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Datum:
Dezember 2000
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Zeitung:
Diskussionspapier
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Titel:
Diskussionspapier anläßlich der Gerichtsprozesse gegen
die Revolutionären Zellen / Rote Zora
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Diskussionspapier anläßlich der Gerichtsprozesse gegen
die Revolutionären Zellen/ Rote Zora
Einleitung
Wenn die Zeichen auf Verzagtheit stehen, wenn das alles schon ewig rum
ist, wenn wir gar nicht direkt betroffen sind, müssen wir uns die
Frage gefallen lassen, warum wir eine Diskussionsgrundlage schaffen wollen
für die Auseinandersetzung mit den in Frankfurt und Berlin laufenden
RZ-Prozessen.
Mit diesem Positionspapier wollen wir weder für die Gefangenen
sprechen noch für die Art von Solidaritätsarbeit, die sich einzig
und alleine auf juristische Positionen der Rechtsanwälte
zurückzieht. Wir möchten mit diesem Papier gleichwohl die
Gefangenen wie auch alle die ansprechen, die ein Interesse daran
haben, der politischen Anklage etwas entgegenzusetzen. Wir sind
davon überzeugt, daß jede Art von Agieren auf der jurisitschen
Ebene, jede Aussageverweigerungskampagne als Reaktion auf eventuelle
weitere Ermittlungsverfahren auch im politischen Sinne nur erfolgreich sein
können, wenn sie die eigene politische Positionierung kenntlich
machen.
Für die an der Diskussion beteiligten autonomen Gruppen und
Einzelpersonen aus verschiedenen Teilen der BRD ergab sich die
Notwendigkeit zu diesem Papier aus einem historischen wie politischen
Interesse an der Klärung der Frage: Was für eine Bedeutung hatten
die RZ/ Rote Zora für die Autonomenbewegung und in welchem
Wechselverhältnis stand Theorie und Politik der RZ/ Rote Zora mit den
verschiedenen militanten Ansätzen?Wir sind der Ansicht, daß eine
militante Politik, die sich in die Zukunft hinein formulieren will, nicht
umhin kann, sich mit der Theorie und Praxis der RZ/ Rote Zora und ihren
Erfahrungen auseinanderzusetzen.
Wir wollen und können keine Handlungsanweisung verfassen weder
für diese noch für kommende Prozesse. Unser Interesse ist eine
politische Auseinandersetung, jenseits von Unschuldskampagnen und dem
Versuch, die linke, militante Politik der RZ auf die
"Flüchtlingsfrage" zu reduzieren.
Im folgenden gehen wir zurück zu der politischen Situation in der
BRD, die für die Anfänge der RZ-Geschichte entscheidend war. Das
Verhältnis zwischen der damals sogenannten "legalen" und der
"bewaffneten Linken" 1967 - 80 wird beleuchtet.
Anschließend werden die Grundzüge der Politik der RZ und ihre
Veränderungen im Laufe der letzten 25 Jahre nachgezeichnet und
Wechselwirkung mit autonomen Politiken aufgezeigt.
Am Ende unseres Textes formulieren wir eine Kritik des politischen
Verratsbegriffs sowie des Verhaltens Tarek Mouslis und schlagen praktische
Konsequenzen vor, die sich für uns daraus ergeben.
Legale und bewaffnete Linke 1967 bis 1980
"Nein, aber Sie erwarten doch wohl nicht, daß ich mich von
der Roten Armee Fraktion distanziere. Ich möchte nicht in den Orden
linker Oberpriester aufgenommen werden, die der Baader-Meinhof-Gruppe ihren
Segen verweigern. Lenin hat gesagt, daß der erste Schuß erst
abgefeuert werden darf, wenn die Revolution losgeht. Die Kommunisten in der
Baader-Meinhof-Gruppe setzen ihr Leben für die Gegethese ein,
nämlich, sie wollen beweisen, wenn nicht endlich der erste Schuß
losgeht, die Revolutin verschlafen und verfressen wird. Daß nun Leute
ihre Leben für eine These aufs Spiel setzen, mag für das
gebildete Publikum seine typisch deutsche Komik haben, aber immerhin hat
die RAF wichtige Antworten auf die Frage geliefert, ob und in welchem
Maße die Methoden der südamerikanischen Tupamaros in Westeuropa
anwendbar sind. Und solche Erfahrungen werden nicht in Wortgefechten
gemacht, sondern in praktischen Kämpfen. Billiger sind neue politische
Erkenntnisse nicht zu haben.", so Wolf Biermann Anfang der 70er
Jahre.
Dreißig Jahre später klingt dieses markige Zitat eines heute
konservativen Welt-Redakteurs wie "von einer anderen Welt", eine
Welt, in der es für radikale Linke eine politische
Selbstverständlichkeit war, den bewaffneten Kampf praktisch zu
diskutieren und mit den Militanten solidarisch zu sein. Die
Black-Panther-Solidaritätsdemonstrationen in Frankfurt waren
beeindruckend groß, die "Theorie des Guerillakriegs" von
Mao Tse-tung erreichte im Mai 1968 eine Auflage von 80.000 Exemplaren, zum
Vietnam-Kongress im Februar 1968 in West-Berlin wurde die Parole "vom
Protest zum Widerstand" erfunden. Der Kongress von 5.000
TeilnehmerInnen war sich einig, daß die bewaffneten Aufstände
gegen die "Internationale des Verbrechens" [den Imperialismus,
d.V.] (Che Guevara) durch eine "Zerschlagt die NATO Kampagne"
unterstützt werden müsse, denn "wenn sich dem Vietcong nicht
ein amerikanischer, europäischer und asiatischer Cong zugesellt, wird
die vietnamesische Revolution ebenso scheitern, wie andere zuvor."
