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Historische Entwicklung der §§ 129/129a/130a
aus: Schwarze Texte, Politische Zensur 1968 bis heute, Hrsg.:
ID-Archiv im IISG, 1989
Seit Beginn der 70er Jahre wurde das Staatsschutzrecht propagandistisch
vollständig auf "Anti-Terrorismus" abgestellt. Neben einer
Vielzahl anderer Gesetze, wie z. B. der Verschärfung der StPO, des
Strafverfahrensrecht u.a. wurden 1976 die §§ 129a (Bildung einer
terroristischen Vereinigung) und 130a (Anleitung zu Straftaten)
vom Bundestag verabschiedet. Beide Gesetze bedrohen im eigentlichen
Sinne keine Begehungsdelikte mit Strafe, sie agieren vielmehr weit
im Vorfeld von konkreten Handlungen. Die Einführung dieser beiden
§§ bedeuteten einen weiteren bedeutsamen Schritt im Sinne des "vorverlegten
Staatsschutzes"(1).
Die Staatsschutzfunktion des § 129 hat dabei historische Kontinuität
bis ins letzte Jahrhundert hinein. Unter dem Titel "staatsfeindliche
Verbindung" hieß es dort gleichlautend von 1871 bis 1945: "Die
Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken und Beschäftigungen
gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen
durch ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften, ìst
an den Mitgliedern mit Gefängnis bis zu einem Jahr, an den Stiftern
und Vorsteher mit Gefängnis von 3 Monaten bis zu 2 Jahren zu bestrafen"(2).
Damit wurden die Vereinigungen der Arbeiterbewegung kriminalisiert.
Der § 129 wurde schließlich in der Weimarer Republik derart extensiv
angewandt und ausgelegt, "daß sämtliche Funktionäre der KPD
allein wegen ihrer Tätigkeit im Sinne der revolutionären Zielsetzung
ihrer Partei strafbar waren."(3) Bei unzähligen Verfahren wurde
hierbei die Absicht des "vorverlegten Staatsschutzes"
deutlich sichtbar: es wurden nicht konkrete Handlungen verfolgt
und bestraft, allein die Gesinnung reichte zur Verurteilung nach
§ 129 hin.
Nach einer unvollständigen Statistik wurden allein vom 1. Januar
1924 bis August 1925, also in einem Zeitraum von 16 Monaten, 6.349
Arbeiter zu insgesamt 4.672 Jahren Freihe.itsstrafe und Geldstrafen
von 267.000 RM verurteilt.(4) Mit dem 1. Strafrechtsänderungsgesetz
wurde 1951 in den Tatbestand des § 129 - inzwischen unter dem Titel
"kriminelle Vereinigung" - auch die "Unterstützung"
aufgenommen. Dieser Begriff wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) unendlich
weit gefaßt. "Einem Reformvorschlag der Nazis von 1936folgend"(5)
wird die "Unterstützung" der Teilnahme an einer "kriminellen
Vereinigung" gleichgesetzt. "Unterstützung ist zu Täterschaft
verselbständigte Beihilfe durch ein Nichtmitglied der Organisation."
Es genügt "wenn die Organisation in ihren Bestrebungen oder
in ihrer Tätigkeit gefördert, insbesondere gestärkt wird, oder wenn
ihre Arbeit erleichtert worden ist. Andererseits setzt der Begriff
der Unterstützung nicht voraus, daß der Organisation nachweislich
ein durch den Täter verursachter meßbarer Nutzen entstanden ist.
Der Täter unterstützt, wenn seine Hilfe an sich wirksam und für
die Organisation irgendwie vorteilhaft ist."(6)
So zielt der § 129 in den 50er Jahren auf die Mitglieder der KPD,
die vom Bundesverfassungsgericht (BVG) für die Jahre 1951-1955 als
"kriminelle Vereinigung" eingestuft und 1956 verboten
wurde. Ferner galten zu dieser Zeit sämtliche sog. "Tarnorganisationen"
als "kriminelle Vereinigungen". Dies führte zu einer Verfolgungsaktion,
in deren Verlauf 100.000 Ermittlungsverfahren wegen § 129 eingeleitet
wurden. Nach dem Verbot der KPD entschied das BVG, daß politische
Parteien - solange sie nicht verboten sind - wegen des Parteienprivilegs
keine "kriminelle Vereinigungen" sein können.
