Der Initiativkreis gegen den Schlußstrich
Im Spätherbst 1998 haben wir als Gruppe begonnen, uns mit der
geplanten Errichtung eines zentralen "Mahnmals für die ermordeten
Juden Europas" und der öffentlichen Debatte um eben dieses
auseinanderzusetzen. Uns wurde schnell klar, daß es dabei nicht nur
um das Mahnmal als solches ging, sondern in den Argumenten für und
wider das Mahnmal eine neue Geschichtspolitik der Berliner Republik zum
Ausdruck kam.
Als Gruppe vertraten wir - trotz vieler Kontroversen - die Position,
daß wir ein zentrales und nationales Mahnmal ablehnen, das als Symbol
für einen Schlußstrich unter die Vergangenheit dienen soll.
Darüber hinaus betonten wir immer wieder die Wichtigkeit eines
Verweises auf die Täter, da wir es für scheinheilig und politisch
falsch halten, in einem Klima der Geschichtsnormalisierung und
Instrumentalisierung von "Auschwitz" zu politischen Zwecken ein
Mahnmal zum Gedenken an die jüdischen Opfer aufzustellen, ohne die
Täterschaft von damals und die Kontinuitäten zum Heute zu
benennen.
Natürlich beeinflußten sowohl die eigene Beschäftigung
mit der Shoah, mit der Geschichte des Nationalsozialismus und der
gesellschaftlichen Situation im ausgehenden 20. Jahrhundert die
Aktivitäten unserer Gruppe.
Einige von uns beschäftigen sich seit Jahren mit den Ursachen,
Strukturen und Methoden des Nationalsozialismus und/ oder haben sich in der
Gedächtnisarbeit engagiert. Es existieren Kontakte zu
Überlebenden und wir besuch(t)en Gedenk- und
Diskussionsveranstaltungen in ehemaligen Konzentrationslagern. Bei der
Diskussion um Mechanismen von Ausgrenzung und Vernichtung führte uns
die Frage nach dem "Warum" der (Mit-) TäterInnenschaft aus
der Mitte der deutschen Gesellschaft vom historischen Blick zu den
gegenwärtigen rassistischen und antisemitischen Angriffen. Die
Angriffe von Neofaschisten und rassistischen Tätern richten sich seit
geraumer Zeit gegen Menschen, die irgendwie "anders" zu sein
scheinen.
Die in den letzten Jahren vermehrten antisemitischen Angriffe bezeugen
noch immer die Verwurzelung von Antisemitismus in der Gesellschaft, der
auch vor Aktionen gegen jüdische Grabstätten, Synagogen und Juden
und Jüdinnen selbst nicht halt macht.
Trotz einer breiten Geschichtsforschung und des Angebots einer Vielzahl
von Veranstaltungen zu dem Thema, herrscht in der Gesellschaft noch immer
ein Klima von Verdrängung und Verleugnung. Bisher fanden weder
Schuldanerkenntnis noch Aufarbeitung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
statt. Der Glaube daran, daß die Zugehörigkeit zu einer
"wiedervereinigten deutschen Nation" die individuelle
Persönlichkeit aufwerte, führt im Jahr 2000 mehrheitlich zum
Beschweigen von bzw. zur aktiven Beteiligung an gewalttätigen verbalen
oder tätlichen Angriffen auf Flüchtlinge und MigrantInnen.
Die Verbrechen des NS wurden zwar nach 1945 moralisch verurteilt, die
Verbrecher jedoch nicht. Sie haben noch für Jahrzehnte in
führenden Positionen in Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung, Justiz,
Militär und Politik ungestraft den modrigen Geist einer
Untertanen-Gemeinschaft fortgeführt und sind dafür mit hohen
Pensionen belohnt worden. Das Gros der älteren Generation versucht
noch immer, sich selbst und uns mit Sätzen wie "wir haben doch
von nichts gewußt" oder "man konnte ja sowieso nichts
dagegen tun" zu täuschen und zu belügen.
Der NS-Folgestaat historisiert heute mit Orten wie der "Neuen
Wache" als offizieller Gedenkstätte für die "Opfer der
Gewaltherrschaft" die Geschichte. Täter wie Opfer des NS sucht
man damit gleichzusetzen und verfolgt zudem das Ziel, endlich einen
Schlußstrich unter die "Makel" der eigenen Vergangenheit zu
ziehen.
Die Greuel von "Auschwitz" wurden von den rot/grünen
Strategen des Kosovo-Krieges 1999 als moralisches Argument benutzt,
erstmals wieder einen Krieg mit deutscher Beteiligung mitten in Europa zu
propagieren und sich schlußendlich maßgeblich daran zu
beteiligen. Es gilt, das internationale Ansehen als ehemaliger
"Feind" nun als Nato-Streitmacht unter Gleichen aufzupolieren und
endlich "dazuzugehören".
Dies findet in Deutschland in einer Zeit statt, in der die Pogrome von
Hoyerswerda 1992 und Rostock-Lichtenhagen 1993 erst wenige Jahre
zurückliegen, in der das Verbot faschistischer Organisationen wie der
NF und der FAP in eine straffe und strategische Reorganisierung alter und
neuer Faschisten in NPD, DVU, Kameradschaften usw. mündete. Auch die
neuen Nazis haben begriffen, welch mobilisierenden Faktor Mobiltelefone und
das Internet bieten. Faschisten konnten mit Genehmigung des Berliner
Oberverwaltungsgerichtes und Deckung des Innensenators Werthebach am 29.
Januar 2000 (und wiederum am 12. März) erstmals eine Kundgebung vor
dem Mahnmalgelände abhalten. Nicht die rassistischen und
antisemitischen Demonstrationen von Rechtsextremen scheinen die mediale und
politische Öffentlichkeit zu beunruhigen, sondern in erster Linie der
Ort ihres Auftretens in der Nähe des Brandenburger Tors als Ort
höchster nationaler Symbolik. Bilder von Rechtsextremen, die nahe am
oder durch das Nationalsymbol marschieren, schaden einer "normalen
Berliner Republik" vor der Weltöffentlichkeit. Hier zählt
das Image und nicht der Inhalt.
PolitikerInnen aller Parteien förderten die Ausgrenzung von
Nichtdeutschen - besonders Flüchtlingen - durch Wort und Tat: 1992
durch die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl, die
Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes und die
paramilitärische Festigung der Grenzen nach Osten. Das fortgesetzte
Schüren einer irrationalen Furcht vor der angeblichen
"Ausländerschwemme" und allem "Fremden" bildet mit
Hilfe der Medien die Stimmungsgrundlage und den nationalen Konsens für
tägliche Übergriffe. Staatlich legitimierte rassistische Politik
sowie rechtsextremistische Angriffe sind zwei Seiten einer einzigen
Medaille.
Im Hinblick auf das gesamtgesellschaftliche und politische Klima der
Berliner Republik verstehen wir uns als eine der in letzter Zeit
entstandenen antifaschistischen und antirassistischen Gruppen, die in der
ein oder anderen Form den nationalen Konsens in Frage stellen und dagegen
agieren. Im folgenden wird ein kurzer Überblick unsere Arbeit
dokumentieren.
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