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Das Ende eine ungewöhnlichen Prozesses
Plädoyer im Staatsschutzverfahren gegen Kani Yilmaz vor dem
OLG Celle am 4. Februar 1998
I. Teil: Ungewöhnlicher Verfahrensablauf aufgrund Verständigung
Ein ungewöhnlicher Strafprozeß geht seinem Ende entgegen.
Eingeleitet wurde er als sogenanntes Terrorismusverfahren - ging
es doch in der über 100seitigen Anklage um Rädelsführerschaft
in einer sog. terroristischen Vereinigung, wurde die Anklage doch
vom höchsten bundesdeutschen Ankläger verfaßt und
die Hauptverhandlung vor einem speziellen Staatsschutzsenat des
Oberlandesgerichts eröffnet und unter Sicherheitsvorkehrungen
durchgeführt.
Doch typische Staatsschutz- und "Terroristenprozesse"
sehen vollkommen anders aus: Die Verteidigung in solchen Verfahren
vor den Staatsschutzsenaten und gegen die Bundesanwaltschaft bedeutet
üblicherweise erbitterten Kampf gegen die Verkürzung von
Verfahrensrechten und überzogene Sicherheitsvorkehrungen, gegen
die Überwachung des Verkehrs zwischen Angeklagten und Anwälten,
gegen den Versuch, Verteidiger auszuschließen oder Gerichtsverhandlungen
in Abwesenheit der Angeklagten durchzuführen. Und regelmäßig
wurden die terrorismusverdächtigen Angeklagten in speziellen
Hochsicherheitsgefängnissen isolierenden Haftbedingungen unterzogen,
die nicht selten zu schweren Gesundheitsschäden führten.
Die 10tägige Hauptverhandlung in diesem Hochsicherheitssaal
fand demgegenüber in überaus freundlicher Atmosphäre
statt - ganz anders also, als in typischen und langwierigen Terrorismusverfahren
der Vergangenheit. Wir erlebten eine ungewöhnliche Kooperation
und Verständigung zwischen Bundesanwaltschaft und Verteidigung
und dem Staatsschutzsenat. Dies hat sich auch von Anfang an auf
die Haftbedingungen des Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt
Celle positiv ausgewirkt, über die sich unser Mandant nicht
beklagte.
Die nichtkonfrontative Atmosphäre in der Hauptverhandlung
hat den Prozeßbeteiligten allerdings auf der anderen Seite
nur wenig Abwechslung im Verhandlungsalltag geboten, der ansonsten
in einem "normalen" Strafverfahren zumindest durch die
Vernehmung von unterschiedlichen Zeugen belebt zu werden pflegt.
Wir erlebten statt dessen - trotz der Benennung von über 200
Zeugen und Sachverständigen in der Anklageschrift - eine Hauptverhandlung
ohne Zeugen - d.h. ohne Zeugenvernehmungen. Alle Prozeßbeteiligten
verzichteten zur Beschleunigung des Verfahrens einvernehmlich darauf
- auch dies gehört zur getroffenen Absprache - und das Gericht
sah keinen weiteren Aufklärungsgewinn durch die unmittelbare
Anhörung von Zeugen. Wir erlebten, wenn man so will, ein Lese-Verfahren,
womit letzten Endes die strafprozessualen Grundsätze der Unmittelbarkeit
und Mündlichkeit des Strafverfahrens tangiert sind, auch wenn
eine vereinfachte Beweisaufnahme strafprozessual zulässig ist.
Und für die Öffentlichkeit, aber auch für Teile der
Justiz schwebt über all dem der Ruch des "Anrüchigen",
des rechtsstaatlich Bedenklichen, des Handels vor Gericht. Manches
an diesem Verfahren ist tatsächlich so ungewöhnlich, daß
es - auch gegenüber der Öffentlichkeit - erklärungs-
bzw. rechtfertigungsbedürftig ist. Ich versuche in meinem Plädoyer
- gerade in dem Bemühen um größtmögliche Offenheit,
die ich für unerläßlich halte - eine Erklärung
und Einschätzung dieses Verfahrens aus Verteidigersicht und
aus rechtspolitischer Perspektive zu geben.
Der ungewöhnliche Ablauf der Hauptverhandlung beruht auf
einer frühzeitigen Verständigung zwischen Bundesanwaltschaft
und Verteidigung unter Einbeziehung des zuständigen Senats
- wie sie mein Kollege bereits vorgestellt hat. Deshalb brauche
ich das Ergebnis der Absprache, das der Prozeßvereinfachung
und -förderung dient, hier nur noch kurz zu skizzieren: Anstelle
einer möglicherweise jahrelang dauernden Hauptverhandlung mit
ungewissem Ausgang einigte man sich auf ein Verfahren, in dem der
Vorwurf der "Rädelsführerschaft in einer terroristischen
Vereinigung" eingestellt, der Beschuldigte wegen der Beteiligung
an den beiden Anschlagserien des Jahres 1993 - im Falle des Nachweises
seiner Tatbeteiligung - zu einer Freiheitsstrafe in einer Höhe
verurteilt werden soll, die dem Politiker Kani Yilmaz eine konkrete
Perspektive in Freiheit zur Fortsetzung seiner politisch-diplomatischen
Arbeit ermöglicht. Dementsprechend haben die Sitzungsvertreter
des Generalbundesanwalts gestern in ihrem Plädoyer eine Freiheitsstrafe
von nicht mehr als acht Jahren beantragt und erklärt, sie könnten
eine Strafaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung
der Hälfte der verhängten Strafe befürworten. Grundlage
dieser Vereinbarung ist eine Erklärung der PKK-Führung
im Rahmen des seit 1995 begonnenen Dialogs und der Deeskalation,
auf die ich noch eingehen werde. Der Generalbundesanwalt hat keine
verschärften Sicherheitsbedingungen bzw. kein besonderes Haftstatut
während der Untersuchungshaft beantragt; Anträgen der
Verteidigung zur Schaffung großzügiger Arbeitsmöglichkeiten
als Journalist und Besuchsmöglichkeiten trat der Generalbundesanwalt
nicht entgegen.
