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Neue Folge - analyse & kritik - Zeitung für
linke Debatte und Praxis / Nr. 345 / 26.8.1992
Noch einmal: Entebbe
Die Entführung eines Passagierflugzeugs nach Entebbe (Uganda) im
Sommer 1976 war im letzten halben Jahr Anknüpfungspunkt für Polemiken,
in denen nicht nur der Antisemitismus der Linken gegeißelt wurde,
sondern auch das linke Verständnis von Antiimperialismus gründlich
unter die Räder kam.
Zur Erinnerung und zum Nachschlagen: Im ak 338 (13. Januar) dokumentierten
wir eine Stellungnahme anonymer Autoren, die sich als "Revolutionäre
Zellen" bezeichneten. In der gleichen Ausgabe gab es Kommentare
von Mehrheit und Minderheit unserer Redaktion. - Im ak 339 (10.
Februar) vertieften jw. und Be. das Thema auf ihre Weise mit einem
Rundschlag gegen den "linken Antizionismus" im Allgemeinen und frühere
Sünden des ak im Besonderen. Dazu gehörte die Reaktion auf Entebbe
im ak 84 (13. Juli 1976). - Im ak 341 (8. April) polemisierte Ulrich,
der sich ansonsten der Minderheit zurechnet, gegen den "modischen
Anti-Antizionismus in der radikalen Linken", speziell gegen den
Artikel von jw. und Be. - Hierauf antwortete wieder Be. im ak 342
(6. Mai). - Im ak 344 (1. Juli) dokumentierten wir auf Wunsch der
Minderheit eine weitere "Erklärung der Revolutionären Zellen", die
ausgehend von Entebbe zum "linken Antizionismus" und von dort zu
schillernden Sprechblasen wie der "grundlegenden Debatte über die
Neubestimmung linksradikaler Politik" reichte.
Zu den genannten Texten sollten, sofern Interesse an dieser Debatte
besteht, noch einige weitere hinzugenommen werden: Im ak 329 (8.
April 1991) beschäftigte sich max. von der Minderheit recht ausführlich
mit früheren Äußerungen des ak und des KB zu Israel, vor allem aus
dem Zeitraum 1972-1976. - Aufschlußreich ist außerdem das meiste,
was an einschlägigen Debattenbeiträgen während des Golfkriegs im
ak publiziert wurde, also etwa im Zeitraum Januar bis April 1991.
- An ak-Artikeln, in denen der Antiimperialismus mit dem Bade ausgeschüttet
wurde, sind zu nennen: U.K. (Minderheit) in ak 327 (11. Februar
1991) und cl. in ak 344 (1. Juli 1992). Kritisch setzte sich mit
dieser Tendenz he. in ak 328 (11. März 1991) auseinander.
Über die Reaktion in ak 84 auf Entebbe schrieben jw. und Be. (ak
339, S. 35): "Die Geiselaffaire wurde zum Anlaß genommen, so richtig
grundsätzlich mit Israel abzurechnen. Mit keinem Wort dagegen ging
der Text auf die Problematik der immerhin von deutschen Linken mitgestalteten
Entführung und Selektion ein. (...) Dies ist um so verwunderlicher,
als der KB ansonsten durchaus auch schon damals der kritischen Diskussion
verschiedenster linksradikaler Politikansätze und Aktivitäten, auch
des bewaffneten Kampfs, sehr aufgeschlossen gegenüberstand."
Der erste Satz geht, wie noch dargelegt werden soll, an Inhalt
und Sinn des Artikels vorbei. Nur ganz am Rande nämlich beschäftigte
sich dieser mit Israel, primär jedoch mit den westdeutschen Reaktionen
auf den israelischen "Befreiungsschlag" und deren Implikationen.
Zutreffend ist hingegen die Feststellung, auf die Problematik der
Aktion sei nicht eingegangen worden. Der Artikel begnügte sich damit,
der "bürgerlichen Presse" und den "imperialistischen Politikern"
der BRD das moralische Recht zur Verurteilung der Flugzeug-Entführung
abzusprechen. Das wurde mit Beispielen wie dem Schweigen zu Massakern
in Südafrika und im Libanon begründet.
Daran wird deutlich, daß wir sehr wohl Probleme mit der konkreten
Aktion hatten, denn andernfalls hätten wir sie explizit gerechtfertigt.
