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RZ / Rote Zora

  Neue Folge - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 345 / 26.8.1992

Noch einmal: Entebbe

Die Entführung eines Passagierflugzeugs nach Entebbe (Uganda) im Sommer 1976 war im letzten halben Jahr Anknüpfungspunkt für Polemiken, in denen nicht nur der Antisemitismus der Linken gegeißelt wurde, sondern auch das linke Verständnis von Antiimperialismus gründlich unter die Räder kam.

Zur Erinnerung und zum Nachschlagen: Im ak 338 (13. Januar) dokumentierten wir eine Stellungnahme anonymer Autoren, die sich als "Revolutionäre Zellen" bezeichneten. In der gleichen Ausgabe gab es Kommentare von Mehrheit und Minderheit unserer Redaktion. - Im ak 339 (10. Februar) vertieften jw. und Be. das Thema auf ihre Weise mit einem Rundschlag gegen den "linken Antizionismus" im Allgemeinen und frühere Sünden des ak im Besonderen. Dazu gehörte die Reaktion auf Entebbe im ak 84 (13. Juli 1976). - Im ak 341 (8. April) polemisierte Ulrich, der sich ansonsten der Minderheit zurechnet, gegen den "modischen Anti-Antizionismus in der radikalen Linken", speziell gegen den Artikel von jw. und Be. - Hierauf antwortete wieder Be. im ak 342 (6. Mai). - Im ak 344 (1. Juli) dokumentierten wir auf Wunsch der Minderheit eine weitere "Erklärung der Revolutionären Zellen", die ausgehend von Entebbe zum "linken Antizionismus" und von dort zu schillernden Sprechblasen wie der "grundlegenden Debatte über die Neubestimmung linksradikaler Politik" reichte.

Zu den genannten Texten sollten, sofern Interesse an dieser Debatte besteht, noch einige weitere hinzugenommen werden: Im ak 329 (8. April 1991) beschäftigte sich max. von der Minderheit recht ausführlich mit früheren Äußerungen des ak und des KB zu Israel, vor allem aus dem Zeitraum 1972-1976. - Aufschlußreich ist außerdem das meiste, was an einschlägigen Debattenbeiträgen während des Golfkriegs im ak publiziert wurde, also etwa im Zeitraum Januar bis April 1991. - An ak-Artikeln, in denen der Antiimperialismus mit dem Bade ausgeschüttet wurde, sind zu nennen: U.K. (Minderheit) in ak 327 (11. Februar 1991) und cl. in ak 344 (1. Juli 1992). Kritisch setzte sich mit dieser Tendenz he. in ak 328 (11. März 1991) auseinander.

Über die Reaktion in ak 84 auf Entebbe schrieben jw. und Be. (ak 339, S. 35): "Die Geiselaffaire wurde zum Anlaß genommen, so richtig grundsätzlich mit Israel abzurechnen. Mit keinem Wort dagegen ging der Text auf die Problematik der immerhin von deutschen Linken mitgestalteten Entführung und Selektion ein. (...) Dies ist um so verwunderlicher, als der KB ansonsten durchaus auch schon damals der kritischen Diskussion verschiedenster linksradikaler Politikansätze und Aktivitäten, auch des bewaffneten Kampfs, sehr aufgeschlossen gegenüberstand."

Der erste Satz geht, wie noch dargelegt werden soll, an Inhalt und Sinn des Artikels vorbei. Nur ganz am Rande nämlich beschäftigte sich dieser mit Israel, primär jedoch mit den westdeutschen Reaktionen auf den israelischen "Befreiungsschlag" und deren Implikationen.

Zutreffend ist hingegen die Feststellung, auf die Problematik der Aktion sei nicht eingegangen worden. Der Artikel begnügte sich damit, der "bürgerlichen Presse" und den "imperialistischen Politikern" der BRD das moralische Recht zur Verurteilung der Flugzeug-Entführung abzusprechen. Das wurde mit Beispielen wie dem Schweigen zu Massakern in Südafrika und im Libanon begründet.

