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entnommen von http://www.nadir.org/nadir/periodika/kurdistan_report/9890/21.htm
Der Kronzeuge Altinok
In einer Reihe von Prozessen gegen angebliche höhere Funktionäre
der PKK war Altinok in den letzten zwei Jahren zwar nicht formal,
aber faktisch ein für die Anklage wichtiger Kronzeuge. Die deutsche
Kronzeugenregelung wurde bei ihm formal nicht angewendet, aber von
seinem Status und der Struktur seiner Aussagen her war er ein klassischer
Kronzeuge.
Es gibt ein ganz einfaches Muster, nach dem ein Kronzeuge und eine
Kronzeugenaussage gestrickt ist. Die Knüpfpunkte dieses Musters
können wie folgt beschrieben werden: 1. Der Kronzeuge ist ein Insider,
der selbst der terroristischen Vereinigung, die man verfolgt, angehört
oder sie unterstützt. Er hat sich dann selbst strafbar gemacht.
2. Er wird gefaßt oder stellt sich und sagt gegen andere aus. Das
bringt ihm den Vorteil, daß er selbst gar nicht oder nur sehr milde
bestraft wird. 3. Interessant ist er für die Ermittlungsbehörden
eigentlich nur, wenn er sehr viel über die anderen und die terroristische
Vereinigung weiß. 4. Je mehr er weiß, um so mehr muß er selbst auch
in die strafbaren Sachverhalte verstrickt gewesen sein. 5. Je enger
die Verstrickung, desto höher die Strafe, die er selbst zu erwarten
hat.
Dies führt ganz offensichtlich zu einer Gratwanderung, bei der
Abstürze vorprogrammiert sind, und am Ende stürzt das rechtsstaatliche
Strafverfahren selbst ab. Denn was liegt näher, als daß dieser Zeuge
Geschichten erzählt, die in zweifacher Hinsicht nicht der Wahrheit
entsprechen: Einerseits wird er versucht sein, seine eigenen Tatbeiträge
herunterzureden, andererseits wird er sich veranlaßt sehen, wahrheitswidrig
andere mehr und mehr zu belasten.
Daß die Glaubwürdigkeit eines solchen Zeugen generell mehr als
problematisch ist, liegt auf der Hand. Daß dann gleichzeitig der
Rollentausch des Kronzeugen vom eigentlich Beschuldigten der schweigen
und, wenn er redet, auch lügen darf, zum Zeugen, der unter der Wahrheitspflicht
steht, eben aus diesem Grund dem Kronzeugen einen sogenannten Glaubwürdigkeitsbonus
verschafft, ist absurde Konsequenz der Regelung. In der Praxis wird,
so auch bei Altinok, eine Kronzeugenaussage zunächst beim Bundeskriminalamt
(BKA) hergestellt. Ermittlungsbeamte, zu zweit oder im Wechsel,
befragen ihn über Tage, Wochen und Monate, legen ihm Hunderte von
Fotos zur Identifizierung vor und vertiefen und wiederholen den
ganzen Stoff vielfach. Auf diese Weise entsteht im Laufe der Zeit
ein Protokoll von mehreren hundert Seiten, das am Ende einen oder
zwei Leitzordner füllt. Zumindest anfänglich lebt der Zeuge im BKA.
Er wird dort 'rundum versorgt'. Man schafft so eine tatsächliche
und rechtliche Abhängigkeit. Der Zeuge wagt keinen Ausbruch, denn
alle Beteiligten gehen davon aus, daß der auf sich gestellte Zeuge
höchst gefährdet wäre, weil ihn die Organisation aufgrund seiner
Aussagen mit dem Tod bestrafen wolle. Das Ganze nennt sich euphemistisch
'Zeugenschutzprogramm'.
Bei Altinok sah das so aus, daß das BKA ihm zum Beispiel einen
neuen Paß vom türkischen Konsulat besorgte und bei der Ausländerbehörde
eine für ihn als Ausländer notwendige Aufenthaltserlaubnis. Bezeichnenderweise
verschaffte man ihm diese nur in Form einer Duldung, die lediglich
seine Abschiebung aussetzte. Darin lag die latente Drohung: Wenn
du nicht mehr mitspielst, schieben wir dich in die Türkei ab - und
das, obwohl Altinok fast sein ganzes Leben in der BRD verbracht
hatte.
