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Befreiung und Militanz-
2. oder WIE MAN SICH IN DER GEWALT VERFANGEN UND BEI DER MACHT
ENDEN KANN
Unser Militantismus hat uns in eine Sackgasse geführt. Ab
einem bestimmten Punkt verselbstständigte sich unser direkter
physischer Widerstand gegen die Bullen von den Inhalten, die diesem
Widerstand zu grunde lagen und in deren Praktizierung es überhaupt
erst zu dieser Konfrontation gekommen ist. Die Erfahrung der Brutalität,
die da auf uns einschlug, verdrängte für viele von uns
das Problem unserer eigenen Gewaltausübung, des Preises, den
wir an die Gewalt zu entrichten hatten, wenn wir uns ihrer in unserem
Widerstand bedienten. Wir Militanten in der Spontibewegung (PUTZGRÜPPLER
etc.) haben dabei im wesentlichen eine ähnliche Entwicklung
durch. laufen, wie die Genossen der Stadtguerilla, nur daß
uns der Zusammenhang und die "pazifistischen" Gegengewichte (ich
sag's hier halt so schlagwortartig, aber es ist nicht so platt gemeint)
unserer eigenen Bewegung an einem endgültigen Umkippen gehindert
haben (in Hamburg waren die Konsequenzen aus der Hausbesetzung in
der Eckhofstraße für die Militanten der direkte Weg zum
militärischen Kampf, zur Stadtguerilla a la Stockholm, weil
es dort keine Bewegung gegeben hat, die die Erfahrung dieser Genossen
mit den Bullen noch zu integrieren vermocht hätte wie in Frankfurt).
Und diese IM WESEN gleichlaufende Entwicklung, diese gleichartige
Verarbeitung von Unterdrückungserfahrungen und Ängsten
bei Spontimilitanten und Stadtguerilla, hat uns dann auch in eine
ähnliche Sackgasse abgleiten lassen, wobei mir, wie gesagt,
die Unterschiede klar sind, am wichtigsten wohl der, daß keiner
aufgrund unserer Aktionen BISHER im Knast sitzt! Was ich aber mit
gleichlaufender Erfahrung meine, ist die Verabsolutierung des BEWAFFNETEN
WIDERSTANDS, des BEWAFFNETEN KAMPFES' Hier entwickelte sich eine
Eigendynamik, die sich zwar noch verbal zu vermitteln suchte, faktisch
aber die Inhalte, um die wir kämpften und die Erfahrungen,
die in diesen Kämpfen jeder und jede einzelne machte, in den
Hintergrund drängte, zu etwas Zweitrangigem machte und schließlich
nur noch leere Worte waren (Bommi schildert das aus seiner Berliner
Erfahrung ganz genau, und auch der 2.Juni und die REVOLUTIONÄRE
ZELLE zeigen uns anhand ihrer Entwicklung, daß je mehr militärischen
Kampf sie machen oder zumindest sich denken, desto mehr geben und
gaben sie Positionen von Massenpolitik auf und wurden sie Soldaten
mit gewaltigem moralischen Anspruch). Und insofern haben auch jene
Genossen recht, die meinen, daß sowohl Stadtguerilla als auch
wir mit unseren Befreiungsversuchen gescheitert sind. Nur mit dem
kleinen aber wichtigen Unterschied - wir Spontis sind dort gescheitert,
wo wir im Militantismus versackten ebenso die Stadtguerilla; wo.
die Inhalte der Jugendrevolte in der Spontiscene (etwa Wohngemeinschaften
etc.) aber lebendig geblieben sind, da kann von einem solchen Scheitern
doch nicht im Ernst die Rede sein. Also: Nicht die Spontibewegung
ist am Ende, wohl aber der Militantismus! - ob bei uns oder im Untergrund.
"Wenn du mit den Bullen kämpfst, kannst du leicht selbst zum
Bullen werden." Über diesen Satz habe ich mir lange Zeit so
gut wie überhaupt keine Gedanken gemacht. Diese Widersprüchlichkeit
unseres gewaltsamen Widerstandes war für mich einfach inexistent.
