskrise und unser politischer Widerstand kocht eher auf Sparflamme. Politisch sind die Autonomen und Antiimperialisten aber durchaus noch ab und zu präsent - wie im Antifa- Bereich oder lokal auch im FIüchtlingsbereich. Es ist schon äußerst anmaßend, wenn die RZ uns mit ihrer These der "Auflösung" der Linken insgesamt gleich mitaufgelost haben - nur weil es vielleicht unter uns keine Promis gibt, die ab und zu auch mal in der 'konkret' zu Wort kommen dürfen.

Was sich allerdings aufgelöst hat, ist die Vision von Befreiung durch die sozialistische (Welt-) Revolution. Das 'Gespenst des Kommunismus' hat sich in Europa verflüchtigt, ist keine Bedrohung mehr für die Bourgeoisie. Im Gegenteil, das 'Gespenst .des Realsozialismus hat sich als furchtbares Unterdrückungs- und Ausbeutungssystem herausgestellt, mit einer verlogenen und amoralischen Parteiführungsclique an der Spitze.

Die RZ beklagt, in den "Strudel der Auflösung linker Utopien und kommunistischer Systeme" geraten zu sein. Erstmal ist festzuhalten, daß dies ein Strudel der Auflösung von Illusionen, von Ideologie, ist - und das ist gut so! Desweiteren hat die RZ schon vor Jahren in ihren Papieren den Realsozialismus vehement und richtig kritisiert. Wieso gibt's dann heute noch das Gefühl des "Strudels"?

Die RZ reden vom "Abtritt der Linken als innenpolitischer Faktor", weil sie "unfähig war, dem Nationalismus mit "internationalistischer Perspektive" entgegenzutreten." Hier, finde ich, wird das Kernproblem umschifft. Es wird nicht gesehen, daß die "internationalistische Perspektive" schon Jahre vorher (vielleicht unterbrochen durch die Libyen- Solidarität .und IWF-Kampagne) im Niedergang in der BRD war bzw. seit dem Ende der Vietnam- und Chilesolidarität Mitte der 70er Jahre nur noch einmal aufflackerte und an Breite gewann, das war 1979-84/85 Nicaragua. Selbst die Salvador Bewegung hatte schon nicht mehr diese Breite bis ins kirchliche/ sozialliberale Lager hinein.

Die von der RZ im Zuge der Wiedervereinigung eingeforderte internationalistische Perspektive hätte die Dimension von gesellschaftlicher Breite haben müssen, welche sie aber schon Anfang der 8Oer Jahre verloren hatte!

Bewaffneter Kampf und Revolutionärer Widerstand

Die RZ schreiben in ihrer Erklärung, daß ihre Praxis zu einer "Vermassung unserer Angriffsformen" geführt habe und es ihnen gelang "in den Teilbereichskämpfen die Bereitschaft zum militanten Widerstand zu fördern". Beide Aussagen sind anmassend und historisch falsch. Zudem schimmert wieder die von ihnen früher abgelehnte Avantgarderolle durch.

Im Anti- AKW- Kampf hat u.a. die Radikalität der Wyhler Bauern mit ihrer ersten Bauplatzbesetzung eine weitaus größere Ausstrahlung gehabt und der Spruch "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht" wurde Mitte der 70 er Jahre in Brokdorf und Grohnde in militante, massenhafte Praxis umgesetzt. Die ersten Hausbesetzungen in Berlin ( das kenne ich aus den Liedern von 'Ton, Steine, Scherben') oder die in Frankfurt 1972 und deren militante Verteidigung liefen, da gabs noch nicht mal den Namen RZ! Schließlich wäre auch noch zu untersuchen,ob nicht die militanten Demos gegen Ende der Studentenbewegung (siehe u.a. die 'Schlacht am Tegeler Weg') und die Wilden Streiks 1969 und ersten Betriebsbesetzungen das Selbstverständnis für militante Gegenwehr entscheidend mit verbreitert haben, also so was wie den Bodensatz für die spätere Massenmilitanz vor den AKW- Bauplätzen gebildet haben. Aus dieser Militanz sind u.a. die RZ hervorgegangen und nicht umgekehrt.