Dazu meinte Altinok: "Wenn ich aussage, habe ich schon gedacht,
daß ich in Deutschland bleiben kann." Das BKA sorgte auch dafür,
daß er später eine Wohnung und Sozialhilfe bekam. Eine Arbeit, die
er dann fand, mußte er wieder aufgeben, um für die Prozesse vor
verschiedenen Gerichten als Zeuge zur Verfügung stehen zu können.
Da wurde er dann wieder mit Sozialhilfe versorgt.
Weiter kümmerte sich das BKA auch um strafrechtliche Probleme.
Man war ja auf Altinok gestoßen, weil gegen ihn wegen einer Straftat
in Berlin ein Haftbefehl bestand und er sich nach seiner Festnahme
dazu entschlossen hatte, umfassend auszusagen. Schon nach dem ersten
Kontakt waren die BKA-Ermittler sehr an ihm interessiert. Daraufhin
wurde einige Tage später der Haftbefehl aufgehoben und das Verfahren
gegen ihn eingestellt. Zeugenschützer konnten ihn in der JVA Berlin-Moabit
abholen und direkt zum BKA nach Meckenheim fahren.
Ein anderes Verfahren wegen eines Brandanschlages auf ein türkisches
Reisebüro in Berlin wurde gegen ihn gar nicht erst eröffnet. Das
BKA spielte den Vorgang herunter, obwohl zwei andere Kurden, die
bei der Aktion dabei gewesen sein sollen, von einem Berliner Gericht
dafür mit drei bzw. zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis bestraft
wurden.
Formal wurde Altinok die ganze Zeit dennoch als Beschuldigter und
nicht als Zeuge vernommen, nicht zuletzt, um ihm ständig zu signalisieren:
Wenn wir wollen, können wir dich jederzeit anklagen und bestrafen.
Bemerkenswert und bezeichnend schließlich ist ein Vorfall, der sich
während der monatelangen Vernehmungen ereignete. Nachdem Altinok
schon wochenlang ausgesagt hatte, wollte er eines morgens weitere
Aussagen verweigern - wozu er als Beschuldigter natürlich jederzeit
das Recht hatte. Der zuständige BKA-Ermittler sagte dazu später
als Zeuge in einem der Prozesse: "Nach einem Gespräch mit ihm ging
es wieder, er wollte weiterhin für das BKA und die Gerichte zur
Verfügung stehen". Und zu Altinok hatte er damals gesagt: "300 Seiten
Protokoll sind bereits bei der Generalbundesanwaltschaft, das wird
auch bei Gericht eingeführt werden. Sie sind erheblich gefährdet.
... Er (Altinok) wußte, daß er aus dem Zeugenschutz rausfliegt,
wir haben das bestätigt. Er sagte, ich bin nicht doof, ich verstehe
schon, was Sie mir sagen wollen."
Das ist für jeden zu verstehen: Für Aussagen gibt es Schutz, sonst
nicht, trotz unterstellter erheblicher Gefährdung, wobei gerade
das BKA gemäß seiner Haltung zur PKK sogar von tödlichen Gefahren
ausging. Altinok wurde so deutlich vermittelt, daß man ihn für äußerst
gefährdet hielt, man ihn allein deshalb aber nicht schützen würde,
sondern nur, wenn er auch weiterhin mitspielte.
In all dem ist unschwer erkennbar, daß hier ein Geschäft abgewickelt
wird. Deutlich wird aber auch die Ungleichheit der 'Geschäftspartner':
Der Stärkere bedient sich ungeniert des Prinzips von Zuckerbrot
und Peitsche. Der Kronzeuge wird mürbe gemacht, bei Bedarf aber
auch wieder stabilisiert. Altinok hat das irgendwann nicht mehr
ausgehalten, ist krank geworden und hat sich in die Psychiatrie
geflüchtet. Jetzt ist er ganz aus diesem Leben 'ausgestiegen'.
Ein Oberstaatsanwalt, der im Bereich Betäubungsmittelkriminalität
mit Kronzeugen konfrontiert ist, hat einmal formuliert: "Wenn die
Aussage ... zu einer bloßen Handelsware verkommt, wenn Verrat belohnt
und respektables Schweigen benachteiligt wird, kann die Justiz nicht
mehr Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit gewährleisten, geht bei
der Bevölkerung das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren."
Rechtsanwalt Martin Helmig
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