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4. PLASTIC PEOPLE
PLASTIC WORLD oder DIE SEHNSUCHT NACH DON JUAN
"Die Erde ist unsere Mutter, und seine Mutter bringt man
nicht um" (Indianisches Sprichwort)
Wir leben also in einer von Männern beherrschten Gesellschaft
in einer Kultur, deren ausschließlich männliche Züge
seit Jahrtausenden mit allen Mitteln bis hin zur nackten, brutalen
Gewalt aufrechterhalten wird und die sich selbst noch in ihren radikalsten
Kritikern (Männer), im 'Proletarier aller Länder, vereinigt
euch!' als das erwiesen hat, was sie ist: PATRIARCHAT , MÄNNERHERRSCHAFT.
Und das Wesen dieser Männerherrschaft war durch die gesamte
Geschichte hindurch Gewalt und Lebensvernichtung, war eine Kultur,
die zu ihrem Fortschritt, zu ihrer Entwicklung Krieg und Tod benötigte.
'Die Gewalt als Geburtshelfer der Geschichte,' der Krieg, das ist
ureigenste männliche Angelegenheit. Unsere Produktionsweise,
unsere Wissenschaft samt ihren 'großen Männern', unsere
Lebens-, Arbeits-, und Verkehrsformen beruhen auf gewaltsamer Aneignung
und Unterdrückung. Wir arbeiten nicht für unsere Bedürfnisse,
sondern für was? Wir leben nicht in der Befriedigung unserer
Bedürfnisse, sondern in was ? Und nicht Liebe und Solidarität
bestimmen unsere Beziehungen, sondern was wohl? Und dieses ganze
absurde Spiel, dieser gegenständlich gewordene Todestrip der
Männerherrschaft in gewaltsamer Naturzerstörung und Unterdrückung,
die da Industrie genannt wird, die Fortsetzung dieses Wahnsinns,
was sich da als 'autonomer technischer Fortschritt' ausgibt, und
jene Verrücktenkulturen, die da 'Wohlstandsgesellschaften'
und 'Spätkapitalismus' heißen, dies alles fangt gegenwärtig
an, sich selbst ad absurdum zu führen, weil es offensichtlich
seine natürlichen Schranken zu erreichen beginnt. Was über
Jahrhunderte hinweg - und ihren Höhepunkt hat diese Entwicklung
zweifellos in der INDUSTRIELLEN PRODUKTIONSWEISE des modernen Kapitalismus
gefunden - lediglich als Gegenstand der Ausbeutung und Unterjochung
angesehen wurde, die Natur nämlich, sei sie in uns oder um
uns herum, setzt nun diesem System seine Schranken. Luft, Wasser,
Raum.
'Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft
massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen
als alle vergangenen Generationen zusammen. Unterjochung der Naturkräfte,
Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschiffahrt,
Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile,
Schiffbarmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden hervorgestampfte
Bevölkerungen - welches frühere Jahrhundert ahnte, daß
solche Produktionskräfte im Schoße der gesellschaftlichen
Arbeit schlummerten.'
(Karl Marx, Friedrich Engels, Kommunistisches Manifest)
und Rohstoffe werden ebenso selten, wie die Krankheiten unserer
eigenen Natur, unserer Körper und Seelen, zunehmen.
Und mit dem Anwachsen dieses Widerspruchs zwischen entfesselter
Plastikkultur und unterjochter Natur verlieren die traditionellen
revolutionären Bewegungen und ihre Alternativen an Bedeutung,
ja, erweisen sich sogar als durch und durch von dieser Krankheit
infiziert und für unsere Befreiung daher als UNTAUGLICH (was
nicht heißt, daß sie damit vergessen werden können).
Auch wenn die organisierte (und hier vor allem die marxistische)
Arbeiterbewegung durch einen Grundwiderspruch von der Welt des Kapitals
getrennt wurde, so vereint sie doch der gemeinsame ZWANG ZUR MASCHINE,
was für den einen PROFIT und für die anderen die MÖGLICHKEIT
DER PROLETARISCHEN REVOLUTION bedeutete. MASCHINENSTÜRMEREI
ist ein Zauberwort, das hier die Verhältnisse zum Tanzen bringt,
die wahren Verhältnisse sichtbar macht. Während es den
Unternehmern um ihr' fixes' teures Kapital Angst und bange wird,
schwellen dem MARX-isten - beiden also; der Alte hatte für
derartige proletarische Kinkerlitzchen gar nichts übrig - aller
Richtungen die Zornesadern an, und seine gerechte Empörung
verlangt nach strengem Durchgreifen (was sie in den sozialistischen
Ländern dann auch reichlich praktiziert haben).
