Tarek Mousli und kein Ende in Sicht
In diesem Beitrag beziehen wir uns unter anderem auf Positionen
die im Lupus-Papier, am "Runden Tisch der Militanten"
und im "Dave-Papier" in Bezug auf Erklärungen für
die Aussagen von Tarek Mousli zur Diskussion gestellt werden.
Das besondere an der jetzigen Berliner Situation und den erwartenden
Zeugenvorladungen ist, daß auch die zu erwartenden Zeugenvorladungen
auf Grund der Aussagen von Tarek Mousli zustande kommen werden.
Viele von uns haben in den 80er Jahren gute Erfahrungen mit ihm
gemacht. Für einen Teil war er ein guter Freund, für viele
ein guter und vertrauter Genosse.
All die verschiedenen Versuche den Entwicklungsweg von Tarek Mousli
zum Kronzeugen zu erklären, erscheinen uns entweder hilflos
auf Grund ehemals langjähriger Beziehungen oder vollkommen
abgehoben aus der Distanz heraus. Distanz bedeutet in diesem Fall
für viele ihn nicht mehr kennengelernt haben, der Zugang für
Erklärungen über die Politik der RZ versucht wird.
Für den Teil, der Szene, die in diesem Fall nicht "die
Gnade der späten Geburt" für sich reklamieren können
bedeutet es nicht nur feststellen zu müssen, daß ein
ehemaliger Freund und Genosse die Seiten gewechselt hat, sondern
auch einen Menschen ganz endgültig verloren zu haben.
Und dabei ist es nicht so entscheidend ob es in den letzten Jahren
noch einen engeren Kontakt zu ihm gegeben hat. Wo eine Freundschaft
oder regelmäßiger Kontakt weiter bestanden hat ist es
um so schlimmer. Wenn jemand aus unseren Zusammenhängen, ein
ehemaliger Freund und Genosse den Abgang macht, wenn er zum Kronzeugen
wird, dann fragt sich Mensch natürlich wie konnte das passieren.
Dann ist die Auseinandersetzung darum auch gepaart mit Wut, Verlust,
Enttäuschungen und Ohnmacht. Und es stellt emotional natürlich
ganz viel in Frage.
Was haben wir übersehen, wäre der Verrat zu verhindern
gewesen usw. Aber diese und ähnliche Fragen haben hat sich
die Linke auch bei Steinmetz stellen müssen oder in Situationen
wo Bullen in der Szene aufgeflogen sind. Natürlich müssen
wir daran auch Strukturen und vielleicht sogar Politkansätze
immer wieder neu hinterfragen.
Als die ehemaligen RAF'ler in der DDR festgenommen wurden sind
und die meisten Belastungsaussagen gemacht haben oder gar zu Kronzeugen
geworden sind, war ein Erklärungsversuch, daß sie das
über 10 Jahre geführte bürgerliche Leben nicht mehr
missen wollten.
Trotzdem haben wir in all den unterschiedlichen Situationen noch
nie die "richtige" Anwort gefunden. Wir sehen das Problem
vielmehr darin, daß es keinerlei Garantie für Entscheidungen
gibt, daß das was vor Jahren, Wochen, Tagen wichtig gewesen
ist nicht auf Dauer bestand haben muß. Geschichten, Einstellungen
sich verändern und das Mensch sich immer wieder neu entscheidet.
Die meisten die weggehen, die neue und andere Lebensentwürfe
jenseits der linken Szene leben, sind weiterhin vollkommen integer
und nur ganz wenige werden sich in der Bedrängnis gegen uns
entscheiden. Das ist bitter, aber wahrscheinlich nicht zu ändern.
Wir glauben das es keinen vollkommenen Schutz vor Verrat gibt.
Tarek Mousli war seit vielen Jahren nicht mehr politisch aktiv,
hatte sich für ein anderes Lebensmodell entschieden und es
ist nicht einschätzbar inwieweit der Verlust von Beziehung,
Job und ähnliches nicht der entscheidende Punkt gewesen ist.
Die, die ihn aus den 80er Jahren gekannt haben, sind damals nicht
davon ausgegangen, daß er mal zu einem Kronzeugen oder Verräter
werden könnte. Das wollen wir ganz unmißverständlich
feststellen.
Tarek Mousli ist nicht mit einer besonderen Struktur aufgefallen,
war wie viele andere auch, mehr oder weniger Macker, mehr oder weniger
gefangen in unseren gelebten Strukturen. Es ist nun leider mal so,
daß wichtig wichtig immer noch sehr angesehen ist. Wir wollen
jetzt nicht auf die verschiedenen persönlichen Erklärungsansätze
eingehen, weil wir denken jede einzelne zu kritisierende Struktur
ist bei vielen von uns in unterschiedlich Form auch zu finden.