Ungewöhnlich an dieser Verständigung ist, daß
sie den Grundzügen bereits vor Anklageerhebung zustande gekommen
ist. Sie unterscheidet sich von den meisten anderen sog. Deals dadurch,
daß von dem Beschuldigten - neben einer politischen Erklärung
- kein Geständnis und auch keine geständige Einlassung
erwartet wird, sondern ein politisches Signal: Erwartet wird eine
Erklärung des Angeklagten, die dieser schon während des
Auslieferungsverfahrens in England abgegeben hat und der "neuen"
politischen Linie der PKK-Führung entspricht: Danach seien
im Zusammenhang mit den Anschlägen des Jahres 1993 in Europa
Fehler begangen worden und man werde sich in Zukunft dafür
einsetzen, daß sich die Kurden in Deutschland an die Gesetze
halten, um die politisch Verantwortlichen in Deutschland für
ein Engagement im Sinne einer friedlichen Lösung des Kurdistankonflikts
zu gewinnen. "Wie in einem Drehbuch haben Ankläger und
Verteidigung den Verlauf des Verfahrens festgeschrieben und das
Ergebnis ausgehandelt", schreibt "Der Spiegel"
(40/ 1997, S. 66) und behauptet: "Eine solche Absprache, die
wohl auch aus politischer Opportunität erfolgte, ist bislang
einzigartig in der deutschen Rechtsgeschichte."
Im Zusammenhang mit solchen Absprachen, Verhandlungen oder - wie
sie auch genannt werden - "Deals" gab und gibt es aber
immer wieder Irritationen, gelegentlich werden sie sogar "am
Rande der Legalität" verortet. Deshalb einige Klarstellungen:
Prinzipiell sind Absprachen im Strafprozeß, die "die
Vorstellungen der Prozeßbeteiligten über Gang und Ergebnis
des Verfahrens auf dem Gesprächswege zur Deckung bringen"
(Dahs) - nicht neu - in den vergangenen Jahren sind sie in der Rechtspraxis
sogar von einem faktischen Phänomen zu einem rechtlich anerkannten,
höchstrichterlich abgesegneten Instrument geworden. Die Möglichkeit,
mit Staatsanwalt und Richter über Umfang, Ablauf und Ergebnis
eines Strafprozesses Vereinbarungen zu treffen, ist heute Allgemeingut
justitieller Verfahrensbewältigung - ob man das wahrhaben will
oder nicht (vgl. Dahs, TB des Strafverteidigers, 4. Aufl. 1990,
Rdnr. 142a m.w.N.). In aufwendigen und komplizierten Strafverfahren
- etwa in großen Drogenverfahren, Wirtschafts- und Umweltstrafsachen,
gelegentlich auch in Spionageprozessen - wird - schon aus prozeßökonomischen
Gründen - regelmäßig gedealt. Die Generalstaatsanwälte
haben hierfür schon 1993 "Hinweise an die Staatsanwälte
für die Verständigung im Strafverfahren" erlassen
(StV 93, 280). Angesichts ihrer zunehmenden Bedeutung in der Verfahrenspraxis
wird sogar über eine Legalisierung solcher Absprachen in Strafverfahren
nachgedacht. Nur bei Staatsschutzverfahren, insbesondere in sog.
Terrorismusprozessen sind wir Absprachen praktisch kaum gewohnt
- schließlich geht es da um die Aburteilung des "Staatsfeindes"
- die Staatsräson ließ es bislang nicht zu, mit sog.
Terroristen zu verhandeln. Erst seit 1997 wirken sich die politischen
Sondierungsgespräche zwischen bundesdeutschen Stellen und der
PKK-Führung auch in PKK-Verfahren aus, in denen es regelmäßig
auch um den Vorwurf des "Terrorismus" geht.
Widerstände gegen Absprachen in Staatsschutzprozessen
Nicht verwunderlich scheint mir, daß es gerade im Zusammenhang
mit Verständigungen in sogenannten Terrorismus- bzw. Staatsschutzverfahren
erhebliche Widerstände innerhalb wie außerhalb der Justiz
gibt - nach dem Motto: "Mit 'Terroristen' und 'Gewalttätern'
verhandelt man nicht". Oder spiegelbildlich, aber auch nicht
von der Hand zu weisen: "Mit der Staatsgewalt verhandelt man
nicht, schon gar nicht in undurchsichtiger Geheimdiplomatie unter
Mitwirkung von Geheimdiensten, und erst recht nicht mit Staatsvertretern,
die dem Folterstaat Türkei Rüstungshilfe leisten".
Auch diesen Vorwurf konnte man lesen. Die Hannoversche Allgemeine
Zeitung vom 31.10.97 (S. 1) formulierte ihre Kritik an Absprachen
in PKK-Verfahren unter dem Titel "Geheime Absprachen mit der
PKK garantieren Straftätern Milde": "Während
Politiker rundherum härtere Strafen zur Eindämmung der
Kriminalität fordern, geht die Justiz im Falle der terroristischen
Kurdenorganisation PKK den umgekehrten Weg: Geheime Absprachen bescheren
auch mutmaßlichen Schwerkriminellen aus der PKK kurze Prozesse
und mildere Urteile".
Innerhalb der Justiz geht der Riß praktisch quer durch die
Gerichte aller Instanzen - besonders auch den Bundesgerichtshof
- sowie quer durch zahlreiche Staatsanwaltschaften und Polizeidienststellen.
So bezeichnet etwa ein unbeteiligter Richter in einem Leserbrief
an die Frankfurter Rundschau den "Deal" im Verfahren
gegen einen PKK-Funktionär vor dem OLG-Celle und das darauf
basierende Urteil von Ende 1997 als "ein böses Theaterstück"
mit dem Titel "Verkauf des Unrechts als Recht" (Christian
Rost, FR v. 24.11.97).
Ein solcher "Handel mit Strafe" passe nicht in unser
Strafrechtssystem, meint auch der frühere OLG-Präsident
Rudolf Wassermann (Fragwürdige Absprache, in: Die Welt 5.9.97).
Dieses Strafrechtssystem entziehe den staatlichen Strafanspruch
grundsätzlich der Vereinbarung der Beteiligten. Auch wenn in
komplizierten Wirtschaftsprozessen Absprachen üblich geworden
seien, so habe immerhin - jetzt kommt das Entscheidende - "all
die Jahre hindurch - auch bei den Terroristen-Prozessen - Übereinstimmung
darüber (bestanden), daß Staatsschutzverfahren, in denen
es um die Sicherheit des Staates und dessen verfassungsmäßige
Ordnung geht, den 'Vergleichen' nicht zugänglich sein sollten".
