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Diverses

Konkret 01/87, S. 20

Viele Terroristen schaffen

Mit neuen Gesetzen, die zugleich eine ganz alte Tradition haben, versucht die jetzt scheidende, aber wohl bald wieder auftauchende Bundesregierung die Hatz auf die Oppositionellen in der Republik zu verschärfen. Betroffen müssen sich alle fühlen, die nicht einverstanden sind, und es auch noch wagen wollten, ihr Mißfallen öffentlich kundzutun.

"Der von CDU/CSU und FDP im Eilverfahren in den Bundestag eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus ist ein Dokument für die Hilflosigkeit der gegenwärtigen Bundesregierung in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus". Wenn der grüne Bundestagsabgeordnete Mann das Gesetz für ungeeignet hält, die RAF zu bekämpfen, ist das seine Sache, daß der Entwurf deswegen ein "Dokument der Hilflosigkeit" sei, kann dagegen kaum behauptet werden. Es hätte Mann eigentlich auffallen müssen, daß die Fraktions-Arbeitsgruppe der CDU/CSU, die sich monatelang damit beschäftigt hatte, gesetzliche Maßnahmen gegen Großdemonstrationen auszuarbeiten, von einem Tag auf den anderen dazu überging, neue Gesetze zur "Bekämpfung des Terrorismus" zu konzipieren. Nicht ohne Grund. Denn die Erweiterung und Verschärfung des Paragraphen 129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung), die Wiedereinführung des Paragraphen 1 30a (Anleitung zu Gewalttaten), und die Erweiterung der Kompetenzen des Generalbundesanwaltes werden dem Staatsschutz die Ergreifung der RAF-Mitglieder kaum ermöglichen.

Wozu dienen dann aber die neuen Gesetzesvorschriften? Die Erweiterung und Verschärfung des Paragraphen 129a gibt über den Zweck die deutlichsten Hinweise. Er weitet nämlich in seiner neuen Fassung den Begriff des "Terrorismus" erheblich aus: Künftig gelten gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr (§ 315 StGB), die Störung öffentlicher Betriebe (§ 3 16b StGB) und Brandanschläge auf Polizei- oder Militärfahrzeuge, sowie auf Anlagen im Energieversorgungsbereich bereits als terroristische Aktionen. Noch wichtiger ist wohl, daß der "terroristische Straftaten" verfolgende Generalbundesanwalt nach Inkrafttreten dieses Gesetzes die Möglichkeit hat, sämtliche mit dem § 129a in Verbindung stehenden Vorschriften aus der Strafprozeßordnung und dem Gerichtsverfassungsgesetz auf einen sehr viel größeren Teil der politischen Opposition als bisher anzuwenden. Bei Mitgliedern von Anti-AKW-Bürgerinitiativen, Umweltschutzgruppen oder bei Autonomen kann damit das Telefon überwacht oder eine Wohnungsdurchsuchung problemlos angeordnet werden.

Setz man das Spektrum der neu in den Paragraphen 129a eingebundenen Straftaten in Beziehung zu den aktuellen politischen Auseinandersetzungen, dann wird offensichtlich, daß es nicht der Einzelne ist, gegen den der Staatsschutz ein starkes Instrument in der Hand halten will: "Sein Handeln wird gefährlich", führt das Bundesverfassungsgericht in einer I%9 gefällten Entscheidung aus, "durch die von einer Organisation ausgehenden Wirkung. Die Abwehr richtet sich nicht gegen die Handlung des einzelnen als solchen, sondern gegen die mit ihr verbundene Stärkung der Organisation".

Es ist kein Zufall, daß die von den Alliierten nach Ende des Faschismus aus dem Strafgesetzbuch gestrichenen Staatsschutzpargraphen 1951 zur besseren Bekämpfung der KPD im 1. Strafrechtsänderungsgesetz wieder eingeführt wurden - zu einem Zeitpunkt, als die von der KPD mitgetragene Kampagne gegen die Wiederbewaffnung ihren Höhepunkt erreichte. Ebensowenig ist 3 zufällig, daß die Paragraphen heute dem Stand und den Formen des politischen Widerstandes angepaßt werden.

Zum einen erleichtert der Staat seinen au führenden Organen die Verfolgung durch Ausdehnung des 129a, zum anderen versucht er aber auch, einen Spaltungsprozeß zu wirken, indem er den militanten Teil der Bewegungen als "Terroristen" brandmarkt und auf eine Entsolidarisierung hofft.