Daran wird deutlich, daß wir sehr wohl Probleme mit der konkreten Aktion hatten, denn andernfalls hätten wir sie explizit gerechtfertigt. Was wir "richtig" fanden, mußte im ak "gegen die Bourgeoisie" verteidigt werden, da gab es für uns keine Schonung. Im Fall Entebbe kam das für uns nicht in Frage. Wir wollten aber - entsprechend unserem damaligen radikalistischen Politikverständnis - dennoch unbedingt vermeiden, mit den Wölfen zu heulen. Dies um so mehr, da die deutsche Hetze in diesem Fall extrem war, rassistisch durchgefärbt war und offen die eigenen aggressiven Absichten erkennen ließ. (Der Artikel in ak 84 zitierte zahlreiche Beispiele.)

Die Schärfe bei jw. und Be. liegt zweifellos in der Behauptung, unser Schweigen zu den politischen und moralischen Problemen der Entebbe-Aktion habe nicht unserer sonstigen damaligen Verhaltensweise entsprochen. Gemeint ist offensichtlich: nur weil die Opfer Juden waren, schwieg der ak. Quod erat demonstrandum. Das wäre Antisemitismus pur, und jedes weitere Wort wäre überflüssig.

Die Dinge lagen jedoch anders. Es ist erstaunlich und bedauerlich, daß jw. und Be. bei ihrer Arbeit im ak-Archiv nicht bis zum Herbst 1972 durchgedrungen sind. Dort hätten sie in ak 22 (Oktober) und 23 (November) Äußerungen und Auseinandersetzungen gefunden, die beim Artikel in ak 84 gewissermaßen mitgedacht werden müssen.

Ein palästinensisches "Kommando" hatte während der Olympiade in München israelische Sportler als Geiseln genommen, um die Freilassung von Gefangenen in Israel zu erzwingen. Beim Sturm der Polizei auf die Hubschrauber in Fürstenfeldbruck kamen alle Geiseln ums Leben. Von den Terroristen erschossen, behaupteten die deutschen Stellen. Dagegen die israelische Version, die erst kürzlich wieder publik gemacht wurde: zumindest einige der Sportler seien von deutschen Polizisten getötet worden.

Wie war die Sache "einzuschätzen", oder praktisch gefragt: wie sollte die Reaktion von KB und ak aussehen? Die Stimmungsmache gegen die Palästinenser war enorm, in der BRD wurden ihre Organisationen GUPS und GUPA unter Verbot gestellt. Teile der Linken, vor allem die DKP, aber auch die Vorläufergruppen des KBW und der Münchner Arbeiterbund, sprachen sich scharf gegen die Aktion aus. Uns erschien es unter diesen Umständen vor allem wichtig, "gegen den Strom zu schwimmen".

Heraus kam folgender Eiertanz: "Wir halten es für schwierig und auch für unrichtig, aus der Sicht der westdeutschen Kommunisten zu beurteilen, ob eine bestimmte Handlung von Palästinensern nützlich für deren Kampf oder ob sie schädlich ist. Wir können ohne weiteres einschätzen, daß die Revolutionäre des ,Schwarzen Septembers` durch ihre Münchner Aktion der westdeutschen Kapitalistenklasse geholfen haben, die Massen zu verwirren, nationalistische Stimmungen zu schüren und eine Schein-Rechtfertigung für den weiteren Ausbau des Staatsapparats zu finden. Wir verstehen aber auch, daß die palästinensische Revolution auf diesen Gesichtspunkt kaum Rücksicht nehmen kann.

Wir können ohne weiteres sagen, daß wir für unseren Kampf ein Vorgehen wie das des ,Schwarzen September` in München nicht für vertretbar halten; normale Bürger eines imperialistischen Staates als Geiseln festzuhalten, scheint uns weder moralisch vertretbar noch politisch sinnvoll.

Wir verstehen aber, daß die Palästinenser die Dinge anders sehen könnten. Wo es um den Kampf gegen die zionistische Eroberungspolitik geht, um die Befreiung hunderter von politischen Gefangenen, um das Schicksal hunderttausender Flüchtlinge in den Lagern, mögen moralische Bedenken um das Schicksal von einem Dutzend israelischer Sportler in den Hintergrund treten. Zumal die Revolutionäre des ,Schwarzen Septembers` mit Recht betonen, daß sie am Tod der israelischen Sportler natürlich nicht interessiert waren, sondern daß diese als Geiseln nur lebend nützlich sein konnten ...".