Nun sei - er bezieht sich auf das Düsseldorfer Verfahren von
1997 - auch noch diese Schranke gefallen, stellt Wassermann resigniert
fest, gibt sich aber der Hoffnung hin, daß der Düsseldorfer
"Deal" eine "Ausnahme bleibt und sich nicht in
anderen Staatsschutz-Prozessen wiederholt". Diese Hoffnung
hat sich nicht erfüllt, wie die weiteren PKK-Verfahren des
Jahres 1997 zeigen .
Zum Hintergrund des sog. Deals: Politische Verständigung
im Vorfeld
Wir müssen bei der Beurteilung der Verständigung bzw.
Absprachen in PKK-Verfahren zwei Phasen unterscheiden: die politisch-diplomatische
und die juristisch-strafprozessuale. Nach dem Höhepunkt der
bundesdeutschen Terrorismushysterie in Bezug auf die PKK im Jahre
1994 - Stichwort: "Neue Dimension des Terrors" - konnte
bei den Sicherheitsorganen ein gewisser Umdenkungsprozeß verzeichnet
werden. Innerhalb des "Verfassungsschutzes" gab es bereits
von Anfang starke Kräfte, die das PKK-Betätigungsverbot
als politisch falsch und kontraproduktiv einschätzten. Sie
sahen sich bestätigt durch die Erkenntnis, daß der Einfluß
der PKK unter den in Deutschland lebenden Kurden durch das Verbot
nicht geringer, sondern größer geworden ist; sie sahen
sich auch bestätigt durch die Auffassung zahlreicher Kurdistan-Experten
zur Situation in Türkisch-Kurdistan: Auch nach zehn Jahren
bewaffneten Kampfes ist die PKK dort stärker denn je. Ein militärischer
Sieg des türkischen Militärs über die Guerilla schien
unwahrscheinlich.
Hinzu kam die im Jahre 1995 verkündete selbstkritische Klarstellung
der PKK-Führung, daß die Anschläge in Europa ein
politischer Fehler waren und daß Deutschland und Westeuropa
- trotz ihrer parteiischen Rolle für die Türkei - nicht
als Kriegsgegner betrachtet würden, sondern daß die PKK
ein gutes Verhältnis zur Bundesrepublik anstrebt. Deutschland
solle für den Dialog und Friedensprozeß gewonnen und
nicht weiter durch Anschläge oder andere Gewalttaten gegen
die Kurden aufgebracht werden. Tatsächlich hat es seit 1995
keine Anschläge auf türkische Einrichtungen mehr gegeben,
die von den Ermittlungsbehörden der PKK zugerechnet werden.
Im Verlauf jenes Umdenkungsprozesses auf beiden Seiten kam es
vermehrt zu offiziösen Geheimgesprächen und Verhandlungen
zwischen Vertretern des Bundeskanzleramtes, des Bundesamtes für
Verfassungsschutz und Vertretern der Bundesanwaltschaft auf der
einen Seite und der PKK-Führung auf der anderen, insbesondere
mit dem in Syrien residierenden PKK-Generalsekretär Abdullah
Öcalan - obwohl gegen Öcalan bereits seit 1990 ein bundesdeutscher
Haftbefehl wegen "Rädelsführerschaft in einer terroristischen
Vereinigung" vorliegt (GBA-Pressemitteilung vom 13.1.98, S.
22). Diese Gespräche kamen über die Vermittlung von Ali
Ghazi zustande, dem Sohn des Gründers der Republik Mahabad,
dem einzigen selbständigen Staat in der Geschichte Kurdistans.
Gesprächsthemen waren dabei die Rolle der Bundesrepublik im
Kurdistankonflikt, das PKK-Betätigungsverbot sowie die Welle
von Strafverfahren gegen PKK-Anhänger. Auf Grundlage dieses
neuen Dialogs und der Entspannung fanden auch justitielle Gespräche
statt, die das Verfahrens zur Auslieferung von Kani Yilmaz aus England
betrafen und später die Bedingungen eines Strafverfahrens in
der Bundesrepublik.
Die beiderseitigen Interessen
Ohne Beteiligung und Mitwirkung des Beschuldigten hätte diese
Verständigung selbstverständlich nicht zustande kommen
können; sie ist unabdingbare Voraussetzung einer solchen Absprache
und rückt sein Interesse in den Vordergrund. Der Angeklagte
hat viele Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht - in der
Türkei, in England und in der Bundesrepublik. In diesem Zusammenhang
muß nochmals betont werden, daß Kani Yilmaz, der in
der Türkei als Gewerkschaftssekretär gearbeitet hatte,
nach seiner ersten Festnahme im Jahre 1980 wegen Mitgliedschaft
in der PKK in türkischen Gefängnissen schwer gefoltert
worden ist: Die Folterspuren sind an seinem Körper heute noch
sichtbar, heute noch leidet er an den Folgen. Nach fast zehn Jahren
unmenschlicher Qualen in türkischer Haft verlebte er über
drei Jahre in Auslieferungs- und Untersuchungshaft in englischen
und deutschen Gefängnissen, in England zum großen Teil
in verschärfter Isolationshaft.
Bei einer Aussicht auf einen traditionell langjährigen Terrorismusprozeß
nach õ 129a StGB auf Grundlage einer 100seitigen Anklage, von 150
Aktenordnern und einem Aufgebot von über 200 Zeugen und Sachverständigen
käme der Angeklagte voraussichtlich nach Jahren nicht aus der
- dann unter prekären Bedingungen vollzogenen - Untersuchungshaft
frei, würde - eingedenk der herkömmlichen Staatsschutz-Praxis
- voraussichtlich auch wegen 129a zu einer höheren Freiheitsstrafe
verurteilt, ohne Chance, daß diese nach der Hälfte zur
Bewährung ausgesetzt würde.
Das Interesse des Anklagten ist deutlich und in der Verständigung
auch angemessen berücksichtigt worden: Er möchte so schnell
wie möglich wieder auf freiem Fuß leben und seine politisch-diplomatische
Arbeit auf Europaebene fortsetzen, um den Kurdistankonflikt einem
friedlichen Ende näherzubringen.
