Zur Geschichte des Anti- Rassismus
in der BRD
Redaktionelle Vorbemerkung: Der nachfolgende Text über die
Theorie und Praxis der Flüchtlingspolitik der Revolutionären
Zellen in den 80er Jahren wurde mit nur unwesentlichen Veränderungen
auf der als "Zur Geschichte des Antirassismus in der BRD" auf dem
dritten Grenzcamp angekündigten Veranstaltung am Mittwoch, den 2.
August um 21 Uhr vorgetragen. Bedingt durch eine gleichzeitig stattfindende
Aktion am Mahnstein für den in Guben in den Tod gehetzten algerischen
Flüchtling konnten viele an dieser Veranstaltung nicht teilnehmen. Die
Veranstaltung dauerte ungefähr zwei Stunden und inklusive der
nachfolgenden Diskussion nahmen daran ca. 50 Leute teil.
Es treten zunächst fünf Leute auf, die rund um einem Tisch
sitzen. Für kurze Zeit werden sie von einer weiteren Person, der sich
als Bodo vom Berliner Solidaritätskomitee mit den Verhafteten
vorstellt, unterbrochen.
Es sprechen:
Harry = Vollautonomer, findet Militanz gut
Karl = Findet den Weltproletariatsansatz der RZ gut
Lisa = sieht nicht ein, sich den Untergang der DDR ans Bein binden zu
lassen
Jerzey = weiß wenig, ist neugierig und interessiert
Lotte = theorieinteressierte Antira-AktivistIn.
Harry: Schönen Guten Tag auch. Wir machen heute abend hier eine
Veranstaltung zur Theorie und Praxis der Flüchtlingspolitik der
Revolutionären Zellen. Der offizielle Titel Zur Geschichte des
Anti- Rassismus in der BRD heute abend ist nur eine Tarnbezeichnung
dafür. Uns war klar, das wenn wir das öffentlich so
angekündigt hätten, wie wir das heute abend vorhaben, das wir
dann im Vorfeld einige Schwierigkeiten bekommen hätten. Die haben wir
aber jetzt durch diesen schönen Trick umgangen. Und überhaupt war
die Flüchtlingspolitik der Revolutionären Zellen ein wichtiges
Element in der antirassistischen Arbeit der 80er Jahre.
Lisa: Ja genau. In der sechsten Ausgabe der Kampagnenzeitung von kein
mensch ist illegal, der deportation class vom März stand zu
lesen, daß "die Praxis von RZ und Roter Zora in den sozialen
Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre breite Zustimmung" fand,
und das es sich überhaupt um ein "erfolgreiches basismilitantes
Konzept " gehandelt hat, gegen das der Staatsschutz kaum
Ermittlungserfolge vorweisen konnte.
Karl: Wie haben die das denn 'rausbekommen, so mit "breiter
Zustimmung in den 70er und 80er Jahren"? Haben die Revolutionären
Zellen damals nach ihren Anschlägen immer 'ne Meinungsumfrage
gemacht, oder was? Ich bin jedenfalls damals nicht gefragt worden.
Lisa: Was willst du uns denn bloß damit sagen?
Karl: Naja, ich finde es heute absolut irrelevant, ob die
Revolutionären Zellen damals mit ihren Sachen ne "breite"
"sehr breite" oder meinetwegen auch eine "extrabreite
Zustimmung" bekommen haben oder nicht. Und das noch in irgendwelchen
ominösen "sozialen Bewegungen" die damals erstens so stark
nicht waren, leider, und die zweitens heute ohnehin nicht mehr existieren.
Darum geht es doch überhaupt nicht ...
Jerzey: Sag' doch mal um was denn geht?
Karl: Ja vielen Dank für diese schöne Frage: ich finde, das es
darum geht die Flüchtlingsfrage im Zusammenhang mit den Entwicklungen
und Bewegungen des Weltproletariats zu diskutieren. Wenn ich das schon
immer höre: Kein mensch ist illegal, kein mensch ist illegal.
Mensch Meier, Wer Menschheit sagt, der will betrügen, und auf mensch
das reimt sich doch überhaupt nix und wir landen alle in der
Kirche.
