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RZ / Rote Zora

Verbrecherische Ideologie oder Befreiungsnationalismus?

Zur Kritik des linken Antizionismus

  • Eine "Selektion entlang völkischer Linie" habe stattgefunden, halten die RZ in einer im letzten ak dokumentierten Erklärung fest (S. 28t). Selbstkritisch wurde damit eine 1976 unter Beteiligung von RZ- Genossen durchgeführte FIugzeugentführung ("Entebbe") reflektiert, in deren Verlauf jüdische Passagiere separiert worden waren. Dazu veröffentlichte "Fragen und Anmerkungen zum RZ- Papier" von "GenossInnen aus der Mehrheit" (S.30) gehen glatt am Zentrum vorbei, und das betrifft auch uns - die verschiedenen Teile des ehemaligen KB, Ex- Mehrheit und Gruppe K.
    Die Notwendigkeit, den "Antizionismus" der "Neuen Linken" aus den 70er Jahren einer Kritik zu unterziehen, ist eklatant. Denn: Jener war oftmals vom Bestreben nach Entsorgung deutscher Vergangenheit geprägt und von antisemitischen Stereotypen überlagert. Ein Beitrag von Kt. in ak Nr. 337 (Spätfolgen des kalten Krieges, 8.34) bewies einmal mehr die aktuelle Brisanz dieser Problematik.

Es ist schon sehr merkwürdig. Auf nahezu einer ak- Seite schafften in ak 338 AutorInnen der Gruppe "Mehrheit", sich mit einem wesentlichen Kern der RZ- Erklärung inhaltlich nicht auseinanderzusetzen.

War dort davon die Rede, daß wir - also die RZ - "mit unserem Begriff von Antizionismus nur Teil einer historischen Strömung waren. die fast alle Fraktionen der damaligen Linken erfaßt hatte", fühlte man sich offensichtlich nicht gemeint. Die statt dessen ausgebreiteten Probleme erwecken dadurch jedenfalls teilweise den Eindruck, zur Vermeidung eines unangenehmen Themas vorgeschoben und aufgepustet zu werden.

So grübe!t in der radikalen Linken in Wirklichkeit kein Mensch über den Verdacht, das RZ- Papier sei eventuell nicht authentisch. Auch, daß die RZ den behaupteten Tod von Gerd Albartus nicht beweisen und belegen kann, raubt niemandem den Atem: Gründe, ErkenntnisquelIen konspirativ zu halten, gibt es viele. Natürlich liegt nun die Verantwortung für die absolute Zuverlässigkeit der Information bei den AutorInnen. Daß der Text der "Mehrheit" - zwar vorsichtig, aber noch deutlich genug angedeutet, Albartus könne ja auch durch sie umgebracht worden sein, ist infam.

Ernster zu nehmen ist der Einwand, die RZ hätte die palästinensische Gruppe, die dem Text zufolge Albartus hinrichtete, im Rahmen der Möglichkeiten konkret belasten, und ihre politische Isolierung herbeiführen müssen. Vieles spricht indes dafür, daß die von der RZ resignierend hingenommene Unmöglichkeit, "eine Form der Reaktion" zu finden, "die unserem Entsetzen und unserer Trauer gerecht wird"! solche Überlegungen mit einschließt.

Die gemeinte kleine Gruppe ist allem Anschein nach das "PFLP- Generalkommando"; das sich kurz vor der Entführung von der großen Organisation PFLP (Habasch) abspaltete (1). Anders als die in der BRD breit vertretene PKK kann jenes PFLP-GK, das vermutlich aus dem Nahen Osten agiert und ausschließlich über Anschläge etc. in Erscheinung tritt, durch eine politische Kampagne in Deutschland in keiner Weise betroffen werden. Mutmaßliche Aktivitäten des PFLP-GK dienen hierzulande vielmehr der bürgerlichen Presse regelmäßig, wie auch jüngst wieder bei Habaschs Parisaufenthalt dazu, die PFLP massiv zu diskreditieren:

Leider verfolgen die "GenossInnen der "Mehrheit" auch mit ihrer Fragestellung, ob bei der Entführung die Selektion wirklich allein nach dem Merkmal "Jude" erfolgte - wie ZeugInnen es vor laufenden Fernsehkameras darstellten -, oder anhand der israelischen Pässe - wie mit einigen Rechenkünsten nachzuweisen versucht wird- , den Zweck, am Entscheidenden vorbeizuschreiben. Denn es macht zwar einen wichtigen Unterschied, ob das Kommando gezielt und offen antisemitisch "Juden" isolierte, oder israelische Staatsbürger. Auch im letzten Fall bliebe es eine in höchstem Maße kritikwürdige Selektion, die zudem von deutschen Akteuren ausgeführt wurde. Selbst wenn jene Rechenkünste zuträfen, gälte: Entebbe war kein Einzelfall, sondern ging mit antisemitischen Elementen im "antizionistischen" Selbstverständnis der Neuen Linken einher und verweist auf tiefgreifende Defizite und Fehler auch in unserer eigenen politischen Geschichte.

