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Wenn die Sache irre wird -
werden die Irren zu Profis Infos und Texte zur Aussageverweigerung
und Beugehaft aus dem Jahr 1988.
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Trotz Beugehaft: Keine Aussagen - keine Kooperation
Wenn Ermittlungs- und Justizbehörden Informationen sammeln,
dann tun sie dies in einem Interesse, das unserem entgegengesetzt
ist. Sie wollen diesen -Staat schützen; wir wollen ihn angreifen.
Also kann es für uns grundsätzlich auch nur eine richtige
Antwort auf die vielfältigen Formen ihrer Ausforschungspraxis
geben: Den Widerstand dagegen organisieren. Und das heißt
im Fall von ZeugInnen"vorladungen: Aufrufen zu einer kompromißlosen
Aussageverweigerung.
Daß diese Position, die in der Vergangenheit von einem (relativ)
breiten politischen Spektrum getragen wurde, heute zunehmend in
Frage gestellt wird, ist Ausdruck einer Verunsicherung, die mit
Verhängung der ersten Beugehaftbeschlüsse einsetzte. Zwar
herrscht - von Ausnahmen abgesehen - noch immer die Überzeugung
vor, daß konsequentes Schweigen die einzig sichere Verhaltensweise
ist, sich den Aushorchungsversuchen des Staatsschutzes zu entziehen.
Doch im Unterschied zu früher wird daraus nicht mehr die unbedingte
politische Konsequenz gezogen, offensiv zur Aussageverweigerung
aufzurufen. Der Grund hierfür ist eine Diskussion, die nach
dem exemplarischen Einsatz von Beugehaft zur Disziplinierung aussageunwilliger
"Zeuglnnen" ihren Anfang nahm, und die sowohl die individuellen
als auch die politischen Folgen der Aussageverweigerung neu thematisiert.
Bevor die Bundesanwaltschaft zum Zwangsmittel der Beugehaft griff,
waren "die Betroffenen" und damit die subjektive Problemstellung
der Aussageverweigerung kein Thema. Dagegen spielte ihre politische
Bedeutung eine umso größere Rolle. Anna und Arthur wurden
zum Symbol des Widerstandes gegen politische Denunziation und Gesinnungsschnüffelei.
Die Verweigerung, der geforderten Kooperation mit dem Staatsschutz
galt als Dokumentation unseres Widerstandes gegen die Bespitzelung,
Erfassung und Kontrolle von politischer Opposition. Und schließlich
versprach die kollektive Aussageverweigerung, eine praktische Handlungsperspektive
zur Verhinderung massenhafter "Zeuglnnen"-Vorladungen
bzw. zur Blockierung laufender Ermittlungsverfahren zu eröffnen.
Seit jedoch die Beugehaft als ernstzunehmende Bedrohung im Raum
steht, wird über die politische Funktion der Aussageverweigerung
kaum noch geredet; im Extremfall wird sie neuerdings sogar geleugnet.
Dagegen ist eine Debatte in den Vordergrund gerückt, die an
unterschiedIichen Punkten ansetzt, im Kern allerdings stets um die
Frage kreist, ob das Absitzen von Beugehaft nicht ein zu hoher Preis
für die Aussageverweigerung ist. Wobei alle möglichen
Überlegungen zur Entscheidungsfindung herangezogen werden:
die eigene Angst vor dem Knast; der mögliche Verlust von Arbeitsplatz
und Beziehung; die Sorge um Kinder oder anstehende Prüfungen;
die Einschätzung, daß die Mehrheit "der Betroffenen"
den Schritt in die Beugehaft sowieso nicht tut; die Befürchtung,
"Märtyrerlnnen" oder "Heldlnnen" zu produzieren.
Nur ein Gedanke fällt völlig unter den Tisch. Die Erwägung
der politischen Konsequenzen nämlich, die ein Standhalten bzw.
Nachgeben gegenüber dem Zwangsmittel der Beugehaft mit sich
bringt.
D h. die augenblickliche Diskussion orientiert sich nicht mehr
am Ziel der Aussageverweigerung und den politischen Interessen,
die wir damit verbinden. Vielmehr macht sie die allgemeine Angst
vor Inhaftierung, unsere politische Schwäche und natürlich
vorhandene Erpressbarkeit zur Richtschnur des weiteren Handelns.
Mit dem Ergebnis, daß die Entscheidung für oder gegen
Aussagen zum persönlichen Problem wird, auf das es keine politische
Antwort, sondern nur noch individuelle Reaktionen gibt.