Lotte: Das ist ja interessant, daß du hier den rechten
Freund-Freind-Politiktheoretiker Carl Schmitt zitierst. "Wer
Menschheit sagt, der will betrügen" das hat der tatsächlich
gesagt. Und nun kommst ausgerechnet du damit. Du kritisierst aus meiner
Sicht ganz richtig, die ganze Kirchenorientierung der "kein mensch
ist illegal" Parole, und schüttest dann aber gleich das ganze
- in der Tat komplizierte Kind mit dem Bade eines halbfaschistischen
Politiktheoretikers aus.
Karl: Aber Moment mal, ich habe doch ...
Bodo (kommt aus dem Publikum zum Tisch) Nee Stop mal. Lass mich jetzt
mal was sagen. Ich bin Bodo vom Berliner Solidaritätskomittee zur
Freilassung der Gefangenen vom Dezember 1999. Aufgrund der Aussagen des
für die Bundesanwaltschaft tätigen Tarek Mousli sind
zwischenzeitlich fünf GenossInnen wegen Mitgliedschaft und andere
Sachen im Zusammenhang mit den Revolutionären Zellen inhaftiert. Das
sind: Harald, der hat hier übrigens auch das erste Grenzcamp 1998 mit
organisatorisch auf die Rolle geschoben, Sabine, Lothar, Matthias und
Rudolf. Die Aussagen von dem Schwein Tarek Mousli haben dazu geführt,
dass diese GenossInnen jetzt im Knast sitzen. Es liegt jetzt an uns, sie
nicht allein zu lassen und sie so lange zu unterstützen, bis sie
wieder draußen sind. ich geh' jetzt gleich mal 'rum mit der
Spendenbüchse sammeln. Ansonsten ist mir nicht klar, was diese
Veranstaltung hier heute abend soll: Die Erfahrung zeigt doch, das je
öffentlicher Sachen verhandelt werden, desto mehr wird über sie
phantasiert und spekuliert. Das bringt gar nicht. (geht wieder vom Tisch
weg)
Harry: (Ruft Bodo hinterher) Ach das finde ich ja zum Piepen, das du uns
hier heute abend noch mal die Zentralposition der bisherigen Berliner
Soliarbeit zu den RZ-Verhafteten zum besten gibst: "Die Erfahrung
zeigt doch, das je öffentlicher Sachen verhandelt werden, desto mehr
wird über sie phantasiert und spekuliert". Das ist eine
wunderbare Aussage. Na, herzlichen Glückwunsch auch. Wer so denkt und
das sogar noch gebacken bekommt, sowas auch noch öffentlich zu
verbreiten, der soll doch lieber gleich nach Hause gehen ...
Jerzey: Das finde ich jetzt aber unsolidarisch von dir. Ich glaube, dass
wir alle froh darüber sein können, dass sich überhaupt Leute
dafür finden, mühselige Soliarbeit zu machen, und das Geld
dafür zu sammeln. Die haben schon genug damit zu tun, dass auf die
Reihe zu bekommen, bei den begrenzten Kapazitäten und den ganzen
Widersprüchen. Da kannst du von denen gar nicht verlangen, dass sie
sich um viel mehr Sachen noch den Kopf machen.
Harry: Ach jetzt stellst du den wohl noch den Jagdschein aus, was?
Jerzey: Wie bitte?
Harry: Jagdschein ist nur eine andere Umschreibung für Paragraph
21, das heißt im Strafgesetzbuch: verminderte
Zurechnungsfähigkeit. Klar sind wir alle darauf angewiesen, sind, dass
es Leute gibt, die sich für so scheinbar banale Sachen wie Geld
sammeln und so weiter den Rücken krum machen. Aber das dann mit
so' ner Kopf in den Sand-Politik zu betreiben, dass wenn man
öffentlich darüber redet, das dann spekulieren und so. So ein
Müll, Unfug. Die Verhaftungswelle gegen die fünf Genossen sind
durch die Aussagen des Schweines Tarek Mousli zustande gekommen, und nicht
dadurch das irgendwelche Leute spekuliert haben. Das ist die Wahrheit und
keine andere.
