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Datum: 2/2000
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Zeitung:
offlimits
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Titel:
Zu den Verhaftungen unserer FreundInnen und der Razzia im
MehringHof
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"Wo Gefahr ist, ..."
"...da wächst das Rettende auch", ist ein Ausspruch
Hölderlins und man kann nur hoffen, dass er sich bewahrheitet. Denn
Gefahren sind aufgetaucht in Berlins linker Szene, um die es im letzten
Jahrzehnt bis zur Unsichtbarkeit ruhig geworden war. Für den Aufruhr
sorgt eine amokermittelnde Bundesanwaltschaft (BAW), die sich auf der
heiß ersehnten Spur vermeintlicher Mitglieder der einstigen
"Revolutionären Zellen" bzw. der "Roten Zora"
wähnt. Und mit solchen "Terroristen" läßt sich ja
trefflich Politik machen. Ein Kronzeuge soll dem Staatsschutz gesteckt
haben, das nicht nur nämliche Revolutionäre in Berlin, sondern
nennenswerte Mengen von Sprengstoff sich im linken Kulturzentrum MehringHof
in Berlin- Kreuzberg finden lassen würden.
Medientauglich inszenierte die Bundesanwaltschaft sodann ihren letzten
Coup des vergangenen Jahrtausends. Mit ebensovielen BeamtInnen wie
letzteres Jahre hatte ließen die Herren aus Karlsruhe und Meckenheim
den MehringHof stürmen und das Sprengstoff- und Waffendepot suchen,
welches den erwähnten Angaben des zum Kronzeugen gewendeten einstigen
Kampfsportlehrers Tarek M., bei dem - so die vollends zum Revolverblatt
gewendete "taz" - viele Autonome ihre "Grundausbildung"
absolviert hätten, sich nahe irgendwelcher Treppenhäuser, Aufzug-
oder Heizungsschächte befinden oder befunden haben soll. Für die
BAW Grund genug, nicht nur alles an Spezialeinheiten aus dem Hut zu
zaubern, was die polizeiliche Mottenkiste der 70er und 80er Jahre zu bieten
hatte, u.a. GSG 9 und SEKs, sondern auch unter dem hysterischen Vorwand
einer Explosionsgefahr jede Menge Schlösser aufzubrechen und so einen
Schaden von über 100 000 Mark anzurichten, obwohl im Laufe jenes
frühen Morgens immer mehr MehringHoflerInnen eintrudelten, welche zu
den Räumen Schlüssel und Generaler gehabt hätten. Zu
vermuten jedoch, dass gefährliche Leute gefährliche Stoffe
ausgerechnet im MehringHof deponieren würden und dann auch noch so,
dass diese in die Luft fliegen könnten, läßt die
Fadenscheinigkeit des Vorgehens der BAW nur allzu deutlich erkennen. Ein
Trupp von 20 Spezialisten mit ihren süchtig abgerichteten Hunden
hätten dasselbe Ergebnis vermutlich schneller erzielt als die
maskierten Supercops, die sich im MehringHof auf die Füße
traten.
Freilich hätte ein derart diskretes Vorgehen nicht den
gewünschten Nebeneffekt gehabt, dass man sich einer vor
Millennium-Attentaten zitternden Öffentlichkeit andienen konnte und
das Gespenst des "Terrorismus" ein weiteres Mal dort verorten
konnte, wo man es haben will: links. Doch das Ergebnis der Erstürmung
ist ebenso eindeutig wie für die BAW blamabel. Von dem in den mit
Brachialgewalt aufgerammten Räumen und zahlreichen aufgestemmten
Hohlräumen im ganzen Haus vermuteten Explosivstoffen fand sich nicht
ein Krümel unter dem Fingernagel. Mit dieser vernichtenden Bilanz wird
nicht nur der Irrwitz der Aktion offenbar, sondern auch die
Glaubwürdigkeit des vermutlich letzten Kronzeugen auf
Gesetzesgrundlage der BRD-Geschichte schwer erschüttert. Doch halt:
Die MehringHof-Schlappe war ja nur der eine Teil der Staatsschutz-Aktion.