Was wir "richtig" fanden, mußte im ak "gegen die Bourgeoisie" verteidigt
werden, da gab es für uns keine Schonung. Im Fall Entebbe kam das
für uns nicht in Frage. Wir wollten aber - entsprechend unserem
damaligen radikalistischen Politikverständnis - dennoch unbedingt
vermeiden, mit den Wölfen zu heulen. Dies um so mehr, da die deutsche
Hetze in diesem Fall extrem war, rassistisch durchgefärbt war und
offen die eigenen aggressiven Absichten erkennen ließ. (Der Artikel
in ak 84 zitierte zahlreiche Beispiele.)
Die Schärfe bei jw. und Be. liegt zweifellos in der Behauptung,
unser Schweigen zu den politischen und moralischen Problemen der
Entebbe-Aktion habe nicht unserer sonstigen damaligen Verhaltensweise
entsprochen. Gemeint ist offensichtlich: nur weil die Opfer Juden
waren, schwieg der ak. Quod erat demonstrandum. Das wäre Antisemitismus
pur, und jedes weitere Wort wäre überflüssig.
Die Dinge lagen jedoch anders. Es ist erstaunlich und bedauerlich,
daß jw. und Be. bei ihrer Arbeit im ak-Archiv nicht bis zum Herbst
1972 durchgedrungen sind. Dort hätten sie in ak 22 (Oktober) und
23 (November) Äußerungen und Auseinandersetzungen gefunden, die
beim Artikel in ak 84 gewissermaßen mitgedacht werden müssen.
Ein palästinensisches "Kommando" hatte während der Olympiade in
München israelische Sportler als Geiseln genommen, um die Freilassung
von Gefangenen in Israel zu erzwingen. Beim Sturm der Polizei auf
die Hubschrauber in Fürstenfeldbruck kamen alle Geiseln ums Leben.
Von den Terroristen erschossen, behaupteten die deutschen Stellen.
Dagegen die israelische Version, die erst kürzlich wieder publik
gemacht wurde: zumindest einige der Sportler seien von deutschen
Polizisten getötet worden.
Wie war die Sache "einzuschätzen", oder praktisch gefragt: wie
sollte die Reaktion von KB und ak aussehen? Die Stimmungsmache gegen
die Palästinenser war enorm, in der BRD wurden ihre Organisationen
GUPS und GUPA unter Verbot gestellt. Teile der Linken, vor allem
die DKP, aber auch die Vorläufergruppen des KBW und der Münchner
Arbeiterbund, sprachen sich scharf gegen die Aktion aus. Uns erschien
es unter diesen Umständen vor allem wichtig, "gegen den Strom zu
schwimmen".
Heraus kam folgender Eiertanz: "Wir halten es für schwierig und
auch für unrichtig, aus der Sicht der westdeutschen Kommunisten
zu beurteilen, ob eine bestimmte Handlung von Palästinensern nützlich
für deren Kampf oder ob sie schädlich ist. Wir können ohne weiteres
einschätzen, daß die Revolutionäre des ,Schwarzen Septembers` durch
ihre Münchner Aktion der westdeutschen Kapitalistenklasse geholfen
haben, die Massen zu verwirren, nationalistische Stimmungen zu schüren
und eine Schein-Rechtfertigung für den weiteren Ausbau des Staatsapparats
zu finden. Wir verstehen aber auch, daß die palästinensische Revolution
auf diesen Gesichtspunkt kaum Rücksicht nehmen kann.
Wir können ohne weiteres sagen, daß wir für unseren Kampf ein Vorgehen
wie das des ,Schwarzen September` in München nicht für vertretbar
halten; normale Bürger eines imperialistischen Staates als Geiseln
festzuhalten, scheint uns weder moralisch vertretbar noch politisch
sinnvoll.
Wir verstehen aber, daß die Palästinenser die Dinge anders sehen
könnten. Wo es um den Kampf gegen die zionistische Eroberungspolitik
geht, um die Befreiung hunderter von politischen Gefangenen, um
das Schicksal hunderttausender Flüchtlinge in den Lagern, mögen
moralische Bedenken um das Schicksal von einem Dutzend israelischer
Sportler in den Hintergrund treten. Zumal die Revolutionäre des
,Schwarzen Septembers` mit Recht betonen, daß sie am Tod der israelischen
Sportler natürlich nicht interessiert waren, sondern daß diese als
Geiseln nur lebend nützlich sein konnten ...".
