Wenn die Sache irre wird -
werden die Irren zu Profis Infos und Texte zur Aussageverweigerung
und Beugehaft aus dem Jahr 1988.
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Die Anti-Beugehaft - Kampagne
- Ein Szenetheater in vier Akten -
Die Akteure: Grüne und Studis, Autonome und Freizeitalternative,
diverse Initiativlerlnnen und versprengte Liberale, ja selbst einige
Karteileichen, einzelne Vormals-Linke. Sie alle treten plötzlich
auf die Bühne. Empört über die Androhung von Beugehaft.
Entschlossen zum Widerstand gegen diese jüngste Variante staatlicher
Repression. Gemeinsam fordernd:
Keine Aussagen!
Keine Beugehaft!
Lauter Annas und Arthurs.
Scheinbar
1. Akt: Friede auf Erden
Diskutiert wurde zunächst mal nicht. Es ging um Informationsverbreitung
und Protestaktionen. Die Versammlungen wurden von praktischen und
organisatorischen Problemen bestimmt. Ein Manko, das erkannt, hier
und da auch benannt, jedoch nicht ernsthaft thematisiert wurde.
Denn in der ersten Zeit herrschte tatsächlich weitgehende Einigkeit
darüber, daß praktisches Handeln das Gebot sei. Auf die
Offensive der Bundesanwaltschaft, die in dieser Form und im konkreten
Zusammenhang erstmalige Androhung von Beugehaft, sollte schnell
und öffentlichkeitswirksam reagiert werden.
Es gab Flugblätter, Plakate und Aufkleber, Pressemitteilungen,
Veranstaltungen und Kundgebungen, Graffitis, Solidaritäts-
und Spendenaufrufe, eine Fülle größerer und kleinerer
Aktionen. Das Ganze, obwohl im wesentlichen auf's Ruhrgebiet
beschränkt und im Grunde ein unreflektiertes Sammelsurium unterschiedlichster
Aktivitäten, hieß .sehr schnell "Anti-Beugehaft-Kampagne"
und erfreute sich erstaunlich breiter Unterstützung. Bis hin
zu Leuten, die nicht politisches Interesse, sondern die persönliche
Bekanntschaft mit den Betroffenen motivierte.
Zwar wußte letzlich niemand zu sagen, warum gerade diese
und keine andere Aktion gemacht wurde. Zwar existierten unterschiedliche
Vorstellungen darüber, welche Öffentlichkeit mit welchen
Mitteln und welchem Ziel anzusprechen sei. Zwar gab es Erfahrungen
mit VertreterInnen von Kirchen-, Friedens- und Dritte-Welt-Gruppen,
die Aussageverweigerung richtig, eine Aufforderung dazu jedoch politisch
falsch fanden. Zwar kannten alle die Kneipengespräche, in denen
nach einem dritten Weg zwischen Aussagen und Knast gesucht wurde.
Und schließlich wußten nicht wenige von den Unsicherheiten,
Ängsten und Zweifeln der Zeuglnnen.
Doch von alledem drückte sich in den regelmäßig
stattfindenden Versammlungen nichts aus. Politische Differenzen
und Widersprüche, sofern sie denn Überhaupt mal angedeutet
wurden, verschwanden in Windeseile wieder unter dem Szeneteppich.
Alle sonnten sich in ihrer vermeintlichen Solidarität und Stärke.
Und die wenigen Mißtrauischen, die den schönen Schein
mit lästigen Fragen nach der jeweiligen Motivation bzw. politischen
Zielsetzung der AktivistInnen anzukratzen suchten, ernteten bloß
Schweigen.
Alles in allem feierte das längst überholt geglaubte
Motto "Einheit geht vor Klarheit" fröhlich Urstände.
Bis dann den Anträgen auf die Verhängung von Beugehaft
stattgegeben wurde und sich damit bestätigte, was angeblich
vorher klar war: Konsequente Aussageverweigerung bedeutet im Zweifelsfall
Knast!
Zwischenspiel: Krieg bricht aus
So locker dieser Satz zuvor im Mund geführt worden war, so
plötzlich verwandelte er sich nun in die unliebsame Erkenntnis,
daß mangelnde Kooperation mit diesem Staat tatsächlich
ihren Preis hat. Sehr zum Entsetzen derjenigen, die die gerade produzierten
Aufkleber "Bedenke: Der Feind ist unendlich gemein!" so
ernst denn doch nicht gemeint hatten. Mit dem Ergebnis, daß
sich die über Wochen verdrängten politischen Unterschiede
nun schlagartig Bahn brachen.
In einer hitzigen Diskussion kam erstmalig alles auf den Tisch,
was zuvor so sorgfältig druntergehalten worden war: Die Unsicherheit
über die grundsätzlich politische Funktion von Aussageverweigerung.
Zweifel an ihrer Bedeutung in der aktuellen Situation. Kriminaltechnische
Überlegungen, welche Aussagen der Gegenseite nützlich
sind und welche nicht. Die Frage nach der eigenen Entscheidung,
wäre mensch selbst betroffen. Die Überzeugung, daß
nichts auf der Welt eine Einknastung wert sei. Und schließlich
der irrationale Horror vor dem Knast ganz generell.
Natürlich nannte kam jemand das Kind beim Namen. Heraus kamen
vielmehr Behauptungen wie: "Wir (!) können es nicht verantworten,
Leute in den Knast zu schicken." Oder: "Gehen die freiwillig
(!) in den Knast, bleiben sie auch nach dem halben Jahr drin."