Lisa: Hui, hui. In der Diskussion ist aber jetzt mächtig Dampf
drin. Aber wir wollten heute abend doch nicht über die mehr oder
weniger gut gelungene Soliarbeit vom Berliner Bündnis diskutieren,
sondern über die Flüchtlingspolitik der Revolutionären
Zellen in den 80er Jahren. Dafür hat auch der Genosse Harald in einem
seiner letzten Briefe aus dem Knast gesprochen. Die beste Solidarität
gegen die Repression ist die, über die Sachen, die vom Staat
angegriffen werden sollen, so öffentlich wie möglich zu sprechen
und zu diskutieren,. Und da ist klar, daß die Bundesanwaltschaft noch
heute sauer darauf ist, daß da so 'ne Organisation jahrelang eine
Anschlagskampagne gegen rassistische Institutionen und
Schreibtischtäter führt, und sich dann einfach, - so mir nichts
dir nichts, - auflöst und scheinbar im Nichts verschwindet. Klar das
die sich dafür rächen wollen. Und da finde ich es schon
interessant was das eigentlich mit uns heute zu tun hat. Schließlich
sind wir hier ja auf dem Dritten antirassistischen Grenzcamp und nicht auf
dem Münchener Oktoberfest. Also wie bringen wir denn jetzt diese
Diskussion in Gang?
Lotte: Uff, uff. Die Revolutionären Zellen, das ist ja ein
Riesen-Thema. Die beiden schwarzen Bände "Früchte des
Zorns" umfassen schlappe 800 Seiten. (Hält ein Exemplar hoch).
Bis man die alle gelesen hat, ist schon viel Wasser die Oder
'runtergeflossen. Also o.k. ich mach jetzt mal einen ersten Versuch,
wie wir in die Diskussion kommen können. Ich glaube, dass man die
Revolutionären Zellen in drei Zugängen diskutieren kann: 1.
Die Gewaltfrage. 2. Die Organisationsgeschichte und 3. Ihre theoretischen
Begründungen. Womit sollen wir also anfangen?
Jerzey: Also ich finde die Gewaltfrage total spannend. Bei den
Revolutionären Zellen war immer klar, dass das nicht so 'n
Rumgehopse wie hier auf dem Grenzcamp ist, mit Happening und
"Gute-Laune und gut-drauf-Charakter und so. Von dieser Organisation
sind reale Angriffe sowohl gegen Figuren wie gegen die Institutionen der
Flüchtlingspolitik gelaufen ....
Harry: ... Ja, allein in den Jahren 1986 bis 1991 hat es gegen die
imperialistische Flüchtlingspolitik sechzehn Anschläge
gegeben...
Lotte: Sechzehn Anschläge, was ist das denn, das ist doch keine
Politik ....
Karl: ... aber jedes Jahr einmal Grenzcamp machen, dass ist wohl eine
ziemlich intelligente und schlaue Politik wa ...?
Lisa: Moment! Laßt uns bitte nicht auf so einem blöden Niveau
'rumstreiten. Das nützt niemanden. Grenzcamp ist Grenzcamp und die
Revolutionäre Zellen sind Revolutionäre Zellen. Und
die haben sich als Guerilla, das heißt als auch bewaffnet
kämpfende Gruppe verstanden, und die kamen aus der Epoche des kalten
Krieges zwischen dem Westen und dem Osten. Als die sich Ende 1973
gegründet haben, da hatten die damaligen GenossInnen die Erfahrungen
mit dem faschistischen Putsch in Chile im Nacken, wo tausende von Linken
vom diesem Schwein Pinochet weggeschlachtet, ermordet oder ins Exil
getrieben worden sind.
Jerzey: Du meinst diesen Pinochet, der Busenfreund von Margaret
Thatcher, der jetzt ein Jahr lang in London in so 'ner Art Luxusknast
war, bevor die diesen Wichser wieder nach Chile in Freiheit entlassen
haben?
Lisa: Ob der heute noch ein "Wichser" ist, wie du sagst,
weiß ich nicht. Aber genau den meine ich. Im September '73, da
waren Zehntausende von Linken im Fußballstadion von Santiago
eingesperrt, die ganze Stadt war ein einziges großes Schlachthaus.