Nach noch einigen weiteren Einerseits und Andererseits hieß es abschließend: "Ob damit die Aktionen solcher Gruppen unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte - besonders der internationalen Auswirkungen - politisch sinnvoll und gerechtfertigt sind, vermögen wir allerdings nicht zu beurteilen."

Im ak 23 veröffentlichten wir drei Kritiken an dieser Stellungnahme - zwei von Genossen, eine von Göttinger KBW-Sympathisanten -, zusammen mit einer redaktionellen Antwort. Grundsätzlich beharrten wir darauf, daß es ein Gebot der "Ehrlichkeit und Verantwortung der Kommunisten vorm Proletariat" (ja, so geschwollen drückten wir uns damals gern aus) sei, in noch nicht hinreichend untersuchten und diskutierten Fragen "unser gegenwärtiges Unvermögen zu einer gründlichen Antwort einzugestehen und die uns zugänglichen Ansätze zur Lösung des Problems darzustellen. Wir meinen, daß die Einschätzung von bestimmten Kampfhandlungen ausländischer Revolutionäre in der Regel zu diesen von uns nicht zu beantwortenden Fragen gehört."

Vergegenwärtigt man sich, daß der KB damals erst etwa ein Jahr existierte, so möchte ich unsere damalige Zurückhaltung auch im Rückblick nicht als unbegründet beurteilen. Es ging uns ja zu keinem Zeitpunkt darum, irgendeine ausländische Partei auf den Sockel der Unfehlbarkeit zu stellen. Wir wollten aber auch nicht unsere sehr begrenzten politischen Erfahrungen und unsere spezifische, deutsch und mitteleuropäisch geprägte Sichtweise zum Maß aller Dinge machen. Wir haben daher erst im Laufe mehrerer Jahre und zumeist sehr zaghaft damit begonnen, Kritik an Bewegungen und Organisationen außerhalb der BRD zu entwickeln. Besondere Zurückhaltung herrschte im Verhältnis zu Organisationen, mit denen wir "freundschaftliche Beziehungen unterhielten".

In vorsichtigen Formulierungen war unseren Ausführungen in ak 22 und 23 immerhin zu entnehmen, daß wir den Fedayin-Mythos des Volkskriegs und des bewaffneten Kampfs nicht teilten: Es liege auf der Hand, daß von einem Volkskrieg gegen Israel überhaupt nicht die Rede sein könne, da die Palästinenser dort nur eine Minderheit seien. Anders sei es in den besetzten Gebieten, aber das eigentliche Ziel, nämlich "die Schaffung eines demokratischen Staates von Arabern und Juden", könne nicht in den besetzten Gebieten erkämpft werden. Überhaupt sei der Gedanke unrealistisch und perspektivlos, Israel durch Kommando-Aktionen militärisch schlagen oder auch nur schwächen zu können. (ak 23)

Exkurs:
Die "Zerschlagung Israels"

In der Debatte um linken Antisemitismus wurde mehrfach mit besonderer Empörung zitiert, daß im AK sogar die "Zerschlagung des Staates Israel" gefordert worden sei, was doch fast einem zweiten Holocaust gleichkommen würde. Selbst gestandene Alt-KBler taten plötzlich so, als wüßten sie überhaupt nicht mehr, was für uns damals - in Anlehnung an Lenin - der Begriff "Zerschlagung des (bürgerlichen) Staates" politisch bedeutete, und daß dies per se rein gar nichts mit militärischen Kategorien zu tun hatte, schon gar nicht mit Massenvernichtung.

In der Erklärung der KB-Leitung zum arabisch-israelischen Oktoberkrieg 1973 hieß es: "Eine Lösung des Konflikts ist nur möglich, wenn der zionistische Staat Israel zerschlagen wird, wobei jedoch die Existenz des hebräischen Volkes in dieser Region respektiert werden muß. Der KB unterstützt wie in der Vergangenheit alle Vorschläge und Pläne, in Palästina einen sozialistischen Staat zu schaffen, in dem Palästinenser und Hebräer gleichberechtigt zusammenleben werden. Eine solche Lösung setzt u.E. voraus, daß sich soziale Umwälzungen in der gesamten Region vollziehen und die hebräische Bevölkerung Israels am antizionistischen Kampf teilnimmt. Insbesondere sind Erfolge gegen den Zionismus davon abhängig, daß die gegenwärtigen bürgerlich-nationalistischen Regime der arabischen Staaten, deren Innenpolitik z.T. faschistoid ist wie in Libyen - durch volksdemokratische Regierungen ersetzt werden...".

