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Schließlich hat es offensichtlich den anderen qua Geiseln und/ oder
qua Gefangene involvierten Staaten auch ganz gut in den Kram gepaßt,
daß - wie die NZZ bereits am Samstag vor der Erstürmung
kommentiert - "mit dem Abflug der rund hundert nichtisraelischen
und nichtjüdischen Geiseln" das "Problem
israelisiert" sei und "die Verantwortung immer mehr auf
die israelische Führung" übergehe. So mußte man
sich nicht selbst die Hände schmutzig machen. Israel hatte in der Tat
zu diesem Zeitpunkt schon längst grünes Licht signalisiert
bekommen und wäre wohl auch kaum ohne vorherige Zustimmung zumindest
der USA, auf deren Veto sie hinsichtlich der Abwendung einer drohenden
Klage vor dem UNO-Sicherheitsrat angewiesen waren, in Aktion getreten. Nach
wohlgemerkt offiziellen Angaben war bspw. Außenminister Genscher
bereits am Donnerstag aus Jerusalem benachrichtigt worden, daß Israel
bestrebt sei, "Entebbe 'in eigener Verantwortung' zu
beenden" (FR 6.7.). Von daher hatte die Version von der
"Selektion nach Juden und Nichtjuden" nicht nur eine
Legitimationsfunktion für das militärische Eingreifen der
israelische Regierung, sondern bediente auch die Interessen der
westeuropäischen Staaten und der USA.
Nun ist mit der Feststellung, daß eine bestimmte Art der
Darstellung eine Funktion hat, natürlich noch lange nicht gesagt,
daß diese nicht der Wahrheit entspricht. Bestenfalls lassen sich so
Zweifel anmelden, die allerdings durch diverse Widersprüche Nahrung
erhalten. So heißt es u.a., daß nach Angaben des
französischen Außenministeriums nach der 2. Freilassungswelle am
1.7. noch "22 Franzosen, 10 Personen mit nicht näher
bezeichneter doppelter Staatsangehörigkeit, 60 Israelis, 1
Staatenloser und 12 Besatzungsmitglieder" in der Gewalt der
Entführer seien (NZZ, 4.7.76). Zweifel an der Version von der
"Selektion in Juden und Nichtjuden" bestärken auch
die diversen vermeintlichen und/ oder tatsächlichen Augenzeugenberichte
auf die sich die Presse bereits nach den Freilassungen und mehr noch nach
der Erstürmung der Maschine beruft. Sofern die Separierung der
Israelis überhaupt Thema ist - auch hier werden vor allem Aussagen
zitiert, die von einer Zusammenarbeit zwischen Uganda und den
Entführern berichten -, wird in allen diesen Berichten "nur"
von "Trennung nach Nationalitäten", "Absonderung
der Israelis"; "Abnahme der Pässe"
gesprochen.(FR 2.7., 5.7.; FAZ 2.7.; NZZ 3.7.; Die Zeit 9.7.) Selbst
die in der reichlich reißerisch aufgemachten Apologie der
israelischen Aktion Thunderbolt mit dem Titel "Neunzig Minuten in
Entebbe" (10) wiedergegebenen Aufzeichnungen von Geiseln geben
keinen Anhaltspunkt dafür, daß das Kommando ein anderes
Kriterium zugrunde legte als die anhand von Pässen ermittelte
israelische Staatsbürgerschaft. Darin heißt es u.a.:
"Tagebuch des Medizinstudenten Moshe Peretz, Flug Nr. 139. Sonntag
27.Juni: (...) 17.15 Uhr. Die Terroristen sammeln die Pässe
ein.(...)(11) Dienstag 29. Juni.(...) 19.10 Uhr. Die Terroristen trennen
uns von den anderen. Das war eine dramatische Szene. Jeder Inhaber eines
israelischen Passes muß die Haupthalle verlassen und in einen
Nebenraum gehen. Die Frauen weinen. Es ist wie bei einer Hinrichtung. (...)
Wir gehen nach nebenan. (...) Wer zwei Staatsangehörigkeiten hat,
muß auch hier herein."
