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Zeitung:
Kassiber
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Titel:
Offene Fragen zur Geschichte und Politik der RZ "... gegen
die Filialen und Komplizen des Zionismus"
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Offene Fragen zur Geschichte und Politik der RZ "... gegen die
Filialen und Komplizen des Zionismus"
Mitte Oktober hatten Bremer GenossInnen zu einer Veranstaltung mit dem
Titel "Zeiten des Zorns - Zur Geschichte und Politik der
Revolutionären Zellen" in den Fuhrpark geladen. Vor dem
Hintergrund, daß die Bundesanwaltschaft (BAW) mit den Verhaftungen
und Durchsuchungen seit Dezember 1999 zur großen Abrechnung mit der
RZ geblasen hat (vergl. kassiber 41-43), wird seit einiger Zeit nicht
zuletzt hinsichtlich der Etablierung einer vernünftigen Soli-Arbeit
verstärkt angemahnt, daß die Linke sich eine Auseinandersetzung
mit der Politik und Geschichte der RZ weder von der BAW noch von den
bürgerlichen Medien aus der Hand nehmen lassen darf.
(1)
Die RZ, 1973 erstmals in Erscheinung getreten, wurde in ihrem knapp
20jährigen Bestehen mit ihrer militanten Praxis zum Bezugspunkt vieler
radikaler undogmatischer Linker, zur diskursiven Herausforderung und zum
Korrektiv, z.B. mit Texten wie "In Gefahr und höchster Not bringt
der Mittelweg den Tod: Krise - Krieg - Friedensbewegung", zur
Avantgarde nicht zuletzt hinsichtlich einer antirassistischen
Flüchtlingspolitik, aber auch zum Mythos. Kurz, ihre Politik und
Geschichte gehört in den Kontext der Geschichte der Linken, unserer
Geschichte, deren Spiegel sie nicht zuletzt auch mit ihren
Unzulänglichkeiten und Fehlern ist. Ausgehend von diesem Hintergrund
und angeregt durch die Veranstaltung im Fuhrpark hat die kassiber-Redaktion
beschlossen, in dieser und in weiteren Ausgaben verschiedene Themenkreise
rund um die RZ (Antisemitismus-/Entebbedebatte, Militanzdebatte,
Auflösungsdebatte etc.) erneut aufzugreifen und zu reflektieren. Im
folgenden werden, nach einigen einleitenden Bemerkungen zur Veranstaltung,
noch einmal die Ereignisse rund um Entebbe anhand einer Recherche der
zeitgenössischen bürgerlichen Presse thematisiert. Die Frage,
welche politischen Urteile Aktionen wie Entebbe zugrunde lagen, führt
im Anschluß zu einer groben Skizze
Antiimperialismusverständnisses, des Faschismusbegriffs sowie der
antizionistischen Wende der Neuen Linken. Vor diesem Hintergrund werden
schließlich Verlautbarungen der RZ der 70er hinsichtlich der Frage
des Antisemitsmus untersucht.
"Wir zeigen Euch zunächst Filmausschnitte zu '68, dann
den ersten Teil eines 1986 mit Enno Schwall(2) im Projekt Arthur
geführten Interviews, dann referieren wir über die Politik der RZ
in den 1970er Jahren, dann folgt eine Pause, danach wird der zweite Teil
des Interviews gezeigt, dann die Politik der RZ in den 1980er Jahren
thematisiert und schließlich die Diskussion eröffnet...
." Das zur Veranstaltung "Zeiten des Zorns - Zur
Geschichte und Politik der Revolutionären Zellen" bedeutend
zahlreicher als auf mancher Familienkreis-Demo erschienene,
16-66jährige Publikum ächzte hörbar angesichts der
Fülle dessen, was sich die VeranstalterInnen bzw. Referenten da
vorgenommen hatten. Mit Klaus Viehmann und Stefan Wisniewski waren
Referenten geladen, die bei vielen Linken nicht selten schon allein deshalb
einen gewissen Honoratioren-Status genießen, weil sie als ehemalige
Stadtguerilleros jahrelang eingeknastet waren. Wer derartigen innerlinken
Hierarchien eher allergisch begegnet und sich obendrein bereits selbst der
Lektüre der "Früchte des Zorns - Texte und Materialien zur
Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora" gewidmet
hat, mochte sich anfänglich gefragt haben, warum denn nun ausgerechnet
berühmte Ex-Gefangene aus RAF und Bewegung 2.Juni herangekarrt wurden,
um über die Geschichte der RZ zu referieren. Tatsächlich zeigte
sich aber rasch, daß die Erfahrungen und Auseinandersetzungen der
beiden mit Stadtguerilla und Knast (3) deutlich einfühlsamere
Perspektiven auf die Geschichte der RZ ermöglichten. Welche
Wirkungsmacht beispielsweise Anschläge gegen Justizapparat und im
Knast produzierende Firmen für die Auseinandersetzungen drinnen haben
können, läßt sich aus einer behaglichen
Schreibtischperspektive wenn überhaupt, so doch ungleich schwerer
beurteilen.