Dem Entgegenzuwirken, setzt vorraus, die Diskussion um die Beugehaft
vom Kopf auf die Füße zu stellen. Was zunächst einmal
bedeutet, sich an die Gründe uns Zielsetzung der Aussageverweigerung
zu erinnern, und diese zur erneuten Grundlage der Auseinandersetzung
zu machen. Bestimmen wir sie im ursprünglichen Sinn, d.h. als
Teil unseres Widerstandes gegen politische Erfassung und Kontrolle,
und wollen wir uns selber ernst nehmen, kann daraus nur die offensive
Aufforderung zur Aussageverweigerung und zur Inkaufnahme der Beugehaft
folgen. Alles andere wäre ein Zurückweichen hinter die
eigene Einsicht in die politische Notwendigkeit; eine Kapitulation
vor der willkürlichen von der Gegenseite bestimmenden Schmerzgrenze
"Knast"; ein Aufgeben der eigenen Interessen sobald ihre
Verteidigung unsere ganze Person erfordert.
Eine derartige öffentliche Positionsbestimmung zum Thema der
Aussageverweigerung erfordert allerdings eine entsprechende Bereitschaft,
sich sowohl mit den eigenen als auch den Schwächen, der im
Einzelfall direkt betroffenen "Zeuginnen", zu konfrontieren.
D. h. wenn uns die Aussageverweigerung das Risiko einer Inhaftierung
wert ist, reicht es nicht, dies politisch zu vertreten, sondern
wir müssen in einem zweiten Schritt, von uns und anderen, ein
demgemäßes Verhalten einklagen.
Das geht aller Erfahrung nach - insbesondere in der Auseinandersetzung
mit "Zeuglnnen" - nicht ohne Heulen und Zähneklappern
über die Bühne. Schließlich wollen wir alle lieber
in der Sonne liegen, mit Freundlnnen in der Kneipe sitzen, mit dem
oder der Liebsten ins Bett gehen, statt im Knast zu hocken. Und
natürlich sind wir alle nur zu gerne bereit, unser bißchen
Freiheit hier draußen mit allen Mitteln zu verteidigen. Trotzdem
bzw. gerade deshalb gilt es, die politischen Interessen, den persönlichen
Bedürfnissen entgegenzusetzen.
Anders als oft unterstellt wird, bedeutet ein solches Vorgehen
keinesfalls, die Ängste und Schwierigkeiten, die angesichts
einer drohenden Inhaftierung auftauchen, zu leugnen oder gar als
"bürgerliche Kacke" einfach abzutun. Es geht vielmehr
darum, sie nicht zur Grundlage der Debatte zu machen und damit den
Anschein zu erwecken, als sei das jeweilige Verhalten von "Zeuginnen"
Ergebnis ihrer psychologischen Disposition bzw. persönlichen
Lebensumstände. Denn ob sich jemand entscheidet, in Beugehaft
zu gehen oder mit sogenannten "begrenzten Aussagen" den
Weg zur Kooperation zu beschreiten, ist in erster Linie eine Frage
des politischen Kopfes. Und so muß das Ganze - bei allem Verständnis
für die menschlichen Schwierigkeiten und ungeachtet des Wissens
um die eigene Erpressbarkeit - auch diskutiert werden.
Dies ist im Ruhrgebiet bisher nicht gelungen und beweist sich im
Nachhinein als entscheidender Fehler. Denn durch die mangelnde politische
Auseinandersetzung und fehlende Konfrontation der "Zeuglnnen"
mit kollektiven Anforderungen existierte kein Korrektiv zum Versuch,
ihre Verweigerungshaltung mit Hilfe der Beugehaft zu brechen. Statt
kritischer Solidarität und aktiver Unterstützung, dem
Erpressungsversuch zu widerstehen, wurde den Frauen lediglich Mitgefühl
und die eigene Verunsicherung entgegengebracht. Daß sich im
Ergebnis die Mehrheit von ihnen aussagebereit gezeigt hat, ist also
zumindest zum Teil unserer Unfähigkeit geschuldet, den "Zeuglnnen"
eine Entscheidung abzuverlangen, deren politischer Charakter zutage
getreten wäre und die entsprechend auch hätte diskutiert
werden können.
Zum Schluß noch ein Wort zu der Behauptung, das kompromißlose
Vertreten der Aussageverweigerung und die Bewertung jedes Aussageverhaltens
als Kooperation mit dem Staatsschutz würde angesichts der Drohung
mit Beugehaft "Märtyrerlnnen" schaffen: Damit wird
unterstellt, daß "Zeuglnnen" sich zu Opfern ihnen
aufoktroierter Ziele machen ließen, was nicht nur eine entsprechende
Absicht behauptet und damit ein ungeheuerliches Mißtrauen
gegenüber der Szene ausdrückt, sondern gleichzeitig bedeutet,
daß den "Zeuglnnen" keine eigene Entscheidungsfähigkeit
zugetraut wird.
Ähnliches ist zur Befürchtung zu sagen, daß die
Bestimmung jedes Aussageverhaltens als politische Kooperation den
Verratsvorwurf impliziere. Denn spätestens seit den Auseinandersetzungen
um die massenhaften Aussagen und Belastungen haben wir gelernt,
zwischen praktischem Verrat und politischen Interessensverkauf zu
unterscheiden. Nicht zufällig hat daher auch die Verratsdebatte
im Zusammenhang mit der Beugehaft noch keine Rolle gespielt.
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