Wenn die Sache irre wird -
werden die Irren zu Profis Infos und Texte zur Aussageverweigerung
und Beugehaft aus dem Jahr 1988.
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Aufruf zur Aussageverweigerung ist eine politische Sackgasse
Leider sehen wir uns als "Gesamtorganisation" nicht in
der Lage, eine schriftliche (unsere) Einschätzung der bisherigen
Kampagne gegen die Beugehaft abzugeben. Wir wollen aber Euer Vorhaben,
eine Dokumentation mit mehreren verschiedenen Positionen dazu zusammenzustellen,
damit unterstützen, indem ich versuchen will, einige Anmerkungen
über Verständnis und Motivation meinerseits dazu zu machen.
Sie geben damit einen Teil der Diskussionen im Zusammenhang der
Mitarbeiterlnnen der lnfostelle wieder, sind aber von der inhaltlichen
Aussage her allein von mir zu verantworten.
Unsere Beteiligung an der Kampagne war sehr zögernd und individuell
von einigen Mitarbeiterlnnen. Das erklärt sich einerseits aus
dem Mandat der Südostasien-Informationsstelle als entwicklungspolitische
Bildungsorganisation zu Ländern in der Region, zum anderen
in der Art und Weise wie auf den jeweiligen Veranstaltungen und
Versammlungen diskutiert wird und mit welchem politischem Verständnis.
Erst nebenstehender Plakatentwurf zwang uns als Infostelle, Stellung
dazu zu beziehen. (1) Wir schrieben daraufhin u. a.:
"Wir halten es für begrüßenswert, eine möglichst
breite Öffentlichkeit für die Unterstützung des Kampfes
gegen die Kriminalisierung der Beschäftigung mit Themen wie
z. B. Gentechnologie, Flüchtlingspolitik oder Sextourismus
erreichen zu wollen. Deshalb sollte unseres Erachtens auch der Schwerpunkt
des Entwurfes auf den Inhalten liegen, die für ein unbedarftes
Publikum näher ausgeführt werden müßten d.
h. auch, daß die momentane Anwendungspraxis des §129a
und die Beugehaftandrohungen stärker in den inhaltlichen Kontext
eingebettet werden müssen." (... )
"Bei den Forderungen haben wir starke Bedenken und finden
es auch politisch falsch, Aussageverweigerung zum alleinigen Mittel
des Widerstandes zu erklären und damit zum Kriterium für
solidarisches Verhalten zu machen. Wir denken, daß eine differenzierte
Taktik durchaus diskussionswürdig wäre, denn Aussageverweigerung
ist unseres Erachtens selbst nicht ein politisches Mittel, sondern
muß von Fall zu Fall entschieden werden."
Dies war und ist sehr knapp ausgedrückt unsere grundsätzliche
Haltung zu der Kampagne. Was den endgültig veröffentlichten
Plakataufruftext angeht, so haben wir uns genau deshalb geweigert,
ihn mit zu unterschreiben, weil er Aussageverweigerung als einziges
"Kampf" -Mittel und Aussagen als "Kooperation mit
dem Staatsschutz" hinstellt, was sowohl in der Endparole ("Nur
gemeinsame Aussageverweigerung und ein breiter Widerstand können
die Verfolgungswelle des Staates stoppen!") als auch im vorletzten
Absatz ("Vor diesem Hintergrund hat sich die Mehrzahl derbislang
in dem Gesamtkomplex zu Vernehmungen geladenen Zeuglnnen entschlossen,
jede Kooperation mit dem Staatsschütz zu verweigern, d. h.
sie machen keinerlei Aussagen, da [. . . ] ".) deutlich zum
Ausdruck kommt. Wir haben Formulierungsalternativen angeboten (Streichung
der Endparole und Änderung des vorletzten Absatzes in "[...
] Zeuginnen entschlossen, keinerlei Aussagen zu machen, da [...
]."), die nicht berücksichtigt wurden. Eine - für
uns - erstaunlich große Anzahl von Gruppierungen hat denn
den Aufruf unterschrieben.
Ich halte ihn trotzdem für eine politische Sackgasse, was
meines Erachtens nach der Inhaftierung von Gabi einerseits und den
Aussagen einiger andererseits mehr als deutlich wurde.
Die neue Situation nach dem 16.3. mit Gabi im Knast bedeutete für
uns, unabhängig von anderen Aktivitäten im Rahmen unserer
Möglichkeiten und unseres politischen Verständnisses zu
handeln.