Israel der "Gangster- Staat"?

Mit einer ins Auge springenden Vermeidung hat sich der KB nach Entebbe, nach1976, um jene tieferliegenden Probleme herumzumogeln versucht. Der ak 84 vom 13.7.76 behandelte ausschließlich die israelische Kommandoaktion im ugandischen Entebbe, die zum Tod der Entführer und ugandischer Soldaten, und zur Befreiung der Geiseln führte. Die Geiselaffaire wurde zum Anlaß genommen, so richtig grundsätzlich mit Israel abzurechnen. Mit keinem Wort dagegen ging der Text auf die Problematik der immerhin von deutschen Linken mitgestalteten Entführung und Selektion ein. Auch in den folgenden Ausgaben des ak findet sich dazu keine Silbe. Dies ist um so verwunderlicher, als der KB ansonsten durchaus auch schon damals der kritischen Diskussion verschiedenster linksradikaler Politikansätze und Aktivitäten, auch des bewaffneten Kampfs, sehr aufgeschlossen gegen überstand.

Dagegen findet sich im Text die Gleichsetzung Israels mit dem nationalsozialistischen Deutschland. Es heißt dort: "Israel ist von daher in besonderer Weise "spezialisiert" auf alle Arten von Aggression, Massenmord und Rechtsbrüchen gegen andere Staaten, wobei es sich zusätzlich einer weitestgehenden "Narrenfreiheit" erfreut, die es der zynischen Berufung auf sechs Millionen ermordete Juden verdankt die aber im Grunde nichts anderes sind als Opfer derselben menschenverachtenden Politik, die Israel heute praktiziert." Was hier als "im Grunde" dasselbe erklärt wird, ist auf der einen Seite eine sehr gewaltförmige, aber auf ein eng begrenztes Ziel der Geiselbefreiung ausgerichtete militärische Kommandoaktion, die gegen das Völkerrecht verstieß, und auf der anderen Seite die planmäßige Vernichtung des europäischen Judentums.

Juden wird die Berufung auf die geschichtliche Verfolgung aberkannt und dadurch die eigene Problematik, der Tätergesellschaft anzugehören, "gelöst".

Der ak- Text von 1976 zeigt an, wie solche Geschichtsrelativierung von links als Spiegelbild rechter Entschuldungsstrategien entstanden ist: Auf den offiziellen Philosemitismus, der Deutschland durch demonstrative Judenachtung wieder groß machen wollte, wurde im Reflex mit einer Ausformung von "Antizionismus" reagiert, die ebenso der Entschuldung diente. Der ak zitierte die bürgerliche Presse wie folgt: "Schreibtisch- Mörder wie der "Welt "-Chef- Kommentator Kremp geben sich nicht einmal mehr Mühe, ihre faschistische Blutgier zu verbergen, wenn sie die "eminente Vemichtungsqualität" des israelischen Überfalls preisen (Welt,5.l)." Dem folgte aber nicht die Analyse, daß der WELT- Kommentator den völlig unangemessenen Begriff der "Vemichtungsqualität" ganz offensichtlich deswegen ausgerechnet auf Israel verwandte, weil die Vorstellung von den schuldigen Opfern die Entschuldung der Täter bewirken soll. Der sprachliche Auschwitz- Vergleich wird vielmehr selbst übernommen. Weiter im Zitat: "Passend hierzu der Ausspruch von einem der israelischen Killer: "Wir haben auf jeden geschossen, der uns in die Quere kam "(Bild, 5.l). 20 ugandische Soldaten wurden dabei vernichtet: aber wen kümmert das schon.. Philosemiten vom Schlage eines Kremp und der Antizionismus im 'Arbeiterkampf 1976' sind sich damit darin einig, die Shoah vergessen zu machen, indem die Überlebenden zu den Fortsetzern der Methoden nationalsozialistischer Massenvernichtung erklärt werden: Zwei Wege, die das gleiche Ressentiment auszudrücken.