Marx und die seinen (also auch ICH und wir) haben nie einen Hehl
aus ihrer Begeisterung für die INDSTRIELLE REVOLUTION des KAPITALS
gemacht (im Kommunistischen Manifest steht's klipp und klar) und
auch nicht daraus, daß sie in der INDUSTRIELLEN NATURANEIGNUNG
die unverzichtbare Voraussetzung des Kommunismus sahen. Und das
heißt im Klartext, daß sie über alle Klassenwidersprüche
hinweg jenes zerstörerische Ausbeutungsverhältnis zur
Natur, das den kapitalistischen Gesellschaften zugrunde liegt, nicht
in Frage stellen. Die GROSSE INDUSTRIE also ist's, was uns eint,
ist, was es macht, daß 'der Regen von unten nach oben fließt'.
Und gilt dies schon für die marxistische Theorie, so noch viel
mehr für die Praxis der organisierten Arbeiterbewegung nach
Marx (nicht aber immer für die Proleten selbst, die mangels
'Klassenbewußtsein' nur allzu oft sich in die ländliche
Idylle ihrer Herkunft zurückgesehnt haben) Gewerkschaften und
sozialdemokratische wie kommunistische Parteien sind heute, zusammen
mit Vertretern des Kapitals, die verbissensten Vertreter und Vorreiter
der INDUSTRIELLEN PRODUKTIONSWEISE und ihrer Wahnsinnskonsequenz
(und da, wo dies durchbrochen ist, wie etwa beim toten Vorsitzenden
Mao, da kommen solche Impulse eben gerade aus vorkapitalistischen
bäuerlichen Erfahrungen und nicht aus der Arbeiterklasse).
Diese konkrete Identifizierung der Bedürfnisse der Proleten
mit FORM und INHALT der kapitalistischen Produktion, die bewußt
von den Arbeiterorganisationen" und unbewußt durch die spätkapitalistische
Massenkultur durchgesetzt wird, hat die industriellen Gesellschaften
zu einer SCHEINBAR alternativlosen und global einheitlichen Lebensweise
werden lassen.
Daher haben einige Genossen gar nicht so unrecht, wenn sie sagen,
'die Revolution ist vorbei - wir haben gesiegt'. Nur zu wahr, DIE
Revolution ist vorbei! Es geht doch im Ernst nicht mehr um die 'Entfaltung
der Produktivkräfte', sondern eher darum, ob sich das noch
aufhalten läßt! Die ProduktivKRAFT Atom- KRAFT meinen
sie ja im Kapitalismus, wie im Sozialismus einsetzen zu müssen
( nur die einen schlecht für die Massen und die anderen gut,
ätsch!). Wir brauchen, weiß Gott, keine neuen Arbeitsplätze,
sondern ganz gewiß WENIGER und überhaupt eine andere
Art zu Arbeiten und zu Leben. Oh, Genoss(inn)en, die Parolen von
der NICHT - Arbeit, der ARBEITSVERWEIGERUNG etc. kriegen durch die
ÖKOLOGIEBEWEGUNG eine ganz neue, viel tiefer gehende Bedeutung!
Was freut mich das als Uraltsponti. Die Verweigerung der Arbeit,
IHRER Arbeit, wird nicht mehr nur zur politischen Kampfparole im
Betrieb, sondern zu einer Überlebensnotwendigkeit. Die Jugendbewegung
hats angetippt, die Ökologiebewegung zeigt die unausweichliche
Konsequenz: sie brauchen die ATOMKRAFT für FLIESSBÄNDER,
um (z.B. - dies ist für marxistische Leser eingefügt,
darnit's keine Mißverständnisse gibt) AUTOS auch in Zukunft
bauen und benutzen zu können. Und wir leiden dreifach darunter,
werden dreifach vergiftet und verstümmelt, nämlich durch
die ARBEIT, die ENERGIE und den KONSUM. Ein dreifacher Wahnsinn
also, aber auch
DREI GRÜNDE, um sich zu wehren.!
Gerade weil es in dieser Auseinandersetzung nicht mehr nur um 'Vergesellschaftung
der Produktionsmittel', Enteignung der Privateigentümer und
Arbeitermacht als Staatsmacht oder ähnliches geht, sondern
vielmehr der gesamte Zusammenhang von Arbeit und Leben in den spätkapitalistischen
Gesellschaften in Frage gestellt wird. drängt sich die Suche
nach
NEUEN REVOLUTIONÄREN ALTERNATIVEN auf, nach Gesellschaften,
die diesem umfassenden Veränderungsanspruch gerecht werden.
