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RZ / Rote Zora

Vorstoß in Primitivere Zeiten

Daß zur Zeit nichts läuft, nichts mehr geht, ist wohl DIE Erfahrung von uns Spontis in Frankfurt Ende des Jahres 1976. Die eigene Bewegung total kaputt, Klassenkämpfe gar nicht oder nur sehr zart abzusehen oder ansonsten ein gnadenloser Klassenkampf von oben: Stammheim, Sondergesetze, Polizeiterror , Berufsverbote, Ruhe in den Fabriken, Rechtsruck bei den Wahlen und das "Modell Deutschland" für den Rest der Welt. In einem Wort: DIE REPRESSION (pflegen wir Spontis und auch andere Linke dazu zu sagen) "tobt sich aus". Und wir - wir stehen wehrlos daneben, von einem Gefühl der Hilflosigkeit und ohnmächtiger Wut durchdrungen, sehen, was sich da Tag für Tag vor unseren Augen abspielt und bringen uns einfach nicht mehr hoch, um Widerstand zu leisten. Daß diese politische und existentielle Querschnittslähmung allerdings von jener staatlichen Repression herrührt, halte ich für einen bösen Trugschluß und das Starren auf und das sich Verbeißen in diese Repression macht meines Erachtens selbst einen Teil dieser Lähmung aus. Denn bevor die (unbestrittene) Repression in dieser Form wirken konnte, daß heißt, daß sie nur Ohnmacht und Wut und letztendlich Resignation bei den Betroffenen hervorruft und keinen massenhaften Widerstand, mußte doch in dieser Jugendbewegung, bei uns Spontis irgend etwas kaputtgegangen sein, was uns die Kraft zum Kämpfen langsam genommen hat.

Ich will hier nicht verschweigen, daß diese Überlegungen sich sehr konkret auf die Erfahrungen nach dem bewußten Montag (nach Ulrikes Tod) beziehen und auf die zahlreichen, teilweise sehr kontroversen Diskussionen innerhalb und außerhalb unserer Scene. Damals genau hatte uns DIE REPRES SION am Wickel, und es hätte nicht viel bedurft, damit wir daran endgültig kaputtgegangen wären (mit Einzelheiten kann ich hier leider nicht dienen). Eine These will ich aber in diesem Zusammenhang vorweg klar aussprechen (und auch in der Römerbergrede wurde das schon angetippt): JE MEHR WIR INHALTLICH ALS REVOLUTIONÄRE BEWEGUNG KAPUTTGEGANGEN SIND, DESTO MEHR SIND WIR AUF DEN MILITANZ- UND GEWALTTRIP GEKOMMEN. Und daß wir in der Vergangenheit sehr das Gewicht auf Militanz und sowenig auf die kaputtgehenden Inhalte einer Revolutionierung unseres Lebens gelegt haben, genau darin liegt meines Erachtens eine Hauptursache für dieses verdammt resignative Wirken der Repression. Und daß das der anderen Seite nur Recht sein konnte, ist allzu offensichtlich: je mehr unser Kampf ein militärischer, ein bewaffneter wurde, (und sei er auch noch so subjektiv begründet) desto einfacher wurde es, mit dieser Bewegung fertig zu werden, Denn auf diese Form des Kampfes versteht sich die Reaktion nun mal ausgezeichnet - es ist ihr Wesen.

Aber später davon reichlich mehr. Ich hab das hier nur vorweggenommen, um damit aufzuzeigen, daß wir, wenn wir aus dieser Leidens- und Ausflippsituation gegenüber der Repression rauskommen wollen, uns wohl eher mit den über die Jahre hinweg VERLOREN- oder KAPUTTGEGANGENEN Inhalten unserer Bewegung auf radikale Weise auseinandersetzen müssen, als noch weiterhin wie die Kaninchen auf die Schlange REPRESSION zu starren. Und daß wir uns mit unserer eigenen Bewegung, mit uns selbst und unserer Identität, wie sie sich in dieser Bewegung entwickelt hat, auf RADIKALE Weise auseinandersetzen müssen (und nur dies ist einem Revolutionär angemessen, ähem!), dies scheint mir auch besonders hervorhebenswert zu sein. Denn viele (von den wenige übriggebliebenen) Genoss(inn)en hängen noch sehr an der Vergangenheit, an der Betriebsarbeit, an den Kampagnen, Flugblättern, Terminen, Kämpfen und geordneten Weltbildern der alten Tage unserer Spontizeit (ist gar nicht zynisch gemeint, war ja auch sehr schön, wenn man zurückdenkt).

Sie begreifen diese Entwicklung, wie sie gelaufen ist, irgendwie als Verlust und diskutieren deshalb nur allzuoft in einer Art und Weise, als wenn man lediglich herausfinden müßte, wie sich diese Spontibewegung wiederbeleben ließe, OHNE - und hierin liegt der Unterschied - von liebgewordenen Grundsätzen, oder stärker noch: von vielem, woran Mann und Frau emotional wahnsinnig hängt, was Mann und Frau unter wahnsinnigen Ängsten und Kämpfen und Krämpfen (etwa die MILITANZ) mühselig herausgebildet hat, sich zu lösen und mit Kopf, und Gefühl einen neuen Kampf aufzunehmen, und das heißt auch, gegen sich selbst, gegen seine alte Militantenidentität.

