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Datum:
Februar 2001
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Zeitung:
www.freilassung.de
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Titel:
Versuch über die Solidaritätsarbeit im Zusammenhang mit
den RZ-Verfahren und Versuch einer Antwort auf Kritik,
Verunglimpfung und Diffamierung derselben bzw. der Gefangenen
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Versuch über die Solidaritätsarbeit im Zusammenhang
mit den RZ-Verfahren und Versuch einer Antwort auf Kritik, Verunglimpfung
und Diffamierung derselben bzw. der Gefangenen
Leute, die uns kennen, werden wissen, dass wir uns für Spezialisten
halten, bei der Behandlung unangenehmer Themen die wenigsten Fettnäpfe
auszulassen und/ oder die meisten anderen GesprächsteilnehmerInnen
entweder mit unserer Sicht der Dinge oder mit unserer Form diese Sicht
vorzutragen (manchmal auch mit beidem...) zu verprellen. Wir haben uns nun
vorgenommen, dies mal angesichts des Trauerspiels "RZ-Verfahren"
und Solidaritäts"bewegung" ganz bewusst zu tun. Das Fass
wurde durch den Diskussionsbeitrag "In Gefahr und höchster Not
scheint der Mittelweg Gebot..." (Interim 520) zum Überlaufen
gebracht und an dieser Stelle ist also nachzulesen, was dabei
herausgelaufen ist...
Als erstes werden wir gleich ein Prinzip dieser Publikation verletzen
oder brechen, nämlich jede noch so fundierte oder hingeschissene
Meinungsäußerung anonym abzuliefern. Wir sind der Meinung,
gerade das Dilemma mit der hier zur Debatte stehenden Soli-Arbeit ist ein
hervorragendes Beispiel dafür, dass das Dogma der anonymen Pamphlete
in keinster Weise eine Diskussion fördert, sondern höchstens den
Klatsch und Tratsch an Kneipen- und den noch verbliebenen WG-Tischen.
Für uns gehört jedenfalls zu einer emanzipierten (den
berühmt-berüchtigten Zusatz mit "r..." möchten wir
an dieser Stelle ganz bewusst nicht in den Mund nehmen!) Gesellschaft, die
wir uns ja alle hoch und heilig immer wieder auf die Fahnen schreiben
(oder?), dass wir unsere Meinung öffentlich vertreten, die
Verantwortung dafür übernehmen und damit einer Auseinandersetzung
zur Verfügung stehen.
In diesem Sinne: Wir arbeiten seit dem ersten Treffen nach den
Verhaftungen am 19.12.99 in dem später so benannten "Bündnis
für Freilassung" mit und bringen für diese Arbeit einen
beträchtlichen Teil unserer wertvollen sogenannten
"Freizeit" auf. Unsere Motivation dazu würden wir in zwei
Aspekte fassen, die jedoch kaum voneinander zu trennen sind und gleichstark
wirken: erstens die persönliche Betroffenheit durch die Tatsache, dass
mit Axel und Harald zwei Menschen in die Fänge der Repression geraten
sind, mit denen wir lange Jahre freundschaftlich verbunden waren/sind und
mit denen wir uns weiterhin politisch verbunden fühlen; zweitens die
politische Betroffenheit, dass mit dem RZ-Verfahren ein Widerstandsprojekt
abgeurteilt werden soll, das auf jeden Fall in den hier zur Verhandlung
stehenden Komplexen ein Teil unserer linken Geschichte ist, und dass
gleichzeitig die besondere Konstellation aufgrund des politischen
Verrats durch die Figur Tarek Mousli im Prinzip die gesamte
linksradikale Geschichte auf dem Müllhaufen der Herrschenden entsorgt
werden soll.
Beides zusammen ergibt für uns eine Motivation, die unabhängig
ist von den Anschuldigungen oder dem Ausgang des Verfahrens, und die
genauso wenig vom "Wohlverhalten" der Gefangenen abhängig
ist (das lassen wir jetzt mal so pauschal, denn den Grundkonsens setzen wir
voraus und für uns gibt es keinen Anlass zu denken, sie könnten
ihn aufkündigen).