Zeitgleich wurden nämlich die beiden MehringHof-Mitarbeiter Axel H.
und Harald G. von SEK-Rollkommandos aus den Betten gezerrt und
abtransportiert sowie Sabine E. in Frankfurt / Main verhaftet. Der
MehringHof-Hausmeister Axel, der nach Anschuldigungen des Kronzeugen eben
jenes Sprengstoff-Depot im MehringHof "betreut" haben soll (Wer
sonst als der Hausmeister sollte diese Aufgabe auch übernehmen!) und
der Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM),
Harald G., der angeblich an Anschlägen der sogenannten
"Flüchtlingskampagne" der Revolutionären Zellen / Rote
Zora 1987 beteiligt gewesen sein soll, sitzen seither in der JVA Wuppertal
bzw. Düsseldorf in Untersuchungshaft. Nebenbei wurden noch etliche in
die Morgenstunden feiernde Partygäste unter skandalösen
Umständen über Stunden festgehalten und vier von ihnen in
Abschiebehaft genommen. Zwei von ihnen wurden inzwischen nach
Weißrußland und Bolivien abgeschoben, die beiden anderen auf
freien Fuß gesetzt. Das Thema BRD-Flüchtlingspolitik zieht sich
also auch wie ein roter Faden durch diese Tragikomödie.
Das Sondieren der Lage
In der Stadt hat sich ein Komitee gebildet, das von sich sagt,
uns zu unterstützen, indem es Geld für uns sammelt,
Anwälte organisiert und Veranstaltungen zu unserem Fall
macht, sogar in anderen Städten, und so treffen sich jede
Woche bis zu vierzig Leute dicht gedrängt um einen Tisch, die
Körper gebeugt oder betont entspannt nach hinten gelehnt,
Rauch in der Luft, andächtiges Reden durch die blauen Kringel
hindurch, Abschnippen der Zigaretten am Aschenbecher, Reiben der
Glut am Glas und ernste Blicke.(...) So sitzt sie da und
hört, wie jemand Unterstützung für die Verfolgten
zu organisieren sagt oder das wird sich noch klären oder man
wird abwarten müssen, was die Angeklagten dazu zu sagen
haben,...(...) Die Runde, die sich als Solidaritätsgruppe
bezeichnet, besteht aus Leuten, die sich zum Teil nur
flüchtig kennen, zum anderen auf den Tod nicht ausstehen
können, sich aber trotzdem ziemlich ähnlich sehen.
(...)...aber das ist nicht was ich meine, sondern der Ausdruck im
Gesicht, die Haltung, sich gegenseitig zu belauern und darauf zu
warten, daß jemand etwas sagt, was man korrigieren oder wozu
man konspirativ den Kopf schütteln könnte. Eine seltsame
Anspannung, dicke Luft wie Salami, zum Durchschneiden, und
sicherlich fragt sich Anna, unsere inzwischen rothaarige Freundin,
warum sie jede Woche wieder um die gleiche Zeit erscheint,
für ihre Verhältnisse sehr pünktlich , um
zuzuhören, wie verschiedene Leute sich gegenseitig
erzählen, daß alles unglaublich schwierig ist, 150.000
DM Anwalts- und Gerichtskosten bezahlt werden müssen, man
jetzt nichts Voreiliges unternehmen darf, sich an dieser
Geschichte ganz viel entscheiden wird, überhaupt strategisch
und so fort. (aus Raul Zelik: Friß und stirb trotzdem,
Hamburg 1997, S. 66f)
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Nach dem ersten Schreck stellte sich erstmal eine ziemlich lastende Rat-
und Sprachlosigkeit ein, denn man hatte es hier mit der Rückkehr einer
Zeit zu tun, welche allen längst als überwunden gegolten hatte.
Auch faktisch bezog sich die Staatsschutz-Aktion auf Anschläge, die
über 10 Jahre zurück lagen. Wer war der Bundesrichter
Günther Korbmacher, wer Harald Hollenberg, wo stand die Zentrale
Sozialhilestelle für Asylbewerber, was war da passiert? Eine
Vollversammlung im MehringHof und zahllose Soli-Plena und AG-Treffen
folgten, auf welchen Leute, die sich gar nicht oder kaum kannten zusammen
kamen, alle gewarnt, wie schrecklich sich mitunter solche
Gefangenensolidarität gestalten kann, und entsprechend
mißtrauisch und auf der Hut. Was war hier geschehen, welches Ziel
verfolgte die BAW mit dem ganzen Zauber und wie sollte man sich selbst
verhalten, welche Maßnahmen ergreifen, was unterlassen, was tun.
