Kein Verbraucherschutz für Linke
(aus Junge Welt vom 11.04.2001)
Renate Künast plädierte einst für die Abschaffung des
Paragrafen 129a, der fast ausschließlich gegen Linke angewandt wird.
Im Bundestag sollte sie sich deshalb einer Gewissensprüfung
unterziehen.
Im Bundestag war wieder einmal Vergangenheitsbewältigung angesagt.
Nach Joseph Fischer und Jürgen Trittin erwischte es letzten Donnerstag
auch Renate Künast. Als grüne Parteivorsitzende hatte sie im
vergangenen Jahr den Aufruf für die sofortige Freilassung von derzeit
in Berlin vor Gericht stehenden angeblichen RZ-Mitgliedern und für die
Abschaffung des Paragrafen 129a unterzeichnet. Da sie kürzlich zur
Bundesministerin für Verbraucherschutz und Landwirtschaft
befördert worden ist, sollte sie nun ihre Unterschrift
zurückziehen. So verlangte es der FDP-Generalsekretär Guido
Westerwelle. Die Ministerin habe als Mitglied der Exekutive mit ihrer
Forderung, das Verfahren nach Paragraf 129a gegen angebliche Mitglieder der
"Revolutionären Zellen" einzustellen, die
"unabhängige Justiz" angegriffen und die Gewaltenteilung
missachtet.
Doch Künast hatte den Aufruf lange vor ihrer Ministerzeit
unterschrieben. Soll sie sich nun von allen politischen Akten ihres
vorministeriellen Lebens distanzieren, alle jemals geleisteten
Unterschriften zurückziehen? Schließlich hatte sie schon als
Abgeordnete und als Rechtsanwältin für die Abschaffung des
Terrorparagrafen 129a gestritten.
Die Sorge um die Gewaltenteilung scheint allerdings nur ein Vorwand zu
sein, dem FDP-General geht vielmehr der politische Angriff auf den
Paragrafen 129a gegen den neoliberalen Strich. Für linke Terroristen
gebe es, so verkündet er, "genauso wenig ein Sonderrecht wie
für rechte".
Mit dieser irrigen Auffassung stellt er sich auch gegen die letzten
Reste (links-) liberaler Tradition in seiner eigenen Partei, gegen die
ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und den
früheren Bundesinnenminister Gerhard Baum. Gerade Baum erkannte
bereits 1997 in den Anti-Terror-Gesetzen eine "Überreaktion des
Staates" und hielt deshalb eine "Revision dieser
'Notstandsgesetze', die nichts geändert und nichts gebracht
haben, für dringend erforderlich" (RTL-Interview, 14. September
1997).
Wo liegen nun die Probleme, die liberale Rechtspolitiker im Gegensatz zu
Westerwelle mit dem Paragrafen 129a ("terroristische
Vereinigung") haben? Er definiert einen Organisationsstraftatbestand
und stiftet damit Sonderrecht. Einem Beschuldigten muss nicht etwa die
eigenhändige Begehung einer Straftat nachgewiesen werden, seine
bloße Zugehörigkeit zu einer inkriminierten Gruppe oder deren
Förderung reichen aus, um ihn bestrafen zu können. Das ist
Kollektivstrafrecht- etwas, dass es im deutschen Strafrechtssystem
eigentlich nicht gibt. Nicht nur die Mitglieder solcher Vereinigungen,
sondern auch "Unterstützer" und "Werber"
können strafrechtlich belangt werden.
Allein das Aufsprühen bestimmter Parolen oder das Kleben von
Plakaten kann so zum terroristischen Delikt werden. Das Büchner-Zitat
"Krieg den Palästen" und ein fünfzackiger Stern, als
angebliches RAF-Symbol an die Plastikwand einer U-Bahn gesprüht,
brachten einer Münchner Arzthelferin wegen Werbens für eine
terroristische Vereinigung zwölf Monate Gefängnis ein. Ihr
Begleiter, der sie angeblich per "Sichtdeckung" bei ihrem Tun
abgeschirmt haben soll, wurde mit sechs Monaten Freiheitsentzug
bedacht.
Knapp 85 Prozent der Ermittlungsverfahren nach Paragraf 129a betreffen
nicht etwa den Vorwurf der Mitgliedschaft, sondern lediglich den minder
schweren der Unterstützung oder des Werbens. In aller Regel sind das
rein verbale "Taten", sie werden mithilfe eines
Gesinnungsstrafrechts verfolgt.
Doch der Paragraf 129a kann noch mehr, seitdem er in den achtziger
Jahren im Hinblick auf die damals erstarkten militanten Widerstandsszenen
erheblich verschärft wurde. Die Ermittlungsbehörden witterten
innerhalb der politisch-sozialen Bewegungen gegen gefährliche Staats-
und Industrieprojekte eine neue, unberechenbare "terroristische
Gefahr". Tausende von Menschen und zahlreiche oppositionelle
Initiativen der Anti-Atom-, Friedens- und Anti-Gentechnologie-Bewegung,
aber auch der Häuserkampf- und Tierschützer-Bewegung, später
der Antifa, sind in die Anti-Terror-Maschinerie geraten.
