Aussageverweigerung
Nicht nur nach den bundesweiten Durchsuchungen am 13.06.95 (gegen
A.I.Z.; radikal, K.O.M.I.T.E.E und R.A.F.)wollen die Staatsschutzbehörden
mal wieder ein ZeugInnen-Karussel in Bewegung bringen. Auch in Frankfurt
a./M. und Wiesbaden dreht es munter seine Kreise. Vielen Leuten
dort ist schon ein Sitzplatz angeboten worden, andere haben schon
ihre Runden gedreht.
Die Palette der Aussageerpressung reicht von polizeilicher bis
staatsanwaltschaftlicher ZeugInnenvorladungen, letzteres mit Androhung
von Ordnungsgeld bzw. Beugehaft, bis hin zur tatsächlichen
Vollstreckung der Zwangsmaßnahme.
Die ganze ZeugInnenproblematik und Diskussion über Aussageverweigerung
hat damit nicht nur wieder eine aktuelle Brisanz, sondern auch
eine neue Dimension.
Wir, die Arbeitsgruppe zu ZeugInnenvorladungen und Aussageverweigerung
des bundesweiten Treffens der Soligruppen zum 13.06.95, führen
diese Diskussion seit über einem Jahr und wollen jetzt unsere
"Ergebnisse", Einschätzungen, Entwicklungen, Widersprüche,
Tips etc. einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen.
In der linken Geschichte (aber nicht nur da) hat es immer wieder
Versuche der Staatsschutzbehörden über Androhung bzw.
tatsächlicher Verhängung von Beugehaft (juristisch richtig
: "Erzwingungshaft"),Aussagen zu erpressen und damit
Einblick in die linksradikale Zusammenhänge zu bekommen,
gegeben.
Neu an den jetzigen ZeugInnenvorladungen ist der exzessive Gebrauch
von Beugehaft und das maßlose Ausschöpfen des juristischen
Rahmens.
Verhängung und volles Absitzen von 5 Monate sind inzwischen
die Regel. (Die maximale Dauer der Beugehaft kann 6 Monate betragen-
z.B. in Ermittlungsverfahren wegen Mord.)
So mußten auch wir merken, daß die Parole "Anna
und Arthur haltens Maul" zu kurz greift. Sie setzt dem Staaatsschutzangriff
nur wieder ein Dogma entgegen, ohne einen Raum für eine wirkliche
Auseinandersetzung um Aussageverweigerung und deren Konsequenzen
zu eröffnen. Das werden wir jetzt versuchen.
Allerdings bezieht sich unsere derzeitige Diskussion nur um
Aussageverweigerung während der Ermittlungen bei Bullen oder
staatsanwaltlichen Vorladungen bzw. vor dem Ermittlungsrichter.
Viel Spaß beim Lesen und Nachdenken!
Warum Aussageverweigerung?
Es ist eigentlich nicht so einfach die Entscheidung zu einer
Aussageverweigerung schnell mal mit ein paar Sätzen zu erklären.
Denn viele Komponenten geben oft den Ausschlag, ganz und gar den
Mund zu halten. Es ist meist die politische Haltung diesem Staat
und seiner Rechtsprechung gegenüber, weshalb wir ihm nicht
durch Angaben über gesuchte/verdächtigte Freunde oder
Freundinnen zuarbeiten. Der Staatsapparat versucht eineN als Zeugin/Zeuge
zum Handlanger von Anklagen und Konstrukten zu machen. Dem wollen
sich die betroffenen ZeugInnen entziehen und kein Fitzelchen der
Staatsanwaltschaft preisgeben, die Bun- desanwaltschaft (BAW)
spielt nicht mit offenen Karten und Mensch weiß nie welche
Informationen für die BAW Indizien sind bzw. dazu gemacht
werden. Jeder kleinste Hinweis, egal ob über die politischen
Aktivitäten oder über Lieblingszeitungen, Musik etc.,
wird registriert und zu den Akten genommen und darüber wird
dann ein Persönlichkeitsbild erstellt, ihr könnt euch
vorstellen, wofür. Genauso werden auch Informa tionen über
den Bekannten und Freundeskreis zu den Akten gegeben. Die werden
dann vorgeladen und verdächtigt, mehr mit den Beschuldigten
zu tun zu haben, unter dem Motto "besondere persönliche
Nähe".
Die Anna- und- Arthur- Platitüde
In dem Moment, wenn die Staatsanwaltschaft anfängt uns
zu "ihren" ZeugInnen zu machen, uns Bußgelder
abknöpfen oder uns in Beugehaft sperren will, sieht alles
plötzlich irgendwie anders aus. Auch wenn beides erstmal
nur angedroht wird. Neu nachdenken ist angesagt. Bei unseren Überlegungen
sind wir dabei erstmal vom schlimmsten Fall ausgegangen - Beugehaft
könnte verhängt werden -, was unsere Gedanken vielleicht
manchmal sehr tiefschürfend werden ließ. So schlimm
muß es ja nicht kommen, hängt aber von der Willkür
der BundesstaatsanwältInnen und BGH ab. Das solltet ihr beim
Lesen im Kopf behalten. Aber unser Motto war: seien wir realistisch,
alles ist möglich und bevor wir uns in Eventualitäten
verfransen gehen wir vom härtesten Sanktionsmittel aus. Dadurch
können wir uns Illusionen sparen und wenn es nicht so ganz
hart kommen sollte, na dann ist das ja auch schön.