Keine Absprache ohne zwei Seiten: Selbstverständlich hat
auch die justitielle Seite ein gewichtiges Interesse an besagter
Absprache. Ihr Interesse ist es, daß das Verfahren nicht über
Jahre dauert und vereinfacht wird. Mit der Verständigung wurden
praktisch neben der möglicherweise jahrelangen Verhandlungszeit
und der Bindung von Personalressourcen auch Millionen von DM eingespart.
Abgesehen von diesem prozeßökonomischen Argument würde
ein über Jahre dauerndes Verfahren - wie etwa im Fall des ersten
Düsseldorfer PKK-Prozesses (viereinhalb Jahre mit über
350 Verhandlungstagen) - dem Vertrauen der Öffentlichkeit in
die Justiz und der Akzeptanz des Rechtssystems insgesamt Schaden
zufügen, so begründete etwa der Vorsitzende Richter die
Verständigung im Düsseldorfer PKK-Verfahren des Jahres
1997 (Frankfurter Rundschau, 3.9. 97). Mit den sonstigen - inzwischen
gesetzlichen, aber umstrittenen - Formen der Beschleunigung des
Strafverfahrens - wie etwa durch das "Verbrechensbekämpfungsgesetz"
von 1994 - hat diese Art von Beschleunigung indessen nichts zu tun.
Statt gesetzlich vorgesehener Rechtsverkürzung zu Lasten des
Beschuldigten und seiner strafprozessualen Rechte geschieht die
Beschleunigung im vorliegenden Fall voll im Interesse des Angeklagten,
unter seiner Mitwirkung und Zustimmung und unter weitestgehender
Wahrung seiner prozessualen Rechte.
Bundesgerichtshof: zur Zulässigkeit von "Deals"
und ihren Grenzen
In seinem Grundsatzurteil vom August 1997 verkündete der
BGH in einem anderen Verfahren - wie schon das Bundesverfassungsgericht
zehn Jahre zuvor (BVerfG NJW 1987, 2662) - die prinzipielle Zulässigkeit
von Verfahrensabsprachen auch im deutschen Strafverfahren (Az. 4
StR 240/97; BGH NJW 1998, 86 ff). Die Strafprozeßordnung untersage
eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten
nicht generell. Dazu gehöre auch die Zusicherung einer milderen
Strafe. Absprachen seien aber nur unter Beachtung strafprozessualer
Grundsätze und der Rechtsstellung des Angeklagten, insbesondere
der Beachtung seines Rechts auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren,
zulässig (Art. 20 III iVm Art. 2 I GG). Voraussetzung ist danach,
1. daß auch im Falle von Vorgesprächen außerhalb
der Hauptverhandlung die Absprache zwischen Gericht, Verteidigung
und Staatsanwaltschaft in öffentlicher Hauptverhandlung bekanntgegeben,
erörtert und protokolliert wird,
2. daß die Zusicherung einer milderen Strafe nur so weit
geht, daß eine bestimmte schuldangemessene Höchststrafe
(Strafobergrenze) abgesprochen wird; eine genaue Festlegung der
Gesamtstrafe darf es nicht im vorhinein geben, weil die Richter
dann in Beweiswürdigung und Strafzumessung nicht mehr frei
und unabhängig entscheiden könnten,
3. daß bei Bekanntwerden neuer Tatsachen und schwerwiegender
Umstände zu Lasten des Angeklagten das Gericht von der ursprünglichen
Zusage einer Höchststrafe abweichen kann, was ebenfalls in
der Hauptverhandlung bekanntgegeben werden muß.
4. Die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts mit dem Angeklagten
vor der Urteilsverkündung hält der BGH für unzulässig.
Diese Kriterien sind bei der hier getroffenen Verständigung
eingehalten worden. In diesem Rahmen ist auch die Unabhängigkeit
des Gerichts gewahrt, das dem Gebot der (forensischen) Wahrheitsfindung
verpflichtet bleibt, weshalb auch nach der Beweisaufnahme ein Freispruch
oder lediglich eine geringe Freiheitsstrafe in Betracht kommen kann
(dazu weiter unten). Weil das Gericht mit der Verständigung
nicht auf eine konkrete Strafe festgelegt wurde, was unzulässig
wäre, hat es nach wie vor prinzipiell aus dem "Inbegriff
der Verhandlung" in der Urteilsberatung über die Strafe
zu entscheiden und ist lediglich an die zugesagte Nichtüberschreitung
der Strafobergrenze gebunden. Insofern ist das Gericht nach den
Grundsätzen des fairen Verfahrens gebunden, weil damit ein
Vertrauenstatbestand geschaffen wurde.
Auch die Einstellung des Vorwurfs der "Rädelsführerschaft
in einer terroristischen Vereinigung" nach õ 129a StGB ist
nach herkömmlichem Strafprozeßrecht erfolgt - nach õ
154a StPO, wonach das Gericht eine solche Beschränkung der
Strafverfolgung unter bestimmten Voraussetzungen in jeder Lage des
Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft vornehmen kann.
Das ist geschehen.
Auch die strafprozessualen Grundsätze wurden eingehalten:
Rechtliches Gehör wurde in vollem Umfang gewährt, die
freie Willensentschließung des Angeklagten gewahrt. Unabdingbare
Voraussetzung einer Absprache im Strafverfahren, auch wenn diese
im Vorfeld getroffen wurde, ist ein offener Umgang, der dem Grundsatz
des rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG; õ 33 StPO) und dem grundlegenden
Öffentlichkeitsprinzip im Strafverfahren (õ 169 GVG) entspricht:
Die Absprache muß als herausragender Verfahrensvorgang mit
ihrem wesentlichen Inhalt in die öffentliche Hauptverhandlung
eingebracht, dort von allen Verfahrensbeteiligten erörtert,
vom Gericht beraten und im Protokoll festgehalten werden - wie dies
im vorliegenden Fall auch geschehen ist. Ansonsten würde die
Hauptverhandlung zur Farce, zur bloßen Fassade eines geheimen
"Deals", der einer Überprüfbarkeit entzogen
wäre. Es darf also keine Mauschelei bzw. Kungelei über
Verfahrensverlauf und -ergebnis auf dunklen Gerichtsfluren stattfinden,
wie dies in andersartigen Strafverfahren zumeist ohne Widerspruch
durchaus praktiziert wird
- obwohl dadurch das Informationsinteresse der Allgemeinheit und
die Kontrolle der Justiz beeinträchtigt werden. Der Deutsche
Richterbund und der Deutsche Anwaltsverein haben in einem gemeinsamen
Papier erst kürzlich für "mehr Offenheit im Umgang
der Verfahrensbeteiligten untereinander" plädiert: "Die
Verwirklichung des Strafrechts, das tief in Menschenleben einschneidet,
setzt mehr als in jedem anderen Bereich des Rechts voraus, daß
seine Anwendung in allen Einzelheiten des Sachverhalts und in jeder
Variante der rechtlichen Entscheidungsmöglichkeiten vorhersehbar
ist." (DRiZ Dez. 97, S. 492). Diesen Vorstellungen haben die
Beteiligten dieses Strafverfahrens m.E. in hohem Maße entsprochen
- so daß von diesem Verfahren auch ein Signal in Richtung
auf ein "Mehr an Öffentlichkeit und Transparenz"
ausgehen könnte. Das Verfahren hat insgesamt das verfassungsmäßige
Erfordernis eines "rechtsstaatlichen und fairen Prozesses"
nicht verletzt. Mit der erfolgten Verständigung ist durch die
Schaffung eines hervorgehobenen besonderen Vertrauenstatbestands
eine hohe Verbindlichkeit für die Beteiligten verbunden.