1964 wird der § 129 durch Hinzufügen des "werbens" als
Straftatbestand ergänzt. Seither ist der § 129 im wesentlichen gleich
geblieben.1975 erklärte der BGH erstmals eine nicht als Organisation
zu identifizierende Gruppen von Hausbesetzern zur "kriminellen
Vereinigung", weil sie sich aufdie Räumung durch die Polizei
"auf Straftaten mit erheblichem Gewicht" vorbereitet hätten.(7)
Kollektiv und öffentlichkeitswirksam organisierte Widerstandsaktionen,
deren Vorbereitung und die sie stützende Solidarität wurde so als
"Banden-Tätigkeit" kriminalisiert.
Unter Hinweis auf dieses BGH-Urteil wurden 1980/81 ca. 300 Ermittlungsverfahren
allein in West-Berlin wegen Hausbesetzungen mit dem § 129 eingeleitet.
Seine besondere Bedeutung erhielt der § 129 aber erst durch die
im Zuge der "Anti- Terror- Kampagne" eingeführten Ergänzung
der "Bildung einerterroristischen Vereinigung" (§129a).
Die im Zusammenhang mit den Hausbesetzungen geschilderte extensive
Auslegung des § 129 kann als juristische Vorbereitung für die Einführung
des neuen Terrorparagraphen gelten. Die wichtigsten Neubestimmungen
des § 129a enthielten:
-
U-Haft ohne weiteren Haftgrund,
-
Überwachung des Fernmeldeverkehrs,
-
Beschränkung der Rechte der Verteidigung (Postkontrolle, Mehrfachverteidigungsverbot,
Ausschließungsverfahren),
-
Sonderzuständigkeit der Oberlandesgerichte,
-
besondere Haftbedingungen (Isohaft, Kontaktsperre undundund...)
-
Einschränkung von Besuch- und Postverkehr.
Die wichtigste Neuregelung aber ist die automatische Unterstellung
der Ermittlungsverfahren an die Bundesanwaltschaft (BAW). "Beim
§ 129 ist dies als KANN-Bestimmung gefaßt. Damit zentralisiert sich
ein wesentlicher Teil der Verfolgungs- und Fahndungsmaßnahmen gegen
die revolutionären Gruppen in den Händen der BAW."(8) Die BAW
ist kurzgeschlossen mit dem Bundeskriminalamt (BKA) und kann sich
somit unkontrollierbar der "Erkenntnisse" der Geheimdienste
bedienen. Die Ermittlungen werden letztendlich vom BKA bestimmt
und gelenkt. Dies ist eine Grundlage dafür, daß die Grenze zwischen
Ermittlungen zur Ausforschung linker Zusammenhänge und Ermittlungen,
um bestimmte "Delikte" zu kriminalisieren, sich systematisch
vermischt. Dies bedeutet einerseits einen bedeutenden Machtzuwachs
der Geheimdienste(9) und ferner die Möglichkeit, ihre Datengier
unter Ausschaltung der noch verbleibenden Datenschutzbestimmungen
gründlichst zu.sättigen.
Strafbar nach § 129 a ist nicht nur die "Unterstützung".von
Mitgliedern einer "terroristischen Vereinigung", auch
"jede Unterstützung der Vereinigung" als solcher "wird
mit Strafe bedroht." Mitglied kann sogar sein, wer für die
"Vereinigung" überhaupt noch nicht tätig geworden ist,
sondern (angeblich) erst tätig werden wollte"(10). Durch die
Einführung des "Werbens" als Tatbestand ist ein konkreter
Erfolg der "Unterstützung" nicht mehr erforderlich. Auch
der erfolglos gebliebene Versuch der "Unterstützung" ist
als "Werben" unter Strafe gestellt. Mit anderen Worten:
Alles was irgendwann und irgendwie der "Vereinigung" mittel-
oder unmittelbar nutzen könnte, fällt unter § 129a. Wenn nichtwegen
"Unterstützung", bzw. "Werbung", dann wenigstens
wegen "Beihilfe" zur "Unterstützung" bzw. "Werbung".
