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Zum Text „Wir
packen aus“, Interim 557, S. 31:
Ein „Berliner Bündnis für Wahrheitsfindung“
greift Menschen, die momentan in den RZ-Prozessen vor Gericht stehen,
für ihre Aussagen an. Nach langer Zeit der Untersuchungshaft
haben sich dort mehrere auf Aussagen eingelassen und als „Gegenleistung“
ihre Haftentlassung erreicht. Eine Person, die diesen Weg nicht
mitgegangen ist, sitzt weiter in U-Haft.
Das Verhalten derer, die Aussagen gemacht haben, kann jederzeit
kritisiert werden. Kritik bedeutet Hinterfragen, Weiterentwickeln
oder Verwerfen, neue Strategien entwickeln usw. Was aber in der
Interim zu finden war, ist das in arrogante Satire verpackte Beharren
auf einem Dogma „Anna und Arthur halten’s Maul“.
Mal abgesehen davon, daß es sicherlich nur wenige zu Gesetzen
aufgebauschte Sätze in linken Zusammenhängen gibt, die
so offensichtlich auch von denen mißachtet werden, die sie
benennen (mit Bullen, z.B. vor und während Demos, bei Anzeigen
gegen Nazis usw., sowie mit Justizstellen gibt es ständig Gespräche
und Kooperation – meist ohne jeglichen Zwang dazu!), erscheint
uns der Satz auch nicht sinnvoll. Und zwar, damit keine Mißverständnisse
auftreten, nicht sinnvoll als unumstößliches Dogma, d.h.
als unumstößliche Verhaltensanweisung unabhängig
von der Situation.
Denn eine Festlegung auf „Anna und Arthur halten’s
Maul“ kann bedeuten, ...
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Bullen, VS oder Justiz einen Gefallen zu tun, wenn es für
die nützlich ist, daß wir schweigen.
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massiven Zwang auf solche Menschen auszuüben, die vielleicht
lieber Gedichte aufsagen, Lieder singen, von der laufenden Waschmaschine
zuhause erzählen oder die Bullen zutexten, daß sie
ja nur fragen, weil sie fragen müssen aufgrund der Herrschaftsbeziehung
am Arbeitsplatz. Ihnen wird Angst gemacht vor der linken Inquisition
und Druck, die ihnen unangenehmere Situation des Schweigens
durchzuhalten.
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Chancen der öffentlichen Vermittlung zu verpassen.
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berechenbar zu werden für Repressionsbehörden (was
haben Spitzel und AnquatscherInnen zu befürchten, wenn
sie wissen, das Schlimmste kann ein „Nein“ sein?).
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nur arrogant aus Eliten heraus Verhaltensregeln an politische
AktivistInnen herauszugeben, statt Hintergrundwissen zu vermitteln
und konkretes Verhalten zu trainieren und zu reflektieren. Statt
Hilfe zur Selbsthilfe erfolgt oft mehr Anweisung und Zurechtweisung.
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den Menschen das zu nehmen, was Menschen ausmacht: Die Fähigkeit
zum Reflektieren, Abwägen und Entscheiden.
Im konkreten Fall der RZ-Prozesse kommt uns zusätzlich der
Verdacht auf, daß das „Berliner Bündnis für
Wahrheitsfindung“ ein Club von SesselfurzerInnen ist. Aus
der sicheren Position heraus Menschen anzugreifen, die Jahre im
Knast sitzen, ist einfach. Um eines Dogmas wegen Menschen im Knast
sehen zu wollen, ist brutal und zeugt davon, da „linke“
Politik nur noch selten etwas mit Emanzipation zu tun hat. Die Aussagen
im Prozeß bleiben kritikwürdig, aber die pauschale Verdammung
ist unmenschlich. Zudem entspricht es nicht unserer Beobachtung,
daß die Aussagen der einen die Noch-immer-Inhaftierung des
anderen bewirkt haben. Die Aussagen wirkten auf uns gerade in diesem
Punkt sehr überlegt und entlastend für alle Beteiligten
bis auf den Verräter Mousli und die Arschlöcher von der
Staatsmacht.
Wir können uns in den letzten Punkten irren, aber wir haben
keine Lust, die dogmatisch-unmenschliche Form der Politik, die im
Text des „Berliner Bündnis für Wahrheitsfindung“
und an leider vielen anderen Stellen linker Debatten erfolgt, als
einzige gültige Form der Politik hinzunehmen – schon
gar nicht, wenn diejenigen, die diese Form wollen, sich selbst immer
mit einem Konsens u.ä. verwechseln, um ihre Definitionsmacht
über das Verhalten politischer AkteurInnen durchzusetzen.
Für kreative Antirepression! Bullen, VS und Justiz das
Fürchten lehren!
www.projektwerkstatt.de/antirepression
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