Politische Vor-Lösung eines Politischen Prozesses
Dieses Verfahren ist in mancherlei Hinsicht ein Politikum. Es
handelt sich um ein politisches Strafverfahren - von Anbeginn mit
allen dazugehörigen Insignien. Ein solches Verfahren vor einem
solchen Gericht unter solchen Bedingungen gegen einen solchen Angeklagten
mit solchen strafrechtlichen Vorwürfen ist ein politisches
Verfahren - was von Staatsanwaltschaften und Gerichten in Bezug
auf die sog. Terrorismusverfahren immer wieder geleugnet worden
ist, nun aber de facto anerkannt wird. Denn folgt man der klassischen
Definition von Otto Kirchheimer, so handelt es sich um Politische
Justiz, wenn die "Verwendung juristischer Verfahrensmöglichkeiten"
politischen Zwecken dient: "Wenn gerichtsförmige Verfahren
politischen Zwecken dienstbar gemacht werden, sprechen wir von politischer
Justiz" . Von diesem Prozeß sollte - auf Grundlage einer
vorherigen politischen Verständigung - ein Signal ausgehen
in Richtung Deeskalation und Dialog, in Richtung gewaltfreier Diskurs
und politischer Lösung. Und dieses Signal ist vom Angeklagten
in seinem Eingangsstatement auch eindrucksvoll gegeben worden. Mit
dem sogenannten Deal zwischen Generalbundesanwalt und Verteidigung
unter Einbeziehung des zuständigen Gerichts ist ein Politisches
Strafverfahren konsequent bewältigt worden - indem nämlich
vorgerichtliche Gespräche und Verhandlungen auf Grundlage von
politischen Sondierungen und Absprachen zwischen Bundesregierung,
Bundesanwaltschaft und -verfassungsschutz stattgefunden haben und
das Verfahren praktisch in Durchführung und Resultat politisch
zumindest vorgelöst worden ist. Dies alles geschah unter Ausschöpfung
der strafprozessualen Möglichkeiten, im rechtlich zulässigen
Rahmen, der mittlerweile höchstrichterlich umrissen worden
ist (BGH-Entscheidung vom Aug. 1997). Dies alles konnte allerdings
nur geschehen, weil es der Angeklagte tatsächlich so wollte,
sich der Tragweite dieses Vorgehens voll bewußt war und nur
auf diese Weise seine Freiheit so früh wie möglich wieder
erlangen kann, um weiter für die kurdische Sache politisch
wirken zu können. Fazit: Ein Sieg der praktischen Vernunft,
möchte man meinen - und hofft auf Fortsetzung und Signalwirkung
mit dem Ziel, das 1993 verhängte Betätigungsverbot gegen
die PKK und andere kurdische Organisationen endlich aufzuheben.
Denn nur eine solche Deeskalationspolitik kann helfen, die angespannte
Situation zu entkrampfen und neue Eskalationen zu vermeiden. Die
PKK-Führung (u.a. in Person des Abdullah Öcalan) hat dieser
Deeskalationsstrategie mit ihrer bereits erwähnten Erklärung
den Boden bereitet.
Die jüngste Entwicklung zeigt, daß zumindest die Bundesanwaltschaft
und einige Oberlandesgerichte die Zeichen der Zeit erkannt haben
und den Weg des Dialogs und der Verständigung gehen. Dazu gehört
auch die Tatsache, daß die Bundesanwaltschaft nicht mehr von
einer "terroristischen Vereinigung" innerhalb der PKK
ausgeht. Die ewig gestrigen Hardliner und Eskalationsstrategen im
Sicherheitsapparat werden diesen Kurswechsel nicht kampflos hinnehmen.
Aber es gibt m.E. keine Alternative zum Dialog - statt restriktiver
Verbotspolitik -, es gibt keine Alternative zur Deeskalation - statt
langwieriger und rechtsstaatlich höchst bedenklicher "Terrorismusverfahren"
herkömmlicher Prägung. Die Verteidigung steht zu dieser
Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten, befindet
sich allerdings in einem gewissen Dilemma, das sich im Verlaufe
der Hauptverhandlung bzw. nach der Beweisaufnahme herausgestellt
hat. Denn unseres Erachtens hat die Beweisaufnahme in diesem Verfahren
nicht ergeben, daß der Angeklagte einen Tatbeitrag zu den
angeklagten Straftaten geleistet hat. Weil die Verständigung
nicht dazu führen darf, daß der Angeklagte praktisch
für Taten belangt wird, an denen ihm keine Beteiligung nachgewiesen
werden kann, gilt sie bezüglich der Höchstfreiheitsstrafe
von acht Jahren nur für den Fall, daß der Anklagevorwurf
durch die Beweisaufnahme auch tatsächlich bestätigt wird.
Auch wenn die Verständigung quasi von der Annahme ausgeht,
der Angeklagte habe sich einer Straftat schuldig gemacht, kann diese
Annahme das Gericht nicht daran hindern, sich ein objektives Bild
von der Beweissituation zu verschaffen. Deshalb werde ich in einem
zweiten Teil auf diese Problematik zumindest punktuell eingehen
und insoweit den Vortrag meines Kollegen ergänzen.