Wirklich dagegen war die Erfahrung der direkten Konfrontation mit
der staatlichen Gewalt und ihren Schweinen, wirklich war meine Angst
davor und mein Glück und mein Stolz, (jawohl, Stolz) wenn wir's
ihnen mal erfolgreich gezeigt hatten, und wirklich war auch die
Überwindung meiner Angst, indem ich mich dessen bediente, was
ich als Typ so erziehungsmäßig von dieser Gesellschaft
mit auf den Weg bekommen hatte: ich lernte IN der Gewalt zu leben,
mit ihr ERFOLGREICH (? !) umzugehen und mich psychisch total darauf
auszurichten (der Militantismus hat ja' ne richtig kleine Subkultur
hervorgebracht mit eigenem Habitus, Ritualen, Kleidern etc.) Und
damit war alles weitere geklärt. "Wer sich nicht wehrt, lebt
verkehrt!" - Eben, und da ich davor ziemliche Angst hatte, mußte
ich alles in mir mobilisieren, um in, der direkten Konfrontation
standzuhalten. Daß das auf der anderen Seite der Barrikade
genauso abläuft, war mir eigentlich kein Problem. Und wenns
Kritik gab an einer Aktion oder politischen Tendenz hin zur Gewalt,
dann lief die regelmäßig an 'nem mächtigen Schutzwall
auf: "Wie, bitte, wollt ihr euch denn gegen die Bullen wehren? Immer
nur weglaufen und nie zurückschlagen? Was heißt dann
noch Widerstand? Und wie soll's da jemals eine Revolution geben,
wenn wirs jetzt nicht lernen und MACHEN?" Und da zeigte sich der
REVOLUTIONÄR, der Spontimilitante als ein recht doppeIgesichtiges
Wesen. Vorne das lichte Antlitz des heldenhaften Widerstandskämpfers,
hinter dem aber bereits die Fratze des Bullen der zukünftigen
Volkspolizei zum Vorschein kommt. Ja, 'das mein ich ganz im Ernst
und ohne jede Einschränkung. Selbst wenn du den Bullen besiegst,
du hast ihn dann aufgefressen, hast ihn in dir und wirst dann selbst
zum Bullen!
Brokdorf also, der Häuserkampf, der gewaltsame Widerstand
von Unterdrückten in Südafrika oder Chile oder sonstwo
sind dasselbe wie jene brutale Unterdrückung, die von Faschisten
a la Pinochet, von Staatsmaschinen und deren Bullen ausgehen? I
wo, Genoss(inn)en, das könnte ich nicht im Ernst behaupten,
ohne meinen Verstand verloren zu haben. Und ich meine auch nicht.
daß wir wie Opferlämmer uns pazifistisch unterpflügen
lassen sollen. NUR find ich halt, daß wir mit dem MYTHOS DER
REVOLUTIONÄREN GEWALT aufräumen müssen. REVOLUTIONÄRE
GEWALT und BEWAFFNETER KAMPF sind zwei theoretische Begriffe, genau
so wie PROLETARIAT, KLASSENKAMPF, REVOLUTION, etc,. die eigentlich
mehr an wirklicher Erfahrung und Befreiung verdecken, denn daß
sie zu ihrer Überwindung beitragen. Und genauso ist es mit
der revolutionären, mit UNSERER GEWALT. Gerade weil sie uns
diese Gewalt als einzig gangbaren Weg aufzwingen, als Kainsmal ihrer
heruntergekommenen Gesellschaften, die lediglich auf Gewalt beruhen,
dürfen wir uns nicht mehr hinter diesen Begriffen verschanzen,
sondern müssen die konkreten Mechanismen untersuchen, die durch
unseren gewaltsamen Widerstand ausgelöst werden - UM UNS DAGEGEN
WEHREN ZU KÖNNEN. Das wird für Frauen dann sicher zu anderen
Resultaten führen, als für uns Typen: das wird sich für
die auf den Militantismus abgefahrenen Putzniks und Stadtguerillas
anders darstellen als für die Softis aus den Männergruppen;
das heißt was anderes für uns in Westdeutschland, als
für die Genossen in Chile, Südafrika oder auch Portugal.
Ich gehe hier allein von meinen (und meiner Genossen) Erfahrung
aus, einer bruchstückhaften, nur einen Teil der Bewegung erklärenden
Erfahrung, die aber gerade anhand der Verselbstständigung von
revolutionärer Gewalt FÜR ALLE wertvoll sein kann (was
nicht heißt, daß die Erfahrungen GLEICH sind). Und ich
sag's hier laut: spontane Solidarität, ein echtes emotionales
Aufeinandereinflippen, ein Verschwinden von dieser ganzen Termin
kampagnen flugblattkonkurrenz ich kann dich nicht leiden scheiße
habe ich vor allem auf der Straße erlebt (und werd's erleben!),
wenn's richtig schön gebollert hatte oder auch in der Fabrik,
wenn sich da endlich mal was in Richtung Widerstand getan hatte.
Wie wir und ich aber das Ganze dann aufgenommen haben, in unseren
militanten Spontikaderköpfen. da lag und liegt der Hund begraben.