Das war furchtbar, da fehlt uns heute die Vorstellung von. Das wurde
weltweit registriert, und überall gab es riesige
Solidaritätsbewegungen. Und in diesem Zusammenhang war es völlig
richtig und legitim, daß sich aus den Reihen der damaligen
revolutionären Linken in der BRD die Revolutionären Zellen
als Antwort darauf gegründet haben. Die Situation zwischen
Imperialismus und Konterrevolution auf der einen, und den weltweiten
Befreiungsbewegungen schien damals jedenfalls noch eine offene zu sein. Am
1. Mai 1975 skandierten zehntausende überall in Europa und in der BRD:
"1. Mai Saigon ist frei!" . Die rote Fahne flatterte über
den Gebäuden der Yankee-Botschaft in Saigon. Da haben sich viele total
darüber gefreut.
Harry: Bin ich jetzt hier in einem Geschichtsseminar gelandet?
Lisa: 'N bißchen Geschichte könnte dir auch nicht schaden
du "ham-wa-aba-hass-Vollautonomer". Lange Rede kurzer Sinn, - und
damit springe ich jetzt extra für dich lieber Harry mitten hinein in
die jüngste Gegenwart: Die Organisation Revolutionäre Zellen gab
es letztlich genauso lange wie es die DDR und die Sowjetunion gab. Als die
futsch waren, haben die RZ-GenossInnen ihren Laden auch dicht gemacht. So
ist das!
Karl: Genau, das müssen wir begreifen und analysieren
Lisa: Was meinst du damit?
Karl: Ja , was es für uns heute bedeutet, das es die DDR und die
Sowjetunion nicht mehr gibt, das hat 'ne totale Bedeutung für uns
heute!
Lisa: Ach nee, ich hab' mich nie auf die DDR bezogen, da war ich
immer gegen, das hat mich nie interessiert ...
Karl: Aber das kannst du doch nicht sagen ...
Lisa: Klar kann ich das sagen ...
Karl: Bitte nun hör mir doch bitte mal zu. Ob wir nun die DDR nun
gern gehabt haben oder nicht; Sie war ein Faktor im internationalen
Kräfteverhältnis. Und schon allein ihre Existenz hat den Begriff
Sozialismus im Spiel der internationalen Kräfte gehalten. Wenn wir
heute sagen, dass uns das im Westen in eigentümlicher Weise genutzt
hat, dann sagen wir damit nicht zugleich, das wir es gut finden oder
gefunden haben.
Lisa: Ich weiß' nicht was du willst. Ich hab' mich nie
darauf bezogen und finde das auch im nachhinein noch richtig. Es finde es
sogar gut, dass die DDR jetzt weg ist. Endlich ist der Raum frei
dafür, zu sagen was man wirklich will, ohne sich ständig
abgrenzen zu müssen.
Lotte: Ich finde die Debatte, ob es nun gut war, dass es die DDR gegeben
hat oder nicht ziemlich steril. Für uns ist das doch Grundkonsens,
dass es die DDR nun nicht mehr gibt oder täuscshe ich mich da? Was es
aber noch gibt sind die Begründungen der Revolutionären
Zellen aus deren Flüchtlingspolitik der 80er Jahre. Sind die nun
heute falsch, richtig oder was? Was finden wir daran spannend, oder
können wir das heute alles auf den Schrott werfen?
Jerzey: Ja, das würde mich auch interessieren!
Lotte: Na, fein Jerzey, da hast du aber jetzt schön
aufgepaßt.
Karl: Also den Stil mit dem ihr euch hier anmacht, finde ich zum Kotzen.
Das ist ja ein total mieser Umgang miteinander. Darauf hab' ich absolut
keinen Bock darauf. Sowas war schon bei der letzten Shudoda-Aktion in
Schönefeld totale Scheisse, wie da die Leute miteinander umgegangen
sind.
Harry: Manche sind in den Konflikten nicht immer so stilsicher, wie du
Karl! Damit mußt du lernen zu leben ...
Karl: Danke!
Harry: Bitte! Ich les' euch jetzt mal 'ne Passage aus einer
RZ-Erklärung aus dem Jahre 1986 vor, die auch heute noch ziemlich gut
finde: "Die Revolutionären Zellen schreiben dort: Mit unseren
Aktionen "wollen (wir) zur Rückgewinnung eines konkreten
Anti-Imperialismus in der BRD beitragen - in diesem Zusammenhang steht
unsere Orientierung an der Flüchtlingsfrage. Denn Anti-Imperialismus
bedeutet nicht allein Angriff auf militärisch -industrielle Apparate
und ist mehr als Solidarität mit fernen Befreiungsbewegungen. Unsere
Aufgabe ist es, eine antiimperialistische Politik auf die Klassenfront hier
und auf die Rückwirkungen in diesem Land zu beziehen." Und dann
schreiben die Revolutionären Zellen weiter: "Noch wissen wir
nicht, ob sich an der Flüchtlingsfrage antiimperialistische Politik
mit Konfrontationslinien im entgarantierten Sektor verbinden wird, aber der
Kampf um das faktische Aufenthaltsrecht für Flüchtlinge ist auch
dann richtig, wenn er vorerst von den weißen Schichten des
Proletariats weitgehend isoliert bleibt". "Erkämpft das
freie Aufenthaltsrecht für alle Flüchtlinge und
Immigranten!"