Der KB zeigte sich völlig unfähig, die israelische Aktion angemessen zu beurteilen. Man muß die Aktion die u.a. zahlreiche ugandische Soldaten das Leben kostete keinesfalls selbst als "Befreiungsaktion" rechtfertigen, um immerhin wahrzunehmen, daß die Geiselbefreiung israelische Hauptintention gewesen ist. Der ak- Artikel aber wittert in dieser Begründung einen bloßen "Vorwand", ein Ablenkungsmanöver, und akzeptiert die Vokabel "Befreiungsaktion" deswegen nicht. Ohne eine solch verschobene Wahrnehmung hätte das israelische Vorgehen nicht als den NS-Morden vergleichbar bezeichnet werden können. Eigentliches Ziel Israels sei es gewesen, heißt es im Artikel, "ein Kommando - Unternehmen gegen Uganda durchzuführen.

Diese Beschreibung stützt sich darauf, daß in der ganzen westlichen Welt, und ganz besonders in der BRD, die Aktion als positiver Anreiz für Interventionspolitik und Kriege in der 3. WeIt rezipiert wurde. Daß aber Israel unabhängig von solchen Zwecken schon immer militärische Aktionen aus eigenen Interessen, also tatsächlich in engem Bezug auf seine Bürger und auch auf nicht- israelische Juden, unternahm, wurde verkannt. Hinter einem solchen Unverständnis steht aber bereits ein Schema, das "Zionismus" nicht als israelische Nationalbewegung erkennen mag, sondern im "Zionismus" die extremste Ausgeburt des Imperialismus, gewissermaßen dessen Steigerungsform, erblickt. Eine auf solche Ansichten fußende Selbstbezeichnung als "antizionistisch" muß aber als eindeutig antisemitisch bekämpft werden.

Im ak 84 ist jedenfalls der Staat Israel in einer speziellen Art und Weise verteufelt, die mit Bemühungen um rationale Analyse nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Die Rede ist von Israel als der "Avantgarde" des Imperialismus, vom "Gangster"- Staat , dessen Errichtung "bei gleichzeitiger Vertreibung von mehr als einer Million Palästinenser(n) ein Verbrechen gewesen sei, das mit Notwendigkeit alle weiteren Verbrechen nach sich zog" , und von der besonderen Spezialisierung Israels auf "Massenmord", von Israel als einer "Mörderzentrale".

Antisemitismus und Antizionismus

In der Neuen Linken wurde in den 70er Jahren allgemein wie im eben Zitierten die besondere Entstehungsgeschichte Israels zum Anlaß genommen, gerade diesem Staat jedes Existenzrecht abzusprechen. Dem liegt ein völlig unreflektiertes Verhältnis zu Staatsbildung und zum Begriff der Nation in der Neuen Linken zugrunde. Die von der RZ hergestellte Verbindung einer Kritik der Entebbe- Aktion zur früheren unreflektierten Übernahme völkischer Kategorien ist alles andere als willkürlich. "Israel", heißt es beispielsweise im ak- Artikel von 1976, "ist in der Situation eines Gangsters, der in ein fremdes Haus eingedrungen ist, die Bewohner vertrieben hat, und der nun frech behauptet, er befinde sich in "Notwehr" wenn er auf die Bewohner und ihre Kinder ballert, die in ihr Haus zurückwollen". Da die Staatsgründung ein unrechtmäßiger Gewaltakt war, kann dem Staat Legitimation und Existenzrecht auch in der Folge niemals zugesprochen werden. Das Unrecht der Gründung setzt sich zwangsläufig fort (vgl. oben).

Die Bewohner sind des fort gesetzten Hausfriedensbruch überfuhrt, die ursprünglichen und deshalb berechtigten Bewohner haben ihrerseits das Recht, die Zwangsräumung gegen die Hausbesetzer einzuleiten - dem Rechtsbrecher stehen keine Notwehrrechte zu. Die Vorliebe, das Recht bürgerlicher Staaten zur Untermauerung von Forderungen zu zitieren, wird hier zur Manie, sich zum Weltrichter aufzuwerfen, und unterschiedlichen Menschengruppen die Staatsgründung post festum zuzuerkennen oder abzusprechen. Es fällt auf, daß es immer nur den einen negativen Bescheid gibt:: Israel. Dagegen gilt als ebenso "natürlich", daß den Palästinensern ein ewiges und vererbbares Recht auf "ihren Boden" zuzuerkennen sei. Die gesamte Neue Linke, auch der KB, bezog sich positiv auf die Gründungscharta der PLO, die eine besondere, vererbbare Verwurzelung der Palästinenser mit dem palästinensischen Boden der Definition als Nation zugrundelegte.