Darüberhinaus ist in diesem Zusammenhang an die RZ die Frage zu stellen, wo für sie militanter Widerstand anfängt, W0 der "qualitative Sprung/' zum bewaffneten Kampf liegt, den sie ja wohl als höhere/revolutionärere Form des Widerstands in ihrem Text darstellen? Die RZ hierachisieren hier die militanten Mittel, was sie in den Jahren zuvor immer politisch bekämpft haben.Immer wieder heben die RZ in ihrer: Erklärung auf die eingesetzten Mittel ab und nicht auf die Beziehungen zur angewandten Form (Massenmilitanz und Massenhaftigkeit bestimmter Formen des Widerstandes sind in vielen Situationen politisch entscheidender als drei Schüsse in die Beine von irgendeinem Schwein - so haben es die RZ früher selbst formuliert) schließlich geht es primär für die Revolutionäre um die Veränderung und Eroberung der Köpfe und Herzen der Menschen, die in Widerspruch zum System der Herrschenden geraten!

Besonders merkwürdig finde ich die Selbstkritik der RZ am Ende ihrer Erklärung:

Sie kritisieren sich, der "Zersplitterung autonomer Zusammenhänge" keine "vereinheitlichende Perspektive entgegen"- gesetzt zu haben. Ich kann nur sagen: Ein Glück, das euch das nicht gelungen ist. Das wäre dann bestimmt das Ende von den Autonomen als politische Bewegung und Widerstand gewesen. Alle Versuche in der Vergangenheit, den Autonomen eine Führung überzustülpen sind gescheitert, weil dies zentral einem der wenigen allgemein gültigen Prinzipien autonomer Politik widerspricht: Keine feste Führung, kein Programm zu haben. Damit ist nicht gesagt, daß in den Städten es ganz schön feste informelle Machtstrukturen gibt!

An diesem Punkt sitzen die RZ, wie verschiedene andere linksradikale Gruppen (Antifa-M, Göttingen, Fels Berlin oder Autonome Kommunisten) der Illusion auf, in Zeiten des Bewegungsniedergangs sei der Rettungsanker in einer straffen politischen Organisierung unter einer bestimmten politischen Programmatik zu finden.

Die RZ kritisieren sich selbst auch in dem Punkt, daß ihre "Mittel" kalkulierbar blieben, auch deshalb, weil ein Klassenbezug sich nicht herstellen ließ. Meiner Meinung sind die Klassenkämpfe auf breiterer, für die Herrschenden bedrohlichen Ebene, in der BRD seit dem Ende der Streikbewegung 1973/74 nicht mehr vorhanden. Deswegen konnten die Aktionen der RZ und der RAF sich auch nicht in Beziehung zu den Klassenkämpfen stellen. Die Guerilla in der BRD war, höchstwahrscheinlich von Anfang an, mit dem Mittel des bewaffneten Kampfes in bezug auf die kämpfenden Teile des Proletariats politisch isoliert! Eine passive Zustimmung oder stille Freude wie bei Schleyer war nie in politische Unterstützung der Stadtguerilla umdeutbar.

Zum Schluß will die RZ der "Selbstaufgabe revolutionärer Politik nicht das Wort reden". Ich finde aber, genau das tun sie aber. Weil sie darunter nur das verstehen, was die RZ, 2. Juni oder die RAF gemacht haben! Die RZ heften aa revolutionär Politik das Mittel des bewaffneten Kampfes. Dabei wird mißachtet, daß für revolutionäre Politik bewaffneter Kampf nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen und in einem relativ engen Zeitraum des revolutionären Prozesses eingesetzt werden kann.

Bewaffneter Kampf allein macht noch keine revolutionäre Politik aus! Auch an dieser Stelle ist auffällig, daß die RZ in ihrer Rückschau auf ihre eigene Politik ihre früher propagierten Zielsetzungen und Formen des Kampfes jetzt auf den Kopf stellen...

Die RZ müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, das Horn des Zeitgeistes" zu blasen: revolutionärer militanter Widerstand, illegale Arbeit sei überholt, unmöglich. Für sie mag das ja zutreffen, für ihr zuletzt geltendes politisches Selbstverständnis -aber eben erstmal nur für Sie. Warum sagen Sie das nicht.so deutlich? Das finde ich das eigentlich Ärgerliche an der Erklärung. .

Daß wir viel langfristiger, illusionsloser denken und handeln müssen, kommt bei

der RZ nicht vor, oder geht unter (nebenbei könnten wir auch einigen verbal- radikalen Ballast über Bord werfen). Nicht von ungefähr kann so eine Position deshalb auch in dem Zynikerblatt 'konkret' erscheinen.

Zur Erklärung der RAF:

Auch die RAF führt als Begründung für ihre Zurücknahme der "Eskalation" die "Tatsache, daß wir alle vor einer völlig veränderten Situation im weltweiten Kräfteverhältnis standen" an: "Der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten, der seine Ursache wesentlich in den im Inneren ungelösten Widersprüchen hatte, hat katastrophale Auswirkungen für Millionen Menschen weltweit und hat alle, die rund um den Globus um Befreiung kämpfen, auf sich selbst zurückgeworfen."

