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Irgendwann verabschieden sie sich aus der ganzen Szene, und die, denen
sie mitteilen könnten, warum, sind die, die es sowieso wissen, weil
sie der selben Generation entstammen. Ich will nicht behaupten, daß
es allen so ergeht. Manche versuchen, sich vor dieser Zentrifugalkraft (
das ist die Kraft die dich vom Karussell schleudert) zu schützen,
indem sie sich einfach nicht entwickeln und versuchen, auch mit vierzig
Jahren noch wie zwanzigjährige Autonome zu rödeln. Manche
verschwinden schon nach drei, vier Jahren wieder, weil es ihnen zu
langweilig wurde, sie sich die Hörner abgestoßen haben, sie
eingeschüchtert wurden äußerer oder innerer Repression- an
öffentlicher Klage ist ja nie Mangel gewesen, und die Gründe, aus
der linksradikalen Szene auszusteigen, sind regelmäßig in der
Interim nachzulesen.
Es gibt in Deutschland für einheimische heute nahezu keine Not oder
Repression in einem Ausmaß, die offenkundig zum widerstand im eigenen
materiellen Interesse zwingt. Es gibt keine autonome Partei. Es gibt kein
autonomes Manifest. Es gibt keine übergeordneten linksradikalen
Disziplinierungsorgane, es wird höchstens ständig darum
gestritten. Es gibt in der Szene keine individuellen Absicherungen, die mit
Institutionen wie Familie oder Rentenkasse konkurrieren könnten. Es
gibt viele Möglichkeiten, sich anderweilig zu
"verwirklichen". Das heißt das Bewegen in der
linksradikalen Szene ist ein ständiger Kampf um Sicherheiten und Wege,
und alle sind freiwillig drin und können sich jederzeit anders
entscheiden. Es ist eine Frage des Bewusstseins, keine materielle (du
kannst auch in Schwedt gegen Nazis sein, ohne linksradikal sein zu
müssen). Das ist anstrengend, und viele halten es nur begrenzte Zeit
durch.
Wer linksradikale Bewegungs-Hochzeiten mitgemacht hat, weiß,
daß solche Zeiten nicht nur viel Zulauf an Menschen bringen, sondern
den einzelnen auch viel Kraft für die Zukunft mitgeben. Solche
Hochzeiten gab es in der Vergangenheit ungefähr im Zehnjahres-Rythmus:
1969-72, 1980/81, 1990/91. Aber die Zeiten änderten sich auch jedesmal
wieder, und mit dem Abflauen der Massenmobilisierung verschwanden auch
viele Leute wieder aus der Szene, für die es ein Abenteuer (der
Jugend), ein Irrweg oder was auch sonst gewesen war. Übrig blieben
Menschen, die aus der Bewegungszeit Optimismus, Ungeduld, Radikalität
und intensive Politisierung mitgebracht hatten - letztere oft so stark,
daß alle anderen Lebensperspektiven (Ausbildung, Beruf, Kinder...)
dahinter nahezu verschwanden. Für diese Menschen war es nur
folgerichtig, die kollektive Bewegung weiterzuführen - einzeln
und/ oder gemeinsam in Gruppen. Das führte für viele in die
militante Gruppe, ein Entwicklungsprozeß, der meist ein paar Jahre
dauert.
So ist es kein Wunder, daß die Hochzeiten militanter Gruppen
einige Jahre nach dem Bewegungshoch liegen, also Mitte der 70er (RAF, RZ,
2Juni) und 80er Jahre (RZ, autonome Gruppen, "Kämpfende
Einheiten") - was die 90er angeht, ist es wegen der zeitlichen
Nähe schwer zu klassifizieren, mglw. Läßt es sich als als
"autonome Gruppen im Antifa- und Anti-AKW Bereich"
zusammenfassen. Dieser Entwicklungsprozeß ist unabhängig von den
Interessen der beteiligten Subjekte, es ist ein objektiver geschichtlicher
Prozeß, der von den beteiligten oft so nicht oder nur teilweise
wahrgenommen wurde (mich eingeschlossen) und sich meist erst im
Rückblick offenbart.
So betrachtet, gibt es aber keine "militanten Strategien",
sondern die militanten Gruppen sind eine Konsequenz linksradikaler
Bewegungen und stehen und fallen mit der Politik der radikalen Linken an
sich: ist diese Politik offensiv, initiativ, entfaltet Breitenwirkung,
zieht Menschen an, so wachsen und gedeihen damit auch automatisch militante
Gruppen. Sie fügen sich in die politischen Strategien der Bewegung
dann soweit ein, daß sie sie militant begleiten, manchmal zuspitzen,
hier und da Punkte der Aufmerksamkeit setzen. Geht es bergab mit der
Bewegung, versuchen die militanten Gruppen, deren "Geist"
weiterzutragen, wobei ihre Praxis sich meistens nicht unterscheidet von der
vorherigen - der Bezugskreis "radikale Linke", der die militanten
Gruppen politisch stützt und ihre Aktionen wahrnimmt, ist eben einfach
kleiner oder defensiver geworden.
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