Zionismus ist die israelische Nationalbewegung, die Legitimationsideologie des Staates. Der Zionismus erzählt wie jeder Nationalismus die alten Geschichten vorn Volk, das vorausgesetzt wird, von seinem Recht auf Selbstbestimmung, das es, wie andere Völker hätte, von einem Siedlungsraum, der ihm als uraltes Elbe zu stünde und natürlich vom Recht, sich seinen Staat zu machen, und sei es mit Gewalt. Wie alle nationalen Ideologien hat der Zionismus seine rassistische Komponente: wer nicht zum Volk gehört, soll auch nicht gleichberechtigt im Staat leben dürfen, am besten überhaupt das Territorium verlassen. Die Palästinenser spielen in diesem Zusammenhang, neben ihrer realen Gegnerschaft dem Staat Israel gegenüber, auch die Rolle des Anderen, des Bedrohers, dessen man sich stets von neuem erwehren muß, um auf diesem Wege um so mehr zu erkennen, wie sehr man zusammengehört, ein Volk ist. Dieser Sachverhalt erlaubt aber keinesfalls, Israel als einen besonderen, verbrecherischen Staat aus der aktuellen Staatenwelt herauszuheben. Die Definition der Nation aus der Abgrenzung vom "Anderen" ist regelhaft, nicht die Ausnahme.

Im Prozeß der Nationenwerdung, der sich andernorts allerdings meist über lange Zeiträume erstreckte, wurden oftmals grauenhafte Massaker begangen: In England wurden im 17. Jahrhundert Rachefeld zügig gegen die Schotten unternommen, Frankreich tat das seine gegen Albigenser und Katharer, später gegen Hugenotten, die Türkei gründete sich vor dem Hintergrund von Armeniermassakern, und die Verfolgung der kurdischen Minderheit dient fortwährend dem Beleg der großtürkischen Identität. Auch aktuell ist eine Tendenz der verschiedensten Nationalismen zu Abgrenzung und Rassismus unschwer zu beobachten. Dies alles ist kein Grund, israelische staatliche Repression zu rechtfertigen, aber es verbietet sich, gerade Israel in den grellsten Farben als in seiner Bestialität hervorstechend zu geißeln.

Die Differenz bei der Staatsgründung besteht darin, daß sich der Zionismus nicht, oder doch erfolgloser als andere Nationalismen, den Anschein geben konnte, ein "naturwüchsiges" Produkt zu sein, das sich in Jahrhunderten zu seiner heutigen Form gemausert hat, und weit entfernt von jeder kritischen Analyse quasi als Lebenssachverhalt existiert. Er ist eine rein politische Geburt, die den Plan, einen jüdischen Staat zu gründen, schon begleitete, bevor es ihn gab. Die politisch herbeigeführte Staatsgründung Israels ist es sei wiederholt auch eine Geschichte der Vertreibung und Unterdrückung der Palästinenser. Die Dramatik des Palästina- Konflikts kann aber nicht einfach aus einer besonderen Aggressivität Israels erklärt werden, sondern ist wirklich aus dem sehr realen Problem gespeist, daß tatsächlich zwei sich als Völker definierende Gruppen ein und dasselbe Territorium als Staatsgebiet definieren.

Die RZ hat recht mit ihrem Hinweis, daß verschiedene Befreiungsbewegungen bei der Bildung von Staat und Nation einen Homogenisierungsanspruch gegen über ihrem jeweiligen Staatsvolk erhoben. Tatsächlich darf auch der Zionismus eben nicht nur über die Unterdrückungspraxis, sondern muß andererseits auch als eine nationale Befreiungsbewegung interpretiert werden. Der Zionismus vermittelte den Juden in ideologischer Verbrämung das Versprechen, ein altes Bedürfnis verwirklichen zu können: Irgendwo leben zu können, wo antisemitische Verfolgung, wiederkehrende Pogrome und Enteignungen bis hin zur Massenvernichtung, für Juden nicht mehr zu befürchten wäre. Er diente der Befreiung von Antisemitismen, wie einige andere Nationalismen der Befreiung von rassistisch- kultureller Unterdrückung. Daß der Zionismus sich zur Staatsgründung nicht gegen die verschiedenen unterdrückenden Nationalismen durchsetzen konnte, sondern sich darin gegen die Palästinenser richtete, ist eine historische Besonderheit. Eine andere liegt in der unvergleichlichen antisemitischen Verfolgungsgeschichte.