Hinzugenommen werden muß folgende Erläuterung aus ak 34 (Oktober 1973): Zerschlagung des zionistisches Staates "bedeutet nicht, ,die Juden ins Meer werfen`, wie nationalistische arabische Fanatiker vor 1967 formulierten. Es bedeutet nicht die Vertreibung der annähernd drei Millionen Hebräer aus der Region. (...) Zerschlagung des Staates Israel bedeutet Beseitigung des pro-imperialistischen, nationalistischen und expansiven zionistischen Staates, und bedeutet Schaffung eines demokratischen Staates, in dem Araber und Hebräer gleichberechtigt zusammen leben werden. Die Schaffung eines solchen Staates ist selbstverständlich unmöglich ohne die aktive Beteiligung der hebräischen Bevölkerung, insbesondere der Arbeiterklasse, an diesem Kampf."

Befremdlich wirkt in diesen Ausführungen der Begriff "Hebräer" statt etwa "jüdische Israelis". Wir hatten damit auszudrücken versucht, daß es sich um eine eigene Nationalität handelt, und nicht nur um eine religiöse Gruppe, was mit dem Begriff "Juden" zumindest offengehalten, nach damaligem Verständnis der PLO sogar vorausgesetzt wurde. Im übrigen wird man, falls man will und sich die Mühe macht, feststellen, daß unsere damalige "Positionsbestimmung" - für einen bi-nationalen, sozialistischen Staat - sich nicht wesentlich von der gleichzeitigen Programmatik israelischer Neuer Linker wie Matzpen und vieler anderer jüdischer Sozialisten unterschied.

Ob das alles wirklich völlig falsch war, wäre noch zu diskutieren. In der ersten RZ-Erklärung (ak 338) steht der bemerkenswerte Satz: "Wo zwei ethnische Gemeinschaften Ansprüche auf dasselbe Stück Land erheben, gibt es keine revolutionären Lösungen." - Die Gegenthese könnte lauten, daß es in einer solchen Situation eigentlich nur eine revolutionäre Lösung geben sollte, nämlich das gleichberechtigte Zusammenleben beider Gemeinschaften in diesem umstrittenen "Stück Land", was aber bereits eine andere Art von Gesellschaft voraussetzt, die von beiden Teilen gemeinsam erkämpft und geschaffen werde müßte. Zumindest ist das der alte sozialistische Traum. Wo läge die Alternative? Selbst eine Teilung des Landes Palästina/Israel zwischen den beiden Gemeinschaften würde zwei bi-nationale Staaten schaffen, das Problem also in gewisser Weise nur verdoppeln. (Schon heute sind annähernd 20 % der Bewohner Israels, ohne die besetzten Gebiete, Palästinenser!)

Es ist im übrigen eigentlich nicht zu übersehen, daß unsere damalige "Positionsbestimmung", wie oben zitiert, in allen wesentlichen Punkten total konträr zur Programmatik der PLO-Charta stand. Sinngemäß besagt diese nämlich: Palästina (einschließlich des Territoriums von Israel) ist Teil der arabischen Nation. Die Juden haben dort, soweit überhaupt, nur Minderheitenrecht als religiöse Gruppe zu erwarten. Die Charta läßt sogar offen, Juden, deren Vorfahren nicht schon zu einem bestimmten Datum im Land ansässig waren, das Heimatrecht dort abzusprechen. Das "befreite Palästina" soll eindeutig ein arabischer Staat sein, kein arabisch-jüdischer, bi-nationaler Staat. Dementsprechend wird als Subjekt der "Befreiung" nur die palästinensisch-arabische Gemeinschaft begriffen, nicht aber in gleicher und gleichberechtigter Weise auch die jüdischen Israelis. (Realpolitisch stellt die PLO-Charta längst einen Anachronismus dar, d.h. sie bildet keineswegs die Grundlage der PLO-Politik, und das schon seit Mitte der siebziger Jahre. Dennoch fehlte bis heute die Entschlußkraft zu einer programmatischen Revision.)

