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Datum: 05/2000
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Zeitung:
megafon / Bern
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Titel:
Solidarität mit den wegen RZ-Verdacht Verhafteten
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Solidarität mit den wegen RZ-Verdacht Verhafteten
Vor vier Monaten wurden in Berlin und Frankfurt am Main drei Leute wegen
angeblicher Mitgliedschaft und Aktionen in einer "terroristischen
Vereinigung", den Revolutionären Zellen, (RZ) verhaftet. Zeit,
einen Versuch zu wagen, den Stand der Kampagne für die Freilassung und
die politischen Diskussionen, die darin geführt werden oder eben
nicht, einer Reflexion und Kritik zu unterziehen und einen Ausblick zu
wagen. Ich beziehe mich dabei hauptsächlich auf Diskussionen, die in
Zürich anlässlich der Soliveranstaltung Ende März und der
Infoveranstaltung mit Fritz Burschel Mitte April geführt worden sind,
aber auch auf Positionen und Stellungsnahmen, die in diversen
Interim-Nummern nachzulesen sind. Obwohl es noch immer Leute gebensoll, die
das Thema RZ in der Solikampagne am liebsten ganz aussen vor lassen wollen,
ist es heute jedoch völlig klar, dass einer solchen Position
spätestens bei Prozessbeginn der Boden unter den Füssen
endgültig wegrutschen wird. Eine solche Position geht zumindest
implizit davon aus, dass "meine Freunde", Bekannten etc. doch
sowas nie getan haben können und verknüpft die Soliarbeit somit
mit Bedingungen. Diese Haltung stempelt die Verhafteten zu reinen Opfern
einer durchgedrehten, staatlichen Anti-Terror-Paranoia. Dabei geht es aber
keineswegs darum, ob der oder die jetzt was mit zu tun hatte an den
vorgeworfenen Aktionen oder nicht. Es geht schlicht darum, dass jetzt Leute
im Nachhinein exemplarisch abgeurteilt werden sollen für eine
militante Geschichte, deren Akteure sich bis anhin der Justiz fast
gänzlich entziehen konnten.
Der Kampf um die Geschichte
Darüber hinaus ist absolut unbestritten, dass die RZ und die Rote
Zora in der autonomen Szene nicht nur einfach deshalb so angesagt waren,
weil sie viele gelungene Aktionen gemacht haben, sondern vor allem auch
weil sie in ihren Erklärungen und inhaltlichen Beiträgen in ihrer
Zeitung "Revolutionärer Zorn" sehr substantielle
Anstösse für theoretische Auseinandersetzungen innerhalb der
Autonomen gaben (Gen- und Reproduktionstechnologie, Antirassismus,
Patriarchat). In diesem Sinne handelt es sich bei der Soliarbeit für
die Gefangenen also auch um einen Kampf um die Geschichte. Und dass die RZ
(ein nicht unbedeutender) Teil dieser Geschichte waren, ist wohl
unbestritten. Die Auseinandersetzung sollte sich deshalb viel mehr darum
drehen, was wir heute mit der Geschichte der RZ anfangen, was wir daraus
für eine heutige politische Praxis lernen können.
Die RZ sind tot
Fritz Burschel verwehrte sich in einem "off limits"(c)Artikel
vehement gegen einen "Anachronismus einiger Solidarischer, die sich
bruchlos auf die RZ beziehen wollen, die Gefangenen für sich und einen
militanten Kitzel vereinnahmen und romantisierender Legendenbildung
Vorschub leisten". Dies finde ich insofern richtig, als dass die RZ
ihre letzte Aktion Ende 1993 bei Frankfurt an der Oder gegen die
Stromversorgung des Bundesgrenzschutzes (BGS) durchgeführt haben und
somit schon rein zeitlich bedingt, ein neues Kapitel begonnen hat, mal ganz
abgesehen davon, wie sich die gesellschaftlichen Verhältnisse in
dieser Zeit weiter verschärft und die Bedingungen für militante
Interventionen verändert haben, ohne diesen in der heutigen Zeit eine
Bedeutung und einen Sinn absprechen zu wollen. Wenn es wirklich so ist,
dass es Leute gibt, die sich als quasi "heutige RZ" sehen, finde
ich das von zwei Seiten her gesehen schwierig. Erstens gibt es kaum
militante Aktionen, die ein praktisches und auch inhaltlich-intellektuelles
Niveau haben, für die das "label" RZ stand, und zweitens
macht es eine Aufarbeitung der Geschichte der RZ, und damit meine ich vor
allem die Geschichte ihrer Widersprüche, nicht einfacher, weil so die
nötige Distanz fehlt. Ich plädiere nicht dafür, die RZ heute
kalt und steril und objektiv zusezieren. Es ist sicher nichts falsches
daran, wenn einem beim Lesen von alten RZ-Erklärungen ein Gefühl
der Freude überkommt. Denn wirklich viele der Aktionen waren
schlichtweg so genau durchdacht und ausgeführt, dass mensch auch heute
nur den Hut ziehen kann. Aber für heutige, platte Identifikationen und
Identitätsbildungen sind sie unbrauchbar, wir leben schliesslich nicht
in Jurassic Park.