Der Erfolg des Zionismus seit der Jahrhundertwende in Osteuropa beruht auf den besonders schlechten Bedingungen, denen die Ostjuden im damaligen Russischen Reich ( inclusive Russisch- Polen) und im Osten der Habsburg- Monarchie ausgesetzt waren. In Westeuropa verfing er zunächst nicht, die Juden in Deutschland, Frankreich etc. erhofften sich von einem jüdischen Staat wenig Vorteile. Sie bauten auf die Vollendung der Assimilation und sponsorten jüdische Siedlungsprojekte in Palästina aus einer Mischung aus Solidarität mit den Auswanderungswilligen und geheimer Furcht vor übergroßer Zuwanderung armer, traditionalistischer Juden aus dem Osten. Der Siegeszug des Zionismus im Westen wurde durch den deutschen Faschismus bewirkt, der die Behauptung der Zionisten, es gebe ein jüdisches Volk, negativ bestätigte. Auch Westjuden, ob getauft oder ungetauft, machten nun die Erfahrung, daß dem Jude- Sein nicht zu entkommen war. Dies stellt einen sehr praktischer Beweis der zionistischen Ideologie dar, die durch die Judenpolitik der Nazis endgültig einen nicht mehr zu bestreitenden materialistischen Kern bekam. Die Frage, ob ein jüdischer Staat auch ohne die Shoah entstanden wäre, ist nicht entscheidend reale antisemitische Verfolgung und damit praktische Gründe für viele Juden, auch schon vor 1933 einen eigenen Staat zu wollen, gab es genug. Die Erfahrung nach 1933 hat jedenfalls aus den sehr unterschiedlichen Juden in Europa ein Kollektiv der Verfolgten gemacht. Jede/r Einzelne wurde nach bestimmten Kriterien ausfindig gemacht, eine Wahlmöglichkeit, Jude sein zu wollen, gab es nicht. Die Juden wurden zur Schicksalgemeinschaft gemacht, zum Volk, das zum Schutz einen Staat gründet. Der Zionismus, als Ausdruck des Bestrebens, Schutz vor Antisemitismus zu schaffen, ein Befreiungsnationalismus, hat die Schwierigkeit der kurzen "nationalen" Tradition, die in Bezug auf die Anerkennung des Staates immer wieder Legitimationsprobleme bereitet, mit anderen Befreiungsnationalismen gemeinsam so formierte sich z.B. die palästinensische Nationalbewegung, auf eine Staatsgründung orientierend, großenteils erst nach 1948.

Heute definiert sich der israelische Staat als ein auf diesen Erinnerungen gründender, vom Sicherheitsgedanken erfüllter Verteidigungsstaat, der sich möglichst alle Optionen zum eignen Schutz offen halten will. Gibt es auch deutliche Differenzierungen in der israelischen Gesellschaft, so besteht doch immer wieder weitgehend ein Konsens, auch völkerrechtswidrige Militärinterventionen und -operationen als gerechtfertigt anzusehen und ein Atomwaffenmonopol in der Region zu beanspruchen.

Der Zionismus bleibt in unterschiedlichen Ausprägungen die Staatsideologie, dringend benötigt in einem jungen bürgerlichen Staat, der auf Warenproduktion und Klassenherrschaft gründet und immer wieder die vielen Einzelnen als Staatsvolk bei der Stange halten muß. Eine außergewöhnliche Rolle spielt Israel als Exponent westlicher Lebensbedingungen und Standards in einer Region von Drittweltstaaten und Schwellenländern. Dagegen kann nicht besonders herausgestellt werden, daß Israel "Brückenkopf des US-Imperialismus" sei und es deswegen im Nahen Osten einzigartig dastehe. Andere Staaten der Regionen dienen ihrerseits als "Brückenköpfe des Imperialismus", oder dienen sich für eine solche Funktion soeben an: die Türkei, Saudi-Arabien, Ägypten ...sind es schon, Irak war es teilweise, Syrien ist auf dem besten Wege.

Die Fremdheit Israels im vorderen Orient in kultureller Hinsicht und in Hinsicht auf Lebensbedingungen prädestiniert es, dort bevorzugtes Objekt von Ressentiments der zu kurz Gekommenen zu sein. Israelfeindlichkeit ist erklärte Regierungspropaganda zahlreicher Staaten der Region und, wie der Golfkrieg gezeigt hat, Bestandteil des Massenbewußtseins. .