Nach noch einigen weiteren Einerseits und Andererseits hieß es
abschließend: "Ob damit die Aktionen solcher Gruppen unter Berücksichtigung
aller Gesichtspunkte - besonders der internationalen Auswirkungen
- politisch sinnvoll und gerechtfertigt sind, vermögen wir allerdings
nicht zu beurteilen."
Im ak 23 veröffentlichten wir drei Kritiken an dieser Stellungnahme
- zwei von Genossen, eine von Göttinger KBW-Sympathisanten -, zusammen
mit einer redaktionellen Antwort. Grundsätzlich beharrten wir darauf,
daß es ein Gebot der "Ehrlichkeit und Verantwortung der Kommunisten
vorm Proletariat" (ja, so geschwollen drückten wir uns damals gern
aus) sei, in noch nicht hinreichend untersuchten und diskutierten
Fragen "unser gegenwärtiges Unvermögen zu einer gründlichen Antwort
einzugestehen und die uns zugänglichen Ansätze zur Lösung des Problems
darzustellen. Wir meinen, daß die Einschätzung von bestimmten Kampfhandlungen
ausländischer Revolutionäre in der Regel zu diesen von uns nicht
zu beantwortenden Fragen gehört."
Vergegenwärtigt man sich, daß der KB damals erst etwa ein Jahr
existierte, so möchte ich unsere damalige Zurückhaltung auch im
Rückblick nicht als unbegründet beurteilen. Es ging uns ja zu keinem
Zeitpunkt darum, irgendeine ausländische Partei auf den Sockel der
Unfehlbarkeit zu stellen. Wir wollten aber auch nicht unsere sehr
begrenzten politischen Erfahrungen und unsere spezifische, deutsch
und mitteleuropäisch geprägte Sichtweise zum Maß aller Dinge machen.
Wir haben daher erst im Laufe mehrerer Jahre und zumeist sehr zaghaft
damit begonnen, Kritik an Bewegungen und Organisationen außerhalb
der BRD zu entwickeln. Besondere Zurückhaltung herrschte im Verhältnis
zu Organisationen, mit denen wir "freundschaftliche Beziehungen
unterhielten".
In vorsichtigen Formulierungen war unseren Ausführungen in ak 22
und 23 immerhin zu entnehmen, daß wir den Fedayin-Mythos des Volkskriegs
und des bewaffneten Kampfs nicht teilten: Es liege auf der Hand,
daß von einem Volkskrieg gegen Israel überhaupt nicht die Rede sein
könne, da die Palästinenser dort nur eine Minderheit seien. Anders
sei es in den besetzten Gebieten, aber das eigentliche Ziel, nämlich
"die Schaffung eines demokratischen Staates von Arabern und Juden",
könne nicht in den besetzten Gebieten erkämpft werden. Überhaupt
sei der Gedanke unrealistisch und perspektivlos, Israel durch Kommando-Aktionen
militärisch schlagen oder auch nur schwächen zu können. (ak 23)
Exkurs:
Die "Zerschlagung Israels"
In der Debatte um linken Antisemitismus wurde mehrfach mit besonderer
Empörung zitiert, daß im AK sogar die "Zerschlagung des Staates
Israel" gefordert worden sei, was doch fast einem zweiten Holocaust
gleichkommen würde. Selbst gestandene Alt-KBler taten plötzlich
so, als wüßten sie überhaupt nicht mehr, was für uns damals - in
Anlehnung an Lenin - der Begriff "Zerschlagung des (bürgerlichen)
Staates" politisch bedeutete, und daß dies per se rein gar nichts
mit militärischen Kategorien zu tun hatte, schon gar nicht mit Massenvernichtung.
In der Erklärung der KB-Leitung zum arabisch-israelischen Oktoberkrieg
1973 hieß es: "Eine Lösung des Konflikts ist nur möglich, wenn der
zionistische Staat Israel zerschlagen wird, wobei jedoch die Existenz
des hebräischen Volkes in dieser Region respektiert werden muß.
Der KB unterstützt wie in der Vergangenheit alle Vorschläge und
Pläne, in Palästina einen sozialistischen Staat zu schaffen, in
dem Palästinenser und Hebräer gleichberechtigt zusammenleben werden.
