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Straffreiheit für "Singvögel"

Bundesregierung will Kronzeugenregelung als zweifelhaftes Mittel zur Terrorismusbekämpfung durchsetzen

Gestern mittag um 14 Uhr war es soweit: Das große Rätselraten, wie genau das neue "Anti-Terrorismus-Gesetz" aussehen soll, war zu Ende. Eilig fotokopiert und noch mit der Schere zusammengeschnitten konnten die Pressestellen der Koalitionsfraktionen den "Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus" verteilen, das in Artikel 3 regelt, wer Kronzeuge werden kann, darf und soll.

Das war gerade noch rechtzeitig, denn nächste Woche soll der Entwurf bereits im Plenum beraten werden und noch gestern Vormittag bei der Besprechung der Obleute des Innenausschußes war noch so viel unklar gewesen, daß kein konkreter Entwurf für das neue Kronzeugengesetz vorgelegt werden konnte. Zwar tönten CDU,CSU und FDP schon am Mittwoch einig wie sonst selten, alle Unklarheiten seien ausgeräumt, es seien nur noch ein "paar redaktionelle Änderungen notwendig", Donnerstagvormittag konnte die zuständige FDP-Frak tionsreferentin Trommsdorff- Gerlich aber noch nicht einmal sagen, ob das Kronzeugengesetz Bestandteil der Strafprozeßordnung oder des Strafgesetzbuches sein soll.

Der Unterschied ist, das wurde in der 1975 geführten Debatte über eine Kronzeugenregelung - die damals allerdings der nordrheinwestfälische Justizminister Posser initiiert hatte - deutlich, nicht unwesentlich: Posser hatte damals eine Änderung der Strafprozeßordnung vorgeschlagen, wodurch nur die Ermittlungsbehörden einen Straferlaß hätten zusichern können; der Bundesrat votierte am 25. April 1975 dagegen für eine Änderung des Strafgesetzes, weil dadurch die Mitwirkung des Gerichts bei der Gewährung der Straffreiheit erreicht werden sollte.

Die neue Lösung ist ein Zwitter: Sie ist Bestandteil eines unabhängigen Artikelgesetzes, gehört also weder zur STPO noch zum StGB. Wörtlich heißt es dort: "Offenbart der Täter oder Teilnehmer einer Straftat nach Paragraph 129a ..selbst oder durch Vermittlung eines Dritten gegenüber einer Strafverfolgungsbehörde Tatsachen, die geeignet sind, 1. eine solche Straftat über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus aufzuklären oder 2. zur Ergreifung eines Mittäters oder Teilnehmers führen, so kann der Generalbundesanwalt mit Zustimmung des Ermittlungsrichters von der Verfolgung absehen." Notwendig sei diese Form, begründete der Vorsitzende des Rechtsausschußes Anton Stark (CDU) gegenüber der taz, weil die neue Regelung zeitlich bis zum 31.12. 1988 befristet sein soll. Anders als der 1975 von Dieter Posser eingebrachte Gesetzentwurf soll die Kronzeugenregelung jetzt ausschließlich auf Straftaten angewandt werden, die im Paragraph 129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung) festgelegt sind, allerdings auch auf "mit einer solchen Tat zusammenhängende Straftaten". In diesem Zusammenhang ist wichtig, daß der Paragraph 129 a durch Straftatbestände aus den bereits gültigen Paragraphen 315 und 316 ergänzt werden soll ( um die Delikte gegen den Bahn-, See- und Luftverkehr, zur Störung öffentlicher Betriebe sowie um Brandanschläge).

Kein Bedürfnis

Die Effektivität einer solchen Kronzeugenregelung zweifelte 1975 die CDU/CSU selbst an. Der damalige Fraktionsrechtsexperte Friedrich Vogel befürchtete, daß eine Kronzeugenregelung "es einem Bandenführer ermöglicht, zwar seine Bande auffliegen zu lassen, zugleich aber alle schwer wiegenden Straftaten auf sich zu nehmen, so daß die Verbrechen praktisch ungesühnt bleiben". Der FDP-Abgeordnete und Rechtsexperte Engelhard (heute Bundesjustizminister) rätselte angesichts der in Possers Entwurf vorgesehenen Möglichkeit, hohe Belohnungen an Kronzeugen zu zahlen, in einem Artikel der "Welt" "ob bei anarchistischen Gewalttätern überhaupt das Bedürfnis besteht, sich aus ihrem Milieu in ein Wohlstandsleben zurückzuziehen".

Zweifelhaft Grundsätzlichere Bedenken gegenüber einer wie auch immer gearteten Kronzeugenregelung äußerte der CDU-Abgeordnete Eyrich in einem Artikel des Deutschland-Union-Dienst vom 13. Juni 1975 : "Noch so wohlklingende Worte können nicht über den harten Sachverhalt hinwegtäuschen, daß der Begriff des Kronzeugen in unser Rechtsdenken nur sehr schwer eingefügt werden kann...schließlich ist auch darauf hinzuweisen, daß nichts zweifelhafter ist als die Aussage eines Kronzeugen." Die Bedenken nicht nur des CDU-Abgeordneten Eyrich fanden Gehör, auch die SPD rückte vom Kronzeugenvorschlag ab, im Februar 1976 kommentiert Friedrich Karl Fromme, sicher keiner der Liberalen in der FAZ, in "Kronzeuge - ade!": "Die Idee des in das Prozeßrecht eingeführten Kronzeugen hat ersichtlich wenig Freunde. Das ist nicht weiter schade. Der Einbruch in das Legalitätsprinzip wäre zu stark, der Nutzen (...) wäre gering gewesen." Andre Zeiten, andre Sitten...

Oliver Tolmein

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