Lotte: Kannst du mir jetzt bitte sagen, was du daran gut findest?
Harry: Die Revolutionären Zellen reden doch da von mehr als nur von
Menschen oder Flüchtlingen wie die Kampagne "kein mensch ist
illegal" Eben: Antiimperialistische Politik!
Lotte: Ja, das war 1986, das ist nun auch schon 'ne Weile her
...
Harry: Sag' mal, willst du mir jetzt erzählen, bloß weil
'89 die Mauer umgefallen ist, das wir es jetzt hier nicht mehr mit
Imperialismus zu haben? Das darf doch wohl nicht wahr sein?
Lisa: Nein, das Problem ist doch nicht, aus dem ganzen Sack an Papier
der Revolutionären Zellen hier und da ein paar Sachen
'rauszukramen, die auch heute noch ganz gut und richtig sind. Da gibt
es sicher einiges. Das Problem ist doch, welche Sachen man davon heute
weiterführen kann und welche nicht.
Lotte: Na, aber dafür kann es nicht schaden, sich eben diese
Erklärungen noch einmal genauer anzugucken. Immerhin formulieren die
Revolutionären Zellen echt 'n bißchen mehr als die
Kampagne kein Mensch illegal. Die Forderung nach "Freies Fluten"
steht da ganz klar im Zusammenhang mit der Armutsfrage hier in dieser
Gesellschaft, die bekanntlich noch weit mehr als nur die Flüchtlinge
betrifft.
Jerzey: Die Forderung nach: Freies Fluten ist doch nach dem Fall
der Mauer realisiert. Also haben die Revolutionären Zellen mit ihrer
Politik Erfolg gehabt. Und das war dann auch der Grund dafür sich
aufzulösen, was sie denn ja auch getan haben.
Karl: Spinnst du? Die Forderung nach Freies Fluten soll sich
realisiert haben? Hier mittendrin so im Grenzregime mit
BGS-Dauerpräsenz, Denunziations- und Fahndungsbereitschaft der
Bevölkerung, rassistischer Abschottungs und Dicht machen - Politik von
Kanther bis Schily? Das nennst du die Einlösung der Forderung nach
Freiem Fluten?
Jerzey: Komm' mir doch nicht mit sowas! Klar, das die staatlichen
Apparate und Teile der Bevölkerung versuchen Dicht zu machen und
rassistisch gegen Leute zulangen, die sie für
"Ausländer" halten. Aber es ist genauso wie schon beim alten
Rom. Die haben auch Dämme und Wälle gebaut, aber es hat ihnen auf
Dauer nichts genutzt. Auch das wird die kommenden Migrationsbewegungen
nicht aufhalten können.
Lisa: Das ist ein gar nicht mal so uninteressanter Gedanke. Die alten
Ordnungssysteme der Welt von vor 1989 sind verschwunden und die Welt ist in
eine große Unruhe eingetreten. Überall machen sich die Leute auf
den Weg nach einem besseren Leben. Und viele glauben, das sie das hier im
bunten Westen mit den ganzen Menschenrechten finden. Und auf dieser Reise
sind sie ungeheuer findig. Die wird auch ein noch so gutes Grenzregime des
Bundesgrenzschutzes nicht aufhalten können.
Karl: Ja meinetwegen. Wer will schon bestreiten das es globale
Migrations- und Fluchtbewegungen großen Ausmaßes gibt? Die
Frage ist doch nur die, als was das genau begriffen wird. Ein allgemeines
menschliches Brummen hilfloser Opfer, die durch die Regionen irren, oder
als eine unkontrollierte Bewegung des Weltproletariats.