Aufgrund der genannten Programmatik der PLO, und weil offensichtlich die sozialrevolutionäre Komponente des Kampfes nicht vorgesehen war, hatten wir bis weit in die siebziger Jahre hinein Schwierigkeiten, uns überhaupt positiv auf die PLO zu beziehen. Statt dessen versuchten wir engere politische Beziehungen zur PFLP zu unterhalten, was rückblickend betrachtet allerdings auf großer Unkenntnis und Naivität beruhte, damals aber aufgrund einiger "klassenkämpferischer" Aussagen (die auch die jüdische Arbeiterklasse Israels einbezogen) plausibel erschien. Das Image der PFLP (und der DPFLP, Demokratische Volksfront) als linksradikaler Flügel des palästinensischen Spektrums ging vor allem auf ihre Rolle bei den Kämpfen in Jordanien im September 1970 zurück. Die Meinung war, daß diese beiden Organisationen, im Gegensatz vor allem zur Fatah, die Aufgabe des sozialrevolutionären Kampfs gegen die reaktionären arabischen Regimes konsequent und auf sozialistische Weise angingen. (z.B. Bildung von Sowjets)

"Krieg gegen die ,Dritte Welt`"

Der BRD-spezifische Kontext der Entebbe-Affaire bleibt in den beiden RZ-Erklärungen ebenso wie in den Artikeln von jw. und Be. völlig ausgeblendet. Dieser Kontext bestand unserer Ansicht nach in der Aufnahme des israelischen Vorgehens als beispielhaft für die "freie Welt" im Allgemeinen und die BRD im Besonderen. Deutlich wird das an den Zitaten, mit denen der Artikel in ak 84 eingeleitet wurde. So etwa Helmut Kohl: "Israel hat der Welt ein Beispiel gegeben, wie man mit entschlossenem und verantwortungsvollem Handeln den internationalen Terror eindämmen kann." Oder Axel Springer: "Die Israelis haben einen Sieg für die ganze freie Welt errungen."

Wir schlußfolgerten damals daraus: "Um die Rettung ,unschuldiger Menschen` geht es den imperialistischen Massenmördern und Menschenverächtern dabei ganz bestimmt nicht! Es geht ihnen auch nur beschränkt um den Kampf gegen den ,Terrorismus`, d.h. gegen antiimperialistische Befreiungsbewegungen. Sondern es geht ihnen generell um ihr ,Recht` auf Aggression - zum Beispiel, wenn Staaten der ,Dritten Welt` auf den Gedanken kommen sollten, sich gegen die Ausplünderung ihrer Rohstoffe zu wehren. (...) Das Teuflische ist, daß diese Kampagne sich diesmal besonders gut hinter dem ,menschlichen` Interesse an der Befreiung der Geiseln und der in der faschistischen Vergangenheit begründeten Sympathie für Israel verstecken konnte." Das sei, die BRD betreffend, "um so perverser und widerlicher in einem Staat, wo ohne größere Proteste zur selben Zeit die Verantwortlichen für massenhafte grausamste Verbrechen des Nazismus an den Juden und anderen Völkern der während des Zweiten Weltkriegs besetzten Gebiete freigesprochen und freigelassen werden, und wo sich ganz offiziell die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten für die Freilassung noch inhaftierter deutscher Kriegsverbrecher einsetzt."

In diesem Zusammenhang ist auch die Bezeichnung Israels als ",Avantgarde` des Imperialismus" zu begreifen, wie eine Zwischenüberschrift in ak 84 lautete: Israel fungiere kraft des aus dem Holocaust resultierenden moralischen Bonus als Wegbereiter für Politikformen, die dann auch von anderen Staaten nachgeahmt werden können. Wörtlich bezogen wir uns mit dieser Bezeichnung auf den "Welt"-Chefredakteur Kremp, der (bedauernd) geschrieben hatte, zu Aktionen wie in Entebbe sei derzeit wahrscheinlich nur Israel in der Lage. Daher müsse dieser Staat "bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus die Avantgarde stellen". (jw. und Be. zitieren isoliert unsere Formulierung mit der "Avantgarde" so, als habe es sich einfach um eine unbegreifliche, völlig maßlose Beschimpfung Israels gehandelt, und verschweigen den konkreten Zusammenhang.)