Das Gefühl der Betroffenheit löst zwar die Motivation aus,
aber leider gibt es keinen Automatismus, der mit der Motivation auch
gleichzeitig die überzeugenden Analysen und konkreten
Handlungsanweisungen liefert. Es gibt also keine Patentrezepte, wie wir zum
einen dazu beitragen können, die Leute aus dem Knast zu holen, und zum
anderen den Angriff auf den gegenwärtig existierenden Widerstand von
links und seine Geschichte abzuwehren. Darin genau besteht die
mühevolle Kleinarbeit der Solidarität, die ganz banal nur so
stark sein kann wie die einzelnen daran beteiligten Menschen und der
Zusammenhang, in dem sie steht.
Nach diesen persönlichen Erklärungen möchten wir nun
versuchen, den Unmut (sanft ausgedrückt...) zu benennen, der beim
Lesen des genannten Papiers seinen Höhepunkt erreichte.
Einleitend muss gesagt werden, dass auch hier wie leider schon oft in
den zurückliegenden Monaten sehr vereinheitlichend von der Soli-Arbeit
und den dahinter stehenden Personen gesprochen wird. Tatsache ist aber,
dass es auf jeden Fall zwei Strömungen gibt, die seit geraumer Zeit
immer wieder um ihre friedliche Kooperation ringen. Und selbst die
verschiedenen Individuen in diesen beiden Strömungen finden oft nur
unter Anstrengung einen gemeinsamen Nenner. Eine konstruktive Kritik an
einzelnen Aspekten der Soli-Arbeit sollte deshalb auch direkt an diejenigen
gerichtet werden, die dafür einstehen.
Es geht uns um die Sprache, das, was wir zwischen den Zeilen zu
entziffern meinen, um pauschale Beurteilungen, die irgendwem um die Ohren
gehauen werden, und um einzelne inhaltliche Aussagen. Formulierungen wie
"Verteidigerriege", "die eigenen Reihen säubern",
"Solidarität ist keine Einbahnstraße", "wer
Solidarität will, muss was dafür tun" etc. halten wir nicht
für geeignet, um irgendein gemeinsames Anliegen voranzubringen. Es
ginge um die Frage, "ob die Gefangenen aus diesem Prozess herausgehen
und immer noch in den Spiegel sehen können (...)", klingt im
Kontext des Artikels eher wie die Unterstellung, es könnte nicht so
sein. Dafür gibt es aber bis heute überhaupt keine Anzeichen,
jedenfalls nicht in dem, was z.B. Axel, Harald und Matthias durchaus
öffentlich (etwa an das Soli-Büro) verlauten lassen. Mag sein,
dass tatsächlich keinerlei Unterstellung oder Anspielung beabsichtigt
war, aber das zeigt umso mehr die Notwendigkeit, bei solch delikaten Themen
auf äußerst präzise Formulierung zu achten. Desweiteren:
was bringen Rundumschläge wie die, dass "der größere
Teil der AnwältInnen nicht als links bezeichnet werden kann"?
Selbst wenn die AutorInnen so gut recherchiert haben, dass sie sich solch
ein Urteil erlauben können, vergiften sie damit nur das
Diskussionsklima, und stellen höchstens noch den Folgeschluß in
den Raum, bei der Auswahl könnten womöglich die Gefangenen auch
nicht mehr links sein... ja, und dann??
Vielleicht ist das ja Euer Problem: Ihr tappt in die Falle der BAW und
macht, absichtlich oder nicht, egal, aus den Gefangenen eine Gruppe, die
sich nun auch so verhalten muss: die pc-Anwälte berufen, "in der
Debatte um die Legitimität von militanten Widerstand eine
Schlüsselrolle einnehmen" (was für eine katastrophale
Aussage, seid Ihr Euch tatsächlich bewusst, was Ihr da verlangt???),
usw. Wieso verlangt Ihr von den Gefangenen "das Bekenntnis zu einem
sozialen Milieu" aus dem sie (für uns jedenfalls die, die wir
persönlich kennen) selber kommen und von dem sie sich nicht
distanziert haben (warum sollten sie auch...?)??? Warum drückt Ihr
ihnen eine Funktion auf, die sie vor ihrer Verhaftung uns gegenüber
nie hatten??? Harald z.B. versucht aus dem Knast raus sich weiter an den
Diskussionen im FFM zu beteiligen.