II. Teil: Zum angeblichen Tatbeitrag sowie zur Beweislage
1. Nach dieser Hauptverhandlung fällt es auch mir schwer,
den angeblichen Tatbeitrag und die Schuld unseres Mandanten an den
Anschlagsserien gegen türkische Einrichtungen im Jahre 1993
zu erkennen - zumal die probate Klammer des Kollektivtatbestandes
õ 129a StGB ("terroristische Vereinigung") einvernehmlich
durch Einstellung fallengelassen wurde. Ich kann allenfalls eine
hypothetische, keineswegs lückenlose Indizienkette erkennen
(der auch durch die Aussagen der Kronzeugen keine Beweisqualität
erwächst).
2. Die auch vom Generalbundesanwalt frühzeitig angedeutete
Beweisnot in diesem Verfahren soll offenbar mithilfe von Kronzeugen-Aussagen
überwunden werden. Ein äußerst fragwürdiges
Unternehmen angesichts der Zweifelhaftigkeit solcher Zeugen und
angesichts des zweifelhaften Beweiswertes ihrer Aussagen. Zunächst
ist festzustellen, daß der begrüßenswerte Wegfall
des Organisationsdelikts 129a StGB nicht bewirkt hat, daß
auch auf die Aussagen der Kronzeugen in diesem Verfahren verzichtet
wird - obwohl die Möglichkeit zur Einführung von Kronzeugen
untrennbar mit dem Terrorismusvorwurf verbunden ist.
Zu II. 2.: Fragwürdige Kronzeugen-Aussagen
Lassen Sie mich mit der Kronzeugenproblematik beginnen: Kronzeugen
(richtiger: Staatszeugen), die selbst straffällig geworden
sind und die Menschen um eigener Vorteile willen belasten, sind
lediglich in sog. Terrorismusverfahren, in Drogenprozessen sowie
seit 1994 auch in Verfahren wegen bestimmter organisiert begangener
Straftaten zugelassen. Nachdem dieser Prozeß gegen Kani Yilmaz
nicht mehr nach den typischen Merkmalen von Terrorismusverfahren
abgelaufen ist und auf õ 129a StGB einvernehmlich verzichtet wurde,
wäre es nur konsequent gewesen, diesen terrorismustypischen
Fremdkörper Kronzeuge in einem rechtsstaatlichen und fairen
Strafprozeß ebenfalls fallenzulassen. Statt dessen aber sind
mit der Verlesung von Vernehmungsprotokollen die Aussagen von drei
Kronzeugen in diese Hauptverhandlung eingebracht worden. Lassen
Sie mich angesichts dieser Situation die prinzipiellen rechtlichen
und rechtspolitischen Bedenken und Einwände gegen diese Art
von Zeugen zusammenfassend formulieren, wie sie auch im straf- und
strafverfahrensrechtlichen Schrifttum überwiegend zum Ausdruck
kommt:
(1) Die Privilegierung des Kronzeugen verstößt gegen
eine Reihe von verfassungsrechtlichen Prinzipien, so gegen das Rechtsstaats-
(Art. 20 GG), das Verhältnismäßigkeits- und das
Gleichheitsprinzip (Art. 3 I GG). Letztgenannter Verfassungsgrundsatz
ist dadurch verletzt, daß der Kronzeuge durch die Gewährung
von Straffreiheit oder Strafmilderung im Vergleich zu seinen Mittätern
und zu anderen Straftätern bevorzugt, also ungleich behandelt
wird. Diese Ungleichbehandlung per Sondergesetz, wie es die Kronzeugenregelung
darstellt, ist willkürlich und kann auch nicht mit der Formel
von der "besonderen Gefährlichkeit des Terrorismus"
sachlich begründet werden.
(2) Die gesetzliche Zulassung des Kronzeugen verstößt
auch gegen eine Reihe von strafprozessualen Prinzipien: So wird
das sog. Legalitätsprinzip durchbrochen, wonach die Staatsanwaltschaft
zur Verfolgung jeder Straftat ohne Ansehen der Person verpflichtet
ist (õ 152 II StPO); zumindest die Nichtverfolgung bzw. Straffreistellung
von Kronzeugen, die meist selbst in schwerwiegende Straftaten verwickelt
sind, bedeutet praktisch eine Freistellung vom Legalitätsgrundsatz.
Die Einführung von Kronzeugen als Hauptbelastungszeugen ist
geeignet, die Hauptverhandlung zu entwerten und die Verteidigung
zu erschweren. Nach Auffassung mancher Kritiker wird dadurch das
"Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit empfindlich erschüttert
. " (so etwa der Standardkommentar zur StPO von Kleinknecht/Meyer-Goßner,
vor KronzG, 42. Aufl.; Lammer, ZRP 1989, 252).
(3) Der Kronzeuge ist das Gegenteil eines klassischen Zeugen:
Selbst tief in Schuld verstrickt, kauft er sich durch den Verrat
seiner (ehemaligen) Mitstreiter vom Staat frei, der seinerseits
bei der Terrorismusbekämpfung unter besonderem Erfolgszwang
steht. - Es ist ein Handel, der in der Regel in Untersuchungshaft,
zumeist unter Isolationshaftbedingungen, angebahnt und perfekt gemacht
wird, also in einer örtlichen und psychischen Situation, in
der die Grenzen zwischen Versprechen eines Vorteils, Täuschung
und Unterdrucksetzen äußerst fließend sind (õ 136a
StPO, Verbotene Vernehmungsmethoden) und in der ausschließlich
die eine Seite, nämlich die staatliche, die Bedingungen diktiert;
- es ist ein Handel, der den frisch gekürten Kronzeugen vom
Mitbeschuldigten zum Ermittlungsgehilfen der Staatsanwaltschaft
und Polizei transformiert, ihn in den staatlichen Verfolgungsapparat
integriert, dem repressiven und präventiven Staatsschutz nutzbar
macht und so gegen das Verbot des Rollentauschs vom Beschuldigten
zum Zeugen und zum Fahndungsinstrument verstößt;
- es ist ein Handel, der die ohnehin kaum gewährleistete
Waffengleichheit im Strafprozeß vollends zum Kippen bringt,
"da der Kronzeuge als reines Ermittlungsinstrument ausschließlich
Überführungszwecken dient (Lammer, ZRP 1989, 251 f.) Diese
Wirkung wird noch verstärkt, wenn solche Zeugen aus "Sicherheitsgründen",
"Gründen des Staatswohls" oder wegen angeblicher
"Unerreichbarkeit" dem Gericht und den Prozeßbeteiligten
vorenthalten werden und ihre Aussagen lediglich per Vernehmungsprotokoll
oder "Zeugen vom Hörensagen" in die Hauptverhandlung
eingeführt werden. Eine Überprüfung der Glaubwürdigkeit
des Kronzeugen durch die Angeklagten und ihre Verteidigung wird
in solchen Fällen praktisch verhindert. (4) Eines der gewichtigsten
Bedenken gegen die Figur des Kronzeugen ist die mangelnde Glaubwürdigkeit
jener "gekauften Zeugen", wie sie bisweilen genannt
werden. Dieser in der Figur des Kronzeugen bereits angelegte Mangel
müßte ihre Aussagen, die nicht selten wie Fahndungsexpertisen
klingen, eigentlich für ein rechtsstaatlich-faires Verfahren
von vornherein wertlos machen. Auch der Praxiskommentar zur StPO
von Kleinknecht/Meyer-Goßner (42. Aufl.) geht davon aus, daß
"stets starke Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Angaben
eines Kronzeugen, der sich durch seine Aussage erhebliche Vorteile
erwerben will, bestehen müssen" (Rdnr. 8 vor KronzG).