(12) Die Version, daß bis zum Schluß neben Israelis,
Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft und der Besatzung zwanzig
französische Geiseln an Bord waren, wird übrigens ebenfalls von
diesen Aufzeichnungen bestätigt. Hinsichtlich der oben aufgeworfenen
Frage nach dem Fall Dora Bloch ist der zeitgenössischen Presse
folgendes zu entnehmen: Dora Bloch, Jüdin, 75, britisch-israelische
Doppelstaatsbürgerschaft wird am Fr. den 2.7. aufgrund akuter
Lebensgefahr - sie soll schwere Atemnot nach einer Mahlzeit haben - ins
Krankenhaus im 50km entfernten Kampala gebracht. Dort wird sie am Sonntag
vormittag - zu einem Zeitpunkt also, an dem das Kommando bereits erschossen
und die israelischen Militärs mit den befreiten Geiseln zurück
sind - vom britischen Botschafter zum letzten Mal lebend gesehen. Alles
weitere ist ungeklärt. Es wird gemutmaßt, daß sie von
ugandischen Geheimdienstlern aus Rache ermordet wurde. (vergl.FR 9.7,
NZZ 10.7.).
Was folgt nun aus dem Blick in die zeitgenössische Presse, der
übrigens manch linkem Schreiberling nur angeraten werden kann, damit
nicht weiterhin unzählige - zwar belanglose, aber letztlich die
Glaubwürdigkeit beeinträchtigende - Fehler reproduziert werden
(13)? Zunächst einmal bestätigt sich die Behauptung der
Referenten, daß lange vor der Selbstkritik im Gerd Albartus ist
tot-Papier von 1991 der Selektionsvorwurf bereits in der
bürgerlichen Presse erhoben wurde. Selbst wenn man die mit dem
Adjektiv "bürgerlich" zum Ausdruck gebrachte prinzipielle
Unglaubwürdigkeit derselben nicht teilt, lassen sich in der konkreten
zeitgenössischen Entebbe-Berichterstattung genug Widersprüche
entdecken, die berechtigte Zweifel an der Eindeutigkeit einer
"Selektion entlang völkischer Linien" aufkommen lassen.
So gibt es sowohl Artikel gibt, die eine explizit nazistische Selektion
nahelegen, als auch solche die von einer Sortierung nach Pässen
sprechen. Bei näherem Hinsehen divergieren diese beide Versionen nach
Zeitpunkt, nach Art des Artikels und nach dem Charakter des Presseorgans
(Selektionsvorwurf wird v.a. nach der Erstürmung vermehrt lanciert,
vornehmlich in Kommentaren erhoben und findet sich deutlich weniger in der
Tagespresse). Ganz zu schweigen von dem, was eine kritische Diskursanalyse
der Berichterstattung rund um Entebbe an darin transportierter Ideologie
offenbaren würde.
Nun sind natürlich weder die Presse noch Stevensons "90
Minuten in Entebbe", das zumindest in seiner deutschsprachigen
Ausgabe keinen wissenschaftlichen Apparat enthält, mit dem die
diversen dort wiedergegebenen Augenzeugenberichte überprüfbar
wären, geeignete Quellen, um die Abläufe in Entebbe im einzelnen
zu rekonstruieren. Da wir über keine überprüfbaren Quellen
verfügen, müssen wir wohl einstweilen mit den
Widersprüchlichkeiten leben und die Aufmerksamkeit statt auf Entebbe
auf das Wesentliche lenken, nämlich auf die politischen Urteile, die
zu Aktionen wie Entebbe führten. Dabei sollte uns jedoch immer
bewußt sein, daß derlei aus der zeitlichen Distanz und
darüberhinaus noch mit Außenperspektive unterstellte
Linearitäten ein theoretisches Konstrukt sind, mit dessen Hilfe sich
bestenfalls einige notwendigen Bedingungen herauskristallisieren lassen,
jedoch keine hinreichenden Begründungen.
In den Verlautbarungen der RZ vor allem vor 1976 wird man vergeblich
nach näheren theoretischen Bestimmungen dessen suchen, was die RZ
unter Antizionismus verstanden. Aufgrund dessen und vor dem
Hintergrund, daß eine genaue Analyse der (vor allem nach dem Zerfall
der '68er Bewegung, d.h. zu der Zeit als sich die RZ konsolidierten),
deutlicher zutage tretenden konzeptionellen Unterschiede innerhalb der
radikalen Linken hier nicht geleistet werden kann, müssen wir uns auf
eine grobe Skizze des damaligen Verständnisses einiger für
unseren Zusammenhang wichtigen politischen Termini beschränken.
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