Jerzey: Wie bitte?
Karl: Du hast richtig gehört: Weltproletariat: Die
Revolutionären Zellen haben dazu schon ganz hellsichtig im Jahre
1986 geschrieben, daß ihre Aktionen "wirkungslos verpuffen
werden, wenn sie nicht zur Entwicklung eines neuen Ansatzes von
Antiimperialismus der radikalen Linken beitragen." Denn nach ihrer
Auffassung ist die Flüchtlingsfrage keine humanitäre oder
juristische Frage und beschränkt sich nicht auf die Frage des
politischen Asyls. Für die Revolutionären Zellen ist die
Flüchtlingsfrage "Teil eines globalen Klassenkampfes und Ausdruck
eines vom imperialistischen Weltsystems gesetzten Widerspruchs, der ein
Proletariat neuen Typs hervorbringt; die mobilisierten, vertriebenen,
entwurzelten Massen der 3. Welt"
Jerzey: Und nun?
Karl: Was "und nun?"
Jerzey: Das sind große Worte der Revolutionären
Zellen, allein ich frag' mich: Stimmen die auch? Der Begriff
Proletariat bemißt sich in seiner Stellung im Produktionsprozess. Die
"Vertriebenen, entwurzelten Massen der 3. Welt" von denen die
Revolutionären Zellen in ihrem Text sprechen, sind doch - in der Regel
- noch gar nicht Teil eben dieses unmittelbaren Produktionsprozesses
geworden. Aus der Sicht des Kapitals sind die doch schlicht
überflüssig. Es handelt sich also bei diesen Massen gerade nicht
um das neue Weltproletariat, sondern in einem viel präziseren Sinn um
die Überflüssigen. Das ist der Punkt, und nicht die Feier einer
Arbeitertümelei aus dem vergangenen Jahrhundert.
Karl: Aber Moment, ich...
Lotte: Bevor die Herren der Schöpfung hier endgültig ins
akademische wie private Zwiegespräch versinken, sollten wir doch schon
eines mal festhalten: Ob wir die wenigen aus der Dritten Welt hier
ankommenden Flüchtlinge oder Migranten nun Weltproletariat oder
Überflüssige nennen: Auf jeden Fall verkörpern sie mit ihrer
Ankunft und Anwesenheit mindestens einen Widerspruch: Und zwar den einer
ungerechten Reichtumsverteilung zwischen Nord und Süd.
Jerzey und Karl (gemeinsam) Stimmt!
Lotte: Ihr sollt mir nicht immer nach dem Mund reden! Worauf ich mit
diesem zunächst einmal mit dieser sehr allgemeinen Benennung dieses
Widerspruches hinaus will, ist es politisch eine Klammer zu stiften,
zwischen unterschiedlichen politischen Ansätzen. Denn die
Revolutionären Zellen haben in ihrer Flüchtlingspolitik doch
einen ziemlich plumpen Massenarbeiteransatz aus den 70er Jahren versucht,
fortzuführen.
Lisa: Wie bitte?
Lotte: Der Begriff "Massenarbeiteransatz" stammt aus der
italienischen Diskussion der frühen 70er Jahre. Damals haben sich
tausende von Arbeitern in den Automobilfabriken von FIAT und Alfa Romeo
nicht mehr von der Gewerkschaft und den Arbeiterparteien vertreten lassen,
sondern haben selber zugeschlagen. Die Montagehallen wurden schwer
verwüstet, die Chefs und Meister vertrieben, ... und so weiter. Das
ganze ist dann von Autonomia-Leuten wie Negri in so 'nem modernisiertem
Avantgardismus und Leninismus theoretisch ausgearbeitet.
Jerzey: Wir kommen heute abend bei dieser Diskussion ganz schön
'rum auf der Welt: Erst Chile, dann Rußland, die DDR, Vietnam und
nun sind wir in Italien. Aber was hat das denn alles mit dem toleranten
Brandenburg zu tun?
Lotte: Jerzey, halt jetzt bitte mal für einen Moment die Klappe!
Für Italien jedenfalls hat diese avantgardische
Arbeiter-Autonomie-Karte dann - aus verschiedenen Gründen - nicht
gestochen. Und dann wurde noch mal von den Revolutionären
Zellen versucht, das für die BRD Mitte der 80er Jahre in der
Flüchtlingsfrage aufzuwärmen. Aber ich hatte ja schon gesagt, das
das 'ne ganz plumpe Angelegenheit war.
