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Die "Benz"-Variante
Interview mit Uli Dillmann
Oliver Tolmein
Nach achteinhalb Jahren Illegalität ist er wieder aufgetaucht:
Die Bundesanwaltschaft hat das Verfahren wegen Mitgliedschaft in
einer "terroristischen Vereinigung" gegen Uli Dillmann eingestellt.
Oliver Tolmein sprach mit ihm über seine Erfahrungen
KONKRET: Gegen dich wurde wegen Mitgliedschaft in einer "terroristischen
Vereinigung" ermittelt. Vor achteinhalb Jahren bist du von der Bildfläche
verschwunden. Warum?
Dillmann: Am 18. Dezember 1987 fanden bundesweit Hausdurchsuchungen
statt. Die Razzia unter dem Kodewort "Aktion Zobel" richtete sich
gegen vermeintliche Mitglieder bzw. Unterstützer/innen der
"Roten Zora" und der "Revolutionären Zellen". Auch meine Wohnung
wurde damals durchsucht. Ich hatte keine Lust, unter dem Druck und
der Observation der "Herren des Morgengrauens" zu leben. Deshalb
habe ich es vorgezogen, für die Staatsorgane unerreichbar zu
sein.
KONKRET: "Emma" hat 1989 von dir behauptet, daß du "Undercoveragent"
des Bundesamtes für Verfassungsschutz und ein "Agent Provocateur"
seist - vor allem weil es keinen Haftbefehl gegen dich gab.
Der Gang der Dinge hat, denke ich, recht eindrucksvoll gezeigt,
was für eine abenteuerliche und von keiner genauen Kenntnis
der Vorgänge getrübte These das war und ist. Interessant
daran ist heute nur noch, daß die Rate-Expertin Schwarzer
damals die Aussage von Ingrid Strobl aufgegriffen hat, sie habe
einen Wecker, der angeblich bei einem Anschlag gegen die Lufthansa
und den Sextourismus benutzt worden war, an einen "Mister X" weitergegeben.
Ohne diese Einlassung wären die Spekulationen, daß ich
dieser Mann sei und zudem noch vom Staatsschutz bezahlt würde,
kaum aufgekommen. Für mich zeigt dies noch einmal sehr deutlich,
wie problematisch und folgenreich für andere selbst Aussagen
in Gerichtsverfahren sein können, die nur einen selbst entlasten
sollen und in denen kein Name genannt wird.
Warum konntest Du jetzt plötzlich zurückkehren?
Dillmann: Die Bundesanwaltschaft hat am 12. März 1996 das
Ermittlungsverfahren gegen mich "mangels Beweisen" eingestellt.
Juristisch gibt es damit keinen Grund mehr, wegzubleiben.
Und wieso mangelt es jetzt plötzlich an Beweisen?
Dillmann:Die Frage ist wohl eher, auf welcher Grundlage achteinhalb
Jahre lang ermittelt wurde.
KONKRET: Hat es zwischen dir und dem Verfassungsschutz Absprachen
oder Gespräche gegeben?
Dillmann: Nein. Ich habe weder mit dem Verfassungsschutz noch
mit der Bundesanwaltschaft oder sonstigen Staatsschutzorganen Gespräche
geführt oder Absprachen getroffen. Weder in der Bundesrepublik
noch in einem anderen Land. Es hat auch keine Vermittlungsgespräche
anderer Personen gegeben. Allerdings ist mehrmals ein Verfassungsschützer,
der sich "Herr Benz" nennt, sowohl bei meinen Eltern als auch bei
meiner Rechtsanwältin aufgetaucht, um so mit mir in Kontakt
zu kommen. Nachdem diese Versuche ins Leere gelaufen sind, hat sich
die Bundesanwaltschaft - so scheint es mir jedenfalls - entschieden,
das Verfahren gegen mich offiziell einzustellen. Und auf dieser
Grundlage bin ich ohne behördliche Hilfe zurückgekehrt.
KONKRET: Weißt du etwas über die sonstigen Aktivitäten
von "Benz"?
