Bürgerrechte & Polizei / Cilip 66 (2/2000)
ISSN 0932-5409
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§ 129b StGB Steilvorlage aus Europa
Mit EU- Druck zur Ausweitung des politischen Strafrechts
von Mark Holzberger
Ein neues Jahrtausend und eine rot- grüne Bundesregierung -Anlass
genug, um auf eine Entrümpelung der unseligen deutschen Anti- Terror-
Gesetze zu hoffen? Wohl kaum. Über die Schiene der EU gerät die
BRD, nicht ohne selbst dabei eifrig mitgewirkt zu haben, unter einen
entgegengesetzten, repressiven Handlungsdruck: Sie muss die gesetzlichen
Voraussetzungen für die Verfolgung im Ausland operierender
"krimineller" und "terroristischer" Vereinigungen schaffen.
Der 1976 ins Strafgesetzbuch (StGB) eingefügte § 129a, der
Bildung, Mitgliedschaft, Unterstützung sowie Werbung für eine
"terroristische Vereinigung" unter Strafe stellt, bildet das
Zentrum des deutschen Staatsschutzstrafrechts. Er ist Anknüpfungsnorm
für eine lückenlose polizeiliche Überwachung, für die
Aushöhlung der Rechte von Beschuldigten sowie gegebenenfalls deren
Isolations- Haftbedingungen.
Der § 129a ist eine Art Präventionsstrafnorm, die - wie selbst
der Bundesgerichtshof (BGH) 1978 festgestellte - eine Strafbarkeit
"schon weit im Vorfeld der Vorbereitung konkreter strafbarer
Handlungen" begründet.Aus der Sicht der
Strafverfolgungsbehörden liegt der Vorteil des
Organisationsstrafrechts, zu dem auch der bereits aus dem letzten
Jahrhundert stammende § 129 (kriminelle Vereinigung) gehört, in
einer enormen Erleichterung der Beweisführung - zu Lasten der
Beschuldigten: Diesen muss nämlich nicht mehr die Begehung einer
konkreten Straftat nachgewiesen werden. Vielmehr kann eine Person, die
einmal als Mitglied einer "kriminellen" oder
"terroristischen" Vereinigung angesehen wird, für
sämtliche dieser Organisation zugeschriebenen Straftaten zur
Verantwortung gezogen werden.
Die linke und liberale Kritik des Anti- Terror- Strafrechts der 70er
Jahre richtete sich vor allem gegen die Tatbestände des Werbens bzw.
der Unterstützung einer "terroristischen" Vereinigung.
Hiermit werden Handlungen verfolgt, die - so der BGH in dem bereits
zitierten Urteil "für die Vereinigung irgendwie vorteilhaft
sind". In der Praxis werden damit vor allem missliebige
Meinungsäußerungen kriminalisiert: So wurden JournalistInnen der
"Unterstützung terroristischer Vereinigungen" beschuldigt,
weil sie Bekennerschreiben militanter Gruppen abdruckten.SprayerInnen, die
die Wände der Münchener U-Bahn mit dem Slogan "Krieg den
Palästen" und einem fünfzackigen Stern bemalten, wurden in
den 80er Jahren wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung zu
zwölf Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt.
Erst jüngst ergab eine Kleine Anfrage der PDS, dass weniger als 3%
der Ermittlungsverfahren, die in den 90er Jahren auf Grund des § 129a
eingeleitet wurden, mit einem gerichtlichen Urteil endeten.Die
eingestellten restlichen 97% waren für den Staatsschutz keineswegs
nutzlos, denn der § 129a eröffnet eine Fülle von
Möglichkeiten zur Überwachung großer Personengruppen. So
wurden Mitte der 90er Jahre im 129a-Verfahren gegen die Göttinger
"Antifa M" binnen weniger Monate insgesamt 14.000
Telefongespräche abgehört.Das Ausforschen unliebsamer politischer
Spektren ist die eigentliche Funktion des § 129a.