So bei den Agit-Druckern, die 1979 nach § 129a verurteilt worden
sind, weil (und jetzt wirds kompliziert) sie durch das Drucken des
"Info-Bugs" (Zeitung der Berliner undogmatischen Gruppen)
und deren Herausgebern geholfen hätten, die ihrerseits den damals
Hungerstreikenden dabei halfen, mit ihren Hungerstreikerklärungen
für die RAF/Bewegung 2. Juni zu werben."(11)
Seither laufen zahllose § 129a Angriffe wegen "Werbung"
auf Publikationen der linken Szene (atom, radikal, blättle, freiraum,
radiaktiv etc.). Die BAW definiert dabei "Werbung" nicht
als Mitglieder-, sondern als Sympathiewerbung. Dementsprechend sieht
die Verfolgungs- und Verurteilungspraxis aus: Als "Unterstützung"
bzw. "Werbung" wurde und wird verfolgt:
-
das Veröffentlichen von Erklärungen und Diskussionsbeiträgen
von bewaffneten Gruppen,
-
die Unterstützung von Hungerstreikforderungen
-
die Verteilung von Hungerstreikerklärungen,
-
das Parolensprühen wie z. B. "Solidarität mit der RAF",
oder wer sich an Vorbereitungen beteiligt, solche Parolen zu
sprühen,undsoweiter.
Ferner versucht die BAW seit 1980/81 relativ spontan entstehende
Gruppen wie Freizeit 81, München, Schwarzer Block, Frankfurt, Weiße
Rose, Itzehoe u.a. sowie seit 1982 autonome Gruppen unter dem Tatbestand
"terroristische Vereinigung" zu fassen. Ein Präzedenzurteil
würde die Zugriffsmöglichkeit mithilfe des § 129a entscheidend verbessern.
Diese Möglichkeit scheint nun durch die erneute Verschärfung umsetzbar
zu werden.
Bisher hat die BAW jedoch den § 129a nur in Bezug auf "RAF",
"RZ" und "Bewegung 2. Juni" bis zur Anklageerhebung
und Verurteilung benutzt. Dies sind die "nachgewiesenen"
Vereinigungen, deren "kriminelle Taten" und "org.
Zusammenhänge" vorausgesetzt werden zur Verfolgung eines "Unterstützerkreises".
Dagegen wurde der § 129a im Bereich gesellschaftlicher Protestbewegungen
immerwieder als Ermittlungsvorwurf benutzt, ohne jedoch eine weitere
"terrorist. Organisation" justiziabel machen zu können.
Die Anwendung des § 129a als Ermittlungsvorwurf erlaubt, auch ohne
Anklageerhebung, eine breite und massive Ausforschung und Denunziation
politischer Zusammenhänge (siehe Hannover im letzten Jahr). Die
§§ 129/129a, ich hoffe das wurde deutlich, zielen in ihrer geschichtlichen
Anwendung nicht auf bestimmte Aktionsformen ab sondern waren immer
in erster Linie auf politische Inhalte gerichtet und somit immer
auf Ansätze kollektiven Widerstandes. Zitat Rebmann: "In den
50er Jahren ging es vor allem darum, dem sog. gewaltlosen Umsturz
entgegenzuwirken, wie er damals von kommunistischer Seite angestrebt
wurde... In derersten Hälfte unseres Jahrzehntes erwuchs der Strafrechtspflege
eine neue Aufgabe unter anderen Bedingungen... Mit der Strafverfolgung
terroristischer Gewalttäter leisten Staatsanwaltschaften und Gerichte
heute ihren Beitrag zur Gewährleistung des inneren Friedens und
der inneren Sicherheit des Staates."(12) .
Diese historische Verknüpfung der KPD-Bekämpfung mit der RAF-Bekämpfung
verdeutlicht vollends: nicht die Form des Kampfes - gewaltsam oder
nicht gewaltsam - sind der Grund für das strafrechtlich verkleidete
Sonderinstrumentarium, sondern ihr Inhalt. Hier ging und geht es
um die Bekämpfung von organisiertem Handeln - und zwar mit allen
Mitteln: Dabei geht es strafrechtlich nicht um den Nachweis von
Taten, sondern die Strafbarkeit wird durch den Nachweis tatsächlicher
oder vermuteter Motive - also über die Gesinnung - erlangt.
Ähnlich verhielt es sich bei der Einführung des § 130a Anfang 1976.
Nicht die Tat an sich wie z. B. das Durchknipsen eines Bauzaunes
mithilfe eines Bolzenschneiders während einer Demo sei kriminalisìert,
sondern darüberhinaus wurde bereits schon das Reden darüber bzw.
die schriftliche Fixierung zum Straftatbestand erklärt. Dies, obwohl
das BRD-Strafrecht bereits schon ein dichtes Netz von Bestimmungen
und Gesetzen gegen die Darstellung von Gewalt enthielt, das seinesgleichen
nur in faschistischen Diktaturen findet, z.B.