Oder noch schärfer formuliert: unsere Revolution kann auf das
Gegenständlich werden von Utopien in unserem Alltag nicht verzichten.
Die alte, die proletarische Revolution konnte ihre Inhalte noch
schön dreiteilen: in die Politik mit dem großen P, in
den Alltag der Massen und in die feierlichen Utopien von Kommunismus
und der klassenlosen Gesellschaft. Unsere Revolution geht an einer
solchen Trennung zugrunde. Wo finden wir also Erfahrungen, Lebensformen,
Gesellschaften, die solche konkreten Alternativen für uns eröffnen,
von denen wir lernen und in denen wir uns wiederfinden können'?
Die Frauenbewegung stand vor einem ähnlichen Problem. Zu sehr
war die revolutionäre Tradition der Gegenwart eine Männertradition,
und zu lange reichte der Beginn der Männerherrschaft in die
europäische Geschichte zurück, als daß sie sich
an modernen Gesellschaften hätten orientieren können.
Und so stießen die Frauen bei. ihrer Suche nach feministischen
Erfahrungen und Lebensformen nicht von ungefähr auf Gesellschaften
und eine Zeit, die bisher - auch von uns Marxisten - einfach als
primitiv abgetan worden sind. Die Kritik an unserer eigenen Geschichte
und die Ökologiebewegung bringt mich in eine ähnliche
Richtung.
'Was wir brauchen, ist die Durchsetzung eines richtigen Verhältnisses
zum Land und seinen Reichtümern; andernfalls wird auf die Vernichtung
der Indianer die Vernichtung der Natur folgen; und auf die Vernichtung
der Natur folgt dann unsere Selbstvernichtung. Auf ihre Art wußten
die Indianer dies alles seit langem. Ober wahlreiche Generationen
hinweg lernten sie, hier in Amerika in einem Zustand des Gleichgewichts
zu leben; oder, wie ein Christ sagen würde, in einem Zustand
der Gnade. Vielleicht werden wir nunmehr, nachdem wir über
Jahrhunderte hinweg ihre Weisheit ignoriert haben, von den Indianern
lernen." (Aus der Einleitung zu TOUCH THE EARTH, London 1976).
Genau das ist es, was die indianischen und auch andere primitive
Gesellschaften zu einer so wertvollen Erfahrung für unsere
Befreiung machen kann: es sind Gesellschaften, die kein ausbeuterisches
Verhältnis zur Natur zu ihrer Grundlage hatten. Sie haben Natur
und die einzelnen Gegenstände und Lebewesen darin nicht als
Objekte begriffen, deren man sich einfach bedienen konnte, sondern
sahen in ihnen vielmehr gleichwertige Subjekte und sind entsprechend
mit ihnen umgegangen.
Mir ist das von meiner abendländisch marxistischen Warte aus
immer als reichlich viel Aberglauben erschienen. Aber erst aus der
Sicht von Nuklearwaffen, Atomkraftwerken, Plastikkultur und Massenverrücktheit
wird mir klar, wo da die wahren "Primitiven" sitzen, und um wie
viel entwickelter die scheinbar so primitiven Gesellschaften waren.
Gerade das Festhalten dieser primitiven Gesellschaften an einem
direkten und unvermittelten Zusammenhang von Bedürfnissen und
ihrer Befriedigung, ihre Weigerung, mehr zu arbeiten, als ihren
Bedürfnissen entsprach und ihr bewußter Verzicht auf
über Gewalt verfügende Institutionen, die den einzelnen
Individuen entgegengesetzt waren und über ihnen standen, nämlich
den Staat, das alles zeigt uns die enorme Bedeutung dieser "primitiven"
Erfahrungen für unsere Befreiung. "Die primitiven Gesellschaften
sind ...Gesellschaften der Arbeitsverweigerung", schreibt Clastres
in seinem Buch "Staatsfeinde" (S. 186) Gesellschaften also, die
keineswegs zu primitiv waren, um abstrakte Arbeit und den dazu notwendigen
außerökonomischen Zwang einzuführen, sondern die
BEWUSST darauf verzichtet und alles unternommen haben, um eine solche
Entwicklung zu verhindern.