Und: "Das ganze ist die Sache nicht wert." Bzw: "Zur
Aussageverweigerung bis zum Letzten ist die politische Situation
noch nicht reif." Und besonders interessant: "Die Anti-Beugehaft-Kampagne
ist gescheitert. Eine Aussageverweigerungskampagne haben wir nie
gemacht!"
2. Akt: Täuschen und Tarnen
Doch wer denkt, die endlich aufgebrochene Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung
hätte zu längst überfälligen Debatten geführt,
der unterschätzt die Verdrängungskünste, Diskussionsunfähigkeit
und Auseinandersetzungsängste der Szene ganz gewaltig. Schon
zwei Tage nach dem mit ach so viel Engagement, persönlicher
Betroffenheit und politischem Verantwortungsgefühl geführten
Streit, herrschte Schweigen wie gehabt. Ganz so, als hätte
sich nicht gezeigt, wie tief die politischen Gräben zwischen
den an der "Kampagne" beteiligten Aktivistlnnen sind.
Da konnten selbst die betroffenen ZeugInnen vorbeischneien und
vermelden, daß sie ungeachtet der Beugehaftbeschlüsse
auch weiterhin keine Aussagen zu machen, sondern - wenn´s
denn sein müsste - in den Knast zu gehen gedächten. Es
wurde nicht mal nach einer Begründung für diese Entscheidung
gefragt. Sie weder, was angesichts der eigenen Bedenken und Ängste
nur konsequent gewesen wäre, politisch in Frage gestellt noch
als Lippenbekenntnis eingeschätzt. Und schlimmer noch: Alle
diese Versäumnisse wurden informell, in privaten Gesprächsrunden
nachgeholt, ohne das die Ergebnisse dieser Küchentischkultur
in irgendeiner Form für die politische Auseinandersetzung fruchtbar
gemacht worden wären.
Derweil wurde nach außen hin, auf Flugblättern und in
Redebeiträgen, weiterhin und scheinbar ungebrochen für
eine Aussageverweigerung ohne Wenn und Aber agitiert.
Gemessen an den öffentlich vertretenen Positionen und angesichts
der erklärten Schweigeabsicht zumindest der Zeuglnnen aus dem
Ruhrgebiet hätte also der Umstand, daß sich letztendlich
doch sechs von acht Zeuginnen zu Aussagen erpressen ließen,
als politische Schwäche gewertet werden müssen. Stattdessen
wurde das Geschehen am 16. März in Karisruhe tabuisiert.
Aus unterschiedlichen Gründen allerdings: Von "gebeugten"
Zeuginnen aus Unfähigkeit, mit dem eigenen Verhalten umzugehen.
Von jenen, die sowieso im Ruf der "HardlinerInnen" stehen,
aus Angst, eine Kritik am praktischen Aussageverhalten könnte
ihnen als Verratsvorwurf ausgelegt werden. Und von denjenigen schließlich,
die dem Mehrheitsverhalten der ZeugInnen insgeheim Beifall klatschten,
aus mitleidiger Rücksichtsnahme den in Haft sitzenden "Märtyrerinnen"
gegenüber.
3. Akt: Das Ablenkungsmanöver
Ersatzweise wurde eine Diskussion eingeführt, die gekonnt
von den eigentlichen Fragen ablenkt. Hieß es doch auf einmal:
Aussageverweigerung sei zwar richtig, doch eine entsprechende Kampagne
könne nicht an den Betroffenen vorbei geführt werden.
Womit nicht etwa gemeint war, aus den Fehlern der Vergangenheit
zu lernen. Sich in Zukunft offener, ehrlicher und gründlicher
mit (potentiellen) Zeuginnen auseinanderzusetzen. Ihnen nach Kräften
den Rücken zu stärken und eine Entscheidung zu ermöglichen,
die diesen Namen auch verdient. Sie die Konsequenzen ihres Verhaltens,
sei es die Einknastung oder seien es die politischen und persönlichen
Folgen der Aussagebereitschaft, nicht alleine tragen zulassen.
Nein. Der Hinweis auf die berühmten Betroffenen meint im Gegenteil,
sich nicht einzumischen. Das eigene Verhalten von dem ihren abhängig
zu machen. Zwar wirft ein solches Vorgehen die ZeugInnen auf sich
slebst zurück. Doch hat es unschätzbare Vorteile für
beide Seiten. Die Betroffenen müssen sich nicht rechtfertigen.
Egal was sie tun, es ist akzeptiert. Und die anderen brauchen keine
politische Position zu beziehen. Sie können bei ihrem "Ja"
zur Aussageverweigerung und "Nein" zum Knast bleiben,
ohne das eine oder ander zu Ende denken zu müssen.
4. Akt: Der Untergang
Ergebnis ist, was beim Jeinsagen immer herauskommt und hierzulande
"Realpolitik" genannt wird: Die mehrheitlich getroffene
Entscheidung der Betroffenen wird zum Maßstab des Machbaren
erklärt. Ganz nach dem Motto: Wenn 75% der KandidatInnen das
Klasssenziel nicht erreichen, müssen die Anforderungen gesenkt
werden. Oder wie es auch formuliert wurde: "Wir dürfen
die Latte nicht so hoch hängen, daß niemand mehr drüber
springen kann." Im Klartext heißt das: Die eigene Schwäche
wird zur politischen Linie gemacht.
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