So kam es zu einer wundersamen "Terroristen"-Vermehrung per
Gesetz und Rechtsprechung. Etwa 3 300 Strafermittlungsverfahren nach
Paragraf 129a wurden in den achtziger Jahren eingeleitet, in die fast 10
000 mutmaßliche Terroristen, Unterstützer und Sympathisanten
involviert waren; zwischen 1990 und 1998 gab es noch etwa 1 500
Verfahren.
Gegen neonazistische Organisationen und fremdenfeindliche Gewalt
allerdings wurde dieses so genannte Anti-Terror-Instrumentarium trotz der
zahlreichen Opfer rechter Gewalt nur in geringem Maße angewendet. In
den achtziger Jahren wurden 3300 Verfahren gegen Linke geführt, aber
nur 134 Verfahren gegen den Rechtsterrorismus mit knapp 400 Betroffenen.
Seit 1986 tendierte die Zahl der nach Paragraf 129a angeklagten Rechten
sogar gegen Null.
Auch in den neunziger Jahren wurde dieser Paragraf kaum gegen den
eskalierenden rechten Terror eingesetzt. Trotz der gut sichtbaren
organisatorischen Strukturen und der Vernetzung im rechten Spektrum sowie
einer sprunghaften Zunahme der Gewalttaten von rechts gab es im Schnitt
drei 129a-Ermittlungsverfahren pro Jahr gegen Rechte und 155 gegen
Linke.
Auffallend viele der Verfahren werden nach langwierigen Ermittlungen
mangels Substanz eingestellt. Nur in knapp fünf Prozent aller
abgeschlossenen Fälle kommt es überhaupt zu einem Urteil. Das hat
Gründe, geht es doch gerade um die Möglichkeit zu extensiven
Ermittlungen. Der Paragraf 129a lässt sich wie ein Dietrich anwenden,
um in verdächtige Szenen einzubrechen. Er ist eine Schlüsselnorm,
um die herum ein verzweigtes "Anti-Terror"-Sonderrechtssystem
entwickelt wurde. Ein entsprechender Anfangsverdacht eröffnet den
Ermittlungsbehörden ein ganzes Arsenal spezieller Eingriffsbefugnisse.
Zu diesen zählen neben der Beschneidung der Verteidigungsrechte der
Betroffenen vor Gericht sowie der Verhängung isolierender
Haftbedingungen vor allem geheime polizeiliche Methoden: Postkontrolle,
Telefonabhöraktionen, Observationen, der Einsatz von V-Leuten aus
politisch verdächtigen Milieus, die Einschleusung von verdeckten
Ermittlern mit falscher Identität, die Abschöpfung von Kronzeugen
und der Große Lauschangriff, aber auch Razzien,
Straßenkontrollen sowie Schleppnetz- und Rasterfahndung. Es handelt
sich hier also um Sonderermächtigungen, die zwangsläufig eine
Vielzahl unverdächtiger Personen betreffen und die der
großflächigen präventiven Ausforschung politisch
unliebsamer Milieus dienen.
Der Paragraf 129a ist also nicht lediglich eine klassische
Strafrechtsnorm, sondern vor allem ein Ermittlungs- oder
Ausforschungsparagraf, der die Verfolgung des Terrorismus zur
Widerstandsbekämpfung mutieren ließ. Diese Entwicklung ist zu
beobachten, seitdem die Formen des politischen und sozialen Widerstands in
der Bundesrepublik vielfältiger und damit für die
Staatsschützer unübersichtlicher geworden sind. Diese neue
Vielfalt und Unübersichtlichkeit versuchten Polizei und
Sicherheitspolitiker mit erweiterten präventiven Befugnissen zu
kompensieren. Dabei stützten sie sich besonders auf das
Sonderrechtssystem des Paragrafen 129a, um operative Zugänge am Rande
verdächtiger Szenen zu eröffnen, um Kommunikationsstrukturen zu
knacken und "Soziogramme des Widerstands" erstellen zu
können. Es geht also primär um die Möglichkeit zu intensiven
Ermittlungen, die sich im Nachhinein meistens als
"unberechtigt" herausstellen.
Aus allen diesen Gründen bleibt die Auflösung des
"Anti-Terror"-Sonderrechtssystems auf der Tagesordnung, auch
wenn es heute selbst unter Linken eine gewisse "Rehabilitation"
erfährt, weil es ja ebenfalls gegen den rechten Terror eingesetzt
werden könnte. Abgesehen davon, dass der Paragraf 129a dadurch nicht
bürgerrechtskonform würde, entbehrt eine solche Vorstellung jeder
realen Grundlage.
Die PDS-Fraktion im Bundestag hat folgerichtig eine Gesetzesinitiative
zur Abschaffung des Paragrafen 129a angekündigt und knüpft
dabei an Initiativen der Grünen aus deren Oppositionszeiten
an. Renate Künast jedenfalls distanzierte sich im Bundestag
nicht von ihrer Unterschrift unter dem Aufruf, auch wenn sie der
Berliner Morgenpost erklärte, als Ministerin würde sie
heute anders handeln. Der entsprechende Antrag der FDP wurde mit
den Stimmen von SPD, Grünen und PDS abgelehnt.
R.Gössner
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