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Diskussion

Datum:
Februar 2000

Zeitung:
Swing, autonomes Rhein-Main-Info

Titel:
"Einschätzungsfragmente"

"Erste Einschätzungsfragmente zu den Verhaftungen wg. RZ ..."

Bisweilen wird die Auffassung vertreten, die Verhaftungen vom 19.12. hätten in erster Linie auf die antirassistische Bewegung gezielt. Bei den (verjährten, doch) von der Bundesanwaltschaft an vorderster Stelle genannten "Straftaten" handelte es sich um Aktionen gegen Institutionen bzw. gegen treibende Vollstrecker der herrschenden Flüchtlingspolitik. Allerdings standen bei der großaufgemachten Durchsuchung im Mehringhof keinesfalls antirassistische Initiativenbüros im Mittelpunkt des Staatsschutzinteresses. Vielmehr deutet alles daraufhin, daß sich die Suchtrupps auf den angeblich dort gelagerten Sprengstoff konzentriert bzw. damit verbunden willkürliche Schäden angerichtet haben.

Dies spricht dafür, daß es eher grundsätzlich um eine "Abrechnung" mit einem basismilitanten Ansatz geht, der für hunderte von Sabotageaktionen und Anschläge steht, die niemals aufgeklärt werden konnten. Auch mit der "Aktion Zobel" (und dem berüchtigten Weckerprogramm gegen die Rote Zora) war es dem Staatsschutz nicht gelungen, entscheidend in diese Widerstandsstrukturen einzudringen. Zwar haben dann Anfang der 90er Jahre tragende Zusammenhänge der RZ ihre Auflösung bekanntgegeben, doch das war zum geringsten Teil staaatlichem Repressionsdruck geschuldet. Vielmehr waren inhaltliche Differenzen, eigene Widersprüche und perspektivische Infragestellungen entscheidend, so daß bis heute ein (positiver) Mythos der RZ aufrechterhalten blieb: "Die RZ haben AKW-Betreiber sabotiert, rassistische Richter bestraft, soziale Bewegungen unterstützt und mit vielen anderen Aktionen Leuten aus dem Herzen gesprochen." (Textauszug aus einem aktuellen Plakat nach den Verhaftungen im Dezember)

Das Konzept, sich in autonomen, handlungsfähigen Gruppen auszuweiten ("Schafft viele revolutionäre Zellen"), scheint zwar aus vielerlei Gründen gescheitert. Vielleicht aber auch "nur eine Blockierung", die in und mit der Krise der radikalen Linken einhergeht, und, sobald soziale Bewegungen neue Dynamik entwickeln, wieder aufbrechen kann? Basismilitante Ansätze, wenn auch in reduziertem Maße und ohne jede perspektivische Aufbruchstimmung, sind als Herzschläge in Antifa-, Antira- oder AntiAKW- Mobilisierungen auch in den letzten Jahren beständig zu vernehmen. Die Option sich ausweitender, militanter Widerstandskerne, die im Mythos der RZ weiterzuleben droht, kann insofern am ehesten den völlig überzogen wirkenden Eifer begründen, mit dem einem längst aufgelösten Zusammenhang derart rabiat nachgesetztwird.

In mehrfacher Hinsicht bietet sich den Staatsschützern jetzt scheinbar die Gelegenheit, einen späten Triumpf zu feiern: Gleich zwei "Revolutionäre Plaudertaschen" (Focus) haben eine Kronzeugenrolle übernommen und den Ermittlern das Futter für Anklagekonstruktionen geliefert. Ob es sich dabei um Verrat, Verdrehungen oder Erfindungen handelt, sei dahingestellt. Hans Joachim Klein, der ja schon 1979 "in die Menschlichkeit zurückgekehrt" war, wird den Stoff zur Abrechnung mit den (ja auch innerhalb der RZ kritisierten) internationalen Aktionen der 70er Jahre beisteuern. Und Tarek Mousli hat angebliche Beteiligte von Aktionen in den 80er Jahren mit seinen umfangreichen Aussagen belastet, die es zudem ermöglichen, beide Komplexe miteinander zu verknüpfen. Das hat nicht zuletzt zum Ziel, die RZ als Gruppe hinzustellen, die von einigen wenigen Personen zentral gesteuert wurde.

Wenn, wie es ein Mitarbeiter der Berliner Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) in einem Interview tut, "RZ-Thematisierungen" an Hand der Verhaftungen als "Verengung" und "Rückschritt" bezeichnet werden, muß dem in zweierlei Hinsicht widersprochen werden: Zum einen bleibt - ganz grundsätzlich - die Verteidigung einer basismilitanten Option alles andere als Nostalgie. Zum anderen zeichnet die RZ-Flüchtlingskampagne der 80er Jahre ein sehr vielseitiges Bild. Die Fixierung gegen den Staat und die zu geringe Gewichtung der sozialen Gegenstrukturen machten ihre Reduziertheit aus. Dagegen steht eine frühzeitige scharfe Analyse staatlicher Flüchtlingspolitik, die noch heute einen guten Teil der inhaltlichen Basis antirassistischer Gruppen bildet. Schließlich ist die damals von den RZ thematisierte Frage einer übergreifenden sozialrevolutionären Perspektive brennend aktuell. Sind nicht gerade viele antirassistische Gruppen in eine Fixierung geraten, die anzugehen die "alten" Thesen der RZ noch immer geeignet erscheinen? "Wir hatten nie die Illusion, daß Teile der proletarischen Jugend, der Frauen, der Arbeitslosen oder andere Teile der Gesellschaft rasch gemeinsame Interessen mit Flüchtlingen und ImmigrantInnen entwickeln würden, dafür greift der Sexismus und Rassismus zu gut. Antiimperialismus muß aber genau dort angesiedelt sein und diesen Knoten durchschlagen." (eine RZ zu ihrem Anschlag auf Asylgerichte in NRW 1989)

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