-
§ 111 öffentl. Aufforderung zu Straftaten
-
§ 126 Störung des öffentl. Friedens durch Androhung v. Straftaten
-
§ 130 Volksverhetzung
-
§ 131 Verherrlichung v. Gewalt
-
§ 140 Belohnung u. Billigung v. Strataten
-
§ 241 Bedrohung eines anderen undsoweiterundsofort.
Die Fülle strafrechtlicher Regelungen zum Zweck der Unterbindung
von verbalen bzw. schriftlichen Gewaltäußerungen verleiht der BRD
im internationalen Maßstab allein schon einen Sonderstatus.(13)
Die Einführung des § 130a wurde mit, wie auch sonst einer Gesetzeslücke
begründet. Zwar sanktioniere § 111 die Aufforderung zu Straftaten,
aber sei im Einzelfall nicht oder nur schwer nachzu weisen, daß
eine zur Erfü!lung des Straftatbestandes notwendige Zielgerichtetheit
vorliege (z.B. wenn ein Bekennerbrief als Doku veröffentlicht wurde),
so ungefähr wurde die Einführung begründet. Um diesen Nachweis eben
nicht erbringen zu müssen, genügt es beim § 130a ganz allgemein
"Anleitung zur Gewalt"zu geben. In der Praxis fand der
§ allerdings wenig Anwendung. Er wurde zumeist als Einschüchterungs§
genutzt, letztlich um die Zensur in den Köpfen voranzutreiben. Bei
111 Ermfttlungsverfahren gab es lediglich 6 Anklageerhebungen.'(14)
Ferner wurden die Ermittlungen zu § 130a schon frühzeitig durch
Ermittlungen zu den §§ 129/129 a überdeckt. Während eine Solidaritätsarbeit
zu dem Zensur§ bis in weite Kreise der liberalen" Öffentlichkeit
Erfolg zeitigte, erwies sich dies bei §§ 129/129a -Verfahren als
weitaus schwieriger und zumeist als erfolglos. Im Rahmen solcher
Verfahren hatder§ 130aeineabsolut untergeordnete Rolle. Der § 130a
stand in Folge relativ bedeutungslos neben den §§ 129/129a, nach
denen in der Regel verurteilt wurde. Nur so ist zu erklären, daß
es gemessen an der Propaganda der Herrschenden, von wegen daß ein
rechtsfreier Raum und Handlungsbedarf bestehe, es zu wenigen Anklagen
und Verurteilungen mithilfe des § 130a kam. Ferner läßt sich die
Streichung des § im Jahre 1981 auch nur daher herleiten.
Die damalige SPD/FDP-Koalition begründete "denn auch die Abschaffung
des § 130a mit der "Verunsicherung der Jugend", sowie
mit der "Uberflüssigkeit" des Paragraphen.(15). Überflüssig
gemacht letztlich durch die extensive Auslegung der §§ 129/129a.
Anmerkungen
1) zitiert nach: Arbeiterkampf 204, 22.4.1981, Seite 23.
2) zitiert nach. S. Cobler, "Die Gefahr geht vom Menschen aus",
Seite 146.
3) H. Hannover/E. Hannover-Drück: "Politische Justiz 1918-1933,
Seite 228.
4) a.a.0., Seite 230.
5) Cobler, a.a.0., Seite 84.
6) a.a.0., S. 86.
7) Arbeiterkampf, a.a.0., Seite 23.
8) Arbeitsgruppe § 129a (Hg.) Texte und Materialien, Hannover 1986,
Seite 29.
9) a.a.0., Seite 29.
10) BGHSt 29,114 ff. zit. nach AK 204.
11) Agit-Urteil d. BGH, zit. n. AK 204.
12) "Terrorismus und Rechtsordnung", Rebmann in: "Deutsche
Richterzeitung", zit. nach AK § 129a.
13) Politische Buchhandlung Bochum u.a.: "Das Diskussionsverbot",
Seite 39/40.
14) Frankfurter Rundschau,1.11.86.
15) AK 204, a.a.0., S. 23. (aus: Materialien zur Neuregelung des
Paragraphen 129a,130a und zu den (geplanten) Sicherheitsgesetzen,
Hamburg Dez. 1986)
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