Wir haben die RUSSISCHE ERFAHRUNG (oder auch die chinesische, kubanische
oder vietnamesische) eigentlich immer nur als einen schlimmen Ausrutscher
unter extrem schwierigen historischen Bedingungen in einem isolierten
zurückgebliebenen Land angesehen und erklärt. Wir wollten
damit zwar nichts zu tun haben, wurden von den KP-Kommunisten sogar
gehaßt und verfolgt, aber an unserem Revolutionsbild ist nicht
grundsätzliches ins Wanken geraten. Mir zumindest ging es so.
Aber den Stalinismus, die Menschen vernichtende Gewalttätigkeit
jenes REALEN Sozialismus mit meinem eigenen Widerstand in Zusammenhang
zu bringen und daraus zu lernen, das. wäre mir nicht im Traum
eingefallen! Erst Glucksmanns Buch "Köchin und Menschenfresser"
hat da bei mir was zum Umkippen gebracht. "Die Lüge der UdSSR
ist nicht auf einem anderen Erdteil gewachsen. ES IST UNSERE LÜGE
(Hervorhebung von mir). Der sowjetische Funktionär kommt aus
unserer Familie." (S.163) Unsere Lüge - genau das ist es! Diese
Lüge trifft jeden Militanten, jeden Revolutionär, solange
er jenes eherne Gesetz aller bisherigen Revolutionstheorie nicht
ausspuckt: die proletarische Revolution kann nur eine bewaffnete
sein. Damit haben wir die bürgerliche Gesellschaft in ihrem
Kern gefressen, in uns aufgenommen, nämlich ihr
ZW ANGSVERHÄLTN[S, das sie zwischen ihren einzelnen Mitgliedern
hergestellt hat. Dieses Zwangsverhältnis schreit nach Gewalt
von oben, auch wenn sie im Mantel der klassenlosen Gesellschaft
einhergeht und die Menschheitsbefreiung verheißt, es schreit
nach dem "neuen" Staat als Organisationsform dieser Gewalt und nach
seinen Funktionären, den "sozialistischen" Schweinen. "Dieser
Stalin, den großen Begründer allen Nicht-Widerstandes
gegen den Staat, haben wir alle irgendwie in den Knochen. Wie er,
zweifeln wir an der Köchin."
(S. 165) Dazu habe ich, ehrlich gesagt, keine Lust mehr.
Die revolutionäre Gewalt von uns legitimiert sich nicht aus
der Gewalt der Bullen, der Reaktionäre und Faschisten, sondern
einzig und allein aus der Befreiung VON Gewalt, die sie UNMITTELBAR
und UNTEILBAR für ALLE hervorbringt, ist also immer WIDERSTAND
nach außen und darf niemals
zur MACHT (und sei's nur in den zartesten Ansätzen) nach innen,
in die Bewegung und in uns selbst hinein werden. Und genau dies
habe ich in der V ergangenheit nur allzuoft vergessen. Dies spricht
nicht gegen all die zahlreichen Formen des direkten und auch bewaffneten
Widerstandes von uns und anderen Unterdrückten. Wohl aber spricht
es gegen jegliche Form von Militarisierung, von wirksamerer "Gewalttechnologie"
, wie sie auch und gerade bei der radikalen Linken zu hause ist,
von zentralisierten Strukturen, von Führung und Geführten,
von Befehl und Unterordnung (und sei's nur, indem MANN auf der Straße
militante Fakten schafft, ohne noch auf das Problem der 2/3 "Angsthasen"
einer Demonstration einzugehen, weil deine eigene Angst dir die
Sensibilität dafür genommen hat), Auf der Ebene menschen-
und lebensvernichtender
Gewalt ist uns die alte Gesellschaft allemal überlegen. Woraus
wir unsere Stärke beziehen, ist eben mehr als bloße Gegengewalt:
es ist die konkrete Durchsetzung gewaltfreier Lebens- und Verkehrsformen,
die sich allerdings zu wehren wissen, ohne auf die alten Mechanismen
wieder hereinzufallen. Alles andere kann man vergessen. Ein neues
Verhältnis zur Gewalt werden wir aber nur dann jenseits dieses
unüberbrückbaren Grabens von Militantismus und Pazifismus
finden, wenn wir endlich nicht nur den äußeren Bullen
attackieren und dort Widerstand leisten, sondern noch viel mehr
den INNEREN Bullen in uns! Da glaube ich, sollten wir uns mal auf
einige psychische Straßenschlachten einlassen, weil's mir
scheint, daß wir dadurch weiterkommen werden. Im Widerstand
gegen diese Orgie von Gewaltsamkeit, die da Spätkapitalismus
heißt, brauchen wir eine irre SENSIBILITÄT für Unterdrückung,
wenn wir ÜBERLEBEN und unsere Revolution ER- LEBEN wollen.