Im ak 84 wurden zahlreiche Beispiele für die von BRD-Politikern befürwortete Nutzanwendung aus Entebbe zitiert. Angefangen von der Forderung, gemeinsame Spezialeinheiten der EG und der NATO aufzustellen, um "überall auf der Welt jederzeit zur Aktion bereit zu sein". (FDP-Fraktionschef Mischnick) Endend bei der Forderung von Kremp, einen "Antiterrorismus-Pakt der zivilisierten Nationen" zu erreichen, um Staaten wie (namentlich genannt) Südjemen, Uganda, Somalia, Libyen und Algerien "mit Sanktionen, militärische nicht ausgeschlossen, zu überziehen."

Entebbe heute, 16 Jahre später, gänzlich außerhalb dieses zeitgenössischen Kontextes zu diskutieren, ist - zurückhaltend ausgedrückt - eine verblüffende Vorgehensweise, zumal ausgerechnet in einer Situation, wo über internationale Interventionen mit BRD-Beteiligung schon sehr viel praktischer diskutiert wird als damals. Im übrigen ist daran zu erinnern, daß kaum ein Jahr nach Entebbe die deutsche "Befreiungsaktion" in Mogadischu stattfand, die in ihrer Funktion für die "Normalisierung" der BRD wahrscheinlich bis heute unterschätzt wird.

Jw. und Be. haben selbstverständlich recht, wenn sie wortstarke Verdammungen Israels wie etwa "Gangster-Staat" kritisieren, wie überhaupt die ganze damalige Sprach- und Denkweise heute sehr fremd, oft überzogen und auch grotesk wirkt. Falsch ist aber, wenn die Autoren - ohne dies im mindesten durch Vergleiche zu belegen - unterstellen, unsere damalige Kritik an Israel sei durch besondere Schärfe gekennzeichnet gewesen und Ausdruck einer speziellen Feindseligkeit ausgerechnet gegen den jüdischen Staat, also genau gesagt eine Form von antisemitischem Ressentiment. Außerdem waren unsere Ausführungen, wenn man sie im Zusammenhang und in vollständigen Sätzen liest, doch etwas differenzierter als eine Blütenlese zusammengesuchter Kraftausdrücke heute vermuten läßt.

Rückkehr vom Antiimperialismus

Die Entebbe-Aktion wird in den RZ-Erklärungen als bequemes Instrument benutzt, um einen Bruch nicht nur mit dem "Antizionismus", sondern mit dem "Antiimperialismus" generell argumentativ zu begründen. Die Logik ist, daß erstens der "Antizionismus" zu antisemitischen Verhaltensweisen zwangsläufig führen müsse, und daß zweitens überhaupt der "Antiimperialismus" nur in Massakern und Despotie enden könne.

"Die Beendigung der Fremdherrschaft, so dachten wir, sei gleichbedeutend mit dem Beginn der sozialen Revolution. Da die Befreiungsorganisationen das um seine Unabhängigkeit kämpfende Volk repräsentierten, waren sie der direkte Adressat internationaler Solidarität. Daß die Machtübernahme den sozialen Gehalt der Revolution in fast allen Fällen eher zerstörte als entfaltete, daß sich die Führer der Befreiungsbewegungen, kaum hatten sie die Kommandoposten in den jungen Nationalstaaten besetzt, als Protagonisten brutaler Entwicklungsdiktaturen gebärdeten, daß von der frisch gewonnenen Unabhängigkeit vor allem die alten Kader profitierten, während das anhaltende Massenelend einer neuen Erklärung bedurfte, daß sich - kurz gesprochen - die ganze Dialektik von nationaler und sozialer Befreiung vor allem für die neuen Machthaber rechnete und daß dies keine Frage von Verrat oder korrupter Moral war, sondern dem Wesen der Staatsgründung entsprach, all das paßte nicht in unser Bild eines homogenen Befreiungsprozesses und wurde deshalb ausgeblendet." (erste RZ-Erklärung, ak 338)