Wir haben einen eigenen Aufruf an über 300 Personen und Organisationen
im In- und Ausland.verschickt, der auch in verschiedenen Zeitschriften
abgedruckt wurde. Es haben daraufhin - soweit uns bekannt - 15 Organisationen
aus dem Ausland (5 aus Südostasien) und 12 aus der BRD, darunter
15 MdB der Grünen, reagiert und meist an Justizminister und
Ermittlungsrichter geschrieben.
Ich bin der Auffassung, daß die ganze Beuge- oder besser
noch "Erzwingungshaft" immer nur eng im Zusammenhang mit
dem (Gesinnungs-) Paragraphen 129a StGB gestellt werden muß.
Der. §129a beschneidet eklatant die Bürgerrechte in einem
demokratischen Rechtsstaat, wie im übrigen auch eine Reihe
von anderen Gesetzen. Es kann uns m. E. in der heutigen politischen
Situation vorerst nur darum gehen, jede Einschränkung der demokratischen-Grundrechte
im Rahmen dieses Rechtsstaates abzuwehren und sich für eine
extensive Auslegung dieser Grundrechte für die breite Bevölkerung
einzusetzen. "Die Herrschenden" haben immer versucht,
den Beherrschten einmal zugestandene Rechte rückgängig
zu machen oder einzuschränken im Namen ihres Verständnisses
von Staatsräson. Demokratische Grundrechte mußten und
müssen immer wieder aufs Neue erkämpft oder durchgesetzt
werden.
Im Zusammenhang mit dem § 129a bedeutet das, offensiv gerichtet
an eine breite, demokratische Öffentlichkeit nicht nur an die
alternative und pseudorevolutionäre Szene - die Konsquenzen
dieses Gesinnungsparagraphen in jeder Hinsicht hervorzuheben und
sich um dessen Abschaffung in einem politischen Bündnis mit
möglichst vielen Kräften einzusetzen. Mit den sogenannten
"anschlagsrelevanten Themen" in der Sprachterminologie
der Bundesanwaltschaft wird jedem demokratisch denkenden Menschen
die Gesinnungsverfolgung deutlich. Außerdem bedeutet es, tatsächlich
auch eine radikale Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen
Verhältnissen zu entwickeln und öffentlich zu führen,
die ja gerade durch die Paragraphen kriminalisiert werden soll,
wobei eine Übereinstimmung mit einer solchen Kritik nicht zur
Voraussetzung für ein Bündnis gegen den Paragraphen 129a
gemacht werden darf.
Das allgemeine Lamentieren einiger selbsternannter "Revolutionäre"
im linken Spektrum darüber, daß der Staat - wer immer
dabei im einzelnen gemeint sein mag - uns sowieso nur ausplündern
und unterdrücken will, reicht nach meinem Verständnis
nicht aus und hat mit radikaler und ernstzunehmender Gesellschaftskritik,
die die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung im Auge hat,
wenig zu tun, wie auch die Aktionen des sogenannten "militanten
Widerstandes" von RAF, Rote Zellen u.ä. nicht. Versuche
(radikale) Veränderungen unserer Gesellschaft ohne Unterstützung
in großen Teilen der Bevölkerung durchzusetzen sind m.
E, nicht möglich und nicht erstrebenswert. Meines Erachtens
bietet unsere gesellschaftliche Wirklichkeit genügend Anhaltspunkte
für den menschenverachtenden Charakter des ihr zugrundeliegenden
Systems, um früher oder später eine Mehrheit für
ihre Veränderung zu gewinnen.
Wenn wir schon etwas aus den erfolgreichen Befreiungskämpfen
der Völker der 3. Welt lernen wollen, so doch die Tatsache,
daß subjektiv oder zumindest objektiv die große Mehrheit
der Bevölkerung hinter den Befreiungsbewegungen und -Organisationen
gestanden hat. Daß dabei noch lange nicht immer eine sehr
viel bessere Alternative herausgekommen ist, wie sich häufig
gezeigt hat, heißt für uns doch, daß sich konkrete
Veränderungsvorstellung zu Gunsten der Mehrheit der Bevölkerung
nur auf Grundlage radikaldemokratischer Verhältnisse entwickeln
können.
Mitarbeiter der Südostasien- Informationsstelle, Bochum
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