Eine solche Lösung setzt u.E. voraus, daß sich soziale Umwälzungen
in der gesamten Region vollziehen und die hebräische Bevölkerung
Israels am antizionistischen Kampf teilnimmt. Insbesondere sind
Erfolge gegen den Zionismus davon abhängig, daß die gegenwärtigen
bürgerlich-nationalistischen Regime der arabischen Staaten, deren
Innenpolitik z.T. faschistoid ist wie in Libyen - durch volksdemokratische
Regierungen ersetzt werden...".
Hinzugenommen werden muß folgende Erläuterung aus ak 34 (Oktober
1973): Zerschlagung des zionistisches Staates "bedeutet nicht, ,die
Juden ins Meer werfen`, wie nationalistische arabische Fanatiker
vor 1967 formulierten. Es bedeutet nicht die Vertreibung der annähernd
drei Millionen Hebräer aus der Region. (...) Zerschlagung des Staates
Israel bedeutet Beseitigung des pro-imperialistischen, nationalistischen
und expansiven zionistischen Staates, und bedeutet Schaffung eines
demokratischen Staates, in dem Araber und Hebräer gleichberechtigt
zusammen leben werden. Die Schaffung eines solchen Staates ist selbstverständlich
unmöglich ohne die aktive Beteiligung der hebräischen Bevölkerung,
insbesondere der Arbeiterklasse, an diesem Kampf."
Befremdlich wirkt in diesen Ausführungen der Begriff "Hebräer"
statt etwa "jüdische Israelis". Wir hatten damit auszudrücken versucht,
daß es sich um eine eigene Nationalität handelt, und nicht nur um
eine religiöse Gruppe, was mit dem Begriff "Juden" zumindest offengehalten,
nach damaligem Verständnis der PLO sogar vorausgesetzt wurde. Im
übrigen wird man, falls man will und sich die Mühe macht, feststellen,
daß unsere damalige "Positionsbestimmung" - für einen bi-nationalen,
sozialistischen Staat - sich nicht wesentlich von der gleichzeitigen
Programmatik israelischer Neuer Linker wie Matzpen und vieler anderer
jüdischer Sozialisten unterschied.
Ob das alles wirklich völlig falsch war, wäre noch zu diskutieren.
In der ersten RZ-Erklärung (ak 338) steht der bemerkenswerte Satz:
"Wo zwei ethnische Gemeinschaften Ansprüche auf dasselbe Stück Land
erheben, gibt es keine revolutionären Lösungen." - Die Gegenthese
könnte lauten, daß es in einer solchen Situation eigentlich nur
eine revolutionäre Lösung geben sollte, nämlich das gleichberechtigte
Zusammenleben beider Gemeinschaften in diesem umstrittenen "Stück
Land", was aber bereits eine andere Art von Gesellschaft voraussetzt,
die von beiden Teilen gemeinsam erkämpft und geschaffen werde müßte.
Zumindest ist das der alte sozialistische Traum. Wo läge die Alternative?
Selbst eine Teilung des Landes Palästina/Israel zwischen den beiden
Gemeinschaften würde zwei bi-nationale Staaten schaffen, das Problem
also in gewisser Weise nur verdoppeln. (Schon heute sind annähernd
20 % der Bewohner Israels, ohne die besetzten Gebiete, Palästinenser!)
Es ist im übrigen eigentlich nicht zu übersehen, daß unsere damalige
"Positionsbestimmung", wie oben zitiert, in allen wesentlichen Punkten
total konträr zur Programmatik der PLO-Charta stand. Sinngemäß besagt
diese nämlich: Palästina (einschließlich des Territoriums von Israel)
ist Teil der arabischen Nation. Die Juden haben dort, soweit überhaupt,
nur Minderheitenrecht als religiöse Gruppe zu erwarten. Die Charta
läßt sogar offen, Juden, deren Vorfahren nicht schon zu einem bestimmten
Datum im Land ansässig waren, das Heimatrecht dort abzusprechen.
Das "befreite Palästina" soll eindeutig ein arabischer Staat sein,
kein arabisch-jüdischer, bi-nationaler Staat. Dementsprechend wird
als Subjekt der "Befreiung" nur die palästinensisch-arabische Gemeinschaft
begriffen, nicht aber in gleicher und gleichberechtigter Weise auch
die jüdischen Israelis. (Realpolitisch stellt die PLO-Charta längst
einen Anachronismus dar, d.h. sie bildet keineswegs die Grundlage
der PLO-Politik, und das schon seit Mitte der siebziger Jahre. Dennoch
fehlte bis heute die Entschlußkraft zu einer programmatischen Revision.)