Dillmann: Soweit mir bekannt ist, hat der Verfassungsschutz mehrmals
bei verschiedenen Gelegenheiten und gegenüber unterschiedlichen
Personen angeboten, solchen Leuten, die als Mitglieder oder Unterstützer/innen
der "Roten Zora" und der "Revolutionären Zellen" gesucht werden
und abgetaucht sind, bei ihrer Legalisierung zu helfen, sprich,
mit den jeweiligen Behörden Vorgespräche zu führen
und mögliche Wege zu ebnen. Dabei präsentiert sich der
Typ, der den Aliasnamen "Benz" benutzt, als Vermittler. Er behauptet,
daß er, falls sich jemand stellen will, mit der BAW das Strafmaß
für die jeweilige Person aushandeln könne. Allerdings
übernimmt er keine Garantien dafür, daß dann alles
so klappt. Die Aktivitäten von "Benz" erwecken den Eindruck,
als wolle der Staatsschutz, nachdem die Zielfahndungskommandos jahrelang
ohne Ergebnis gearbeitet haben, die verbliebenen Fälle aus
dem Bereich "Rote Zora" und "Revolutionäre Zellen" quasi einvernehmlich
abwickeln, um auch dieses Kapitel des militanten und bewaffneten
Widerstands in der Bundesrepublik endlich als "erledigt" abhaken
zu können. "Benz" funktioniert also als Scharnier zwischen
dem polizeilichen und juristischen Verfolgungsinteresse einerseits
und den Opportunitätserwägungen der Politik andererseits.
Schließlich hat die Kronzeugenregelung nicht dazu geführt,
daß sich Gesuchte stellen. Auch die vom Staatsschutz angebotenen
Abschwörrituale haben nur bei den "DDR-Aussteigern" der RAF
verfangen. Und nun - behaupte ich - ist die Vorbedingung für
ein möglicherweise moderates Vorgehen der Justiz, daß
jemand "freiwillig" wieder auftaucht, sich zur Anklage äußert
und vor Gericht erscheint. Dabei wird nicht nur das zu erwartende
Strafmaß, sondern auch der Umfang der Einlassung zur Anklage
im Vorfeld über "Herrn Benz" abgekaspert.
KONKRET: Wie kommt es dann, daß diese "Benz"-Aktivitäten
- anders als Kronzeugenregelung und andere Aussteigerprogramme -
bislang kaum öffentlich propagiert worden sind?
Dillmann: Ich denke, weil eine klammheimliche Abwicklung für
den Verfassungsschutz mehrere Vorteile besitzt. Zum einen, weil
sie die Gefahr von Querschüssen aus den Reihen der Hardliner
von Bundesanwaltschaft, BKA und Politik minimiert. Zum anderen verhindert
das Agieren hinter den Kulissen, daß für den Verfassungsschutz
unliebsame Diskussionen in der Öffentlichkeit - und natürlich
auch in der linken Öffentlichkeit - zustandekommen. Trotzdem
ist das gesamte Vorgehen in weiten Kreisen kein Geheimnis. Und ich
bin der Meinung, daß es auch jenseits der direkt Betroffenen
zur Kenntnis gelangen sollte. Zumal es im Zusammenhang mit der Staatsschutzaktion
im Dezember 1987 gegen die "Rote Zora" und die "Revolutionären
Zellen" eine breite Solidaritätsbewegung gegeben hat. Zumindest
alle diejenigen, die damals daran teilnahmen, haben meines Erachtens
ein Anrecht darauf, über das Warum und das Wie der Rückkehr
derjenigen, die damals abgetaucht sind und nach denen öffentlich
gefahndet wurde bzw. zum Teil noch wird, informiert zu werden.
KONKRET: Hältst du die "Benz"-Offerte für einen grundätzlich
nicht gangbaren Weg?
Dillmann: Ich kann sehr gut verstehen, wenn jemand nach vielen
Jahren der Illegalität zurückkehren will, die Schnauze
voll hat. Das ewige Verstecken und Verstellen kostet sehr viel Kraft
- psychische wie physische. Zusätzlich haben sich die politischen
Koordinaten in den letzten Jahren erheblich verändert. Vor
diesem Hintergrund bin ich in der glücklichen Situation gewesen,
daß das Ermittlungsverfahren gegen mich eingestellt wurde.
Um zurückzukommen, brauchte ich nicht auf die "Benz"-Initiative
einzugehen. Somit befinde ich mich gegenüber den anderen in
einer privilegierten Situation. Und aus dieser heraus sage ich:
Es liegt in den Händen der Bundesanwaltschaft, die Strafverfahren
gegen die übrigen Personen ebenfalls einzustellen.
KONKRET: Wo hast du dich in den letzten Jahren aufgehalten?
Dillmann: Ich war die meiste Zeit im Hades und zwischendurch in
Atlantis.
KONKRET: Und wie hast du in den achteinhalb Jahren Illegalität
gelebt?