Überall wurde das Zischen mit vor den gespitzten Mund gehaltenen
Zeigefinger vernehmbar, welches jedoch kaum ankam gegen das Murmeln, Raunen
und laute Herausprusten aller möglichen und unmöglichen
Gerüchte, Parolen und Geschichten aus vergangenen Zeiten. Dem
Anachronismus der "Anti-Terror"- Paranoia des Staatsschutzes
gesellte sich der Anachronismus einiger Solidarischer hinzu, sich bruchlos
auf die RZ beziehen zu wollen, die Gefangenen für sich und einen
militanten Kitzel zu vereinnahmen und romantisierender Legendenbildung
Vorschub zu leisten. Denn wovon Anna und Artur das Herz, die
"revolutionäre Zelle", voll ist, geht ihnen der Mund
über: auf demselben Plakat, auf dem Anna und Artur dazu angehalten
werden, ihr Maul zu halten, wird den Verhafteten "bei allen
Differenzen" eben jener "Widerstand" zugeschrieben, dessen
sie die BAW beschuldigt.
Na denn, Prost! Besonders bizarr nahm sich dabei das Gerücht aus,
der Kronzeuge habe eine Liste mit den Namen weiterer 50 Verdächtiger
vorgelegt, welches als vage Vermutung den Weg aus der MehringHof-VV in die
Faktizität eines widerlichen Focus-Artikel nahm, als Zitat
schließlich der Sprecherin der BAW, Eva Schübel, zugeschrieben
wurde, welche auf Nachfrage, dies geäußert zu haben von sich
wies. Einziger wirklicher Erfolg der BAW-Aktion war, dass eine
zweibändige Dokumentation zur RZ-Geschichte "Früchte des
Zorns" (aus dem übrigens ebenfalls im MehringHof beheimateten
ID-Verlag), welche schon zum Ladenhüter zu werden drohte, sich
ungeahnter neuer Nachfrage erfreut. Denn nach dem Stochern im Nebel
über die Frage, was der Staat mit seiner völlig überzogenen
Aktion bezweckte und ob er dezidiert oder nur als Konsequenz auch die
deutsche FlüchtlingsunterstützerInnen-Szene treffen wollte,
folgte...
Das Wägen der Worte
Unser Zustand zählt genausoviel wie die Sicherheit, denn
was nützt es uns, draußen zu sein, wenn wir uns wie
tote Waschlappen fühlen, nutzlos allein. (ebenda, S. 129)
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Zu einer gemeinsamen Stellungnahme können sich - auch vier Wochen
nach den Verhaftungen - kaum zwei Personen aus dem entstehenden Soli-Umfeld
entschließen. Zwischen allzu unreflektiertem Bezug auf die
vorgeworfenen Taten - die Knieschüsse auf Korbmacher und
Ex-Ausländerbehördenleiter Hollenberg sowie den Anschlag auf die
ZSA - und die RZ-Politik allgemein und einer kompletten Distanzierung von
RZ, Gewalt und einer Geschichte der Militanz sind alle Formen von
Einstellungen vertreten oder denkbar. Und selbst eine historisierende
Annäherung an was einfach unleugbar Teil einer Geschichte auch
bewaffneter Aktionen gegen die herrschende Ordnung war, ist nur schwer ohne
emotionale Verwerfungen möglich. Wo die einen den RZ eine Rolle als
Avantgarde der gegen die bundesrepublikanische Flüchtlingsabwehr
gerichteten Bewegung zuschreiben, betonen andere, die in jenen Jahren
"legal" zur Asyl- und Flüchtlingsproblematik arbeiteten
(etwa im Rahmen der "Aktion Zuflucht" in Berlin), dass sie sich
weder um RZ-Aktionen gekümmert, noch sich auf sie bezogen oder auch
nur irgendetwas an ihnen gefunden hätten. Zwar will niemand recht
über den Sinn und Unsinn von Knieschüssen diskutieren, dass sie
schon damals "in der Szene" heftig umstritten waren, wird jedoch
allenthalben betont. Wieder andere warnen davor in Zeiten der Repression
sich zur Geschichtsschreibung (für andere) hinreißen zu lassen.