Die Vorstellung von der PROLETARISCHEN REVOLUTION und alles, was für uns praktisch an Betriebsarbeit und Intervention bis hin zu den kleinen Zentren dran hing, ist in unseren Köpfen recht dünn geworden oder hat sich ganz aufgelöst. Andererseits halten wir aber wie an einem "ehernen Gesetz" an unserer Erfahrung, unserer Vorstellung von Widerstand, ja von bewaffnetem Kampf fest. Ein, aber auch nur ein entscheidender Punkt ist dabei sicher die existentielle Identifikation mit der Stadtguerilla und den Genossen im Knast, und so kommt es nicht von ungefähr, daß an diesem Punkt jede radikale Selbstkritik bisher noch zur TRENNUNG des jeweiligen Genossen oder der Genossin von der Spontibewegung geführt hat. An diesem Punkt denken wir nicht mehr radikal (d.h. gerade, indem wir eisern daran festhalten, meinen wir, wir seien radikal, wobei mir da immer mehr Zweifel kommen) selbstkritisch, sondern machen ein Dogma, ein Denk- und Kritikverbot daraus, etwa nach der Art: "Also wer so denkt, da hörts aber auf, da verläuft nun wirklich die TRENNUNGSLINIE!" Und so versuchen wir, an den Gebrechen der Spontibewegung herumzudoktern, ihr neues Leben einzuhauchen, indem wir überlegen, wo Gewalt gerechtfertigt ist, wo sie wieder eine Massenbasis bekommt, wie wir unseren Zorn loswerden können, ohne dabei kaputtzugehen, etc. pp. Und gleichzeitig fühlt doch jede und jeder, daß wir so überhaupt nicht weiterkommen, weil wir damit einen Leichnam nicht zum Leben erwecken können (Leichnam ist ein bißchen stark, NOCH LEBEN WIR GENOSS(INN)EN, aber hier stimmts als Bild). Andere Bewegungen haben uns schon längst überholt in ihrer Radikalität (und spätestens dann müßten wir doch mit unserer revolutionären Identität in Widerspruch geraten, anstatt zu versteinern) , haben Inhalte unserer Bewegung aufgenommen und weitergetrieben und uns bleibt nur noch die Erinnerung an das, was war .50 sind wir - gewiß, die einen mehr, die anderen weniger, und ich fühl mich besonders stark so allesamt zu Veteranen geworden, denen es zur Zeit ziemlich dreckig geht, und die glauben, an der Wirklichkeit ersticken oder ausflippen zu müssen.

Aufgrund dieser Erfahrungen komm ich halt immer mehr zu der Überzeugung, daß wir unseren Veteranenstatus nur dann überwinden werden, wenn wir aus dieser Sackgasse des MILITANTISMUS rauskommen, indem wir ihn selbst radikal in Frage stellen (das ist nun sicher nichts Neues und wurde von zahllosen Genoss(inn)en bereits organisiert oder individuell vollzogen. Ich mein damit lediglich, daß jetzt auch für uns, das letzte Häuflein Aufrechter, die Stunde zur Einkehr gekommen ist.)

Was ist denn, wenn erstens die Sache mit der proletarischen Revolution gegessen ist, wie wir sie uns immer vorgestellt haben: Arbeiterfäuste, Barrikaden, Streiks; GENERALSTREIK, RÄTE, BARRIKADEN, Pulverdampf und Freiheitsglanz, etc. (kann ja sein, daß von allem a la Mai 68 noch etwas dabei ist, nur daß es eben eine ganz andere, viel unwesentlichere Bedeutung hat)? Was ist, wenn damit zweiten die FÜHRENDE ROLLE DES PROLETARIATS in eben dieser Revolution dahin und dieses Proletariat selbst bis zur Unkenntlichkeit verändert ist? Und was wird dann aus unserem Allerheiligsten, dem BEWAFFNETEN KAMPF, was stimmt noch an jener revolutionären Hauptweisheit, daß die Revolution in den Metropolen, also bei uns in England, Frankreich, Italien, USA etc. eine bewaffnete sein wird, daß nur so die Bourgeoisie vertrieren und die FRÖHLICHE ANARCHIE entstehen wird? Und

schließlich ein ganz gewagter Gedanke (auch bereits älteren Datums, aber für uns neu): was, wenn die Revolution so, wie wir sie aus der Geschichte oder aus der Dritten Welt kennen, überhaupt NIE MEHR kommen wird, schlichtweg ÜBERHOLT ist, der VERGANGENHEIT angehört und was ganz anderes vonnöten ist? ? ? ?

Da hörts aber auf! Eben ist Schluß! Dann können wir ja gleich die Hände in den Schoß legen, uns ein schönes Eckchen suchen oder im Libanon oder im Main verschwinden. ..- Eben net, Genoss(inn)en. Je mehr ich darüber nachdenke, und der ganze Mist über einem zusammen- und hereinbricht, und wir nicht mehr sehr viel zu verlieren haben, desto mehr komm ich zu der Überzeugung, daß das gerade Gegenteil der Fall ist und wir, bittschön, mal ganz radikal gegen uns selbst werden. Wie sagte doch weiland Karl Marx, der große Denker: "Wir haben nichts zu verlieren, als unseren Frust und eine Welt zu gewinnen" - nur zu wahr!

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