Aufgrund der genannten Programmatik der PLO, und weil offensichtlich
die sozialrevolutionäre Komponente des Kampfes nicht vorgesehen
war, hatten wir bis weit in die siebziger Jahre hinein Schwierigkeiten,
uns überhaupt positiv auf die PLO zu beziehen. Statt dessen versuchten
wir engere politische Beziehungen zur PFLP zu unterhalten, was rückblickend
betrachtet allerdings auf großer Unkenntnis und Naivität beruhte,
damals aber aufgrund einiger "klassenkämpferischer" Aussagen (die
auch die jüdische Arbeiterklasse Israels einbezogen) plausibel erschien.
Das Image der PFLP (und der DPFLP, Demokratische Volksfront) als
linksradikaler Flügel des palästinensischen Spektrums ging vor allem
auf ihre Rolle bei den Kämpfen in Jordanien im September 1970 zurück.
Die Meinung war, daß diese beiden Organisationen, im Gegensatz vor
allem zur Fatah, die Aufgabe des sozialrevolutionären Kampfs gegen
die reaktionären arabischen Regimes konsequent und auf sozialistische
Weise angingen. (z.B. Bildung von Sowjets)
"Krieg gegen die ,Dritte Welt`"
Der BRD-spezifische Kontext der Entebbe-Affaire bleibt in den beiden
RZ-Erklärungen ebenso wie in den Artikeln von jw. und Be. völlig
ausgeblendet. Dieser Kontext bestand unserer Ansicht nach in der
Aufnahme des israelischen Vorgehens als beispielhaft für die "freie
Welt" im Allgemeinen und die BRD im Besonderen. Deutlich wird das
an den Zitaten, mit denen der Artikel in ak 84 eingeleitet wurde.
So etwa Helmut Kohl: "Israel hat der Welt ein Beispiel gegeben,
wie man mit entschlossenem und verantwortungsvollem Handeln den
internationalen Terror eindämmen kann." Oder Axel Springer: "Die
Israelis haben einen Sieg für die ganze freie Welt errungen."
Wir schlußfolgerten damals daraus: "Um die Rettung ,unschuldiger
Menschen` geht es den imperialistischen Massenmördern und Menschenverächtern
dabei ganz bestimmt nicht! Es geht ihnen auch nur beschränkt um
den Kampf gegen den ,Terrorismus`, d.h. gegen antiimperialistische
Befreiungsbewegungen. Sondern es geht ihnen generell um ihr ,Recht`
auf Aggression - zum Beispiel, wenn Staaten der ,Dritten Welt` auf
den Gedanken kommen sollten, sich gegen die Ausplünderung ihrer
Rohstoffe zu wehren. (...) Das Teuflische ist, daß diese Kampagne
sich diesmal besonders gut hinter dem ,menschlichen` Interesse an
der Befreiung der Geiseln und der in der faschistischen Vergangenheit
begründeten Sympathie für Israel verstecken konnte." Das sei, die
BRD betreffend, "um so perverser und widerlicher in einem Staat,
wo ohne größere Proteste zur selben Zeit die Verantwortlichen für
massenhafte grausamste Verbrechen des Nazismus an den Juden und
anderen Völkern der während des Zweiten Weltkriegs besetzten Gebiete
freigesprochen und freigelassen werden, und wo sich ganz offiziell
die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten für die Freilassung noch
inhaftierter deutscher Kriegsverbrecher einsetzt."
In diesem Zusammenhang ist auch die Bezeichnung Israels als ",Avantgarde`
des Imperialismus" zu begreifen, wie eine Zwischenüberschrift in
ak 84 lautete: Israel fungiere kraft des aus dem Holocaust resultierenden
moralischen Bonus als Wegbereiter für Politikformen, die dann auch
von anderen Staaten nachgeahmt werden können. Wörtlich bezogen wir
uns mit dieser Bezeichnung auf den "Welt"-Chefredakteur Kremp, der
(bedauernd) geschrieben hatte, zu Aktionen wie in Entebbe sei derzeit
wahrscheinlich nur Israel in der Lage. Daher müsse dieser Staat
"bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus die Avantgarde
stellen". (jw. und Be. zitieren isoliert unsere Formulierung mit
der "Avantgarde" so, als habe es sich einfach um eine unbegreifliche,
völlig maßlose Beschimpfung Israels gehandelt, und verschweigen
den konkreten Zusammenhang.)