Was passiert mit uns oder FreundInnen, wenn die wirklich was
wollen? Unsere eigene Erfahrung mit vielen Leuten zeigt, daß
die Überlegungen, die wir euch oben aufgeschrieben haben,
schön nach Anna und Arthur aussehen, daß es aber nicht
immer so funktioniert. Dann kommen alle möglichen Ängste
hoch, über die kaum jemand redet, weil mensch das doch "eh'klar
hat", obwohl jetzt eigentlich mal 'n paar Gespräche
mit FreundInnen angesagt wären. Oft kommt der Gedanke hoch:
" Mensch ich erzähl denen irgendeine Kleinigkeit, um
da wieder rauszukommen", der geliebte Griff nach dem Strohhalm.
Wir müssen auch die unterschiedlichen Situationen von Leuten,
auch unter uns berücksichtigen, sei es, daß Leute weniger
in Zusammenhängen drin stecken, mit Scenepolitik gerade weniger
zu tun haben, oder seien es ganz praktische Sachen, wie die finanzielle
Situation der/des Einzelnen (Miete,Krankenkasse etc.). oder wie
sieht es mit dem Arbeitsplatz aus,...tja, und wie sieht es mit
den Kindern aus, welche Sachen müssen abgeklärt werden
(Sorgerechtsverfügung erstellen für eine andere Bezugsperson
etc.).
Dann wird darüber erstmal hin und her debattiert und verzweifelt
eine Lösung gesucht. Dabei gingen auch bei uns lange Gespräche
einher, darüber ob es eventuell nicht doch möglich wäre
irgendwas zu sagen, wobei ihr das dann in einem Prozeß vielleicht
nochmal wiederholen müßt, oder sich auf den §55
(Aussageverweigerungsrecht, falls mensch sich durch eine Antwort
selbst belasten würde) zu berufen. Jedoch je mehr wir darüber
diskutiert haben desto mehr landeten wir am Ende immer wieder
an diesem Punkt: Das einzig Richtige und Klare in dieser Situation
ist es die Klappe zu halten! Das sollten alle probieren: Wir müssen
die Offenheit haben, wieder und wieder darüber zureden, auch
wenn es manchmal schon nervt und alle lernen müssen, daß
sie schnell auf ihre Hoffnungen reinfallen und wir vieles wieder
von vorne diskutieren müssen. Erst diese Gespräche über
mögliche Aussagen, die uns die ganze Zeit begleiten, haben
uns in diesem langen Prozeß sicherer werden lassen, daß
wir nichts sagen werden.
Vielleicht sollten wir einfach mal die Themen darstellen, um
die es immer wieder ging. Als allererstes zeigen die Erfahrungen,
daß auch, wenn Anna und Arthur alles klar haben, es immer
wieder zu ungewollten Aussagen kommt. Die Situation in einer Vernehmung
ist für die wenigsten bekannt und überschaubar. Zum
einen passiert es immer wieder, daß Leute auf Fragen, wo
jedeR denkt, die Informationen haben die eh schon, Antworten geben,
und damit scheinbar Bekanntes bestätigen. Das Problem ist
dabei, daß überhaupt nicht klar ist, wo die Staatsanwaltschaft
die Informationen her hat, ob die Informationen überhaupt
offiziell verwertbar sind oder ob sich die Staatsorgane einfach
was zusammengereimt haben, was sie nun bestätigt haben wollen.
Aber oft genug weiß die Staatsanwaltschaft die einfachsten
Sachen nicht und braucht die Bestätigung von uns. Es gibt
einfach keine banalen Fragen bei denen, alle Fragen haben für
die BAW einen Sinn, ansonsten würden sie diese ja auch nicht
stellen. - (Wer denkt schon an eine miese Falle wenn er/sie gefragt
wird ob die Verdächtigten sich öfter mal Zucker geborgt
hätten?)- Nicht mal, wenn es so aussieht, als hätten
die Fragen gar nichts mit dem Thema zu tun. Oder wenn Fragen gestellt
werden, und mensch das Gefühl bekommt, wenn du das jetzt
nicht beantwortest, bekommt jemand anderes Schwierigkeiten. Da
ist dann ein Druck und eine Hoffnung, mit einer Aussage zu entlasten.
Auch das macht überhaupt keinen Sinn. Entlastende Aussagen
während der Ermittlungen führen nur dazu, daß
die Er- mittlungsbehörden sich dann bessere Konstrukte ausdenken
können oder daß die Ermittlungen auf die dann weiter
Verdächtigten beschränkt werden können. Lassen
wir sie ruhig im Dunkeln tappen, es gibt immer noch bessere Momente
für entlastende Aussagen, als während einer staatsanwaltlichen
Vernehmung!
Ein ganz heißes Eisen ist es wenn Leute meinen, sie überlisten
mal die Staatsanwaltschaft, in dem sie falsche bzw. fingierte
Aussagen machen. Oder noch schlimmer, wenn eine ZeugIn meint sie
könnte durch Gegenfragen eventuell etwas aus der vernehmenden
StaatsanwältIn rauskriegen. Fatal hat sich auch die Aussage
erwiesen, angeblich von nichts zu wissen. z.B. wurde einmal die
Frage gestellt: "Haben X und Y öfter miteinander telefoniert?"
und als die befragte Zeugin mit :" ich weiß nicht"
geantwortet hatte, wurde zu den Akten folgende Bemerkung eingetragen:
"Die Zeugin hat mit ihrer Antwort bestätigt, daß
die Verdächtigten eine konspirative Umgehensweise miteinander
hatten..." Zuguterletzt halten Leute die Situation einfach
nicht aus, haben Angst und beantworten deshalb die Fragen.
Allen gemeinsam ist, daß es ihnen nachher beschissen geht.