Zwei Besonderheiten fallen bei der Anwendung des Paragraphen 129a bisher auf: Ermittlungsverfahren gelangen unverhältnismäßig selten vor Gericht, wird aber doch einmal Anklage erhoben, werden die Angeklagten wiederum ungewöhnlich häufig und hart verurteilt. Der 129a ist ein flexibel einsetzbares und vielseitig nutzbares Instrument. Das begründet das besondere Interesse des Apparates an ihm. Er wird auch, beispielsweise von der polizeikritischen Fachzeitschrift "Bürgerrechte und Polizei", Ermittlungsparagraph bezeichnet: Im Vordergrund stehe das Interesse an der im Zu der Ermittlung umfassend durchzuführen den Ausforschung des Protestmilieus. Ein wichtige Rolle spielt zusätzlich die Abschreckung. Dadurch, daß nicht nur die Teilnahme an der "terroristischen Vereinigung selbst, sondern bereits ihre Unterstützung und die Werbung für sie strafbar sind, wird der Paragraph fast beliebig, das heißt nach Bedarf des Staatsschutzes auslegbar.

Auf einen "nachweisbaren" Erfolg d Werbung oder Unterstützung wird ausdrücklich verzichtet, es ist noch nicht einem beweisbare Absicht erforderlich: die "versteckte Propaganda" zugunsten der Vereinigung kann ausreichen, um jemandem zu Gesetzesbrecher zu machen. Verdächtig ist wer eine Straftat begehen könnte.

In der Weimarer Republik spielte der Paragraph 129 (damals "Staatsfeindliche Verbindungen") in Prozessen gegen die KP) regelmäßig eine herausragende Rolle. In der damaligen Rechtsprechung war auch anerkannt, daß der Begriff "Verbindung" se viel festere organisatorische Strukturen vor aussetzt als der Begriff der "Vereinigung", der dann ins bundesrepublikanische Strafgesetzbuch aufgenommen wurde und zu dem der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung bemerkt: Die äußere Organisation sei völlig bedeutungslos, auch ein "lockerer Zusammenschluß, ohne Über - und Unterordnungsverhältnis" könne als Vereinigung bewertet werden.

Das politische Strafrecht weist nicht nur, bezogen auf den § 129, eine bemerkenswert Kontinuität vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, den Faschismus bis zur Bundesrepublik auf. Auch der jetzt wieder neu ins Strafgesetzbuch eingeführte § 130a Anleitung zu Straftaten) ist im Reichsgesetzbuch, in abgewandelter Form, gut bekannt. Allerdings trug er vor der Gründung der Bundesrepublik einen anderen Namen: "Anreizung zum Klassenkampf" und wurde ergänzt durch den damaligen Paragraphen 130a:

"Kanzelmißbrauch". Schon während des Faschismus war geplant, eine Titeländerung vorzunehmen, weil, wie der Kommentar Schönke 1935 ausführte, "bei der Auslegung, der durch die nationalsozialistische Revolution eingetretene Wandel zu beachten (ist): die Spaltung des deutschen Volkes in Klassen ist beseitigt". Als die Umbenennung 1960 endlich erfolgte, der § 1 30a "Volksverhetzung" unter Strafe stellte, begründete das der Strafrechtskommentar Dreher lapidar damit, daß die Formel "Anreizung zum Klassenkampf" eben "soziologisch überholt" sei.

Politisch überholt war sie nicht, wie die Überlegungen im Vorfeld des "Gesetzes zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens" zeigten, das 1975/76 auch als Gesetz zur "Bekämpfung des Terrorismus" diskutiert wurde. Denn in der Diskussion um das Gemeinschaftsfrieden-Gesetz wurde ausdrücklich Bezug auf Streiks genommen: Diese sollten dann nicht unter die Bestimmungen des neuen Gesetzeswerkes fallen, wenn das aus der Sicht des Streikrechts als ungerechtfertigt erscheine. Tatsächlich können Arbeitskampfmaßnahmen, zu denen Streiks ebenso gehören wie Betriebsbesetzungen, den "Gemeinschaftsfrieden" ganz empfindlich stören.

Der Bundesgerichtshof hat das in einem Urteil über das "Programm der nationalen Wiedervereinigung" der KPD betont: Massen- und Generalstreiks, wie beispielsweise die in der Zeit von 1950 bis 1952 in Zusammenhang mit dem Kampf um die Mitbestimmung in der Montanindustrie angedrohten, müßten als Gewalt im Sinne des Hochverratsparagraphen (§§ 81 und 82) verstanden werden.