Harry: Nicht alles was du meinetwegen als "plump" bezeichnest,
muß dann in einem politischen Sinne auch schlecht oder falsch sein
...
Lotte: Na, das wundert mich jetzt nicht, das ausgerechnet du das jetzt
sagst, Harry ...
Harry: Ach was, Papperlapap. Hört auf mich dauernd in die
Vollautonomen-Blöd-Tüte zu stecken!
Karl: Also ich finde, daß Harry wenigstens an diesem Punkt gar
nicht einmal so unrecht hat. 'N bißchen Avantgardismus
könnte sowohl unser Szene als auch dem ganzen Antira-Bereich
überhaupt nicht schaden. Diese permanente auf den Buchnabel gegucke
und dieses kein mensch ist illegal -Gejammere und Gewinsel. Das kann
ja für ein paar unerbeschäftigte Mittlelschichtsleute und
Jugendliche 'n ganz netter Zeitvertreib sein, mit einem Kampf um
Gesellschaftsveränderung hat das aber überhaupt nix zu tun. Es
muß wirklich wieder um erheblich mehr gehen, als nur
Flüchtlinge, Flüchtlinge, Flüchtlinge , schlimm, schlimm,
schlimm...
Lisa: Was schlägst du denn vor?
Karl: Ich hab' schon einfachere Fragen gestellt bekommen. Aber gut,
ich will es mal probieren. Wir werden in den nächsten zehn Jahren auch
hier in den Metropolenländern deutlicher als jemals zuvor mit den
fünf großen Geiseln der Menschheit konfrontiert sein: Krieg,
Rassismus, Antisemitismus, Armut und Massenarbeitslosigkeit. Wenn das
Richtig ist, oder besser: Hier niemand diese Prognose ernsthaft in Frage
stellt, dann ist es erstens richtig sich hieran und natürlich dagegen
zu organisieren. Und zweitens ist es dafür notwendig die Frage zu
diskutieren, wer denn ein Interesse daran besitzt oder besitzen soll, sich
gegen diese Übel zu organisieren. Aus meiner Sicht sind das die
Überflüssigen, von denen die Flüchtlinge und MigrantInnen
ein - nebenbei bemerkt - körperlich außerordentlich beweglicher
Teil sind.
Lotte: Aber mit Verlaub, wie glaubst du denn, das sich ausgerechnet die
Flüchtlinge politisch organisieren sollen? Die wollen doch nicht
Flüchtlinge bleiben, sondern die wollen wieder einen Job, eine nette
Wohnung, Ruhe und Frieden haben, und nicht "Politik" machen.
Karl: Ja, und, das kann schon alles sein. Politik und
Organisierungsideen lassen sich nicht einfach darauf zusammenkürzen,
was aus den einzelnen Leuten wird, die einmal die Notwendigkeit hatten,
sich eben "auch politisch" zu organisieren. Natürlich
müssen die Flüchtlinge, und übrigens wir selber ja auch,
immer auch individuell gucken, wie wir überleben oder noch besser: Wie
wir schon heute möglichst gut leben. Und ich will dir auch noch ein
klares Ziel benennen, um das es meiner Meinung nach,- übrigens nicht
nur alleine hier auf dem Grenzcamp - gehen sollte: Glück und
Kommunismus. Ja, ihr habt ganz richtig verstanden: Glück und
Kommunismus
Lisa: Ei, ei, jei, jei. Also Kommunismus nee, nee ,ich weiß ja
nicht. Das würde ja jetzt eine richtig tiefe philosophische
Grundsatzdiskussion bedeuten, die an dieser Stelle zu weit führen
würde.
Karl: Ja genau, endlich mal weit 'raus aus diesem ganzen Familien-
und Szene-Geklüngel ...