Es hat sich einfach gezeigt, daß es sehr viel weiter hilft,
vorher über alles mit FreundInnen zu reden, alle Ängste
zu besprechen, Hoffnungen zu diskutieren, mitzukriegen, wie es
den einzelnen geht und alles anzusprechen, was Euch in den Kopf
kommt, auch wenns blöd erscheint. Es sind lauter solche Dinge,
die uns in Verhörsituationen auf die Füße fallen,
wenn wir alleine oder nur mit einer/m Anwältin oder Anwalt
vor dem Staatsanwalt oder der Staatsanwältin sitzen.
Ein anderes Ding ist natürlich die Angst vor Beugehaft.
Ein halbes Jahr, das ist die Obergrenze für Aussageverweigerung,
ist halt eine ziemlich lange Zeit und fast alle sind sich unsicher,
wie das durchzuhalten ist. In letzter Zeit sind viele Leute in
Beugehaft genommen worden, mensch kann vielleicht schon inzwischen
davon ausgehen, daß Ermittlungsrichter zunehmend von diesem
Mittel gegen linke Zusammenhänge gebrauch machen werden,
um der entstandenen Diskussion über Aussageverweigerung und
dem doch relativ weit verbreiteten Wissen über die Möglichkeit,
nichts zu sagen was entgegenzusetzen. Wir sollten uns nicht vormachen,
daß die es nicht ernst meinen oder hoffen, irgendwie drumrumzukommen.
Es ist einfach eine Möglichkeit von der alle ausgehen müssen,
die als Zeugen in politischen Ermittlungen gefragt sind, auf jeden
Fall, wenn es um § 129a geht. Vielen macht das Angst und
für manche ist es völlig unvorstellbar, sich darauf
einzulassen.
Venceremos!
Unsere Erfahrungen in der letzten Zeit, haben auch gezeigt,
daß eine Auseinandersetzung über Knast und mit Leuten
die schon mal längere Zeit im Knast waren das Schreckgespenst
Beugehaft etwas relativiert hat. Die Berichte haben uns gezeigt,
daß es auszuhalten ist, es gibt auch ein Leben im Knast,
auch wenn es der einen oder dem anderen mit der vermeintlichen
Einsamkeit schwer fällt. Die Beugehaftzeit ist begrenzt und
das Ende ist abseh- und einkalkulierbar und mensch kann sich darauf
vorbereiten, in dem er/sie sich für diese Zeit ein Projekt
vornimmt wie z.B. endlich mal Zeit zu haben eine Sprache zu lernen
oder was einer/einem sonst noch so einfällt. Dadurch kann
man/fau dem ganzen sogar was positives abgewinnen und es nicht
als "verlorene Zeit" empfinden. Besonders dann nicht
wenn im Vorfeld und auch während der Zeit FreundInnen eineN
auf diesem Weg begleiten.
Anna, Arthur und noch viel mehr..
Gut, nun ist das so, daß überhaupt nicht klar ist,
ob sie wen in Beugehaft stecken, wenn der oder die nichts sagt.
Trotzdem sollten sich alle, die nichts sagen wollen, sich damit
auseinandersetzen. Wir müssen davon ausgehen, daß Aussageverweigerung
nicht für alle ein selbstverständliches Mittel ist,
um ihren Widerwillen gegen politische Verfahren auszudrücken
und die praktische Zusammenarbeit für Verfahren und Verurteilungen
zu verweigern. Unser Ziel muß es erst einmal sein, mit möglichst
vertrauten Menschen offen darüber zu reden. Um Aussagen zu
verweigern und die Konfrontation mit den Repressionen aufzunehmen
brauchen wir eine Diskussion über unsere Ängste, Unsicherheiten
und Hoffnungen, Aussa- geverweigerung als bloße politische
Direktive ist zuwenig. Der parolenhafte Aufruf "Anna und
Arthur halten's Maul" ist einfach nicht mehr gefüllt
und leider im Laufe der Jahre zu einem hohlen Gebilde geworden.
Der inhaltliche Ausdruck der Parole stimmt zwar immer noch, aber
um dahin zu kommen, die Aussageverweigerung möglich zu machen
und stark in die eventuelle Beugehaft reinzugehen, und vielleicht
sogar stärker da wieder rauszukommen, bedarf es einer grundsätzlichen
Auseinandersetzung mit FreundInnen und/ oder Gruppen über
sich selbst und die momentane Situation in der jedeR gerade steckt.
Dazu gehören die Ängste, materielle Fragen, die eigene
politische Identität und ein solidarisches Verhalten von
vielen. Die solidarische Unterstützung darf aber nicht nur
bei der Unterstützung einzelner betroffener ZeugInnen stehen
bleiben. Wir müssen wieder einen breiteren Rahmen finden
um die Beugehaft an sich, als Druckmittel zur Denunziationspflicht,
gesellschaftlich ins Gerede bringen, um sie schlußendlich
zu kippen.
KEINE AUSSAGEN BEI STAATSANWALTSCHAFT UND BULLEN!
NICHT NUR ANNA UND ARTHUR HALTEN'S MAUL!
FÜR EINE OFFENE UND SOLIDARISCHE AUSEINANDERSETZUNG!
AUSSAGEVERWEIGERUNGSRECHT FÜR ALLE!!
RechtsanwältInnen
Irgendwann stehen wir eventuell vor dem Staatsanwalt, oder 'ner
Staatsanwältin. Sinnvollerweise gehen wir da nicht alleine
hin, sondern nutzen die Unterstützung von RechtsanwältInnen.
Zu diesem Thema darf auch noch Einiges gesagt werden. Unser geplantes
Verhalten in einer Vernehmungssituation entspricht nicht unbedingt
den Vorstellungen von AnwältInnen.