Cl. hat dies in ak 344 noch ein bißchen prinzipieller zugespitzt ("Der Anti-Imperialismus als höchstes Stadium des falschen Anti-Kapitalismus"). "Statt den Bruch mit allen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen zu vollziehen, werden in dieser ,nationalen Befreiung` nur die ,fremden` gegen die einheimischen Ausbeutungsverhältnisse eingetauscht, die in gar nicht so wenigen Fällen ,befreiter Nationen` noch bestialischer ausfielen als die vorherige ,Fremdbestimmung` (...)". Und noch grundsätzlicher: "(...) daß jeder Versuch sozialer oder gar sozialistischer Befreiung, sei er von noch so lauteren Absichten getragen, Ausbeutung und Herrschaft produzieren muß, wenn er sich in Kategorien von Nation, Volk und Staat artikuliert."

Wahrscheinlich wird cl. andererseits gar nicht bestreiten, daß sich Versuche sozialer Befreiung unter den in der Welt herrschenden Bedingungen zwangsläufig in staatlicher und nationaler Form "artikulieren" müssen, da klar ist, daß sich solche Versuche nicht gleichzeitig auf dem gesamten Globus vollziehen, also stets isolierte Unternehmen sind, die sich selbst schützen müssen. Ebenso selbstverständlich dürfte sein, daß der "Bruch mit allen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen" gar nicht schlagartig und total erfolgen kann, sondern daß es zwangsläufig Zwischenstufen geben wird, die unvollkommen sein müssen. Was folgt dann aber aus alledem, außer daß Befreiungsversuche generell unmöglich, also sinnlos sind?

Die RZ-Erklärungen und cl. sind ungefähr wieder da angekommen, wo die Metropolen-Linke in den sechziger Jahren aus dem herrschenden Konsens auszubrechen begann: Nationale Unabhängigkeit für die "Dritte Welt" führe nur dazu, daß sich Negerhäuptlinge goldene Betten hinstellen und daß sich Stammesfanatiker gegenseitig massakrieren. Nichts werde dadurch besser, und vieles werde noch weit schlimmer, als es unter weißer Herrschaft jemals war.

In den praktischen Schlußfolgerungen könnte sich cl. mit den ex-linken Spießern, über die er sich zu Beginn seines Artikels lustig macht, die Hände reichen. Auf dem Umweg über den äußersten Radikalismus kommt er dort an, wo sich jene auf weniger ästhetische Art schon plaziert haben: Befreiung führt zu Diktatur und Elend. Internationale Solidarität ist zwecklos, denn man unterstützt sowieso bloß immer die Falschen. Im übrigen habe ich bei cl. auch keinen einzigen Satz mehr gefunden, der noch begründet, was aus seiner Sicht gegen die Herrschaft des Kapitalismus, gegen eine kapitalistische Zurichtung der Welt einzuwenden wäre. Es bleibt sogar offen, ob es überhaupt Kapitalisten gibt; jedenfalls setzt cl. dieses Wort beharrlich in Anführungszeichen und verwahrt sich entschieden dagegen, sie für das Elend in der Dritten Welt verantwortlich zu machen.

Die Einwände gegen die Befreiungsbewegungen, wie sie in den RZ-Erklärungen formuliert wurden, sind weder neu noch gänzlich ungerechtfertigt. Als Argument gegen antiimperialistische Solidarität sind sie jedoch fragwürdig. Die Gefahr liegt darin, daß auf diese Weise einfach ein schlaues Alibi besorgt wird, um indifferentes Verhalten und ein Arrangement mit den herrschenden Zuständen zu rechtfertigen. Es ist davon auszugehen, daß nach dem Zusammenbruch des "sozialistischen Lagers" und der nahezu weltweiten Diskreditierung marxistischer Politik der antikapitalistische und antiimperialistische Widerstand in der Dritten Welt noch weniger denn je unseren Wunschvorstellungen entsprechen wird. Das wird wahrscheinlich die Versuchung, sich auf abstrakte Klugscheißerei zurückzuziehen und sich in der Praxis unsolidarisch zu verhalten, ins Unwiderstehliche steigern.