Im ak 84 wurden zahlreiche Beispiele für die von BRD-Politikern
befürwortete Nutzanwendung aus Entebbe zitiert. Angefangen von der
Forderung, gemeinsame Spezialeinheiten der EG und der NATO aufzustellen,
um "überall auf der Welt jederzeit zur Aktion bereit zu sein". (FDP-Fraktionschef
Mischnick) Endend bei der Forderung von Kremp, einen "Antiterrorismus-Pakt
der zivilisierten Nationen" zu erreichen, um Staaten wie (namentlich
genannt) Südjemen, Uganda, Somalia, Libyen und Algerien "mit Sanktionen,
militärische nicht ausgeschlossen, zu überziehen."
Entebbe heute, 16 Jahre später, gänzlich außerhalb dieses zeitgenössischen
Kontextes zu diskutieren, ist - zurückhaltend ausgedrückt - eine
verblüffende Vorgehensweise, zumal ausgerechnet in einer Situation,
wo über internationale Interventionen mit BRD-Beteiligung schon
sehr viel praktischer diskutiert wird als damals. Im übrigen ist
daran zu erinnern, daß kaum ein Jahr nach Entebbe die deutsche "Befreiungsaktion"
in Mogadischu stattfand, die in ihrer Funktion für die "Normalisierung"
der BRD wahrscheinlich bis heute unterschätzt wird.
Jw. und Be. haben selbstverständlich recht, wenn sie wortstarke
Verdammungen Israels wie etwa "Gangster-Staat" kritisieren, wie
überhaupt die ganze damalige Sprach- und Denkweise heute sehr fremd,
oft überzogen und auch grotesk wirkt. Falsch ist aber, wenn die
Autoren - ohne dies im mindesten durch Vergleiche zu belegen - unterstellen,
unsere damalige Kritik an Israel sei durch besondere Schärfe gekennzeichnet
gewesen und Ausdruck einer speziellen Feindseligkeit ausgerechnet
gegen den jüdischen Staat, also genau gesagt eine Form von antisemitischem
Ressentiment. Außerdem waren unsere Ausführungen, wenn man sie im
Zusammenhang und in vollständigen Sätzen liest, doch etwas differenzierter
als eine Blütenlese zusammengesuchter Kraftausdrücke heute vermuten
läßt.
Rückkehr vom Antiimperialismus
Die Entebbe-Aktion wird in den RZ-Erklärungen als bequemes Instrument
benutzt, um einen Bruch nicht nur mit dem "Antizionismus", sondern
mit dem "Antiimperialismus" generell argumentativ zu begründen.
Die Logik ist, daß erstens der "Antizionismus" zu antisemitischen
Verhaltensweisen zwangsläufig führen müsse, und daß zweitens überhaupt
der "Antiimperialismus" nur in Massakern und Despotie enden könne.
"Die Beendigung der Fremdherrschaft, so dachten wir, sei gleichbedeutend
mit dem Beginn der sozialen Revolution. Da die Befreiungsorganisationen
das um seine Unabhängigkeit kämpfende Volk repräsentierten, waren
sie der direkte Adressat internationaler Solidarität. Daß die Machtübernahme
den sozialen Gehalt der Revolution in fast allen Fällen eher zerstörte
als entfaltete, daß sich die Führer der Befreiungsbewegungen, kaum
hatten sie die Kommandoposten in den jungen Nationalstaaten besetzt,
als Protagonisten brutaler Entwicklungsdiktaturen gebärdeten, daß
von der frisch gewonnenen Unabhängigkeit vor allem die alten Kader
profitierten, während das anhaltende Massenelend einer neuen Erklärung
bedurfte, daß sich - kurz gesprochen - die ganze Dialektik von nationaler
und sozialer Befreiung vor allem für die neuen Machthaber rechnete
und daß dies keine Frage von Verrat oder korrupter Moral war, sondern
dem Wesen der Staatsgründung entsprach, all das paßte nicht in unser
Bild eines homogenen Befreiungsprozesses und wurde deshalb ausgeblendet."
(erste RZ-Erklärung, ak 338)
Cl. hat dies in ak 344 noch ein bißchen prinzipieller zugespitzt
("Der Anti-Imperialismus als höchstes Stadium des falschen Anti-Kapitalismus").