Für RechtsanwältInnen widerspricht kategorische Aussageverweigerung
vollständig ihrem Interesse, uns rechtlich zu unterstützen
und irgendwie aus der Bedrohung als Zeugin oder Zeuge herauszubekommen.
Ohne daß wir den beteiligten AnwältInnen vorher zu
verstehen gegeben haben, worum es uns geht, wird es in der Vernehmungssituation
zu unterschiedlichen Interessen zwischen uns und AnwältInnen
kommen. Es kommt immer wieder vor, daß uns die AnwältInnen
nicht so unterstützen, wie es in der Situation notwendig
ist.
Unsere Position müssen wir den AnwältInnen vor der
Vernehmung klar machen und es ist nicht mal sicher, daß
in der Vernehmung dann ein gemeinsamsames Vorgehen funktioniert.
Der Grund ist, daß es hauptsächlich AnwältInnen
gibt, die auf der juristischen Ebene jede taktische Möglichkeit
nutzen, uns da herauszubekommen, ohne sich zu überlegen,
was mit anderen Beteiligten in einem Verfahren passiert. Wollen
wir nicht nur uns selbst schützen, sondern auch noch die
Interessen von FreundInnen und GenossInnen berücksichtigen,
müssen wir das vorher klarstellen. Dann sind die AnwältInnen
sozusagen "Handlungsreisende".Sprechen wir vorher darüber,
haben wir den Vorteil, unsere RechtsanwältInnen einschätzen
zu können und zu wissen, in welchen Situationen wir uns ihrer
Unterstützung sicher bzw. nicht sicher sein können.
Stellt Euch darauf ein, daß ihr nicht nur Unterstützung
sondern auch Diskrepanzen haben werdet, die dann schwer zu ertragen
sind. Glück hätten wir auf AnwältInnen zu treffen,
die die gleiche Meinung haben wie wir. Das ist aber selten!!
(Mit Vorsicht zu genießen)
Die Paragraphen 55 und 52 StPO
§55
Der § 55 beinhaltet: Wer sich durch Aussagen selber belasten
würde, hat das Recht, die Aussage vor der Staatsanwaltschaft
oder dem Gericht zu verweigern. So einfach diese Möglichkeit
aussieht, die Selbstbeshuldigung muß nach den Kriterien
der Staatsanwaltshft glaubwürdig belegt werden. Du mußt
also Aussagen vorab machen, um dich auf den §55 berufen zu
können. Wenn du im gesamten Komplex sowieso ein Ermittlungsverfahren
laufen hast, oder wenn es sich aus der befragung ergibt,daß
du zu den Beschuldigten zählst, kann es realistisch sein,
sich auf den §55 zu berufen. Es ist schon passiert, daß
vor einer ZeugInnenbefragung, bei der die ZeugIn die Aussage verweigern
wollte, der/die RechtsanwältIn vorschlug, daß sich
die ZeugIn auf den §55 berufe, was die ZeugIn in ihrer Entscheidung,
die Aussage zu verweigern ins Wanken brachte. RechtsanwältInnen
wollen meist auf juristischer Ebene jede taktische Möglichkeit
nutzen, wollen sich vielleicht auf Deals einlassen, an die du
nie gedacht hättest. Sie berücksichtigen eventuell kein
bißchen, was mit anderen Beteiligten im Verfahren passieren
könnte. Wenn du vorher darüber mit deiner RechtsanwältIn
sprichst, kannst du einschätzen, ob du ihrer oder seiner
Unterstützung sicher bist.
Wir wollen hier ein paar Überlegungen und Erfahrungen mit
und zum §55 wiedergeben, die in letzter Konsequenz für
uns dazu geführt haben, daß wir denken, dieser Paragraph
ist bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht sinnvoll zu handhaben:
- Ist es wirklich schlau, sich durch eine vermeintliche 'Betroffenheit'
selber zu beschuldigen? Das könnte formal zur Aufnahme eines
Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft führen.
- Die letzten Erfahrungen in Frankfurt a.M. haben gezeigt, wie
schwer es ist, ohne konkrete Angaben den Paragraphen durchzusetzen.
Der sollte auch dort als taktisches Mittel benutzt werden. Das
ist dann allerdings mit der Begründung, er würde eben
nur taktisch benutzt, abgelehnt worden, die Leute gingen in Beugehaft.
Alles hängt immer von der Willkür der vernehmenden StaatsanwältIn
oder der ErmittlungsrichterIn ab.
- Bei ZeugInnen im K.O.M.I.T.E.E. Verfahren ist folgendes gelaufen:
Es wurde sich auf den §55 berufen mit der Begründung,
ein 129a-Verfahren sei unübersichtlich, die Aktenlage nicht
bekannt, und es sei deswegen unklar, ob eine ZeugIn sich nicht
selber belasten würde. Insbesondere, weil in 129a-Verfahren
auch gegen das Umfeld ermittelt würde. Die Reaktion der Bundesanwältin
ließ, nachdem die Befragung abgebrochen wurde, fünf
Wochen auf sich warten, war aber dann doch die Verhängung
von Ordnungsgeld. Vielleicht hat diese Begründung für
die Inanspruchnahme des §55 zu dieser Zeitspanne beigetragen.
Welche Spielräume wir durch solche juristischen Finessen
bei der BAW haben, ist schwer einzuschätzen, Arbeit bedeutet
es für die BAW jedenfalls.
Der §§-Dschungel kann aber auch uns zu viel Kopfzerbrechen
machen, und am Schluß stehen wir dann doch wieder vor der
Frage, ob wir die Aussage verweigern. Deswegen: Je stärker
wir uns in unseren Positionen fühlen, desto sicherer können
wir die Aussage ohne Begründung verweigern. Jede kleine Mitteilung
zum §55 ist ein Stück in ihrem Puzzel. Schöner
Eiertanz!
