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BKA - Ein Amt mit braunen Wurzeln
In den Gründerjahren hatten NS-Verbrecher und
Schreibtischtäter im Bundeskriminalamt das Sagen. Die Wiesbadener
Behörde möchte darüber nicht reden
Schon 1987 hatte Armand Mergen festgestellt: "Als das
Bundeskriminalamt mit Beamten besetzt wurde, ließ man
Nazi-Vergangenheit mit SS-Zugehörigkeit, Kriegseinsätze mit
Polizeigräueltaten, Berufsausübung unter dem Zeichen des
Totenkopfes ruhen." Auch die zwielichtige Rolle des selbst ernannten
"Gründungsvaters" und späteren Präsidenten des
BKA, Paul Dickkopf, ist vielfach beleuchtet worden, weil er vielen
"Kameraden" aus dem Reichskriminalamt den Weg in die Wiesbadener
Behörde geebnet hatte. Der Abteilungsleiter der Sicherungsgruppe, Theo
Saevecke, machte nach langem öffentlichen Streit über seine
mögliche Verwicklung in Kriegsverbrechen zuletzt Schlagzeilen, als ihn
1999 ein italienisches Gericht wegen Erschießungen zu lebenslanger
Haft verurteilte.
Die "Schatten der NS-Vergangenheit" hatte im vergangenen Jahr
Wilhelm Dietl in seiner "BKA-Story" nachgezeichnet. Doch erstmals
hat Dieter Schenk, Autor, Honorarprofessor und ehemaliger
BKA-Kriminaldirektor, den braunen Wurzeln des BKA ein ganzes Buch gewidmet.
Nach aufwändigen Recherchen, bei denen er neben dem Berlin Document
Center auch Archive in Polen und solche der ehemaligen DDR sichten konnte,
kommt Schenk zu einer neuen, schockierenden Bewertung der Bedeutung von
ehemaligen Nazis und Kriegsverbrechern beim Aufbau der zentralen
Polizeibehörde der demokratischen Bundesrepublik. "1959 bestand
der Leitende Dienst des BKA aus 47 Beamten - bis auf zwei hatten alle eine
braune Weste." Als "moralische Katastrophe" bezeichnet der
Autor die Tatsache, dass fast die Hälfte von den 47
Führungskräften "NS-Verbrecher im kriminologischen
Sinne" gewesen seien. Vier BKA-Führungsleute bezeichnet Schenk
als "Schreibtischtäter", die bei der Deportation von
"Zigeunern". Homosexuellen und so genannten Asozialen mitgewirkt
hätten. 15 seien als Mitglieder von Einsatzgruppen an der Ermordung
der polnischen Intelligenz oder von Juden in Weißrussland beteiligt
gewesen, einige hätten bei Exekutionen "selbst Hand
angelegt". Jeder Dritte gehörte zudem zur Gestapo.
Penibel rekonstruiert der Autor die Karrieren jener legendären
"Charlottenburger", unter ihnen sieben Absolventen der
"Führerschule der Sicherheitspolizei" von 1938 um Paul
Dickkopf, die später im BKA Führungsposten übernehmen
sollten. Indem er Protokolle, Lebensläufe, Zeugenaussagen und
Dokumente vergleicht, weist er bewusste Glättungen, Umdeutungen,
Auslassungen und Fälschungen der Altkriminalisten nach, die ihre
Verstrickung in den NS-Gewaltapparat verschleierten. Schenk zeigt, wie
ihnen Nachkriegsjustiz und Politik dabei halfen. Paul Dickkopf, 1965 zum
BKA-Präsidenten aufgestiegen, war nach Einschätzung des Autors in
den letzten Kriegsjahren ein Doppelagent, der dem NS-Geheimdienst wie den
US-Amerikanern zuarbeitete und sich später mit Geschick die Legende
eines Widerstandskämpfers aneignete.
Die Gründer des BKA, so die These des Buchs, bildeten nach dem Krieg
nicht nur Strukturen und Organisationsprinzipien der zentralen
NS-Kriminalpolizei nach. Auch der Geist der "Ewiggestrigen" habe
das BKA der frühen Jahre durchweht. Wie im NS-Staat sprachen sie
intern von "Elementen", "Zigeunern",
"Gewohnheitsverbrechern" und "Asozialen", die
"auszuschalten" seien. Im NS-Staat mit der Verfolgung von
Kommunisten befasst, passten sie in den Antikommunismus der
Adenauer-Ära.
Die Lektüre des Buches, das Verbrechen und Verleugnung dokumentiert,
ist anstrengend und macht zornig. Dieter Schenk, der das BKA verließ,
weil er die Zusammenarbeit mit den Polizeiorganisationen von
Unrechtsregimen nicht mehr mittragen wollte, musste auch eine für ihn
persönlich schmerzliche Entdeckung machen; sein Lehrer, der ihn 1963
zum Kriminalkommissar ausgebildet hatte, erwies sich als ehemaliger
Gestapo-Mann, der in Warschau angebliche Spione dem Tod überantwortet
und Exekutionen veranlasst hatte.
Trotz der Genehmigung von Innenminister Schily sah sich das BKA ein Jahr
lang außer Stande, Schenk Akteneinsicht zu gewähren. Eine
Podiumsdiskussion über die braunen Wurzeln des BKA, die der Autor dem
Wiesbadener Amt vorgeschlagen hatte, wird dort nicht stattfinden, wie
BKA-Sprecher Unger dem Tagesspiegel mitteilte; weil die "im
Wesentlichen bekannten" Tatsachen in einem solchen Rahmen nicht
angemessen diskutiert werden könnten. Auch im März, bei der Feier
zum 50. Bestehen des Amtes, war nicht davon die Rede, dass ehemalige
BKA-Polizeiführer an NS-Verbrechen beteiligt gewesen sind. In seinem
Vorwort zu Schenks Buch beklagt Michel Friedman, die Behörde habe sich
bis heute davon nicht eindeutig distanziert und entschuldigt. Friedman
fragt: "Wer schützt hier wen?"
Christoph Schmidt Lunau
Quelle: Der Tagesspiegel, 1. Oktober 2001
Dieter Schenk:
Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA
Kiepenheuer & Witsch, 372 Seiten, 44,90 DM
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