Was dabei heraus kommt ist relativ hilfloses und manchmal auch peinliches
Rumdrucksen. Diese zusammengekniffenen Arschbacken sind ebenfalls gewolltes
oder zufälliges Ergebnis der gegen den MehringHof und unsere
FreundInnen gerichteten Aktion der BAW. Dabei ist es auch nicht wirklich
wichtig, ob es in der Intention der Repression lag, auch die
Flüchtlings-UnterstützerInnen-Szene in Berlin zu treffen:
Erreicht hat sie, dass diese wie gelähmt ist und zumindest die FFM,
Haralds Projekt, unter der Mehrbelastung durch die Soliarbeit strauchelt
und kaum das Vakuum zu füllen in der Lage ist, das Harald hier
hinterlassen hat. Dabei gibt es Beispiele genug, die es geraten scheinen
lassen, sich etwas zu entspannen und sich vor allem nicht den Mund
verbieten zu lassen oder dem vermeindlichen oder tatsächlichen
Repressionsdruck durch selbst verordnetes Schweigen zuvor zu kommen.
Der Kampf um die Geschichte
Bleibt also nur der persönliche Zugang: Der Autor zum Beispiel hat
sich in den Jahren, um die es hier geht, nicht um "militante
Aktionen" in der BRD gekümmert, waren ihm diese doch eher suspekt
und stocherte er doch in anderen Tränengasschwaden und war davon
absorbiert, der offene Blick getrübt. Freilich war es oft "mehr
als nur klammheimliche Freude", die er und sein damaliges Umfeld nach
etlichen trefflichen Aktionen empfanden, zumal wenn sie im Bereich der
Sachbeschädigung blieben. In der gegenwärtigen Situation und
Sprachlosigkeit ist aber, zumal bei den Jüngeren, ein sehr starkes
Bedürfnis nach Diskussion und Vermittlung von Geschichte und Geschehen
in allen Fluren zu spüren. Und es ist aufschlußreich für
solche ZeitgenossInnen, nun zur Lektüre der Erklärungen und
entsprechender Hintergrundliteratur zu schreiten. Auf einmal geht die
Erinnerung auf an Kemal Cemal Altun, an die Skandal-Urteile zu
Abschiebungen in Folterstaaten eben jenes Bundesgerichtshofes (BGH), an
welchem Richter Korbmacher "wirkte", die Erinnerung an den Brand
im Polizeigewahrsam am Augustaplatz in Berlin unter der Ägide des
Ausländerbehörden-Chefs Harald Hollenberg, bei welchem sechs
Abschiebehäftlinge in einer überfüllten Zelle qualvoll
verbrannten, an das sogenannte Berliner Loch, durch das viele
Flüchtlinge und MigrantInnen den Weg nach West-Europa fanden und
welches die BRD mit allen Mitteln zu schließen trachtete, und an die
entstehenden Instrumente der Flüchtlingsabwehr, die uns heute noch in
perfektionierter Weise geläufig sind, wie etwa das Ausländer-
Zentral- Register (AZR).
Es gibt also keinen Zweifel, dass die RZ mit ihren Aktionen - ob nun als
Avantgarde oder als "bewaffneter Arm" einer beginnenden
Flüchtlingsbewegung oder auch völlig losgelöst - Themen
aufgegriffen haben, die auch heute noch Relevanz haben und von welchen sich
von damals bis heute durchaus, wenn auch nicht bruchlos
Entwicklungsstränge und Kontinuitäten heraus arbeiten lassen.
Dabei kommt es im übrigen überhaupt nicht darauf an, wie man sich
zu militanten Aktionen oder solchen gegen Personen stellt. Einige Zitate
aus den Erklärungen zu den Anschlägen, von denen im Zusammenhang
mit den Verhaftungen die Rede ist, lassen sich in verblüffender Weise
in den Kontext der aktuellen deutsch-europäischen, inzwischen
globalisierten Politik der Flüchtlingsabwehr und
Migrationsverhinderung setzen. Es erweist sich nämlich, dass jenseits
eines bestimmten Antiimp-Jargons und der Klassenkampfrhetorik diese
Analysen einer rassistischen Politik der Ausgrenzung durchaus stimmig
waren. In der Erklärung zum Anschlag auf die Zentrale
Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) vom Februar 1987 heißt
es zum Beispiel zur Lebenssituation von AsylbewerberInnen in Berlin und
andernorts: "Der auf niedrigstem Niveau eingeengte Lebensstandard und
die Mißachtung elementarer Hilfeleistungen (...) ist nicht der Gipfel
der Willkür, sondern die Methode eines logisch funktionierenden,
rassistischen Verwaltungsapparates."