Und die Erlangung dieser Sensibilität bedeutet selbst eine
Revolution, denn -zumindest bei mir -steht zwischen dieser Einsicht
und ihrer Verwirklichung ein Monster, der Kapitalismus in mir, meine
Erziehung, meine Bedürfnisse, meine Strukturen, Sexualität
etc. Anders wird's aber wohl nicht gehen.
"Die Ziele und die Methoden des Kampfes sind verschieden, je nachdem
um welche dieser bei den Ebenen es sich handelt. Ziele, wie ,Brot,
Frieden, Freiheit' erfordern die Existenz politischer Organismen,
die auf dem Felde der Kräfteverhältnisse auftreten und
also Kräfte zusammenfassen, die Blöcke bilden. Diese Organisationen
haben die Pflicht, ,repräsentativ' zu sein, die Kämpfe
zu koordinieren und für sie eine Strategie und eine Taktik
vorzuschlagen, während der Kampf gegen den ,MIKROSKOPISCHEN'
FASCHISMUS (Hervorhebung von mir), den der sich im Schoße
der ,Wunschmaschinen' aufbaut, nicht über die Vermittlung von
,Delegierten', von Rerpäsen tanten und von Blöcken, deren
Identität ein für allemal festliegt, gef ührt werden
kann. Der ,Feind' wechselt sein Gesicht: es kann der Verbündete
sein, der Genosse, der Verantwrotliche oder sogar man selbst. Nie
kann man sicher sein, daß man nicht zum einen oder anderen
Zeitpunkt einer bürokratischen oder prestigeorientierten Politik
verfällt, einer paranoischen Interpretation, einer UNBEWUSSTEN
kOMPLIZENSCHAFT MIT DEN ETABLIERTEN MÄCHTEN, EINER VERINNERLICHUNG
DER REPRESSION ." (Deleuze u.a. Antipsychiatrie und Wunschökonomie,
Merve Bd. 59, S.12)
Genau darum geht es mir, um diese UNBEWUSSTE KOMPLIZENSCHAFT MIT
DEN ETABLIERTEN MÄCHTEN, um diese VERINNERLICHUNG DER REPRESSION.
Wir haben uns als Militante im wesentlichen durch die herrschende
Gewalt, ihre Brutalität und ihr Ausmaß bestimmt; durch
die fand sich unser Widerstand fast automatisch begründet und
an ihr hat sich unser Erfolg gemessen, Nur deshalb konnten wir unser
Handeln, unsere Gewalt ausschließlich mit BEFREIUNG identifizieren,
während wir selbst schon in die Fänge der MACHT geraten
waren, und zwar bis in unsere hintersten psychischen Winkel hinein.
Daß das bei uns alles nicht so durchsichtig ist, liegt an
unserer eigenen Unterentwicklung, aber die Tendenzen der UNBEWUSSTEN
KOMPLIZENSCHAFT MIT DEN ETABLIERTEN MÄCHTEN sind dennoch ausmachbar.
Ich denke dabei an Extremfälle aus dem militanten Untergrund,
der nun wirklich teilweise schon Polizeizüge angenommen hat:
etwa die Versuche von bestimmten Leuten, das Erscheinen vom Bommi-Buch
zu verhindern, weil's Verrat gewesen sein sollte (es wurde dann
von den Bullen IM AMTE beschlagnahmt!); oder des Dr. Croissants
einstweilige Verfügung gegen das Erscheinen des Ulrike-Buchs
von Peter Brückner, was der staatlichen Zensur noch vorgreift!!!
Extremfälle, gewiß, und trotzdem nicht sehr weit von
einer bestimmten Politik des Militantismus entfernt.
Es geht also nicht um den pazifistischen Abgesang eines ehemaligen
Kriegshäuptlings, sondern darum, daß wir ein neues Verhältnis
zu unserer und zur reaktionären Gewalt finden, ohne wenn und
aber. Ein Verhältnis, das sich einzig und allen - und ich wiederhole
es nochmals, weil's mir so wichtig erscheint an der BEFREIUNG VON
GEWALT HIER UND JETZT UND OHNE EINSCHRÄNKUNG mißt und
uns ermöglicht, den Kapitalismus in uns anzugreifen und daraus
neue Lebensmöglichkeiten zu erschließen, Freiheit und
Glück zu eröffnen. Erst dann wird unsere eigene Gewalt,
wenn sie wirklich nicht mehr zu umgehen ist, unsere Züge nicht
mehr verzerren, weil wir dann so unter ihr leiden werden, daß
unser Widerstand gegen die herrschende Barbarei sich auch unmittelbar
gegen seine eigenen barbarischen Wesenszüge richten wird.
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