Wem dienen Kronzeugen?
Junge Welt sprach mit dem Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck
vom Bundesvorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins
(RAV)S
F: Zum Jahresende 1999 wurde die Kronzeugenregelung abgeschafft,
vieles spricht aber dafür, daß sie in modifizierter Form
neu aufgelegt wird. Welches waren die zentralen Gründe für
die Abschaffung?
Die sogenannte Kronzeugenregelung wurde durch ein Artikelgesetz
vom 9. 6.1989 zunächst bis zum 31. 12. 1989 befristet, dann
bis zum 31. 12. 1995 und schließlich bis zum 31. 12. 1999
verlängert. Sie galt zunächst für sogenannte terroristische
Straftaten und wurde später auf organisiert begangene Taten
erweitert. Insofern ist es nicht richtig, davon zu sprechen, daß
die Regelung "abgeschafft" wurde. Vielmehr war die Kronzeugenregelung
im Bereich der sogenannten "terroristischen Straftäter"
von vornherein als befristetes Ausnahmegesetz gedacht. Man wollte
damals durch den "Schlußverkaufscharakter" der
Vorschrift potentielle Aussteiger animieren. Weiterhin war die Befristung
eine Vorsichtsmaßnahme, um eine genaue Folgenanalyse anzustellen,
was nebenbei bemerkt wie bei so vielen jüngst eingeführten
Gesetzen nie der Fall war.
F: Auch im Fall der Festnahmen von drei mutmaßlichen Terroristen
im Berliner Kulturzentrum Mehringhof Ende Dezember vergangenen Jahres
stützt sich die Anklage maßgeblich auf einen Kronzeugen.
Worin besteht aus Ihrer Sicht die Gefährlichkeit dieser Rechtsfigur?
Ich möchte meine Kritik auf die zwei wichtigsten Argumente
beschränken. Zum einen soll im Strafprozeß eine sogenannte
Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung bestehen. Das
faire Verfahren soll garantiert sein. Hiervon kann schon in "normalen
Strafverfahren" kaum die Rede sein. Die Ermittlungsbehörden,
insbesondere die Polizei, verfügt über einen absolut überlegenen
Apparat. Die wichtigen Entscheidungen im Strafprozeß werden
entgegen landläufiger Meinung nicht in der Hauptverhandlung
vor Gericht, sondern im Ermittlungsverfahren getroffen, wenn das
Verfahren in den Händen von Staatsanwaltschaft und Polizei
ist. Dies zeigt sich besonders deutlich beim sogenannten Kronzeugen.
Dieser wird über Monate vernommen, ohne daß die Verteidigung
des jeweils Beschuldigten vollständig erfahren würde,
was der Zeuge gegen ihren Mandanten im einzelnen ausgesagt hat.
Ebenso ist es der Verteidigung in diesem Stadium unmöglich,
eigene Fragen an den Zeugen zu richten. Die Verteidigung ist in
solchen Fällen vielmehr gezwungen, abzuwarten, was der Kronzeuge
gemeinsam mit den Ermittlungsbehörden an Vernehmungsprotokollen
produziert und kann dann erst im Stadium der Hauptverhandlung mit
der Verteidigung beginnen.
Die zweite Hauptkritik richtet sich gegen die Glaubwürdigkeit
des Kronzeugen. Es handelt sich im hohen Maße um Zeugen, die
ein starkes Eigeninteresse an dem Inhalt bestimmter Aussagen haben.
Das macht sie unglaubwürdig. Beide Kritikpunkte werden seit
zwei Jahrzehnten von Strafverteidigern immer wieder reklamiert.
Unabhängig davon, daß ich nicht glaube, daß bei
dieser Konstruktion eine rechtsstaatliche Gegensteuerung überhaupt
möglich ist, wurden von keiner Seite bisher Anstalten unternommen,
zum Beispiel die Informationsrechte der Verteidigung im Ermittlungsverfahren
zu verbessern oder aber zwingend vorzuschreiben, daß der Kronzeuge
in der Hauptverhandlung zu vernehmen ist oder aber gesetzlich auszuschließen,
daß eine Verurteilung einzig und allein auf der Aussage eines
Kronzeugen beruht. Dies ist Inhalt entsprechender Regelungen in
den USA. Dort wird vorgeschrieben, daß die Aussage des Kronzeugen
durch weitere Beweise gestützt werden muß. In Nordirland
haben es die Obergerichte in den 80er Jahren aus rechtsstaatlichen
Gründen abgelehnt, in politischen Verfahren allein aufgrund
der Aussage Kronzeugen zu verurteilen. Ein solches rechtstaatliches
Bewußtsein ist in der BRD aber derzeit nicht anzutreffen.
Wenn von Kronzeugen die Rede ist - in den USA wird ja der Begriff
des "Staatszeugen" verwandt, was mir plausibler zu sein
scheint -, wird häufig nur auf diejenigen rekurriert, die von
diesen Aussagen betroffen sind und damit vernachlässigt, daß
sich solche Zeugen der Anklage in eine ausgesprochen schwierige
Situation, in nicht überschaubare Abhängigkeitsverhältnisse
usw. bringen.
F: Können Sie aus Ihren Erfahrungen dazu etwas sagen?
Es spielen sich im übrigen bei monatelangen Vernehmungen
zwischen dem Kronzeugen und seinen Vernehmern psychologische Prozesse
ab, die durchaus mit dem sogenannten Stockholm-Syndrom zu vergleichen
sind. Alle Eindrücke der Außenwelt werden dem Zeugen
nur noch über die ihn betreuenden Zeugenschutzbeamten und seine
Vernehmer vermittelt. Er wird in vielfacher Hinsicht total abhängig
von diesen Personen. Von der Bewertung seiner Aussagen hängt
seine ganze weitere Existenz ab. Aber auch emotional wird der Zeuge
eben mehr und mehr von den Vernehmern abhängig. Es entsteht
für ihn eine schiefe Ebene, es gibt kein Zurück mehr.
Mancher Zeuge zerbricht genau daran, wie es das Beispiel eines
jungen Kurden Ende der 80er Jahre gezeigt hat, der noch von Bundesrichtern
und Bundesanwälten in deutschen Gerichtssälen als Superzeuge
gegen die PKK gehandelt wurde, während er psychisch immer labiler
wurde, in ärztliche Behandlung gehen mußte und sich schließlich
mit Benzin übergoß und anzündete.
Interview: Volker Eick
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