"Statt den Bruch mit allen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen
zu vollziehen, werden in dieser ,nationalen Befreiung` nur die ,fremden`
gegen die einheimischen Ausbeutungsverhältnisse eingetauscht, die
in gar nicht so wenigen Fällen ,befreiter Nationen` noch bestialischer
ausfielen als die vorherige ,Fremdbestimmung` (...)". Und noch grundsätzlicher:
"(...) daß jeder Versuch sozialer oder gar sozialistischer Befreiung,
sei er von noch so lauteren Absichten getragen, Ausbeutung und Herrschaft
produzieren muß, wenn er sich in Kategorien von Nation, Volk und
Staat artikuliert."
Wahrscheinlich wird cl. andererseits gar nicht bestreiten, daß
sich Versuche sozialer Befreiung unter den in der Welt herrschenden
Bedingungen zwangsläufig in staatlicher und nationaler Form "artikulieren"
müssen, da klar ist, daß sich solche Versuche nicht gleichzeitig
auf dem gesamten Globus vollziehen, also stets isolierte Unternehmen
sind, die sich selbst schützen müssen. Ebenso selbstverständlich
dürfte sein, daß der "Bruch mit allen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen"
gar nicht schlagartig und total erfolgen kann, sondern daß es zwangsläufig
Zwischenstufen geben wird, die unvollkommen sein müssen. Was folgt
dann aber aus alledem, außer daß Befreiungsversuche generell unmöglich,
also sinnlos sind?
Die RZ-Erklärungen und cl. sind ungefähr wieder da angekommen,
wo die Metropolen-Linke in den sechziger Jahren aus dem herrschenden
Konsens auszubrechen begann: Nationale Unabhängigkeit für die "Dritte
Welt" führe nur dazu, daß sich Negerhäuptlinge goldene Betten hinstellen
und daß sich Stammesfanatiker gegenseitig massakrieren. Nichts werde
dadurch besser, und vieles werde noch weit schlimmer, als es unter
weißer Herrschaft jemals war.
In den praktischen Schlußfolgerungen könnte sich cl. mit den ex-linken
Spießern, über die er sich zu Beginn seines Artikels lustig macht,
die Hände reichen. Auf dem Umweg über den äußersten Radikalismus
kommt er dort an, wo sich jene auf weniger ästhetische Art schon
plaziert haben: Befreiung führt zu Diktatur und Elend. Internationale
Solidarität ist zwecklos, denn man unterstützt sowieso bloß immer
die Falschen. Im übrigen habe ich bei cl. auch keinen einzigen Satz
mehr gefunden, der noch begründet, was aus seiner Sicht gegen die
Herrschaft des Kapitalismus, gegen eine kapitalistische Zurichtung
der Welt einzuwenden wäre. Es bleibt sogar offen, ob es überhaupt
Kapitalisten gibt; jedenfalls setzt cl. dieses Wort beharrlich in
Anführungszeichen und verwahrt sich entschieden dagegen, sie für
das Elend in der Dritten Welt verantwortlich zu machen.
Die Einwände gegen die Befreiungsbewegungen, wie sie in den RZ-Erklärungen
formuliert wurden, sind weder neu noch gänzlich ungerechtfertigt.
Als Argument gegen antiimperialistische Solidarität sind sie jedoch
fragwürdig. Die Gefahr liegt darin, daß auf diese Weise einfach
ein schlaues Alibi besorgt wird, um indifferentes Verhalten und
ein Arrangement mit den herrschenden Zuständen zu rechtfertigen.
Es ist davon auszugehen, daß nach dem Zusammenbruch des "sozialistischen
Lagers" und der nahezu weltweiten Diskreditierung marxistischer
Politik der antikapitalistische und antiimperialistische Widerstand
in der Dritten Welt noch weniger denn je unseren Wunschvorstellungen
entsprechen wird. Das wird wahrscheinlich die Versuchung, sich auf
abstrakte Klugscheißerei zurückzuziehen und sich in der Praxis unsolidarisch
zu verhalten, ins Unwiderstehliche steigern.
