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Diverses

aus: WDR 17. Oktober 2001

Kronzeugenregelung

Autor: Michael Wortmann

Herbst 1986. Sprengstoffanschlag in Berlin. Schüsse auf einen hohen Richter und auf einen Beamten. Eine ganze Serie von Terrortaten Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre. Zu den Anschlägen bekennen sich die "Revolutionären Zellen". Jahre später: Prozess vor dem Berliner Kammergericht. Eröffnet mit Hilfe eines Kronzeugen, Tarek, Mousli, der selbst Mit-glied der Terrororganisation war. Doch die vermeintliche Trumpfkarte der Staatsanwälte sticht nur bedingt. Auf Hinweis des Kronzeugen stürmen Polizisten ein Heim. Es soll als Sprengstoffversteck dienen. Doch die Durchsuchung stößt ins Leere. Von Sprengstoff zur Vorbereitung weiterer Attentate keine Spur. Und das ist nur ein Beispiel für viele nicht erfüllte Erwartungen an Kronzeugen.

O-Ton Prof. Klaus Bernsmann, Universität Köln:

"Die Kronzeugenregelung, die es jetzt nicht mehr gibt, hat, wenn überhaupt, nur dazu beigetragen, bekannte, abgeschlossene, frühere Taten aufklären zu helfen. Die Kronzeugenregelung ist eigentlich nie in Anwendung gekommen, um künftige Taten zu verhindern zu helfen, und ich denke, darum geht es ja derzeit."

Trotzdem beharrt Innenminister Otto Schily auf einer Neuauflage der Kronzeugenregelung, allerdings mit Änderungen, die jetzt im Kabinett beraten werden. Dass es sich dabei auch um Verbesserungen handelt, bezweifeln allerdings Praktiker der Strafverfolgung. Kritikpunkt Rechtsgarantie: Straftäter müssen künftig mit den Staatsanwälten grundsätzlich vor ihrem Prozess kooperieren, um als Kronzeuge anerkannt zu werden. Doch die Staatsanwälte können keine Strafmilderung garantieren. Das endgültige Urteil fällt der Richter am ende des Ver-fahrens.

O-Ton Wilfried Albishausen, Bund Deutscher Kriminalbeamter:

"Ich kann mir keinen Zeugen, keinen Straftäter, der sich als Zeuge zur Verfügung stellt, vorstellen, der nicht auch die nötige Rechtssicherheit hat, tatsächlich in den Genuss von Milderungen zu kommen. Ich denke, wenn das so bleiben würde, dann ist die Kronzeugenregelung ein stumpfes Schwert."

Kritikpunkt Ermessensspielraum des Gerichts: Im Fall schwerer Straftaten wie Mord, die normalerweise mit lebenslänglich bestraft werden, muss das Gericht künftig gegen einen Kronzeugen mindestens fünf Jahre Haft verhängen statt bisher mindestens drei.

O-Ton Wilfried Albishausen, Bund Deutscher Kriminalbeamter:

"Von dieser Einschränkung halte ich gar nichts. Wir haben eine dritte Gewalt in der Verfassung, in unserem Staat , das ist die richterliche Gewalt, und man sollte es den Richtern, dem Richterkollegium überlassen bei der Beurteilung über Art un Umfang aber auch Wirkung dieser Aussage des Kronzeugen entsprechende Milderungen vorzunehmen, und es hat in der Bundesrepublik noch nie eine Einstellung eines Verfahrens oder einen Freispruch gegeben, wenn es um Mord oder andere schwere Delikte ging. Es kann also nur um Milderung gehen, und die sollte man dem Gericht überlassen."

Sehr weitgehende Zugeständnisse, um Straftäter für die Kronzeugenrolle zu gewinnen: da kommt der Rechtsstaat leicht in Gefahr, seine Grenzen zu überschreiten. Der Justizminister mahnt deshalb zur Besonnenheit.

O-Ton Jochen Dieckmann, SPD, Justizminister NRW:

"Man sollte es jetzt auch nicht übertreiben. Wir sollten dieses Angebot, was wir viele Jahre hatten, für eine größere Zahl von Straftatbestän- den fortsetzen als Gesamtregelung, und dann offen sein für die eine oder andere Weiterentwicklung nach den Erfahrungen, die die Praxis damit macht."

Die Praxis, das hieße, Terroristen mit Hilfe der Kronzeugenregelung hinter Schloss und Riegel zu bringen. Doch was schon mit dem alten Gesetz kaum gelang, wir auch als Neuauflage wenig Erfolg haben.

Prof. Klaus Bernsmann, Universität Köln:

"Ich glaube, dass religiös tief fundierte Täter so überzeugt sind von dem, was sie tun, dass sie auch nach ihrer Ergreifung keinesfalls davon abrücken werden und schon gar nicht ihre Mitstreiter verraten werden."

Kooperation mit Verbrechern und Wahrung des Rechtsstaates, ein schwieriger Spagat. Schon dedhalb kann die Kronzeugenregelung keine Wunderwaffe im Kampf gegen den Terrorismus sein.

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