Dillmann: Gut, weil ich nicht im Knast gesessen habe. Daß
ich einen Tag wirklich schlecht gelebt hätte, kann ich nicht
behaupten. Aber es hat natürlich miese Zeiten gegeben. Momente,
in denen ich niedergeschlagen und deprimiert war, in denen mir die
veränderte Lebenssituation auf den Geist gegangen ist. Ich
war von heute auf morgen aus meiner gewohnten Umgebung herausgerissen
und mußte in einer Umgebung leben, die ich mir nicht ausgesucht
hatte. Ich mußte mich nicht nur verstecken, sondern auch verstellen.
In der ersten Zeit habe ich, bevor ich die Wohnung verließ,
die Umgebung abgecheckt, vermieden, im Treppenhaus einem Hausnachbarn
zu begegnen, und mich bemüht, mit niemandem aus meiner Lebensumgebung
zusammenzutreffen. Stammkneipe - geschenkt. Leute, die du mal in
deine Wohnung einlädst - unmöglich.
KONKRET: Wie hat sich diese Art zu leben auf dich ausgewirkt?
Dillmann: Am Anfang habe ich mich immer mehr in meine Wohnung
zurückgezogen. Aus dem Radio gehört, was in der Welt passiert,
und die Realität durch die Bildröhre des Fernsehens wahrgenommen.
Eine unwirkliche Welt. Politische Diskussionen haben mich mit Ausnahmen
mittels beschriebenen Papiers nicht erreicht. Wenn du dann alles
gelesen und darüber nachgedacht hast, fehlen dir die Gesprächspartner/innen.
Und sitzt dir dann endlich jemand gegenüber, mit dem du über
das Gelesene reden könntest, haben die politischen Diskussionen
bereits eine andere Richtung genommen, und du wirst mit neuen Diskussionsbeiträgen
konfrontiert.
Normale Alltagskommunikation wurde plötzlich für mich
zum Problem. Alle Menschen haben sich etwas zu erzählen, wenn
sie sich zufällig in Bahn und Bus, in Kneipen oder Restaurants
begegnen. Du isolierst dich, du schweigst - mit dem Ergebnis, daß
du abseits stehst. Oder du erzählst erfundene Geschichten.
Aber auch das birgt viele Risiken.
Früher bin ich bei Zahnschmerzen einfach zum Arzt gegangen.
Plötzlich konnte ich nicht mehr meinen Krankenschein zücken.
Bevor ich zum Zahnarzt gehen konnte, habe ich erst mal stundenlang
darüber nachgedacht, was ich dem erzähle, welche Daten
ich bei der Sprechstundenhilfe angebe. Dinge, über die ich
früher nicht eine Sekunde nachgedacht habe, weil sie mir selbstverständlich
waren, bekamen nun riesige Dimensionen. Der Nachbar schlägt
seine Frau - du drehst den Fernsehton lauter. In der Kneipe werden
Ausländer angemacht - du schweigst, trinkst dein Bier aus und
zahlst. Mensch möchte schließlich nicht auffallen.
KONKRET: Trotzdem siehst Du nicht gerade fertig aus.
Dillmann: Bin ich auch nicht. Schließlich gab es jede Menge
schöne Situationen. Du lernst neue Menschen kennen, mit ganz
anderen Erfahrungen als den deinen. Du lernst zuhören, obwohl
mir das noch immer sehr schwer fällt. Du beginnst dir eine
Lebensgeschichte zu stricken, die auf der einen Seite Teile deiner
wirklichen Lebensgeschichte enthält, aber doch so weit von
deiner früheren Wirklichkeit angesiedelt ist, daß es
nicht auffällt. Und nicht zuletzt habe ich Menschen kennengelernt,
die von meiner Situation wußten und die mich einfach in ihren
Freundeskreis integriert haben. Meine "Vergangenheit" spielte keine
Rolle mehr. Ich war Bekannter von jemanden, und darüber haben
sich andere Dinge entwickelt, Freundschaften und Bekanntschaften.
Du wirst als der Mensch geschätzt, den du im Moment verkörperst.
KONKRET:Wird die Illegalität über die Jahre Routine?
Dillmann: Natürlich. Du gewöhnst dich daran. Und ich
glaube heute, ohne diesen Anpassungsprozeß hält mensch
das auch nicht lange aus. Aber es verlangt dir auch eine verfluchte
Disziplin und den Willen ab, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren.
KONKRET:Welche Rolle spielt dabei die Hoffnung, irgendwann wieder
legal leben zu können?