Am Rande erwähnt

Wer eine gute Sache vertritt, braucht es mit Fakten und Zitaten nicht so genau zu nehmen. Macht es also irgendeinen Sinn, noch einmal den RZ-Autoren zu widersprechen, wenn sie im ak 344 erneut darauf bestehen, bei der Flugzeugentführung nach Entebbe 1976 seien die jüdischen - und nicht "nur" die israelischen - Passagiere "selektiert" worden? Zumal wir ja schon im ak 338 zum ersten Papier der Autoren geschrieben hatten: "Daß die Trennung der israelischen Passagiere von den Übrigen von vielen Beteiligten und von der israelischen Öffentlichkeit als ,Selektion' wahrgenommen wurde, ist nachvollziehbar. Der Vorgang als solcher ist schlimm genug...".

Vielleicht wäre es vernünftiger gewesen, hier einfach einen Punkt zu machen? Statt dessen schrieben wir in ak 338 weiter: "Es gab, sämtlichen Berichten zufolge, für die Trennung der Passagiere kein anderes Kriterium als die eingesammelten Personalpapiere. Es gibt keinen Anhaltspunkt, daß irgendjemand, der keinen israelischen Paß hatte, abgesondert wurde ,nur weil er Jude war`. Die ersten Meldungen über die ,Selektion` gelangten nach Israel durch jüdische Passagiere, die in der ersten Gruppe von 47 Menschen freigelassen worden waren."

Für diese Darstellung hatten wir unsere Quelle genannt: das 1976 in London erschienene Buch "90 minutes at Entebbe" von William Stevenson. Grundlage dieses Reports sind, neben Aussagen der Geiseln, die exakten Notizen, die sich einer der israelischen Passagiere machen konnte. Die Eintragung dort lautete in der englischen Übersetzung: "Monday, June 28...19.10 - The terrorists separate us from the others: a most dramatic scene. Every person who possesses an Israeli passport is called upon to leave the central hall and move to an adjoining room. The women begin to cry. The feeling is like an execution...". - Entsetzlich genug, und jede Beschönigung wäre fehl am Platz.

In ihrer zweiten Stellungnahme (ak 344) schrieben die Autoren, offenbar als Reaktion auf unsere Darstellung: "Wir bleiben aber bei unserer Feststellung, daß im Verlauf der Entebbe-Aktion selektiert worden ist, daß z.B. die in Entebbe ermordete Dora Bloch Jüdin und belgische Staatsbürgerin war." - Das wäre allerdings überhaupt noch kein Widerspruch zu unserer Darstellung, da wir bereits geschrieben hatten, daß unter den "Ausgesonderten" mehrere waren, die eine doppelte Staatsbürgerschaft hatten, nämlich die Israels und die eines weiteren Landes. Ein Widerspruch würde daraus erst, wenn behauptet würde, Frau Bloch habe keinen israelischen Paß gehabt. Das sagen die Autoren jedoch nicht.

Im Gegensatz zu uns geben die Autoren ihre Quellen leider nicht an. Beispielsweise wäre interessant, woher die falsche Behauptung stammt, Frau Bloch sei belgische Bürgerin gewesen. Tatsächlich hatte sie jedoch einen britischen Paß. Falsch ist auch die Angabe im ersten Text der Autoren (AK 338), Frau Bloch sei "die einzige Geisel (gewesen), die die Flugzeugentführung nicht überlebte." Wie der israelische Vertreter Chajm Herzog vor der UNO mitteilte, kamen drei Geiseln beim Sturm der israelischen Spezialeinheit auf das Flughafengebäude von Entebbe ums Leben. Nach offizieller israelischer Version wurden sie von Entführern erschossen. Augenzeugenberichte lassen jedoch die Möglichkeit offen, daß sie von israelischen Schützen getroffen wurden, weil sie sich nicht schnell genug zu Boden warfen.

Zum Schicksal von Frau Bloch ist ergänzend hinzuzufügen: Da sie erkrankte - anscheinend durch Lebensmittel -, wurde sie aus dem Flughafengebäude in das Krankenhaus von Kampala gebracht. Dort konnte sie von einem britischen Diplomaten besucht werden. Der Rest wird widersprüchlich dargestellt. Die ugandische Regierung behauptete, Frau Bloch sei, wieder genesen, nach Entebbe zurückgebracht worden. Nach israelischer Darstellung befand sie sich jedoch nicht unter den Geiseln. Daher ging man dort davon aus, Dora Bloch sei im Auftrag Idi Amins ermordet worden.

Kt.

MAIL
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