Das verständliche Interesse an Straffreiheit oder zumindest
an milder Beurteilung durch das Gericht, das existentielle Interesse
an dem Schutz und der Unterstützung durch die Sicherheitsorgane
- diese Interessenkonstellation und hochgradige Abhängigkeit
von staatlichen rfahren vor dem OLG Düsseldorf eine zentrale
Rolle spielte, folgendermaßen: Cetiner, damals 36 Jahre alt,
sei um mindestens zehn Jahre vorgealtert, körperlich schwach,
seine Psyche zusammengebrochen. Er sei schwer depressiv, hoffnungslos,
ohne Antrieb. Seine besondere Bewachung im Zeugenschutzprogramm
des BKA empfinde er nicht als Schutz, sondern als Schikane. Der
Kronzeuge sei eine schwache Persönlichkeit und sowohl politisch
als auch familiär gescheitert (zit. nach Prozeßprot.
RH).
Gleichwohl wurde er als Kronzeuge im Düsseldorfer Mammutverfahren
gegen zunächst 18 Kurden eingesetzt. Doch er konnte nicht halten,
was man sich von ihm versprochen hatte: Das OLG bot nach 120 Verhandlungstagen
8 Angeklagten die Einstellung des Verfahrens an. Begründung:
Der Kronzeuge Cetiner habe "seine früheren Angaben"
zu Binnenstruktur und Bestrafungspraktiken der PKK inzwischen "erheblich
relativiert" und die Aussagen des damals "bestgeschützten
Zeugen des BKA", Nusret A., zur PKK-Parteistruktur in Europa
beruhten, so das Gericht, "weitgehend auf Kenntnis vom Hören-Sagen
und in vielen Punkten wohl auch eher auf Vermutungen als auf Wissen".
(Weitere Entwicklung . vgl. RA Hans Eberhard Schultz). Die Kronzeugenregelung
degradiert den zum Kronzeugen gekürten Belastungszeugen praktisch
in rechtsethisch nicht vertretbarer Weise zum Objekt staatlichen
Handelns im Interesse eines unbedingten Strafverfolgungswillens.
Nicht zuletzt aus diesen Gründen sollte die Kronzeugenregelung
abgeschafft werden, statt sie, wie inzwischen geschehen, auch noch
auf andere Deliktsbereiche auszudehnen. Der von der RAF ermordete
Generalbundesanwalt Siegfried Buback hatte Recht, als er 1976 bekannte:
"Ich bin . ein entschiedener Gegner der Kronzeugenlösung,
weil ich sie für eine ganz unnötige Kapitulation des Rechtsstaats
halte." (in: Der Spiegel 16.2.76). Dreizehn Jahre später,
im Jahre 1989, kapitulierte der Rechtsstaat - zwar befristet, aber
immer wieder verlängert, bis heute. Und die Auswirkungen bekommen
wir nun auch in diesem Verfahren zu spüren. Die Befristung
offenbart den Charakter der Vorschrift als ein Sondergesetz, eine
Ausnahmeregelung mit Maßnahmecharakter, mit der "das
schlechte Gewissen des Gesetzgebers zum Ausdruck" kommt, wie
früher schon im Rechtsausschuß des Bundestages festgestellt
worden ist (BT-RA-Prot. 8/21, S. 130, bezogen auf das "Kontaktsperregesetz").
Nun dauert der Ausnahmezustand und die Kapitulation des Rechtsstaats
bereits über acht Jahre . Gegen eine Kronzeugenregelung im
deutschen Strafrecht bestehen nach Einschätzung von Meyer-Goßner
"erhebliche Bedenken", der "Mißerfolg des
Gesetzes" sei "offenkundig" und die Regelung "mit
unserer Rechtskultur nur schwer zu vereinbaren" (Rdnr. 9).
Auch wenn die Verteidigung im Zuge der erwähnten Verständigung
auf die Vernehmung von Zeugen in der Hauptverhandlung verzichtet
hat, und damit auch auf die Überprüfung der Glaubwürdigkeit
von Kronzeugen und ihren Aussagen, so sollte aus all den genannten
verfassungsrechtlichen, strafprozessualen, kriminalpolitischen und
rechtsethischen Gründen in diesem Verfahren darauf verzichtet
werden, die durch Verlesung eingeführten Aussagen der Kronzeugen
zu verwerten.
Zu II. 1.: Reiner Indizienprozeß?