§52
Dieser Abschnitt wurde von FrauenLesben geschrieben und fällt
somit hier etwas auf. Es gibt von gemischter Seite keine Auseinandersetzung
dazu, deswegen war diese Text sehr nötig.
Eine weitere Möglichkeit, als ZeugIn die Aussage zu verweigern,
ist der Gebrauch des Paragraphen 52. Dieser Paragraph erläßt
Verlobte, Verheiratete und nahe Verwandte der/des Beschuldigten
aus der Pflicht, gegen ihren Ehemann oder Verlobten bzw. gegen
seine Ehefrau oder Verlobte, oder aber gegen nahe Verwandte auszusagen.
An sich eine nette Sache. Da denkt sich frau oder denkt sich
man: das haben wir doch schnell konstruiert. Ein Ja-Wort ist schnell
gesprochen. Schließlich gehört das Verloben zu den
wenigen Sachen, die nicht mit einer Urkunde belegt werden braucht
und mit keinerlei Nebenrisiken verbunden ist. Ob frau oder man
nun tatsächlich verlobt ist, spielt keine große Rolle,
solange das Gegenteil nicht beweisbar ist.
Und in der Tat haben in der Vergangenheit bei politischen Verfahren
einige auch von diesem Paragraphen Gebrauch gemacht und konnten
so der andernfalls vielleicht bevorstehenden ZeugInnenvorladung
und Folgen daraus entgehen.
Wir freuen uns über jede und jeden, die/der nicht in den
Knast muß und wir finden, daß diese Möglichkeit,
da wo es geht, auch genutzt werden sollte.
Aber: manchmal wundern wir uns doch, wie schnell politische
Kriterien ausgerechnet an dieser Stelle über Bord geworfen
werden zugunsten eines eher "taktischen" Umgangs mit
der Justiz, wo doch bei vielen anderen Entscheidungen die Notwendigkeit
einer politischen Haltung betont wird und eine entsprechende Konsequenz
eingefordert - zumindest aber eine politische Erklärung erwartet
wird.
Warum gab es keine öffentliche Diskussion darüber,
ob es richtig ist, sich auf diesen Paragraphen und damit auf Strukturen
zu berufen, die wir eigentlich ablehnen? Welche Bedeutung hat
die Ablehnung der bürgerlichen Kleinfamilie und der Zwangsheterosexualität
bei unseren aktuellen Auseinandersetzungen? Wie sehr greift das
Ideal der Zweierkiste auch bei uns? Inwieweit geht es uns noch
darum, alternative Konzepte von Beziehungen und Lebensgemeinschaften
zu erkämpfen und diese auch politisch zu propagieren? Hat
sich die (gemischte) Linke mit ihrer Moral selbst ad absurdum
geführt? War sie manchmal mehr Sittenwächterin und Bettenpolizei
als Motor für Veränderung?
Die Auseinandersetzung über Lebenskonzeptionen und Lebensformen
wird - zumindest in gemischten Zusammenhängen - zur Zeit
nur wenig geführt. Und so hat das taktische sich Berufen
auf eine bürgerliche Lebenskonzeption, nämlich die Ehe,
anscheinend keine politische Brisanz. Noch in den 70er und 80er
Jahren war dies anders. Familie, Ehe, Sexualität gehörten
zu den heiß diskutierten politischen Themen. Die Frage des
Kinderkriegens, die Überlegungen zu Beziehungskonzepten waren
ebenso wie die Entscheidung, lesbisch oder schwul zu leben, keine
Privatsache. Sie waren von politischer Bedeutung und wurden öffentlich
ausgetragen.
Heute heißt das Motto: Individualisierung!
Die Frage, ob lesbisch, schwul, bi, hetera(o), die Frage der
Hierarchisierung von Beziehungen (erst die Liebesbeziehung, dann
die beste Freundin/der beste Freund, dann der Hund,...), das Machen
und Gebären von Kindern, sind persönliche Geschichten.
Die Forderungen nach Abschaffung der bürgerlichen Kleinfamilie
und der ausschließlich heterosexuellen Ehe gehören
vielleicht noch zu dem politischen Gedankengut, es handelt sich
aber nicht um aktuelle politischen Themen, schon gar nicht um
einen Schauplatz autonomer Kämpfe für andere Verhältnisse
.
Die Bedeutung der bürgerlichen Ehe, deren Funktion es ist,
die Produktion von Kindern zu garantieren und die uneingeschränkte
Ausbeutung der Frau als unbezahlte Arbeitskraft und Objekt der
sexuellen Befriedigung des Mannes zu sichern, gerät immer
mehr in Vergessenheit. Die Familie als Keimzelle des Staatsgefüges
ist längst kein Politikum mehr. Die Ehe macht Heterosexualität
zur Norm. Auch das wird von der Linken nicht in Frage gestellt.
Und so hat auch keineR mehr Bauchschmerzen, wenn sie/er sich
auf den Paragraphen 52 beruft.
Der Gebrauch des Paragrahes 52 und das damit verbundene Beziehen
auf eine Institution, die patriarchale und heterosexistische Verhältnisse
aufrechterhalten soll, bleibt eine zwielichtige Sache. Ganz in
dem Sinne seiner Ideologie, können nur wenige den Paragraph
52 nutzen: es kann sich immer nur eine Person als Verlobte
oder Verlobter ausgeben und die Person muß anderen
Geschlechts sein. Es kann also keine ganze WG sagen, sie wäre
verwandt, verlobt, oder verschwägert, selbst wenn mehrere
Personen ein sehr nahes Verhältnis zu der beschuldigten Person
haben, näher als zu ihrer oder seiner Familie.