In diesem Urteil findet sich auch ein entscheidendes Kriterium für die Anwendung der Staatsschutzparagraphen. Verfolgt wird, was erfolgreich ist: "Ein örtlich begrenzter oder auf einen bestimmten, nicht lebenswichtigen Industriezweig beschränkter Streik wird regelmäßig keine Gewalt gegenüber den Verfassungsorganen des Bundes darstellen. Anders aber steht es mit dem Massen- oder Generalstreik . "

Gegen politische Streiks wird außerdem der § 105 (Nötigung von Verfassungsorganen) eingesetzt, der nach einem Verfassungsgerichtsurteil auch gegen Sitzblockierer herangezogen werden kann. In der Weimarer Republik wurde gegen aus politischen Gründen streikende Arbeiter mit massivem Polizei- und Militäreinsatz vorgegangen. Als Rechtsgrundlage - und da schließt sich der Kreis - wurden die Paragraphen 125 (Landfriedensbruch) und 129 herangezogen.

Die aktuelle Erweiterung des Paragraphen 129a könnte auch zur Verfolgung von Arbeitskampfmaßnahmen eingesetzt werden.

Auch der Paragraph 125 StGB steht zur Verschärfung an. Die entsprechenden Vorschläge stammen von denselben CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten, die auch das "Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus" ausgearbeitet haben. Diese Arbeitsgruppe hat sowohl in ihren Vorschlägen zur Verschärfung des Demonstrationsstrafrechtes als auch in ihrem "Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus" die Wiedereinführung der § §88a (Befürwortung von Gewalt) und 1 30a (Anleitung zu Straftaten) gefordert.

Bemerkenswert an den 1976 eingeführten, später abgeschafften und jetzt wieder zur Diskussion gestellten Paragraphen 88a und 130a ist, daß nicht eine Tat bestraft wird, sondern deren Befürwortung beziehungsweise die Anleitung (früher "Anreizung"). In der Fachliteratur werden 88a und 130a deshalb auch als "Kommunikationsdelikte" geführt. Kriminell ist bereits ein geäußerter Gedanke: "Die Paragraphen 88 a und 130 a erhöhen das Risiko der Artikulation und der Organisation von fundamentalem Dissens mit den Herrschaftsinstanzen", beurteilt Sebastian Scheerer die "Gesetzgebung im Belagerungszustand". Zur Erhöhung des "Artikulationsrisikos" trägt bei, daß es keine objektive Kriterien gibt, mit denen feststellbar ist, wie Äußerungen verstanden werden können. Wie auslegbar der Begriff "Befürwortung" ist, wurde in der Diskussion im Rechtsausschuß am 2. Oktober 1975 offenbar: "Erstens gibt es die Befürwortung in der Form der indirekten Aufforderung, zweitens Befürwortung in der Form scheinbarer Distanzierung, drittens die Beschreibungen strafbarer Handlungen mit Nachahmungstendenz, viertens Befürwortung in Form der Billigung eines historischen Ereignisses in der Absicht es als nachahmenswertes Vorbild hinzustellen, fünftens".... Der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt.

Was der sozial-liberale Gesetzgeber allerdings nicht vorausgesehen hatte, war der erhebliche Protest, der sich vor allem gegen den Paragraphen 88a entwickelte. Im Februar 1981 wurden mit dem 19. Strafrechtsänderungsgesetz gegen die Stimmen der CDU/CSU und gegen den Widerstand des Bundesrates die beiden Paragraphen 88a und 1 30a aus dem Strafgesetzbuch entfernt.

Daß der Paragraph 130a trotzdem wieder zu Ehren kommt, weist auf ein wichtiges anderes Ziel des aktuellen Gesetzespaketes hin: Die Stimmung im Inneren soll aufgeheizt werden. Die Autoren des 130a in der neuen Fassung haben aus alten Fehlern gelernt: In einem zweiten Absatz, der, so die Gesetzes-Begründung, "kein Vorbild im früheren Recht hat", werden sogenannte "Umgehungshandlungen" erfaßt, Äußerungen und Veröffentlichungen, die nicht zur Gewalt anleiten, von denen die Justiz aber behaupten möchte, daß sie das eigentlich bezweckt hätten. "Auf den Gesamtzusammenhang der Äußerung kommt es an", erläuterte der CSU-Abgeordnete Fellner diesen Passus.

Ein deutlicher Hinweis für die Strafverfolgunsbehörden: Ein Interview in einem vielzitierten Nachrichtenmagazin kann danach ganz anders bewertet werden, als eines in linken Zeitungen. Erschwert werden soll dadurch die Selbstverständigung der außerparlamentarischen Opposition. Ein öffentlicher Meinungsaustausch über Aktionen soll weitgehend verhindert und zugleich der Anschein, es werde Zensur geübt, umgangen werden. So verordnet man Selbstzensur.

Oliver Tolmein

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