Niemand hat unserem Mandanten vorgeworfen, höchstpersönlich
an den angeklagten Anschlägen als unmittelbarer Täter
beteiligt gewesen zu sein. Auch die Anklage nicht, die jedoch eine
strafrechtliche Verantwortlichkeit darin sieht, daß der Angeklagte
zu diesen Anschlägen angestiftet haben soll. Der Senat widersprach
dieser Auffassung des Generalbundesanwalts strikt und sieht in seinem
Eröffnungsbeschluß statt eines Anstifters einen mutmaßlichen
mittelbaren Täter am Werk. Schon im Vorfeld also fiel es den
Ermittlungs- und Justizbehörden reichlich schwer, die Art der
angeblichen Beteiligung unseres Mandanten an den Anschlagsserien
rechtlich zu qualifizieren. Dies ist kein Wunder, ist doch das Tatsächliche
einer möglichen Tatbeteiligung, wie es von der Bundesanwaltschaft
in ihrer Anklageschrift zusammengetragen worden ist, äußerst
schwammig und lückenhaft. Eine lückenlose Befehlskette
von der PKK-Führung bis zu den unmittelbaren Tätern ist
jedenfalls, so hat es die Beweisaufnahme aus unserer Sicht ergeben,
nicht nachweisbar, noch eine Tatherrschaft als Zurechnungsprinzip
bzw. eine direkte, steuernde Einflußnahme des Angeklagten
bezüglich einzelner konkreter Anschläge (vgl. dazu auch
BayObLG München vom 6.7. 1994). Ich sehe jedenfalls keinen
tragfähigen Beweis dafür, daß unser Mandant die
angeklagten Anschläge tatsächlich angeordnet hat, wie
die Anklage behauptet - einen solchen unmittelbaren Beweis gibt
es in der Tat nicht, wie diese Hauptverhandlung deutlich gemacht
hat und wie es der Generalbundesanwalt bereits im Auslieferungsverfahren
hatte eingestehen müssen. Weder gibt es einen solchen Beweis
in schriftlicher Form noch als klare Aussage eines der Belastungszeugen,
der bestätigen könnte, das eine konkretisierbare Anweisung
mündlich erfolgt sei. Auch eine mittelbare Anweisung, die sich
auf die Anschläge bezieht, oder eine Anweisung allgemeiner
Art, wie sie die Anklage sieht, ist nicht nachgewiesen.
Angesichts dieser objektiven Beweissituation reicht es nach Auffassung
der Verteidigung jedenfalls nicht aus, aufgrund der Position des
Angeklagten, seiner Funktion, seiner konkreten Tätigkeit und
aufgrund der Strukturen und Zielsetzung der PKK zu schlußfolgern,
nur der Angeklagte könne eine solche Anweisung erteilt haben
oder müsse sich eine solche strafrechtlich zurechnen lassen,
wie mein Kollege bereits detailliert ausgeführt hat. Ein zwingender
Schluß von einer Gesamtschau zahlreicher mittelbarer Beweisanzeichen
auf einen konkreten Tatbeitrag des Angeklagten ist insoweit jedenfalls
nicht möglich.
Dieses Strafverfahren hat letztlich nur zu Tage gefördert,
was schon zuvor niemand ernstlich bestreiten konnte: daß unser
Mandant in der fraglichen Zeit eine hohe Position in der ERNK innehatte,
daß die PKK eine gewisse Hierarchie aufweist, daß Kurden,
unter ihnen auch Anhänger der PKK, die angeklagten Delikte
begangen haben, für die einige auch verurteilt worden sind,
daß die angeklagten Anschläge in keineswegs durchgängig
ähnlicher Art und Weise durchgeführt und in zwei Wellen
am 24. Juni 1993 und am 4. November 1993 jeweils innerhalb eines
gewissen Zeitrahmens verübt worden sind, und daß an etlichen
der Tatorte gleichlautende Flugblätter gefunden wurden.
Für von "oben" geplante und koordinierte Kommandoaktionen
gibt es keine Beweise - genauso wenig, wie es einen Beweis dafür
gibt, daß die Anschläge überhaupt konzertierte Aktionen
der PKK waren bzw. von ihr durchgeführt wurden, was von der
PKK-Führung auch wiederholt bestritten wurde. Allenfalls gibt
es Indizien dafür, daß die PKK-Führung diese Anschläge
nicht aktiv verhindert hat. Das äußerste, was im Laufe
der Beweisaufnahme zu vernehmen war, ist der Versuch der PKK-Führung
und auch des Angeklagten, die Anschläge des Jahres 1993 zu
erklären, teilweise auch zu rechtfertigen - und zwar als "menschliche
Reaktion", als "menschlicher Schrei" und "Wehklagen"
auf die zuvor vom türkischen Militär an Kurden begangenen
Massaker. All dies fiele unter die Rubrik politische Verantwortung
und nicht unter strafrechtliche Verantwortlichkeit.
Aber selbst wenn aus den hier eingeführten Dokumenten per
Textauslegung eine Rechtfertigung der Anschläge herausgelesen
werden kann, reicht dies für eine Verurteilung unseres Mandanten
keineswegs aus. Denn auf der anderen Seite haben wir in der Hauptverhandlung
aus einem Tagebuch erfahren, daß die PKK von ihren Anhängern
teilweise eher als Bremser wahrgenommen wurde, denn als Anschlags-
oder Brandbeschleuniger (SAO I/2, 021). Im übrigen wird aus
der überwiegenden Mehrzahl der hier verlesenen Dokumente, in
denen Kani Yilmaz als Autor oder Interviewpartner in Erscheinung
tritt, deutlich, daß der Angeklagte um eine friedliche Lösung,
für Dialog und für Freundschaft mit Deutschland wirbt.
Vor seiner Verhaftung hatte er sich als Europasprecher der ERNK
bekanntlich in ganz Europa aktiv für eine friedliche Lösung
des schmutzigen Krieges in der Türkei, in Türkisch-Kurdistan
eingesetzt.
Fazit: Wenn es also überhaupt keine direkten Beweise für
eine unmittelbare oder auch nur mittelbare schriftliche oder mündliche
Anordnung des Angeklagten im Zusammenhang mit den Anschlagserien
des Jahres 1993 gibt, geschweige denn für einzelne, konkrete
Anschläge, dann wäre es m.E. fehlerhaft, eine strafrechtliche
Verantwortlichkeit über die umstrittene Rechtsfigur der mittelbaren
Täterschaft konstruieren zu wollen. Zu dieser Problematik hat
mein Kollege das Nötige ausgeführt.
Auch wenn über diesem Verfahren die zwischen Gericht und
Prozeßbeteiligten getroffene Vereinbarung schwebt, so gilt
für die Urteilsfindung doch uneingeschränkt der Zweifelsgrundsatz,
wonach von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit
auszugehen ist, die nach den gesamten Umständen in Betracht
kommt. Bremen / Celle, den 4. Februar 1998
Gössner, Rolf
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