Am Rande erwähnt
Wer eine gute Sache vertritt, braucht es mit Fakten und Zitaten
nicht so genau zu nehmen. Macht es also irgendeinen Sinn, noch einmal
den RZ-Autoren zu widersprechen, wenn sie im ak 344 erneut darauf
bestehen, bei der Flugzeugentführung nach Entebbe 1976 seien die
jüdischen - und nicht "nur" die israelischen - Passagiere "selektiert"
worden? Zumal wir ja schon im ak 338 zum ersten Papier der Autoren
geschrieben hatten: "Daß die Trennung der israelischen Passagiere
von den Übrigen von vielen Beteiligten und von der israelischen
Öffentlichkeit als ,Selektion' wahrgenommen wurde, ist nachvollziehbar.
Der Vorgang als solcher ist schlimm genug...".
Vielleicht wäre es vernünftiger gewesen, hier einfach einen Punkt
zu machen? Statt dessen schrieben wir in ak 338 weiter: "Es gab,
sämtlichen Berichten zufolge, für die Trennung der Passagiere kein
anderes Kriterium als die eingesammelten Personalpapiere. Es gibt
keinen Anhaltspunkt, daß irgendjemand, der keinen israelischen Paß
hatte, abgesondert wurde ,nur weil er Jude war`. Die ersten Meldungen
über die ,Selektion` gelangten nach Israel durch jüdische Passagiere,
die in der ersten Gruppe von 47 Menschen freigelassen worden waren."
Für diese Darstellung hatten wir unsere Quelle genannt: das 1976
in London erschienene Buch "90 minutes at Entebbe" von William Stevenson.
Grundlage dieses Reports sind, neben Aussagen der Geiseln, die exakten
Notizen, die sich einer der israelischen Passagiere machen konnte.
Die Eintragung dort lautete in der englischen Übersetzung: "Monday,
June 28...19.10 - The terrorists separate us from the others: a
most dramatic scene. Every person who possesses an Israeli passport
is called upon to leave the central hall and move to an adjoining
room. The women begin to cry. The feeling is like an execution...".
- Entsetzlich genug, und jede Beschönigung wäre fehl am Platz.
In ihrer zweiten Stellungnahme (ak 344) schrieben die Autoren,
offenbar als Reaktion auf unsere Darstellung: "Wir bleiben aber
bei unserer Feststellung, daß im Verlauf der Entebbe-Aktion selektiert
worden ist, daß z.B. die in Entebbe ermordete Dora Bloch Jüdin und
belgische Staatsbürgerin war." - Das wäre allerdings überhaupt noch
kein Widerspruch zu unserer Darstellung, da wir bereits geschrieben
hatten, daß unter den "Ausgesonderten" mehrere waren, die eine doppelte
Staatsbürgerschaft hatten, nämlich die Israels und die eines weiteren
Landes. Ein Widerspruch würde daraus erst, wenn behauptet würde,
Frau Bloch habe keinen israelischen Paß gehabt. Das sagen die Autoren
jedoch nicht.
Im Gegensatz zu uns geben die Autoren ihre Quellen leider nicht
an. Beispielsweise wäre interessant, woher die falsche Behauptung
stammt, Frau Bloch sei belgische Bürgerin gewesen. Tatsächlich hatte
sie jedoch einen britischen Paß. Falsch ist auch die Angabe im ersten
Text der Autoren (AK 338), Frau Bloch sei "die einzige Geisel (gewesen),
die die Flugzeugentführung nicht überlebte." Wie der israelische
Vertreter Chajm Herzog vor der UNO mitteilte, kamen drei Geiseln
beim Sturm der israelischen Spezialeinheit auf das Flughafengebäude
von Entebbe ums Leben. Nach offizieller israelischer Version wurden
sie von Entführern erschossen. Augenzeugenberichte lassen jedoch
die Möglichkeit offen, daß sie von israelischen Schützen getroffen
wurden, weil sie sich nicht schnell genug zu Boden warfen.
Zum Schicksal von Frau Bloch ist ergänzend hinzuzufügen: Da sie
erkrankte - anscheinend durch Lebensmittel -, wurde sie aus dem
Flughafengebäude in das Krankenhaus von Kampala gebracht. Dort konnte
sie von einem britischen Diplomaten besucht werden. Der Rest wird
widersprüchlich dargestellt. Die ugandische Regierung behauptete,
Frau Bloch sei, wieder genesen, nach Entebbe zurückgebracht worden.
Nach israelischer Darstellung befand sie sich jedoch nicht unter
den Geiseln. Daher ging man dort davon aus, Dora Bloch sei im Auftrag
Idi Amins ermordet worden.
Kt.
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