Und: es kann sich keine Lesbe und kein Schwuler auf die Liebesbeziehung
zu ihrer Freundin bzw. zu seinem Freund berufen. Die Möglichkeit
des Gebrauchs ist und bleibt also ein Privileg von Personen, die
eine heterosexuelle Liebesbeziehung haben oder diese vorgeben
können. Für eine Frau, die wegen ihrer Freundin oder
für einen Mann, der wegen seines Freundes vorgeladen wird,
gibt es keine Möglichkeit, sich auf ein eheähnliches
Verhältnis zu berufen, da gleichgeschlechtliche Beziehungen
in den Gesetzbüchern nicht als familiäre Beziehung akzeptiert
werden.
Der Gebrauch des Paragraphen funktioniert nur, wenn Familienverhältnis
im bürgerlich-heterosexistischen Sinne nachgeahmt werden.
Gut - wir müssen nicht immer zu jeder Zeit und in jeder
Situation 100%ig unsere ganze politische Einstellung zum Ausdruck
bringen. Wir können auch t a k t i s c h vorgehen. Das heißt:
unser Handeln basiert darauf, verschiedene Gegebenheiten miteinander
abzuwägen zugunsten eines bestimmten Zwecks.
Einem taktischen Verhalten geht also eine Entscheidung
für diesen bestimmten Zweck voraus. In diesem Fall heißt
der Zweck: Schutz der eigenen Person und der, über die ausgesagt
werden soll, Schutz vor ZeugInnenvorladung, Schutz vor Knast.
Die Voraussetzung, eine solche Entscheidung fällen zu können,
ist eine Diskussion. Hat es nun diese Diskussion gegeben oder
aber war es einfach die Wahl für den Weg des geringsten Widerstandes?
Wir wollen hier nicht schon wieder mit dem politischen Zeigefinger
rumfuchteln und klar finden wir es gut, wenn es welchen gelingt,
um Beugehaft drumrum zu kommen. Das, was uns allerdings fehlt,
ist die Auseinandersetzung über den Hintergrund und den Inhalt
dieses Paragraphen.
Ein "Druckmittel" : Kinder
Wir haben ja nun schon viel geschrieben über das Umgehen
mit der Aussageverweigerung, deren Konsequenzen, den Ängsten
und den Schwierigkeiten damit. Obwohl seit Jahren darüber
debattiert wird, wurde immer ein Punkt nur scheu angerissen: was
heißt das für Leute die ein oder mehrere Kinder haben?
Eine Auseinandersetzung dazu fehlt in der Linken fast vollständig.
Zum einen mag es da dran liegen, daß es eh' weniger aktive
Linke mit Kind/er gibt, oder da? die Leute sich mit Kind/ern aus
den Strukturen herausgezogen haben.
Aber es gibt immer noch Mütter und Väter die politisch
aktiv sind und bleiben wollen. Was die linke Szene gerne übersieht,
da wird der Umgang und eine Auseinandersetzung, so wie das sich
Verhalten zu Leuten mit Kind/ern ausgespart.
Wir wollen hier nicht herum spekulieren, wo dran das liegt,
da kann sich jede/jeder ja mal selber was zu überlegen.
Für die Betroffenen stehen sich zwei Dinge gegenüber.
Auf der einen Seite keine Freunde, Genossen und GenossInnen zu
verraten und eine Zusammenarbeit mit den Staatsorganen grundsätzlich
abzulehnen. Auf der anderen Seite der Gedanke sein/ihr Kind für
längere Zeit nicht mehr zu sehen und umsorgen zu können
. Nun stellt sich bestimmt die Frage, ob der Preis nicht etwas
zu hoch ist.
Spätestens in dieser Situation ist es wichtig das der Freundeskreis
und / oder die Gruppe eine offene und ehrliche Umgehensweise mit
der / dem Betroffenen und den Kindern findet. Angefangen von den
Verlustängsten, bis zur sozialen Betreuung. Das Gefühl
und die Sicherheit, dem Kind wird es in der Zeit, wo Mensch in
Beugehaft sitzt, an nichts fehlen, ist mit ein wichtiger Faktor
um der Aussagenverweigerung stand zuhalten.
Natürlich ist eine ZeugInnenladung für niemanden eine
lockere Angelegenheit. Wem fällt es leicht Freunde und Freundinnen
für eine längere Zeit zu verlassen, mit einem Kind kommt
die emotionale Bindung, Angst, Sorge und Verantwortung hin zu.
Wünschenswert ist es, das sich alle, die im näheren
Umfeld sind, sich mit der Situation der Betroffenen auseinandersetzen
und eben nicht, wenn der eine oder die andere bei einer ZeugInnenladung
ins straucheln kommt, gleich abzuwinken, von wegen: "nu haben
sie 'n Kind und jetzt ist mit denen auch nix mehr los".
Und wünschenswert ist es auch , das sich dann auch gemeinsam
nach außen verhalten wird und es nicht durch lapidares Achselzucken
abgetan wird. Das gibt auch eine Stärke und wir sagen Euch
ohne diese Freunde und Freundinnen um uns herum ist der Weg zur
Aussageverweigerung wesentlich schwerer.
NEBENSCHAUPLATZ
Aussage verweigert - was erwartet mensch im Knast?
Im Knast ist mensch einer ungeheueren Bürokratisierung
der Abläufe ausgesetzt. Und das ist die Form der Konfrontation,
auf die man/frau sich wohl oder übel einlassen muß.