Hier, wie bei der RZ ist zu fragen, ob tatsächlich erst durch den Zusammenbruch des Realsozialismus es zu diesen katastrophalen Auswirkungen für Mio. Menschen gekommen ist. Worin bestand, vor dem Ende des 'Kalten Krieges', die Hoffnung für die Millionen? Die UdSSR z.B. hat materiell Und waffenmäßig Kuba, Nicaragua und Vietnam in den80 Jahren unterstützt. Für die meisten Völker des Trikonts, die unter Diktaturen, Hunger und Elend zu leiden haben, stellte der Realsozialismus in keiner Weise eine Hoffnung dar. Eher im Gegenteil. Die UdSSR kooperierte z.B. mit einigen Oligarchien im Trikont, dealte mit Südafrika um die Aufrechterhaltung des Gold- und Diamantenmonopols und stützte dadurch objektiv das Rassistenregime. Auch was den Handel mit den Trikontländern betraf, verhielten sich die realsozialistischen Länder, bis auf die Ausnahmen Kuba, Vietnam, Nicaragua, wie die imperialistischen Staaten und deren Konzerne, das ist nachgewiesen. Der endgültige Zerfall des Realsozialismus hat nicht bewirkt, daß Millionen im Trikont jetzt in die Katastrophe stürzen. In Lateinamerika hatte die kubanische Revolution, hatte der Kampf von Che in Bolivien und hatte die Revolution in Nicaragua eine höchst wichtige Vorbildfunktion, waren Hoffnungsträger. Aber die Linksradikalen, Revolutionäre in Uruguay oder in Chile sind wegen der fehlenden Unterstützung der UdSSR gescheitert (die so und so nie auf der Tagesordnung stand, spätestens seit der sogenannten Kubakrise 1962) sondern vor allem an ihren eigenen Fehlern, so sagen es heute jedenfalls u.a. viele Tupas. Und das die MIR in Chile politisch nicht mehr existent ist, liegt nach dem Abtritt von Pinochet nicht am Zusammenbruch des Realsozialismus, sondern an viel komplexeren innenpolitischen Faktoren und am Zersplitterungsprozeß der MIR- Restgruppen. Also, der 'Zusammenbruch' der UdSSR kann an sich kein Grund sein für die RAF.

Für interessanter und wichtiger halte ich den zweiten angeführten Grund der RAF für ihre Denkpause: "Wir haben aus verschiedensten Gründen keine Anziehungskraft mehr für die Menschen hier entwickelt, die gemeinsames Handeln möglich macht."

Und: "Gefehlt hat die 'Suche' nach unmittelbaren positiven Zielen und danach, wie eine gesellschaftliche Alternative hier und heute schon anfangen kann zu existieren. Daß das hier möglich ist, daß es geht, so etwas anzufangen, haben uns die Erfahrungen, die andere erkämpft haben, gezeigt." Das finde ich neu bei der RAF. erstaunlich gar ist, wenn die RAF zum ersten mal sich auf die "Gegenmacht von unten" bezieht. Von Menschen, die "eigene soziale werte im Alltag" entwickeln redet, die nicht in Ohnmacht vor dem Imperialismus verharren sondern "ihre Bedürfnisse, ihre Solidarität gemeinsam umsetzen."

Solche Formulierungen sind an sich eine radikale Abkehr von dem politischen Selbstverständnis der RAF seit dem Maipapier '82, seit der erstmaligen Erwähnung' des Frontkonzepts, der Notwendigkeit des Aufbaus der revolutionären Front in Westeuropa. Damals stand für die RAF der Aufbau der Guerilla an oberster Stelle, alles andere war zweitrangig oder gar "sozialarbeiterisch".

In dieser Erklärung nimmt die RAF deutlich ihre Avantgardeansprüche zurück und öffnet sich für Diskussionen um andere Formen des Kampfes um Befreiung in der Metropole.

Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, daß wir Autonome auch keine große Attraktivität für Menschen außerhalb des Scene- Ghettos haben, daß wir derzeit auch keine positiven Ziele formulieren können, keine gesellschaftliche Alternative den Unterdrückten, Armen hier in der Metropole anbieten können. Insofern stehen RAF, Antiimps und Autonome zusammen wieder am Ausgangspunkt.

Doch bleibt beim Lesen des Textes auch eine gehörige Portion Skepsis.

Nämlich da, wo die RAF die Zurücknahme der Eskalation mit dem Verhandlungsangebot an Kinkel verknüpft.