Tarek Mousli hat das Vertrauen von vielen genossen. Jetzt im Nachhinein
zu versuchen an seiner Person Strukturen feststellen zu müssen,
die diesen Weg erklären könnten finden wir nicht richtig.
Fakt ist, er war über viele Jahre Teil der linksradikalen Struktur
dieser Szene. Und zu all diesen unterschiedlichen Bereichen linksradikaler
Politik macht er Aussagen. Uns ist wichtig eines ganz klar zu sagen,
auch wenn wir uns da jetzt von dem allgemein üblichen Mainstream
in der öffentlichen Diskussion unterscheiden: Tarek Mousli
versucht seinen Arsch zu retten in dem er bisher für die Inhaftierung
von vier GenossInnen und FreundInnen verantwortlich ist. Das ist
überhaupt nicht zu relativieren oder gar entschuldbar. Er hat
seine Aussagen nicht in einer Überrumplungssituation gemacht,
sondern klar überlegte Entscheidungen gefällt. Die hießen,
wenn die Bullen mich gekriegt haben, dann mache ich einen Deal.
Dieser Deal ist, daß er alles sagt, was er meint zu wissen
und was die Ermittlungsbehörden von ihm hören wollen,
er belastet andere Menschen, die dann ebenfalls in den Knast müssen
und er kriegt dafür weniger Knast. Das bedeutet bisher die
Zerstörungen von Existenzen vier anderer Personen. Und wir
können noch überhaupt nicht absehen, ob es noch mehr FreundInnen
treffen wird.
Fakt ist, daß er seit seiner 2. Verhaftung am 18.11.1999
durchgehend Aussagen macht. Und das nicht nur zum RZ- Bereich, sondern
auch zu unterschiedlichen ehemaligen Zusammenhängen der linksradikalen
Szene in Berlin. Diese Entscheidung läßt sich nicht mit
der Politik der RZ erklären, sie läßt sich nicht
damit erklären, daß Gert Albartus ermordet worden ist,
sie läßt sich nicht erklären, mit angeblichen elitären
Strukturen der RZ und sie läßt sich nicht erklären
mit fehlenden Diskussionen.
Und wir fragen hier sehr deutlich, wieso belastet Tarek Mousli
Axel, Harald, Sabine und Rudolf mit Korbmacher, Siegessäule
und anderen Anschlägen der RZ, wenn doch die Ermordung von
Gert Albartus das Problem ist. Es geht in seinen Aussagen nicht
darum, wer Gert ermordet hat.
Also wieso ist dann diese Kritik an der RZ ein Erklärungsmuster
für Verrat? Wieso redet er über linksradikale Zusammenhänge
in Berlin, wenn es doch um die Widersprüche zur RZ-Politik
geht?
Wir denken, daß die Diskussionen auseinander gehalten werden
müssen. Das eine ist eine inhaltliche solidarische Auseinandersetzung
mit der Politik der RZ. Das andere ist der Verrat von Tarek Mousli,
ist die Auseinandersetzung um Strukturen und Entwicklungen die so
einen Verrat möglich machen. Und dabei ist sicherlich eher
eine persönliche Situation ausschlaggebend als Widersprüche
zu linksradikaler Politik in den 80er Jahren in der die Person Tarek
Mousli aktiver Teil gewesen ist.
Tarek ist kein Opfer! Wir haben die Befürchtung, daß
Argumentationslinien wie: die Härte und die Widersprüche
von politischen Strukturen führen zu Verrat zu einem Freifahrtschein
genau für diesen wird. Alle die seit vielen Jahren in Linken
Strukturen arbeiten, wissen wieviel Müll dort auch passiert
und sind trotzdem nicht zu Verrätern und Kronzeugen geworden.
Wir halten daran fest, das Widersprüche, Kränkungen und
persönliche Enttäuschungen oder auch das Entsetzen über
das Verhalten von GenossInnen nicht als Entschuldigung für
einen politischen Seitenwechsel herhalten darf. Vielmehr glauben
wir, das in der Situation wo wir eben auch für unsere politische
Überzeugung einstehen müssen und evtl. mit vielen Jahren
Knast bedroht sind ein Punkt ist wo sich jedeR neu entscheiden muß
auf welche Seite sie/er denn nun gehören.
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