Freilich ist da bei mir auch viel Romantik dabei. Aber wenn man
in Frankfurt in einer Sponti- Wohngemeinschaft lebt, da braucht
man schon viel romantische Phantasie, um nicht auf den entgegengesetzten
Trip zu kommen. Viele Genoss(inn)en oder Leute aus der Jugendbewegung
haben ja schon Erfahrungen in eine solche Richtung gemacht: mit
Landkommunen, freien Schulen und Kindergärten, alternativen
Läden und Werkstätten, mit Wohnkommunen, Meditieren, anderer
Ernährung und all so Zeugs. Und daß das überhaupt
nicht Pazifismus heißen muß und DARF, das hat ja wohl
Brokdorf gezeigt. Aber genauso hat Brokdorf gezeigt, daß diese
Bewegung um den Preis ihres Überlebens auf die alternativen
Erfahrungen angewiesen ist, denn bei der Kernkraft geht's um eine
andere Art zu leben, um eine andere Kultur und sonst nichts. Und
ich meine halt auch, daß genau dieser Zusammenhang, den wir
von primitiven Gesellschaften lernen können, für die ganze
ALTERNATIVLINKE von großer Bedeutung ist: den direkten Zusammenhang
von Bedürfnis und Befriedigung. Und da gerät man dann
schnell an tausend Probleme: was ist an einer Autowerkstatt oder
Druckerei oder Kneipe herkömmlichen Typus eigentlich alternativ?
Wird eine Autowerkstatt nicht erst dann zu einer Alternative, wenn
sie den Genoss(inn)en nicht die Autos repariert, sondern eher kaputtmacht,
damit in unserer Scene die Autos verschwinden? (Bißchen überzogen,
ich weiß, aber ich wollte mal ein drastisches Beispiel bringen).
Wie weit kann eigentlich eine solche Entwicklung innerhalb eines
Stadtzusammenhangs gehen oder geht das nur auf dem Land? Läßt
sich in der Stadt eigentlich dieser ganze Lebens- und Arbeitsrythmus
von uns, der doch sehr der ganzen spätkapitalistischen Zeiteinteilung
ähnelt, durchbrechen? Kannst du in der Stadt ein anderes Verhältnis
zur Natur ausbilden und wenn ja wie? Und so weiter und so weiter.
(Wenn ich ehrlich bin, beantworte ich für mich all die Fragen
mit nein, was aber sicher auch nicht der Weisheit letzter Schluß
ist). Und noch was: gerätst du in der Stadt nicht zu sehr auf
den Gesellschaftsveränderungstrip, was dich zum Kader macht,
und weniger auf die Selbstveränderung, um diese Gesellschaft
überhaupt produktiv angreifen zu können?
Aber gleichwie, Stadt und Land sind trotzdem nur Alternativen für
Einzelne von uns, nicht aber für unsere Bewegung. An bei den
Orten geht es mehr denn je um ALLES! Und "Alles" heißt hier
sehr konkret, daß auch unser Widerstand "Alles" zu sein hat,
nämlich eine umfassende REVOLUTIONIERUNG UNSERES ALLTAGS, der
die große Revolution in unserem alltäglichen Leben praktiziert,
heißt LEBENS- UND ARBEITSALTERNATIVEN, die sich der spätkapitalistischen
Ökonomie RADIKAL (und wie versponnen auch immer) ENTZIEHEN,
sie aber nicht KOPIEREN. Unser Leben darf nie mehr Anhängsel
irgendeiner Form von Politik (P) werden, sondern muß im Mittelpunkt
unserer Befreiung stehen (praktisches Beispiel: die Probleme unserer
Wohngemeinschaften kamen immer erst weit hinter TERMINEN oder gar
Kämpfen; solang das ein solcher Widerspruch bleibt, werden
wir uns weiterhin auf TERMINEN nicht begegnen und uns fremd bleiben
und in unseren Kämpfen wird der Wurm drin sein). Dieses alltägliche
Leben mit seinen Menschen, Ereignissen, Institutionen ist es, wo
IHRE Gesellschaft die Leute am Wickel hat. Denn - und dies ist offensichtlich
- nicht der Hunger treibt sie in die Familie, Schule, Militär,
Fabrik, Büro, Urlaub, Auto etc. Und genau hier will ich mir
wieder aneignen, was mir in den letzten 28 Jahren systematisch abgenommen
Wurde: die ENTDECKUNG UND BEFRIEDIGUNG MEINER BEDÜRFNISSE.
"IHRE Revolution ist vorbei - SIE haben gesiegt." Vor uns liegt
unsere Befreiung (oder auch nicht. ..)
Immerhin, ich bleibe optimistisch, vorerst noch. Ich schau mich
also um, wo's mich hinzieht und stoße dabei in "primitivere"
Zeiten vor.
Tschüß
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