Die Flüchtlingskampagne der RZ
Die Äusserung, die GenossInnen von der Forschungsgesellschaft
Flucht und Migration (FFM) in einem ak-Interview (ak, 20.1.2000)
formulierten, nämlich dass wir darüber reden sollten, was die
Flüchtlingskampagne der RZ Ende der Achtziger Jahre war und was wir
heute noch damit zu tun haben, scheint mir in die richtige Richtung zu
gehen. Dies war ja auch eine Forderung des Verhafteten Harald, Mitarbeiter
bei FFM. Die Themen bei der Solikampagne aufzugreifen, an denen die
Verhafteten zuletzt arbeiteten. Bei Harald war das vor allem die Situation
an der deutschen Ostgrenze, die Taxifahrerprozesse oder die Neonazis in
Guben. Zudem war er Co-Autor des vor kurzem erschienenen siebten FFM-Bandes
zum Krieg in Kosovo, Krieg gegen die Flüchtlinge. Ein Buch, das seit
längerem wieder mal ein richtiger Lichtblick ist, was die Schärfe
einer Analyse vor allem der Herrschaftsinteressen der EU in
Südosteuropa betrifft und darin der Umgang mit, beziehungsweise das
Verschwindenlassen von Flüchtlingen, indem sie "heimatnah"
in militärisch "gesicherte" Lager gepfercht und von
NGO's humanitäre Trostpflästerchen verteilt bekommen, dabei
aber genauestens erfasst werden, um sie bei einem Auftauchen in Westeuropa
sofort wieder zurückschicken zu können. Der ebenfalls am 19.
Dezember verhaftete Axel arbeitete in einem Initiativkreis gegen den
Schlussstrich unter die deutsche Nazivergangenheit mit. Eine Diskussion,
die in der Schweiz von den radikalen Linken verschlafen wurde, als bei uns
das Thema Raubgold und Entschädigungsforderungen topaktuell war. Somit
heisst Solidarität also auch, sich mit diesen Fragen
auseinanderzusetzen oder sich halt erst mal da reinzuarbeiten.
"Alle müssen raus"
Schon oft wurde kritisiert, dass sich bei der Solikampagne alles um
Harald und Axel drehe, dass mensch von Sabine überhaupt nichts wisse
und die anderen Gefangenen schon gar nicht mal genannt werden. Es ist aber
so, dass sich das Solikomitee sehr darum bemüht, einen Draht zu den
anderen Gefangenen zu finden. Es ist aber so, dass zum Beispiel der in
Weiterstadt einsitzende Rudolf per Anwalt ausrichten liess, mit der
Solikampagne vorerst mal nichts zu tun haben zu wollen. Das liegt
vielleicht auch daran, dass gegen ihn auch Haftbefehl wegen der OPEC-Aktion
in Wien 1975 vorliegt, weil er vom Kronzeugen Hans Joachim Klein belastet
wurde. Will mensch allerdings einem kürzlich erschienenen
Spielgelartikel glauben schenken, ist dieser Anklagepunkt so gut wie
zusammengebrochen, weil Klein zugeben musste, Rudolf mit einem anderen
RZler verwechselt zu haben. So würden sich die Vorwürfe gegen ihn
"nur noch" auf die Aussagen von Tarek Mousli über die
RZ-Flüchtlingskampagne "beschränken". Ohne den
Carlos-Altlasten-Rucksack wäre eine Zusammenarbeit vielleicht
möglich. Die Verhafteten in Frankreich sind Anfang April auf Kaution
rausgekommen. Die Kaution war mit umgerechnet 2500 Franken pro Nase
erstaunlich tief, wenn mensch sich die Vorwürfe vor Augen hält,
die die Bundesanwaltschaft den beiden macht. Am 19. April soll in Paris
über den Auslieferungsantrag entschieden werden. Die Hoffnung ist
sicher nicht unbegründet, dass die beiden nicht ausgeliefert werden,
schliesslich hat Frankreich auch vielen linken Militanten aus Italien Asyl
gewährt.
"Umgang mit Verrat"
Es ist noch immer nicht bekannt, was für Aussagen Tarek Mousli
gegenüber den Bullen macht. Den AnwältInnen wird die
Akteneinsicht aus verfahrenstechnischen Gründen verwehrt.Möglich
ist, dass innert kurzer Zeit Leute als ZeugInnen vorgeladen werden. Dies
meinte auch Besuch aus Karlsruhe in Haralds Gefängniszelle in
Düsseldorf. Die Beamten versuchten ihn damit unter Druck zu setzen,
dass sie Zeugenvorladungen androhten, falls er sein Aussageverhalten nicht
ändere, also anfange, überhaupt Aussagen zu machen. Druck
deshalb, weil es in Deutschland kein Aussageverweigerungsrecht für
ZeugInnen gibt und die somit bis zu einem halben Jahr in Beugehaft gesteckt
werden können, wie es in den Verfahren gegen die radikal oder die aiz
auch schon geschehen ist.
Die Haltungen zu den Aussagen von Tarek und zu ihm selber könnten
in den in der interim abgedruckten Texten grösser nicht sein. Ein
Schreiber drohte ihm an, er könne wie Ulrich Schmücker enden, der
1974 (?) von der Bewegung 2. Juni in einem Waldstück bei Berlin als
Verräter erschossen wurde. Kugel in den Kopf, verscharren, Problem
gelöst? Oder was? Was könnte mensch aus dem RZ-Text "Gerd
Albartus ist tot" (1991) lernen, möchte ich da gerne
zurückfragen. Sollen Widersprüche innerhalb von militanten
Gruppen bis zur letzten Konsequenz militärisch gelöst werden?
Diesen Text empfand ich als Rückfall in vergangen geglaubte
Hardcore(c)Zeiten. Auf der anderen Seite wird in der interim 497 die
Forderung aufgestellt, Tarek in die Freilassungskampagne miteinzubeziehen.
Ein im ersten Moment undenkbarer Gedanke, allerdings in der Absicht
formuliert, "die Form einer Politik zu transzendieren, die nicht nur
Gerd Albartus das Leben gekostet hat, sondern auch genau so eine Figur wie
Tarek Mousli hervorgebracht hat.
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