Sinnvoller wäre es sicherlich, zur Kenntnis zu nehmen, dass vier
Leute eingefahren sind, die bisher allein durch die Anklage zu einer Gruppe
gemacht werden. Die Solidarität kann sich dann allgemein auf den
Angriff gegen das politische Projekt "Linksradikaler Widerstand"
beziehen und konkret auf einzelne Menschen, die wir kennen, mit denen wir
befreundet waren/sind, mit denen wir zusammen gearbeitet und/ oder
gekämpft haben.
Euer Problem scheint uns weiterhin auch zu sein, dass ihr wortreich
Ansprüche aufstellt, Forderungen erhebt, aber keineswegs über
Konzepte noch den Willen verfügt, all das auch umzusetzen. Es geht
Euch nämlich so wie uns allen: dass unser Projekt schon eine geraume
Weile ziemlich ätzend in der Defensive hängt, dass wir uns
schwach fühlen; objektiv was Qualität und Quantität angeht,
schwach sind- und nun auch noch so einen Schlag abwehren sollen. Wo ist
denn das "große politische Potential, die Verhaftungen zum
Anlass zu nehmen, sich zu der eigenen und der RZ-Geschichte öffentlich
in Beziehung zu setzen"??? Wie kann jetzt "die politische
Öffentlichkeit verstummen", wenn es sie doch schon seit Jahren
nicht mehr gibt (jedenfalls nicht in dem hier notwendigen Sinne)???
Damit wollen wir überhaupt nicht sagen, dass wir gar nichts mehr
machen können (wäre dann ja auch unsinnig, hier zu sitzen...!).
Aber wir finden es fatal in einer Situation der Schwäche den Eindruck
zu erwecken, dass durch Unfähigkeit und Böswilligkeit oder wie
auch immer Möglichkeiten zerstört werden, die es sowieso gar
nicht gibt. Und dass die Vorwürfe auch noch anonym erhoben werden,
sich niemand herablässt, ganz brutal gesagt, die Drecksarbeit zu
machen, sondern in seitenlangen Pamphleten mit vielen Worten, die letztlich
ohne konkrete Aussage versanden (so z.B. auch im "Diskussionspapier
von einigen Autonomen aus Frankfurt und Berlin"), aber so tun, als
seien sie die Gralswächter der Solidarität, die den Gefangenen
dieselbe entziehen, weil sie nichts dafür tun, die AnwältInnen
abstrafen, weil sie sowieso nicht links seien, und das Häuflein derer,
die auf dem Zahnfleisch die letzten Reste öffentlicher und praktischer
Solidarität gewährleisten, in den politischen Abgrund
stoßen, weil diese nicht auf Linie funktionieren...
Aber genug gekotzt: Wir fordern Euch auf, kommt doch mal am Montag ins
Soli-Büro, am Mittwoch zum Plenum, kümmert Euch um
Persönlichkeiten der politischen Öffentlichkeit als
Prozessbeobachter, schickt E-mails an info@freilassung.de mit praktischen
und konkreten Vorschlägen, unterschrieben mit Euren Namen; oder macht
wie auch immer öffentlich, worin Eure Solidarität
tatsächlich besteht!!!
Nehmt Euch endlich selber ernst und richtet die Diskussion über
linksradikale Geschichte ein, die ihr dauernd fordert, fangt an mit der
politischen Kampagne zum Prozessbeginn!!! Wir tun das, was wir können,
sicherlich nicht fehlerfrei, wie sollten wir auch; wenn Euch das zu wenig
ist, dann greift uns unter die Arme, wenn Ihr meint, dieses und jenes
könnte besser gemacht werden, dann helft uns auf die Sprünge!!!
IHR SEID HERZLICH WILLKOMMEN!!!!!!!!!!!!!!
Marion, Roland & Stefan vom Soli-Büro
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