Und heute: Die Zwangsunterbringung in Sammelunterkünften, die
Ausstattung mit einem um mindestens 30 Prozent reduzierten Sozialhilfesatz
von Sachleistungen ausgegeben wird, die zumindest im Rahmen der
Essensversorgung qualitativ der letzte, billigste Dreck und ekelerregend
sind und an den Bedürfnissen der EmpfängerInnen, zumal von
Familien, haarscharf vorbeigehen, sei hier hervor gehoben. Aber vor allem
Arbeits- und Bildungsverbote, rassistische Schikane in den Behörden,
eine gesundheitliche Mangelversorgung und die örtliche Fixierung der
Menschen über die Residenzpflicht sind nur einige Facetten eines
Systems, das immer weiter im Sinne eines Hinausekelns von nicht
erwünschten Menschen verfeinert wird. Zurückgeworfen auf die
lächerlichen 80 Mark Taschengeld pro Monat, die häufig, vor allem
in Sammellagern wie z.B. Eisenhüttenstadt, nicht einmal für einen
Anwaltbesuch mit Bahn oder Straßenbahn reichen, sehen sich viele
Asylbewerber, Geduldete und Bürgerkriegsflüchtlinge dazu
veranlaßt, heimlich zu arbeiten oder in Supermärkten sich das
nötigste zu organisieren. Über Razzien, massive polizeiliche
Kontrollen und die mediale rassistische Begleitmusik dazu erreicht es diese
Methode, sich die Begründungen für ihre Verschärfung
über Kampfbegriffe wie "Ausländerkriminalität"
selbst zu liefern. Damals wie heute ist die Einschätzung richtig, dass
Wohlfahrtsverbände wie das DRK sich "an den Lagern eine goldene
Nase" verdienen. Das DRK macht sich zu einem willfährigen
Handlanger einer gegen Flüchtlinge und MigrantInnen gerichteten
Politik und war in diesen Wochen wieder Ziel massiver Proteste gegen das
rassistische System des Asylbewerberleistungsgesetzes und die krude
Rauswurf-Politik in Berlin, welche bisher Hunderte in die Obdachlosigkeit
trieb. Dass es sich hierbei nicht nur um "die eiskalte Logik
gnadenloser Abschiebepolitiker" handelt, sondern auch um ein
westeuropäisches System von Ein- und Ausgrenzung zeichnete sich
bereits 1987 ab: "Die politischen, rassistischen Prämissen, unter
denen die Behörde agiert, stehen in direktem Interesse der
europäischen Verbündeten: systematische Abschottung
gegenüber den weltweiten Migrantenbewegungen durch Schließung
der Grenzen (...) durch Kanalisierung und Konzentration der
Flüchtlinge in Sammellager."
Die inzwischen in diesem Sinne handelnde EU ist dabei, dieses Konzept zu
erweitern und nicht nur auf Osteuropa und die Transitstaaten, sondern auch
- über die auf dem EU-Sondergipfel im Oktober 1999 in finnischen
Tampere verabschiedeten "Aktionspläne"- weltweit bis in die
"Flüchtlinge produzierenden" Kriegs-, Bürgerkriegs-,
Krisen- und Elendsgebiete auszudehnen. In diesen entstehenden
europäischen "Hinterhöfen" und EU-Einflusssphären
wird die EU auch bereit sein mit militärischen Mitteln einzugreifen,
um eine Regionalisierung von Flucht und Migration zu erzwingen und Menschen
auf der Flucht in geschlossene Sammellager umzuleiten und festzuhalten. Das
Attentat auf den rabiaten Bundesrichter Günther Korbmacher wird im
Bekennerschreiben mit dessen skandalösen Urteilen zu asylsuchenden
KurdInnen reflektiert. Korbmacher hat damit den Weg geebnet für eine
inzwischen durchgesetzte rigide Asylverhinderungsjudikatur, welche kaum
noch Möglichkeiten einer Inanspruchnahme des Rechtes auf Asyl
gemäß Grundgesetzartikel 16 zuließ und -läßt.