Grundsätzlich ist es erstmal so, daß in der Beugehaft
laut Strafvollzugsgesetz (StVG) hauptsächlich die Bedingungen
wie in der Strafhaft gelten (§§ 3-122 StVG). (Es ist
aber auch schon vorgekommen, daß der zuständige Ermittlungsrichter
die Haftbedingungen festgelegt hat.)
Ausnahmen regeln die §§ 171-175 StVG, die besondere
Rechte für Beugehäftlinge beeinhalten. So unter anderem,
daß kein Zwang zur Arbeit besteht, daß eine "Unterbringung"
mit anderen Gefangenen nur mit Zustimmung erfolgen kann und daß
der Einkauf im Knast (Lebensmittel, Tabak etc.) mit Eigengeld
erlaubt ist, d.h. über das persönliche Knastkonto, auf
das Geld von außen überwiesen werden darf. Und außerdem
darf mensch für diese Vorzugsbehandlung noch zahlen: Unterkunft
und Verpflegung 40.-DM/Tag.
Alles im Knast ist genau geregelt, im Strafvollzugsgesetz in
Verbindung mit der "Hausordnung" des jeweiligen Knastes.
Doch die Unterschiede von Knast zu Knast können da teilweise
sehr groß sein. Beispielsweise bei der Anzahl der Besuche
oder 14-täglicher oder wöchentlicher Einkauf.
Das StVG bestimmt Pflichten und Rechte von gefangengehaltenen
Menschen. Über die Pflichten wird mensch sicher informiert,
wenn auch unzureichend. Mit den Informationen über die Rechte
wird dagegen richtig gegeizt bzw. sogar falsch informiert. Andererseits
werden permanent im Knastalltag die Rechte von Gefangenen verletzt.
Um sich dagegen wehren zu können und Rechte durchsetzen zu
können gehört das Wissen um diese.
Es ist wichtig sich auf jeden Fall vorher zu informieren, was
im Rahmen von Beugehaft meist auch möglich ist. Und ein paar
konkrete Fragen sollten schon vorher gestellt bzw. mit FreundInnen
durchgesprochen werden. Z.B. wäre es bei der ärztlichen
Eingangsuntersuchung von Vorteil zu wissen, was "sie"
genau wollen (Welche Fragen werden gestellt? Welche Untersuchungen
werden durchgeführt) und welche Konsequenzen eine, auch teilweise,
Weigerung mit sich bringen kann.
Wichtig ist auch, sich vorher zu überlegen, welche Informationen
gleich in der ersten Zeit im Knast sind. Hier nur ein Beispiel:
Der Einkauf ist nur an einem festgelegten Wochentag möglich,
meist auch zu einer bestimmten Uhrzeit, wird dieser versäumt,
weil der Einkauf z.B. direkt am Morgen nach der Einlieferung ist,
muß mensch sich ausschließlich mit dem Knastfrass
zufrieden geben.
Empfehlenswert für die Vorbereitung auf den Knastalltag
sind der "Ratgeber für Gefangene" (nicht mehr erhältlich,
also rumfragen) und Gespräche mit Leuten, die Knasterfahrung
haben.
Zum einen nimmt es ein Stück Unsicherheit, schwarz auf
weiß zu sehen, worauf mensch Anspruch hat, zum anderen hilft
es, sich in den Auseinandersetzungen, die gerade am Anfang vermehrt
zu führen sind, zu behaupten. Und nicht zuletzt verschafft
man/frau sich Respekt gegenüber den Bütteln und Wachteln,
wenn klar ist, daß mensch sich nicht mit jeden Mist, mit
dem sie einen abspeisen
wollen, abfindet.
Nebenschauplatz
Inteview mit Gabi und Gaby die Frühjahr '89 in Beugehaft
saßen.
...bei mir war es so, daß sich nach einiger Zeit eine
Zweiteilung des Tages ergeben hat.
Der Vormittag gehörte mir....und Abend war dem Leben drinnen
vorbehalten. ich habe viel mit anderen geredet, mir Ihre Geschichten
angehört, geholfen.... .
Esgibt eine besondere Sorte von Knasthumor. Du hast oft einfach
auch deinen Spaß gehabt.
Knast erinnert an Fabrik -nur daß du bei Regelverstößen
nicht rausfliegst!
Doch wenn du dich erstmal drauf eingestellt hast, drin zu sein
holt dich der Knastalltag schnell ein.
Es war ein bißchen wie in der klassischen Kleinfamilie.
aus "Wenn die Sache zu Irre wird,
werden die Irren zu Profis" Anti- Beugehaft- Gruppe Bochum,
7/89
Grundlage dieses Zeitungsartikels sind Texte, die wir im bundesweiten
ZeugInnen-Treffen (13.06.1995) erarbeitet haben. Die ausführlichen
Diskussionspapiere könnt Ihr demnächst als Broschüre
in einschlägigen Buch- und Infoläden erwerben:.
- We'll never give up
- "Ergänzungen zur Diskussion um Aussageverweigerung"
- August 1996
- Broschüre der bundesweiten ZeugInnen-AG im Rahmen der
Soli-Gruppen zum 13.06.1995
- Nix ist umsonst...
- Wenn ganz viele auch nur wenig spenden, haben einige doch schon
viel, zumindest 'ne finanzielle Absicherung, die auch euch 'nen
gewissen Druck nehmen kann
- Die Rote Hilfe e.V. hat ein spezielles Konto eingerichtet:
- Rote Hilfe e.V. - Stichwort: Beugehaft
- Postbank Dortmund - BLZ: 440 100 46 - Kto. Nr.: 191 100-462
- Für Spenden im Zusammenhang mit den Frankfurter Verfahren
wegen Weiterstadt bzw. zu der Fritzlarer Straße gilt folgendes
Konto:
- E. Bauer - Stichwort: Fritze
- Bank für Gemeinwirtschaft - Blz 500 101 11 - Kto. Nr.:
355 785 390 1
Nebenschauplatz
..., der erste Gedanke, das war nur, ich geh' nich in'n Knast,
so. ... Naja, du kannst halt abhauen, aber dann hätte ich
die Sachen, die ich hier hätte machen wollen, auch nicht
machen können.