Lotte: Nein, du mißverstehst das. Unser Thema ist heute abend
nicht: Glück und Kommunismus. Da sollten wir gerne mal ein anderes Mal
darüber reden, und das dann auch besser vorbereitet. Unser Thema ist
heute abend: Antirassismus und die Politik der Revolutionären
Zellen. Ich finde das wir dabei deshalb bleiben sollten, um das heute
abend noch vernünftig auf die Reihe zu bekommen. Also mich würde
jetzt noch mal interessieren, wie wir denn eine bestimmte Form der Militanz
dieser Gruppe, - ich meine jetzt nicht die Anschläge mit Sachschaden,
da kenn' ich niemanden von meinen Freunden, die sich darüber
beschwert haben - Nee, ich meine wie wir die Pistolenattentate, die
Knieschüsse in die Körper von Hollenberg und Korbmacher
finden?
Harry: Was fragst du da? Meinst du ich oder irgendwer stellt sich jetzt
hier öffentlich hin und sagt: Ja, dufte Anschläge auf Korbmacher
und Hollenberg, weiter so, finde ich gut oder was? Darüber kannst du
doch nicht hier in dieser öffentlichen Veranstaltung, wo bestimmt
'n paar Schmiermichel von den Bullen und dem VS sitzen, frei reden. Ich
finde deine Frage bekloppt.
Lisa: Na, man muß nicht jede Frage im eins zu eins-Verfahren
diskutieren oder beantworten. Manche läßt man auch einfach mal
so stehen. Ich finde jedenfalls als einen Aspekt an der Theorie und Praxis
der Revolutionären Zellen interessant, das sie ausgerechnet
dann ihre Anschläge eingestellt haben, als zumindest ein Teil ihrer
Analysen, - oder ich sag' jetzt mal besser: Beschreibungen - nach der
Vereinigung der Deutschländer anfingen, reale, schmutzige, fiese
Wirklichkeit zu werden. Vielleicht haben die mit ihrer Politik gedacht,
damit die alten Reformisten in der BRD vor sich herumtreiben zu
können. Was auch immer. Eine richtig fiese schlimme Realität ist
wohl überhaupt kein Garant dafür, das sich dann auch ein
entsprechender Widerstand, in welchen Formen auch immer herausbildet. Das
ist für uns für die Zukunft keine unwichtige Erkenntnis.
Jerzey: Ich glaube, dass niemand hier auf dem Grenzcamp und vor allem
danach um die Beantwortung der Gewaltfrage herum kommt. Die Frage ist da
doch nur: Schaffen wir es diese Frage politisch oder nur individuell, - und
das ist in jedem System im Grunde dann kriminell, wenn man sie positiv
beantwortet. Klar müssen wir uns irgend eine Form der Gewalt einfallen
lassen, wenn wir diese Gesellschaft verändern wollen. Das ist nun mal
so. Ob das aber nun ein Kampf mit Knarre ist, ist da 'ne ganz andere
Frage.
Karl: Da und dort brennen ja immer mal wieder Sachen ab, wo den Firmen
oder Institutionen zurecht der Vorwurf gemacht wird ihre schelle Mark mit
dem Rassismus zu machen. Ich finde das nicht verkehrt, allein, diese, aber
auch andere Formen unser Gewalt in der Antira-Arbeit hängt irgendwo
politisch diffus in der Luft. Diese Gewalt ist meinetwegen in Ordnung, aber
eben doch gerade nicht Ausdruck einer Mehrheit oder gar der hier lebenden
Massen.
Lotte: Du willst dich in der Wahl der Mittel deiner Politik ausgerechnet
von der Mehrheit eines rassistischen Konsenses abhängig machen?
Karl: Natürlich nicht, das habe ich weder gesagt noch gemeint. Aber
klar ist ganz einfach, dass wenn man nicht ganz genau mit der Gewaltfrage
umgeht, dass dann der Beliebigkeit und dem Terrorismus Tür und Tor
geöffnet ist ...
Jerzey: ... das hat eine Revolutionäre Zelle auch in einer
ihrer Erklärungen genauso gesagt....
Karl: Weswegen sie auch Schluß gemacht haben, was ich für die
auch folgerichtig finde. Und vor der Situation stehen wir hier heute abend
auch.
Irgendjemand aus dem Publikum: Eyh, euer ganzes Gesabbel geht mir schon
die ganze Zeit total auf den Sack. Hört endlich auf 'rumzulabern
und lasst uns praktische Sachen gegen die Nazis und Rassisten machen,
anstatt hier 'rumzuhocken.
Karl: OK
Lisa: Ist in Ordnung
Jerzey: OK
Lotte: O.K.
Harry: OK. Was machen wir nun?
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