Die Betonung der Fremdheit der Juden in Palästina verweist aber in vielen antiisraelischen Aussagen auch auf im arabisch- islamischen Raum virulente antisemitische Denkmuster. Die Aberkennung der "Staatsfähigkeit" gerade und nur für den Zionismus spielt - manchmal sehr direkt - auf das antisemitische Stereotyp vom ewigen Juden an, der, ewig umherschweifend, heimatlos bleiben muß, weil er "natürliche" Bindungen an heimatlichen Boden nicht einzugehen vermag. Eine solche antisemitische Komponente ist auch im geäußerten "antizionistischen" Bewußtsein vieler Linker hier zu beobachten, wenn herausgestrichen wird, sich mit der Existenz der Fremdlinge auf palästinensischem Boden niemals abfinden zu wollen. Eine Agitationsformel, die das heutige Israel als "jüdischen Siedlerkolonialismus" definieren will, ist deutlich erkennbar aus solchen Ideologiemustern gespeist.

Das antisemitische Stereotyp, dem Juden sei die eigentlich "natürliche" Bindung an Blut und Boden nicht möglich, verweist auf Ursprünge des Antisemitismus in der nationalen Formation, wie die "Kritische Theorie" analysiert hat. Die "Nation" als ideologisches Konstrukt des Bürgertums definiert sich notwendig aus der Abgrenzung vom Anderen, ihr ist Rassismus strukturell eingeschrieben. Sucht aber der Rassismus die anders Nationalen zu diskriminieren, so sieht der Antisemit im Juden die Negation des Prinzips der natürlichen. nationalen Gemeinschaft" verkörpert, weshalb er besonders haßerfüllt zu verfolgen ist.

An dieser. Stelle wäre eigentlich eine ausführlichere Erörterung von Theorien des Antisemitismus erforderlich, um darauf basierend verschiedene Argumentationen des "Antizionismus" auf antisemitische Hintergrunde untersuchen zu können. Es ist ein wichtiges Problem, daß sich die aus der APO entstandene Neue Linke zwar in Abgrenzung zur Elterngeneration und über die Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus herausbildete, daß der Faschismuskritik aber jede ernsthafte Beschäftigung mit deren Antisemitismus mangelte. Daraus resultierte auch, daß es kaum ernsthafte Beschäftigung mit der Geschichte der Opfer gegeben hat, was wiederum zu theoretischen Defiziten führen mußte, etwa in der "Faschisierungsthese" des KB.

Eine ausführliche theoretische Diskussion des Themas "Antisemitismus" ist hier aber nicht leistbar. Es sei an dieser Stelle daher lediglich auf einen u. E. wichtigen Aufsatz verweisen, auf den 1979 von Moishe Postone veröffentlichten Text "Nationalsozialismus und Antisemitismus", der modernen Antisemitismus, verkürzt gesagt, als die Projektion einer falschen, einseitig gegen das Abstrakte ausgerichteten "Kapitalismuskritik" auf den "Juden" definiert.(2) Auch ohne eine solche theoretische Fundierung scheint es uns immerhin möglich, antisemitische Stereotypen zu benennen, wie sie auch in der NS-Ideologie manifest wurden:

  • Juden verkörpern die Abstraktion des "Wuchers" gegenüber dem "schaffenden" Prinzip, dem auch das "bodenständige" Kapital zugerechnet werden kann.
  • Mit "Jude" wird antisemitisch, wie bereits angesprochen, Haltlosigkeit, Wurzellosigkeit impliziert, was sich auch im Vorwurf des Kosmopolitismus ausdrücken kann.
  • Als "Jude" gilt das Gegenprinzip zum Bekenntnis zur eigenen Volksgemeinschaft, das heißt zur "natürlichen", schicksalhaften, unauflösbaren Zusammengehörigkeit in der eigenen Nation.
  • Der Jude ist, unfähig zu natürlicher Bindung, geprägt von Verstellung und Lüge, ist Fälscher und Intrigant.
  • Juden werden im Antisemitismus nicht einfach diskriminiert, sondern ihnen wird eine undurchschaubare, große Macht zugeschrieben, gegen die es sich zur Wehr zu setzen gilt. Der Antisemitismus impliziert eine Theorie der Weltverschwörung. die nur durch die Beseitigung des Bösen, also der luden, aufgehoben werden kann.