Weniger sensibel, eher routiniert dagegen ließe sich der Umgang
der Referenten mit dem Szenepublikum und den altbekannten Streitpunkten und
Fragen zum Thema RZ bezeichnen. Die teilweise für meinen Geschmack
allzu "straighte" Art, die Veranstaltung über die Bühne
zu bringen, ZwischenfragerInnen mit der Macht des Mikros auf die Diskussion
am Ende zu verweisen, Beiträge aus dem Publikum "jetzt mal so
stehen zu lassen" - was letztlich soviel heißt wie nicht
weiter für diskussionswürdig zu befinden - etc., mag vor dem
Hintergrund des umfangreichen Programms, der Unmöglichkeit, im Rahmen
einer solch großen Veranstaltung überhaupt fruchtbar zu
diskutieren, und der teilweise qualitativ mehr als fragwürdigen
Wortmeldungen verständlich sein. Weniger Verständnis kann ich
dagegen für den scheinbar in allen Punkten abgeklärten Standpunkt
der Referenten zum Thema RZ aufbringen, der den Eindruck erweckte, selbst
zu den nicht zur Sprache gekommenen Einwänden schon die Gegenargumente
parat zu haben. Allerdings sei angemerkt, daß die Referenten zu
diesem Zeitpunkt bereits unzählige Veranstaltungen in diversen
Städten hinter sich hatten. Hinzu kommt, daß das bereits vor der
Veranstaltung offensichtlich aus der sogenannten "antideutschen
Ecke" verteilte Flugblatt mit dem Titel "Zornige
Deutsche" kaum dazu geeignet war, eine offene
Diskussionsatmosphäre anzuregen. Darin heißt es u.a., die
Veranstaltungsankündigung "wie es zu der OPEC-Aktion und zu
Entebbe kam" lasse "völlig unklar, ob sich vom
Antisemitismus der RZ distanziert werden soll".
Mit anderen Worten, die VerfasserInnen fordern zwar (noch?) keine
grundsätzliche Distanzierung von der RZ, aber doch bitte schön
"wenigstens" eine Distanzierung von deren Antisemitismus. Wie
soll das gehen? Soll jetzt posthum die RZ seziert werden, in
wiederverwendbare Teile und Teile, die auf den Müllhaufen der
Geschichte gehören? Das wenig durchdachte Geschreibsel der
FlugblattverfasserInnen (4) fordert direkt dazu heraus, mit einem Zitat aus
Marc Blochs Überlegungen zur historischen Analyse "Urteilen oder
verstehen?" um sich zu werfen, das da lautet: "Wir bitten Euch
inständig, ihr Anhänger und Gegner Robespierres: Habt Erbarmen
und sagt uns ganz einfach, wer Robespiere denn eigentlich war!"(5)
Nun, wir sind keine HistorikerInnen, und unser Interesse an der
Geschichte der RZ sollte kein rein beschreibendes sein, sondern eins, aus
dem sich für die Zukunft im positiven wie im negativen Sinne
Handlungsperspektiven gewinnen lassen, wozu es des Urteilens bedarf. Allein
manch Linken, die allzu voreilig von der hohen Warte einer scheinbar
lückenlosen Theorie Minos und Osiris (6) spielen, stünde etwas
mehr Bemühen um Verstehen, Begreifen und Wissen um den konkreten
sozialhistorischen Kontext, um die Erfahrungen, Hoffnungen und
Enttäuschungen der in ihm handelnen Menschen usw. nicht nur recht gut
zu Gesicht, sondern das sind überhaupt erst einmal die
Voraussetzungen, um die Strukturen und Bedingungen zu erkennen, die zu
einem fragwürdigen Begriff von Antizionismus und nicht weniger
fragwürdigen Vorstellungen von Solidarität mit
Befreiungsnationalismus führten. Nur so, und nicht mit den Kategorien
Rehabilitierung/Mystifizierung hier und Distanzierung da, lassen sich
Erkenntnisse für die Zukunft gewinnen.
2. Kapitel
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