Dillmann: Für mich hat diese Hoffnung keine Rolle gespielt.
Zwar habe ich schon mal mit jemandem darüber geredet, so nach
der Devise: "Was macht man, wenn ..." Aber das waren mehr Spinnereien,
weinselige Gespräche, als seriöse Planungen. Ich halte
das auch für äußerst gefährlich. Wenn du beginnst,
Tage zu zählen, wirst du verrückt im Kopf. In den letzten
Monaten haben mich ganz andere Dinge beschäftigt: Will ich
all das, was ich gelebt habe, wieder tauschen? Die Entscheidung
zur Rückkehr ist mir sehr schwer gefallen. Denn so wie der
Entschluß, abzutauchen, einen Sprung ins kalte Wasser für
mich darstellte, so bedeutet auch die Rückkehr zu früheren
Verhältnissen und politischen Zusammenhängen, die mir
zwangsläufig fremd geworden sind, einen Schritt ins Ungewisse.
KONKRET: Wovon hast Du all die Jahre gelebt?
Dillmann: Von Luft und Liebe! Nein, im Ernst: Das Kohleproblem
begleitet einen ständig, aber wie du siehst, habe ich nicht
am Hungertuch genagt. Immer waren Frauen und Männer da, die
mich unterstützt haben. Ihnen allen möchte ich danken.
Und wenn es trotz alledem mal eng wurde? Herrjeh, guck dir die Flüchtlinge
an, die hier in Europa versuchen, ihr Überleben zu organisieren.
Dagegen ging es mir wirklich die ganze Zeit blendend.
KONKRET: Was hast du jetzt vor? Welche Pläne hast du?
Dillmann: Zuhören und mich umschauen, mich mit den politischen
und gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland auseinandersetzen.
Eine Wohnung muß ich mir suchen, mein Leben organisieren.
Mehr Pläne habe ich nicht, will ich auch nicht machen. Der
Rest wird sich ergeben.
KONKRET: Ist dir bekannt, ob die nach wie vor gesuchten Personen
ebenfalls über eine Rückkehr nachdenken?
Dillmann: Wenn die Staatsschutzbehörden der Bundesrepublik
Deutschland wirklich wollen, daß sich die gesuchten Genoss/inn/en
legalisieren, dann gibt es meiner Meinung nach eine sehr einfache
und glaubwürdige Form, um dies zu erreichen: Die Bundesanwaltschaft
muß alle Haftbefehle aufheben und sämtliche Ermittlungsverfahren
einstellen.
( ... )
"Aktion Zobel"
Das Interview mit Uli Dillmann lenkt den Blick noch einmal auf
die "Aktion Zobel" von BKA und Bundesanwaltschaft, deren bekanntestes
Opfer die Journalistin Ingrid Strobl war, die damals verhaftet wurde
(KONKRET 3/89). Sie hatte einen Wecker der Marke "Emes Sonochron"
gekauft, den die "RZ" bei einem Anschlag auf den Kölner Flughafen
verwendet haben soll. Auch andere Leute aus der linken Szene, von
denen das BKA behauptet, sie hätten einen der "anschlagsrelevanten"
Wecker dieses Typs gekauft, wurden damals mit Haftbefehl gesucht
- allerdings ohne Erfolg. Sie waren abgetaucht. Eine Frau lebt seit
einigen Wochen wieder legal - ihr wird in Stuttgart-Stammheim der
Prozeß wegen Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung",
den "RZ", gemacht werden. Zwei weitere Personen werden noch mit
Haftbefehl gesucht. Eine bemerkenswerte Rolle spielt in diesem Zusammenhang
der Verfassungsschutz-Agent "Benz", der seit längerem versucht,
Illegale zur Rückkehr in den deutschen Alltag zu bewegen (KONKRET
3/93). Daß der Staatsschutz auch anders kann, hat er im Fall
Dillmann gezeigt: Zwei Freundinnen des Gesuchten, gegen den die
Indizien so schwach waren, daß nicht einmal ein Haftbefehl
erlassen worden war, wurden 1989 für mehrere Wochen in Beugehaft
genommen, weil sie, nach Dillmanns Aufenthalt befragt, jede Aussage
verweigerten: "Die Angaben der Zeuginnen sind für die Fortführung
des Verfahrens von entscheidender Bedeutung, weil im derzeitigen
Stadium kaum noch andere Beweismittel, durch die der Tatverdacht
überprüft werden kann, zur Verfügung stehen", urteilte
der Bundesgerichtshof 1989 lakonisch.
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