Gerade der HS 1989 hatte doch eine dermaßene Breite (auf Kosten einer politischen Entschiedenheit und Klarheit, was viele Autonome kritisiert haben) erlangt, ohne daß sich nennenswert was im Staatsapparat bewegte. Woher nimmt jetzt die RAF die Hoffnung, mit der Rücknahme der Eskalation aus der Auseinanderstzung..."diesen politischen Raum aufzumachen"?

Die RAF stellt richtig fest, daß "sie (die Schweine) an keinem Punkt freiwillig zurückweichen, dafür wird immer gesellschaftlicher Druck und Kämpfe" notwendig sein. Die Frage ist doch noch einmal, welcher Raum soll jetzt aufgemacht werden, wo doch vor drei Jahren ein breites gesellschaftliches Bündnis von kirchlichen Gruppen über Friedensgruppen, EX- Revis bis zu Antiimps die Forderung nach Zusammenlegung nicht durchsetzen konnte? Und vor allem, was ist denn tatsächlich das Druckmittel der RAF?

Mit dem "Raum" können eigentlich nur die im Staatsapparat gemeint sein, wo einflußreiche Kapitalisten und Manager Zugang haben und die jetzt froh sind, daß die RAF sie in Ruhe lassen will und die sich dann zum Dank für die Haftunfähigen stark machen bei der Betonfraktion. Die RAF setzt auf 'Verhandlungen, mit diesen Teilen des Herrschaftsapparats. Doch was hat die RAF für diese Verhandlungen noch in der Hand, nach dieser ihrer Erklärung? Der 'Spiegel' vermutet "zum Nulltarif" mache die RAF diese Offerte an Kinkel.

Die RAF schreibt am Ende ihres Textes: "Jetzt ist die staatliche Seite gefragt, wie sie sich verhält. Und weil heute noch niemand weiß, wollen wir den Prozeß von Diskussion und Aufbau schützen." Zu fragen ist, vor wem soll der Aufbau geschützt werden? Daß die Bullen, der Staatsschutz jeden Versuch, revolutionäre Strukturen, die eben nicht auf die militante Praxis verzichten sondern sie neu bestimmen wollen, bekämpfen, unterlaufen werden, ist doch sonnenklar. Und zwar überall dort, wo im öffentlichen Raum, in den Kämpfen der Frauen- , Antifa, Flüchtlings-, Stadtteilbewegungen militante Praxis propagiert wird, taucht doch der Staatsschutz auf. das ist doch unsere Erfahrung seit 2 Jahrzehnten. In München gar, dürfen politische Gruppen, egal welcher linken Orientierung, noch nicht mal über die allgemeinsten Formen des Widerstandes diskutieren, ohne daß der Staatsschutz einreitet und die 129a-Keule schwingt. Wie will da die RAF was schützen? Den Raum für die Diskussion über neue Perspektiven revolutionärer Politik müssen sich die Gruppen und GenossInnen schon selbst erkämpfen, da nutzt keine alte und neue Avantgarde als Schutz vor der "Walze aus Repression und Vernichtung", wie die RAF selbst schreibt. Die kommt jetzt auch nicht zum Stillstand, nur weil die RAF eine Denkpause einlegt. Siehe die immer wieder neuen 129aVerfahren gegen militante Linksradikale oder gegen die Kurden.

Von daher ist auch die Drohung mit der Wiederaufnahme des "Krieges" reichlich hohl. Zum einen weil die RAF selbst vorher selbstkritisch von der Notwendigkeit der Neubestimmung revolutionärer Politik im Zuge des Aufbaus von Gegenmacht von unten spricht ( und das kann durchaus ein paar Jährchen dauern) und zum anderen, weil wir davon ausgehen müssen, daß die Schweine mit all ihren Mitteln versuchen werden, diesen Prozeß zu verhindern - und da helfen auch nicht ein paar erfolgreiche Anschläge auf irgendwelche Manager weiter. Sowas wäre kein "Schutz" für unsere Diskussionen.

In der Argumentationslogik der RAF kann es auch gar keine Pause an sich geben, denn wie die RAF selbst sagt, geht der Krieg der Schweine doch weiter. Das ist keine überzeugende Begründung für die Rücknahme der 'Eskalation'. Für mich schimmert an dieser Stelle zwischen den Zeilen eine andere Begründung durch: Sie haben keinen Bock mehr. Sie sehen derzeit keine Perspektive für ihren Kampf, die Aussicht auf politische Erfolge ist gleich Null.

Das wären für mich verständliche, allzuverständliche Gründe. Das wäre ehrlich, würde jede/r verstehen und keine große Fragen hinterlassen. Keine neuen Illusionen und Mythen aufbauen! Davon haben wir alle in der Vergangenheit zu viele produziert.

Pepone

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