Der § 129a In EU- Übersetzung
Nach monatelangen Kontroversen verabschiedete der Rat der Innen- und
JustizministerInnen der EU im Dezember 1998 eine Gemeinsame Maßnahme,
die die Mitgliedstaaten verpflichtet, in ihr jeweiliges Strafrecht den
Tatbestand der Beteiligung an einer "kriminellen Vereinigung"
aufzunehmen.Die rechtsstaatlich bedenkliche Logik des deutschen
Staatsschutzstrafrechts - die einigen europäischen Rechtssystemen
bislang völlig fremd gewesen ist - wurde damit zu einer verbindlichen
Vorgabe für alle EU- Staaten. Als "kriminelle
Vereinigung" wird in Art. 1 der "auf längere Dauer angelegte
organisierte Zusammenschluss von mehr als zwei Personen" definiert,
"die in Verabredung handeln, um Straftaten zu begehen ...", bei
denen die vorgesehene Höchststrafe über vier Jahren liegt. Diese
weit reichende Definition erfasst auch Formen des politischen und sozialen
Protests, die in bestimmten Situationen Gefahr laufen, außerhalb der
Legalität gestellt zu werden (von Demonstrationen über
Hausbesetzungen bis zu Streiks und Betriebsbesetzungen).
Die EU verpflichtet ihre Mitgliedstaaten, Personen selbst dann wegen
ihrer Tätigkeit in einer kriminellen Vereinigung zu verfolgen, wenn
sie an der eigentlichen Tatausführung gar nicht beteiligt gewesen
sind. Mehr noch, die eigentliche strafbare Handlung muss noch nicht einmal
begangen worden sein. Eine Person soll zudem auch für "sonstige
Tätigkeiten der Vereinigung" belangt werden können, sofern
sie sich "bewusst" gewesen sei, dass ihre - nicht näher
spezifizierte - "Beteiligung" zur Durchführung der kriminellen
Aktivitäten der Vereinigung "beiträgt". Diese
"sonstigen Tätigkeiten" befinden sich nun endgültig im
eigentlich straflosen Vorfeld krimineller Handlungen - damit können
alle möglichen legalen Aktivitäten kriminalisiert werden.
Dieser Problematik waren sich die Innen- und JustizministerInnen der EU
sehr wohl bewusst. Und so haben sie sich in Art. 2 Abs. 2 der Gemeinsamen
Maßnahme gegenseitig zu einer "möglichst weitgehenden
Unterstützung" auch in den Fällen verpflichtet, in denen ein
Mitgliedstaat derartige Vorfeldhandlungen nicht unter Strafe gestellt hat -
diese dort also nach wie vor vollkommen legal sind.
Schließlich wurden die EU- Staaten dazu verpflichtet, bis zum Jahr
2000 die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, Mitglieder
krimineller Vereinigungen zu verfolgen - unabhängig davon, an welchem
Ort innerhalb der EU sich die eigentliche Operationsbasis dieser Gruppe
befindet bzw. wo sie agiert. Konkret heißt dies, dass deutsche
Strafverfolgungsbehörden beispielsweise das Mitglied eines
finnischen Schmuggler- oder eines griechischen Fluchthelferrings oder aber
der baskischen ETA hier zu Lande verfolgen können - obwohl klar
ersichtlich ist, dass die Bundesrepublik nicht zu deren Aktionsfeld
zählt.
Diese Bestimmung ist für das deutsche Staatsschutzstrafrecht das
einzig Neue. Bislang ist die Gemeinsame Maßnahme in der
Bundesrepublik noch nicht umgesetzt. Es existiert lediglich ein
unveröffentlichter Vorentwurf des Bundesjustizministeriums (BMJ) vom
August 1999. Danach sollen mit Hilfe eines neu einzuführenden §
129b die §§ 129 und 129a auch für kriminelle und
"terroristische" Vereinigungen in einem Mitgliedstaat der EU
gelten.
In der BRD hat man auch ohne diese Bestimmung in der Vergangenheit
ausländische "kriminelle" / "terroristische"
Vereinigungen verfolgt. Voraussetzung hierfür war aber, dass diese
Organisation in Deutschland zumindest über eine Teilstruktur
verfügte. Die Bundesanwaltschaft benötigte so unendliche
Winkelzüge, um einen deutschen Ableger der Brüsseler
Europavertretung der PKK zu erfinden - alles nur damit in Deutschland
Kurdinnen und Kurden mit Hilfe des § 129a StGB angeklagt werden
konnten. Auf derlei Umstände kann nach Umsetzung der EU-
Maßnahme verzichtet werden.