Die Quasi-Abschaffung dieses Rechts 1993 war im Grunde nur noch die
legislative Absicherung dieser Asylverweigerung. Korbmacher hatte in
Urteilen Mitte der 80er Jahre die Parole ausgegeben, dass Folter und
Völkermord, die der 'Abwehr von Umsturzversuchen oder
Gebietsabtrennungen dienen' (...) keine politische Verfolgung, sondern
notwendig [seien], 'denn der Staat selbst, sein Gebietsbestand und
seine Grundordnung sind Schutzgüter' (Erklärung zu Korbmacher
9/87 mit Zitaten aus seinen Urteilen zu KurdInnen und TamilInnen). In der
Öffentlichkeit setzte er sich vehement für eine Änderung des
Grundrechts auf Asyl ein. Die RZ bezeichnete ihn deshalb als furchtbaren
Juristen . Dort heißt es weiter: . "Das Asylrecht ist seinem
Wesen nach eben nicht als einklagbares Individualrecht konzipiert worden -
vielmehr ist es von vornherein allen opportunen staatlichen Auslegungen und
imperialistischen Dispositionen geöffnet worden und daher in seinem
Kern ein Staatsschutzrecht. Folglich geht es heute nicht um seine
Aushöhlung, sondern um seine Modernisierung zu einem paßgenauen
Instrument imperialer Flüchtlingspolitik." Das hat sich auch 13
Jahre danach unter den "rotgrünen" Ministern Schily und
Fischer und ihren Büchsenspannern in Verwaltung und Justiz nicht
geändert. Auch heute gehört die Abschiebemaschinerie Deutschlands
und der in der EU verbündeten Nachbarn zu den am besten
funktionierenden Bestandteilen der "Festung Europa". Wo der
Zutritt nicht verhindert werden konnte, ist der Rausschmiss sicher:
dafür geht man in Europa auch über Leichen. [hier wurden die
aktuellen Zahlen eingearbeitet, die zu Redaktionsschluß der offlimits
noch nicht vorlagen, Anm.d.Webmasters]
Die Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) hat mit der FFM die Opfer
des deutschen Genzregimes und der Ausländerpolitik gezählt"
und ihre Tode dokumentiert: an allen deutschen Grenzen starben seit der
Grundgesetzänderung 1993 113 Menschen beim Versuch, heimlich
einzureisen, 67 Menschen allein an den Ostgrenzen; 267 Flüchtlinge
erlitten bei dem Versuch, heimlich einzureisen, Verletzungen, 141 allein an
den deutschen EU-Außengrenzen; 78 Abschiebehäftlinge begingen
angesichts der drohenden Abschiebung Selbstmord oder starben bei dem
Versuch, sich der Abschiebung zu entziehen; mindestens 185 wurden bei einem
Selbstmordversuch schwer verletzt; 5 Menschen starben während ihrer
Abschiebung aufgrund von Mißhandlungen durch deutsche Beamte, 97
Abgeschobene wurden verletzt; 9 Personen wurden nach der Abschiebung im
Heimatland ermordet, mindestens 239 wurden von Militärangehörigen
oder Polizeibeamten im Herkunftsland verhaftet, mißhandelt oder gar
gefoltert, 33 der Abgeschobenen verschwanden spurlos; 9 Flüchtlinge
stasrben durch Polizeigewalt, 97 wurden dabei veerletzt, 52 Menschen
starben bei Bränden in Flüchtlingsunterkünften, 458 wurden
dabei zum Teil erheblich verletzt. Und bei dieser Aufzählung handelt
es sich nur um jene Fälle, die bekannt wurden, also in irgendeinem
Medium erwähnt wurden. Die tatsächlichen Zahlen dürften um
vieles höher liegen. Europaweit sind im übrigen über 1700
Tote(Stand Januar 2000) entlang der EU-Außengrenzen zu beklagen, ein
Großteil derer beim Versuch, das Mittelmeer zu durchqueren,
ertranken. In ihrer nicht unwidersprochen gebliebenen Erklärung
"Das Ende unserer Politik" von Januar 1992 schließlich
heißt es: "Inzwischen kann die Linke bzw. das, was von ihr
übrig ist, durch die unaufhörliche Verschärfung der
Flüchtlings- und Ausländerpolitik und die neuerlichen
rassistischen Übergriffe die bedrohliche Situation von
Flüchtlingen in der BRD nicht weiter verdrängen. Sie hat sich der
Notwendigkeit gestellt, zumindest ein Bleiberecht zu verteidigen." Von
bewaffneten Aktionen kann seither nicht mehr die Rede sein und solche
stehen angesichts der nicht nur personellen sondern auch theoretischen
Krise linksradikaler Praxis gar nicht zur Debatte. Im Moment gibt es keine
kluge Alternative zur entschlossenen Vernetzung und Schaffung
unabhängiger Strukturen antirassistischer Arbeit. Teil dieser
Strukturen sind auch Harald und Axel. Wir würden für sie die
Hände ins Feuer legen und wollen, dass sie so schnell wie möglich
wieder frei und bei uns sind.
Fritz Burschel / Forschungsgesellschaft Flucht und Migration
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