Beispiele dafür, daß "antizionistischen" Argumentationen jene antisemitischen Bilder zugrundeliegen, ließen sich viele anführen. Tatsächlich kann sich auf eine lange erfolglose Suche begeben, wer "antizionistische" Texte zu finden sucht, die davon frei wären. Auch die Tradition "antizionistischer" Komitees und Gruppierungen in der Sowjetunion, welche die ganz besondere Geißelung des Zionismus durch die UN mit herbeiführte, ist z.B. vom Gedanken der zionistischen Weltverschwörung geprägt. Solche Gruppierungen wurden oftmals in den 70er Jahren auch durch die westdeutsche Neue Linke zitiert. Heute sammelt beispielsweise die KP Rußlands, die noch gegen Gorbatschow gegründet wurde, Kräfte, die den Zionismus für den Zusammenbruch der SU verantwortlich machen - auf ihren Demonstrationen gegen Preissteigerungen sind stets auch antisemitische Plakate präsent.

Es ist von großer Bedeutung, zu erkennen, daß jeder "Antizionismus" antisemitisch ist, dem nicht die Definition und Kritik des "Zionismus" als Nationalbewegung zugrunde liegt, der statt dessen die jüdische Unfähigkeit zur Nationenbildung betont, bzw. luden ein Recht dazu bestreitet und einen ganz besonders gefährlichen weltweiten Einfluß "der Zionisten" behauptet.

KB - Traditionen ...

Im ak wurde die "antizionistische" Selbstdefinition Ende der 70er Jahre stillschweigend zurückgenommen. Im Laufe der 80er Jahre setzte sich eine differenzierte Palästina -Solidarität durch, die das Existenzrecht Israels anerkannte und auf einen Verhandlungsfrieden orientierte, als dessen Resultat neben Israel ein unabhängiger palästinensischer Staat entstehen soll. Die Beschäftigung mit Antisemitismus, und damit' der Problematik ehemaliger antizionistischer Argumentationsmuster, blieb jedoch außen vor.

Daß 1982, während des Libanon - Krieges, der ak unter der Hauptschlagzeile " Die Endlösung der Palästinenserfrage " erscheinen konnte, zeigt überdeutlich die Folgen solcher Vermeidung: alte Muster der Täter -Opfer- Relativierung und antisemitische Stereotype scheinen immer wieder auf. Der Vorstoß einer Frankfurter Genossin 1982, diese neuerliche unbewußte Verharmlosung der Shoah zurückzuweisen und eine Debatte in der gesamten Organisation um das Thema Antisemitismus zu initiieren, fand im KB keinen Widerhall. Die von einer kleinen Gruppe verfaßte, bemerkenswerte Serie zur Geschichte des Antisemitismus wurde zwar nicht unterdrückt, aber auch nicht KB- öffentlich diskutiert. Gleichzeitig verteidigte der Autor der Zeile " Endlösung der Palästinenserfrage?" seine Überschrift. Die Genossin verließ in der Folge dieser Entwicklung den KB.

Im Kontext jener Auseinandersetzung steht ein Streit, der jüngst seine Fortsetzung fand. Die Frankfurter Genossin verfaßte eine ausführliche Kritik von Henryk Broder:, Buch "Der ewige Antisemit", um die Frage antisemitischer Muster in der eigenen antizionistischen Argumentation zum Thema zu machen. Fünf ak- Nummern später (277) publizierte Kt., ohne Absprache mit der Autorin, einen Artikel, in dem Broder vorgeworfen wurde, mit falschen Zitaten gearbeitet zu haben: Das Zitat " In Prag regieren die Juden " sei im Völkischen Beobachter zum angegebenen Zeitpunkt ebensowenig erschienen, wie das Zitat "in Prag regieren die Zionisten" im August 1968 im "Neuen Deutschland". Die von der Genossin geäußerte Sichtweise, dieser Beitrag Kt.s habe allein der Vermeidung einer wirklichen Auseinandersetzung mit Antisemitismus gedient, wurde damals im KB beinahe nur von der damaligen Frankfurter Gruppe geteilt. Heute kann sie als erwiesen gelten. In ak 337 wiederholte Kt., anläßlich einer Veröffentlichung Oliver Tolmeins in "Konkret", seine "Quellenkritik". U.a. schrieb er: "... die Artikelüberschrift ist frei erfunden. Sie steht weder im ND vom 21. August 1968 noch an anderen Tagen dieses Zeitraums. Er gibt auch keine Aussagen mit ähnlicher Tendenz im damaligen ND, weder in Überschriften noch Artikeln und Kommentar. Selbst die angebliche Schlagzeile aus dem "Völkischen Beobachter" ist frei erfunden." (S.34) Neben Broder unterstellte Kt. nun auch Simon WiesenthaI, der 1968 in einer Dokumentation Kontinuitäten von NS- Antisemiten in die Redaktionsstuben des "Neuen Deutschland" hinein nachgewiesen hatte, antisemitische Tendenzen jener Zeitung im Zeichen des Kalten Krieges bloß erfunden zu haben. In "Konkret" 2/92 wies Oliver Tolmein nach, daß zwar nicht das exakte Zitat, wohl aber die Formulicrung, in Prag hätten "zionistische Kräfte die Führung übernommen", im ND vom 25. 8. 1968 den Leitkommentar pointierte.