...
Dann ist nachher der Prozeß gegen M. und ich werde dann
aufgerufen, als Zeuge der Anklage, muß das da wiederholen
und diene dazu, ihn da fertig zu machen... Das war auch 'ne ekelige
Vorstellung, wo ich gedacht hab', das geht nicht.
...
Im Knast ging's mir so, daß ich mich gut versorgt gefühlt
hab'. ... es sind schon einige Sachen verschlurt worden, aber
im großen und ganzen hab' ich mich schon gut versorgt gefühlt,
hab'viel Post gekriegt, um meine Sachen wurd sich gekümmert,
was natürlich 'ne Super-Hilfe war.
...
naja schon der Begriff Beugehaft...- ich habe mich halt nicht
beugen lassen, das ist auch 'n gutes Gefühl.
...Es ist aber eben auch nicht durchzustehen, ohne die Leute
von draußen. ... das geht nicht nur die Person an, die den
Zettel da in der Hand hält, sondern viele Leute müssen
das in der Zeit zu'nem ganz wichtigen Punkt machen; sich verbindlich
bereit erklären, Arbeit zu übernehmen - dann kann das
laufen.
Ulf, der 1995 fünf Monate in Beugehaft saß
zitiert nach Kassiber Feb./März 96
NEBENSCHAUPLATZ
in der jüngsten Geschichte gewühlt
Hannover 1986: §129a-Verfahren wegen versuchten Anschlag
gegen "Wirtschaftswunderkinder", bei dem ein Genosse
starb.
16 ZeugInnenvorladungen vor BAW, alle ZeugInnen verweigerten
die Aussage, Bußgelder von 200 - 300 DM, andere ZeugInnen
beriefen sich auf §55 StPO.
Berlin 1987: §129a-Prozeß wegen Plakat zu RAF-Gefangenen
("Operation für Angelika Goder, Freilassung von Günther
Sonnenberg und Zusammenlegung").
Drei ZeugInnen verweigerten vor Gericht die Aussage und wurden
bis Ende des Prozesses in Beugehaft genommen.
Frankfurt 1987: In dem Ermittlungsverfahren wegen der Schüsse
an der Startbahn-West wurden jede Menge Aussagen gemacht. Bei
nachfolgenden Vorladungen zur BAW ist der §55 akzeptiert
worden. Andere verweigerten die Aussage, was mit Ordnungsgeldern
von 400 DM geahndet wurde, außerdem wurden Anträge
auf Beugehaft gestellt. Es wurde keine Beugehaft verhängt.
1988: In dem Ermittlungsverfahren wegen RZ/ Rote Zora gegen u.a.
Ingrid Strobl ergingen im August/September über 20 ZeugInnenvorladungen
zur BAW. Fast alle verweigerten die Aussage und wurden mit Ordnungsgeldern
(400 DM) belegt. Ansonsten gab es zwei Teilaussagen, bei den restlichen
Fragen wurde sich auf §55 berufen.
Im Dezember '88 ergingen zwei ZeugInnenvorladungen, wieder zur
BAW. Beide verweigerten die Aussage und wurden mit Ordnungsgeldern
belegt. Beim 2.Termin wurden wiederum die Aussagen verweigert,
worauf die BAW Beugehaft beantragte.
Weitere Vorladungen führten zu 2 Aussagen und 6 weiteren
Beugehaftanträgen.
Beim 3.Termin wurden 6 Teilaussagen (ansonsten Bezugnahme auf
§55) gemacht. Eine Zeugin berief sich im Gesamtkomplex auf
§55 und wurde in Beugehaft genommen.
Zwei Zeuginnen wurden nach 2 bzw. 7 Wochen nach Haftbeschwerden
aus der Beugehaft entlassen, weil auch gegen sie ermittelt wurde.
In diesem Verfahren versuchte die BAW die Diskussion um Aussageverweigerung
mittels des §129a StGB zu kriminalisieren.
Memmingen 1988: Im sog. Abtreibungsprozeß gegen einen
Frauenarzt wurden 146 rechtskräfttig verurteilte Frauen zu
Zeuginnen der Anklage gemacht. Zuerst wurden ihnen schriftlich
100 Fragen vorgelegt, die "Bitte" um Beantwortung wurde
mit der Drohung einer gerichtlichen Vorladung bekräftigt.
Wegen z.T. lückenhaftausgefüllter Fragebögen wurde
etwa die Hälfte der Betroffenen vor Gericht geladen (zuerst
die "nichtdeutschen" Frauen).
Trotz zweimaliger Aufforderung erschien eine Frau nicht und
wurde zu 500DM verdonnert, verbunden mit der Androhung von Beugehaft.
Anmerkung: Bei der Beschäftigung mit den zurückliegenden
"Fällen" ist uns aufgefallen, daß in der
Entwicklung der politischen Diskussion um Ausageverweigerung am
Anfang oft eine ziemlich konsequente Haltung zur Aussageverweigerung
vermittelt wurde, die aber sehr schnell kippte, wenn es richtig
zur Sache ging. D.h. Entscheidungen wurden relativiert, wenn am
Ende der Entscheidung Ordnungsgeld bzw. Beugehaft stand.
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