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Kronzeugen-Experiment wird fortgesetzt
Bundesregierung will die Kronzeugenregelung um drei Jahre verlängern/
FDP überstimmt Parteifreundin Leutheusser-Schnarrenberger/ Bilanz
der Regelung bisher ausgesprochen dürftig
Berlin (taz) - Vom Nutzen der Kronzeugenregelung ist zwar keiner
recht überzeugt, das Ende des Jahres auslaufende Gesetz soll aber
dennoch verlängert werden. Der Bundestag beriet gestern abend in
erster Lesung eine von CDU/CSU und FDP eingebrachte Vorlage, mit
der die Geltungsdauer des 1989 verabschiedeten Gesetzes bis Ende
1995 ausgeweitet werden soll. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
die gegen eine Verlängerung votiert hatte, konnte sich zuvor auch
in der eigenen Partei nicht durchsetzen - sowohl im innen- und rechtspolitischen
Arbeitskreis als auch in der Fraktion wurde sie überstimmt.
Die Kronzeugenregelung wurde 1989 bewußt auf einen zweijährigen
Zeitraum eingegrenzt. Beabsichtigt war, anschließend Bilanz zu ziehen.
Überprüft werden sollte, ob sich die gesetzliche Ausnahmeregelung
und die mit ihr verfolgte Zielsetzung bewährt hat. Im Kern zielte
die Kronzeugenregelung auf einzelne aussagewillige Mitglieder in
terroristischen Gruppen, die mit ihren Aussagen zur Aufklärung und
Zerschlagung dieser Gruppen beitragen sollten. Im Gegenzug versprach
der Gesetzgeber den Kronzeugen Strafnachlaß. Reumütige Terroristen,
die zur Aufklärung schwerster Straftaten beitragen, können mit einer
gesetzlichen Mindeststrafe von drei Jahren rechnen, selbst wenn
sie des Mordes beschuldigt werden.
Die Bilanz fällt ausgesprochen mager aus: Zur aktuellen Aufklärung
terroristischer Straftaten, beispielsweise der Roten Armee Fraktion
(RAF), hat die Kronzeugenregelung nichts beigetragen. Und in den
Fällen, in denen die Regelung bei den in der DDR festgenommenen
RAF-Aussteigern angewendet wurde, mußte die Bundesregierung einräumen,
daß dadurch lediglich Ereignisse aufgeklärt werden konnten, die
über ein Jahrzehnt zurückliegen. Aufgrund der Aussagen der RAF-Aussteiger
wurden von der Bundesanwaltschaft zwar insgesamt 22 Ermittlungsverfahren
eingeleitet, allesamt beziehen sie sich aber auf einen Aufklärungszeitraum
zwischen 1977 und 1981.
Die Bilanz führt auch eine richtige Bauchlandung auf, die die Bundesanwaltschaft
im Fall des Kronzeugen Siegfried Nonne hinnehmen mußte. Nonne wurde
vom Generalbundesanwalt Alexander von Stahl stolz als reumütiger
Helfer der RAF beim Anschlag auf den Chef der Deutschen Bundesbank,
Alfred Herrhausen, präsentiert. Er entpuppte sich anschließend aber
nicht nur als früherer Kontaktmann des Verfassungsschutzes. Der
vermeintliche Kronzeuge widerrief seine Aussagen und wegen seiner
labilen psychischen Verfassung mußte er psychiatrisch behandelt
werden.v
Die Befürworter einer Fortführung der Kronzeugenregelung verweisen
regelmäßig auf den Fall des früheren PKK-Funktionärs Ali Cetiner,
der unter Anwendung der Kronzeugenregelung in Berlin zu einer rechtskräftigen
Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt wurde. Cetiners Angaben
vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht haben nach einer schriftlichen
Auskunft der Bundesregierung entscheidend dazu beigetragen, zahlreiche
Straftaten, darunter dreizehn vollendete und drei versuchte Tötungsdelikte
im Umfeld der PKK-Führung, in der Bundesrepublik aufzuklären. Dem
steht allerdings gegenüber, daß sich Cetiner vor kurzem selbst belastet
hat - der Falschaussage in Düsseldorf. Das Landgericht Berlin hatte
Cetiner als glaubwürdigen Kronzeugen eingeschätzt, ihn aber auch
als "schwach begabt und grenzdebil" charakterisiert.
Die Bonner Regierung hält trotz der dürftigen Bilanz an der Kronzeugenregelung
fest. Einerseits führt sie an, daß der Zeitraum von zwei Jahren
zu kurz sei, um über Erfolg oder Mißerfolg zu urteilen. Zum anderen
will sie sich die Möglichkeit offen halten, via Strafrabatt einzelne
Personen aus terroristischen Kreisen herauszulösen. Im Visier diesmal:
mögliche rechtsterroristische Gruppen.
Wolfgang Gast
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