Daß das "Neue Deutschland" antisemitisch argumentierte, konnte Kt. offensichtlich aus einer ausgeklügelten Vermeidungsstrategie oder aus eigenen Ressentiments nicht wahrnehmen.

Abwehr notwendiger Selbstreflexion prägte Kt.s Reaktion auch, als in der Gruppe K Auseinandersetzungen um die Relevanz der Antisemitismusfrage für den Goltkrieg geführt wurden, und in diesem Kontext max. in ak 329 die ehemaligen Haltungen des KB bezüglich Israels analysierte. In den Folgenummern erschien weder eine zustimmende noch eine ablehnende Antwort, sondern ein länglicher Artikel Kt.s zur Geschichte des Zionismus, der in seiner ihrer Hauptaussage zu belegen suchte, daß die Staatsbildung Israels als letztlich vom Holocaust unabhängig anzusehen sei. Nur kurze Absätze widmete die umfassende Darstellung der Zeit von 1933-45.

Resumee

Ist also die Debatte um antisemitische Tendenzen des "Antizionismus" der 70er Jahre in unserem engeren Umfeld keinesfalls akademisch, sondern von Brisanz, so gilt das um so mehr für die Strömungen der radikalen Linken insgesamt. Es ist zu hoffen, daß Diskussionen um die Erklärung der RZ diesen Punkt nicht auslassen. Heute, da Deutschland wieder Großmacht wird, ist nur die Reetablierung einer radikalen Linken wesentlich, sich einer Analyse deutscher Vergangenheit zu stellen, die ehemals unbearbeitete Aspekte, wie die Frage einer Analyse des Antisemitismus, mit einbezieht. Ohnehin erweisen Debatten um Rassismus, Wiedervereinigung etc., daß Fragen der Stellung gegenüber Kontinuitäten aus der NS-Zeit - die in allen Fraktionen durch theoretische Defizite geprägt sind - sich immer wieder als relevante Streitpunkte erweisen und auch die radikale Linke fraktionieren.

Ob sich die Linke in Deutschland insgesamt vom Begriff "Antizionismus" verabschieden sollte, ist unseres Erachtens eine Auseinandersetzung wert. Es gibt eine antisemitische Tradition des Antizionismus, die allzu oft unter "linken" Vorzeichen anzutreffen war und ist; die Relativierung der Shoah und der Rekurs auf antisemitische Muster ist für sie kennzeichnend. Dieser Teil linker Geschichte muß kritisch aufgearbeitet werden, ein so besetzter Antizionismus muß aus linken Zusammenhängen verschwinden.

Die Gruppe K - als Mitbetreiberin des ak - befindet sich aktuell in der schwierigen und ärgerlichen Situation, daß sich die mit herausgebende Gruppe "Mehrheit" gegenüber dieser Problematik in Diskursverweigerung übt, was geeignet ist, den ak als zweideutiges Journal erscheinen zu lassen: Hier wird die Auseinandersetzung mit Antisemitismus und der eigenen Geschichte als wichtiges Thema hervorgehoben, dort werden Vermeidungsstrategien oder Schlimmeres immer sichtbarer. Inwieweit ein solcher Zustand tragfähig ist, wird die Zukunft erweisen.

jw. /Be., Gruppe K

Anmerkungen:

(1) Habasch, Generalsekretär der PFLP, erklärte nach der Entführungsaktion, "eine Gruppe Jugendlicher, die vor einiger Zeit mit der PFLP gebrochen haben", sei für die Entführung verantwortlich. Er dementierte die Aussagen des Kommandos, der PFLP anzugehören. (vgl. ak 85,26.7.76.5.2)

(2) Dieser Ansatz wurde in der Filmkritik .Prolly Woman und die Logik des Antisemitismus. (ak 334, 8361) kurz vorgestellt. Im nächsten AK wird eine Zusammenfassung im Kontext eines Interviews mit M. Postone erscheinen. Der Aufsatz ist in der Nullnummer der .Bahamas. (Zirkular der Gruppe K), sowie in der letzten Ausgabe von "Kritik und Krise" (18F Freiburg) dokumentiert.

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