Die praktischen Auswirkungen des geplanten § 129b dürften auf
absehbare Zeit weniger in der Festnahme und Aburteilung ausländischer
"Terroristen" liegen. Der zweite Versuch,
ausländischen Organisationen wegen Aktionen im Bundesgebiet den
Prozess zu machen, endete Anfang der 90er Jahre mit Freisprüchen
für die mutmaßlichen PKK- Mitglieder. Die politischen
Entwicklungen in Irland seither lassen vermuten, dass es bis auf weiteres
zu keiner Neuauflage der Kontinentalkampagne der IRA kommt. Bleiben
Gruppierungen wie die baskische ETA oder aber der griechische "17.
November". Allerdings liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass
sich der deutsche Staatsschutz auf die Verfolgung dieser Gruppierungen
vorbereitet.
Der Schwerpunkt des § 129b dürfte somit erst einmal darin
liegen, die gegenseitige Rechtshilfe - also im wesentlichen den
grenzüberschreitenden Informationsaustausch und die seit kurzem
deutlich erleichterte Auslieferung politischer Straftäter - zu
intensivieren. "Möglichst weitgehende Unterstützung" haben
sich die EU- Staaten in der Gemeinsamen Maßnahme gegenseitig
zugesichert. Zudem wollen sie ihr Vorgehen in grenzüberschreitenden
Ermittlungskomplexen untereinander abstimmen, um eine möglichst
"effiziente Strafverfolgung" sicherzustellen.
Kleine Brötchen
Der § 129a wird seit seiner Entstehung 1976 durch
Bürgerrechtsverbände und kritische JuristInnenvereinigungen
kritisiert, da die verfassungs- und bürgerrechtlichen Kosten dieses
Sondergesetzes zu hoch und seine Erforderlichkeit äußerst
fraglich sind. Die Grünen haben zu Oppositionszeiten mehrfach -
zuletzt in ihrem Wahlprogramm 1998 - die Abschaffung des § 129a
gefordert; ebenso die PDS, die zudem angekündigt hat, diesen Aspekt
ihres Strafrechtsdemokratisierungsgesetzes aus der letzten
Legislaturperiodejetzt erneut einzubringen. Erst jüngst hat das
Komitee für Grundrechte und Demokratie dazu aufgerufen, eine Kampagne
zur Abschaffung der §§ 129 und 129a zu starten. Dies könnte
auf fruchtbaren Boden fallen, nachdem im Januar dieses Jahres der Deutsche
Anwaltverein; die Bundesrechtsanwaltskammer, die Strafverteidiger-
Vereinigungen und der Verein Deutscher Strafverteidiger vorgeschlagen
haben, zumindest Folgevorschriften des § 129a - wie z.B. das
Kontaktsperregesetz aus dem Deutschen Herbst 1977 - endlich zu
streichen.
So richtig diese Forderung ist, so klar ist es jedoch auch, dass nach
der Gemeinsamen Maßnahme mit einer kurzfristigen Durchsetzung im
nationalen Rahmen nicht mehr gerechnet werden kann. Was bleibt, ist aber
mehr als nur der schale Appell an den Rat der EU, das gerade erst
Beschlossene gleich wieder abzuschaffen. Vielmehr muss die Umsetzung der
Maßnahme nicht so ablaufen, wie es sich das BMJ gedacht hat: Die
Mitgliedstaaten sind nicht gezwungen, Unterstützung und Werbung
für solche Vereinigungen zu kriminalisieren. Im Hinblick auf die erst
einmal unumgängliche Umsetzung der Maßnahme wäre daher ein
Paket möglich, im Zuge dessen diese beiden Varianten aus dem §
129a gestrichen (und somit auch nicht auf den § 129b übertragen)
würden.
Auch wenn 85% aller § 129a-Ermittlungsverfahren sich auf
Unterstützung bzw. Werben beziehen, bleibt dies immer noch ein kleines
Brötchen. Was das Ausmaß der Staatsschutz- Kooperation angeht,
hat uns Europa inzwischen fest im Griff.
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