"Das Sich-Verweigern erfordert Guerilla-Mentalität", so Rudi
Dutschke und Hans-Jürgen Krahl in ihrem Organisationsreferat auf der
22. Delegiertenkonferenz des SDS 1967. Emphatischer Internationalismus,
Guerilla-Mentalität gegen abstrakten Sozialismus, "die Nacht in
der wir versunken waren, abzuschütteln und hinter uns zu lassen"
(Frantz Fanon) entsprach den Bedürfnissen von Teilen der 1967
entstandenen sozialistischen APO. Nur wenige Jahre später wird diese
politische Nähe zum Konzept Stadtguerilla von vielen Linksradikalen
bestritten.
In den folgenden Jahren zeigte es sich, daß die radikale Linke der
begonnenen Konfrontation nicht gewachsen war, daß sie ihr
Selbstbewußtsein und ihren Optimismus den internationalen
Befreiungsbewegungen entliehen hatte und der Dynamik der politischen
Entwicklung nicht stand hielt. Die Medienhetze nicht nur gegen die
"Baader-Meinhof-Bande" verunsicherte, die sichtbar gewordenen
Arsenale staatlicher Macht und kollektiven Gewaltphantasien der
Bevölkerung gegen die "Feinde der Nation", kulminierend im
"Deutschen Herbst 1977", versetzten viele Linke in panische
Angst.
"Wenn von der RAF geredet wird, herrscht nur noch frei flottierende
Angst" so die Politikon-Redaktion in ihrer Stellungnahme zum
bewaffneten Kampf der RAF 1975, und Herbert Marcuse, von der
bürgerlichen Gesellschaft als einer der intellektuellen Väter des
Terrors stigmatisiert, distanzierte sich im gleichem Jahr im Fernsehmagazin
Monitor vom "Terror der Kleingruppen", die er objektiv nicht als
Teil der sozialistischen Bewegung sieht: "Wenn politische Aktionen
willentlich zum Opfer von Unschuldigen führt, dann ist das genau der
Punkt, wo politische Aktion, subjektiv politische Aktion, in Verbrechen
umschlägt." Die RAF hatte 1972 im "Konzept
Stadtguerilla" auf diesen wiederholten Vorwurf geantwortet:" Die
Frage, ob die Gefangenenbefreiung (von Andreas Baader, d.V.) auch dann
gemacht worden wäre, wenn wir gewußt hätten, daß ein
Linke dabei angeschossen wird - sie ist uns oft genug gestellt worden -
kann nur mit
Nein beantwortet werden. Die Frage, was wäre gewesen, wenn, ist
aber vieldeutig - pazifistisch, platonisch, moralisch, unparteiisch. Wer
ernsthaft über Gefangenenbefreiung nachdenkt, stellt sie nicht,
sondern sucht sich die Antwort selbst." In diesen konträren
Stellungnahmen ist die Haltung zu erkennen, die Fragen des politischen
Gegenübers nicht ernstzunehmen, entweder den Fragenden oder den Inhalt
der Frage abzuqualifizieren. In dieser gegenseitig denunziatorischen
Haltung haben sich legale und bewaffnete Linke sich nichts geschenkt,
allerdings mit sehr unterschiedlichen Konsequenzen: für die bewaffnete
Linke bedeutete es eine verheerende politische Isolation.
Es ist bestimmt kein Zufall, daß im Revolutionären Zorn Nr.3
vom Mai 1977 der Revolutionären Zellen ausgerechnet der
Psychologieprofessor Peter Brückner denunziert wird ("dessen
politischer Identitätsverlust als Banalität, Seichtheit und
Geschwätzigkeit in Erscheinung tritt",Rev.Zorn Nr.3), der in den
Büchern "Gewalt und Solidarität" (mit Barbara
Sichtermann, anhand der Auseinandersetzung um die Ermordung Ullrich
Schmückers durch die Bewegung 2.Juni) und "Ulrike Meinhof und die
deutschen Verhältnisse" der westdeutschen Stadtguerilla unbequeme
Fragen stellte, auf die diese kaum eine Antwort hatte außer Polemik
und Beschimpfung. Die bewaffnete Linke konnte auch diese Kritik nur noch
als Funktion in einer gegen sie gerichteten Kampagne innerhalb der Linken
sehen. Peter Brückner war 1977 der einzige Professor, der wegen seiner
politischen Einstellung von der Hochschule suspendiert wurde und der trotz
öffentlichem Druck keine Distanzierungserklärung von der RAF
abgegeben hatte. Tatsächlich entwickelten sich Fraktionen der neuen
Linken zur "Staatsschutzlinken", die ihre Hauptaufgabe darin
sahen, den Terrorismus zu bekämpfen. Gerade in Bezug auf den Deutschen
Herbst 1977 hagelte es Untergebenheitserklärungen gegenüber dem
Staat, Distanzierungen und Entsolidarisierungen von der bewaffneten Linken,
der Ton der Denunziationen wurde massiver und schärfer, die Wahl der
Mittel der Bekämpfung moralisch immer skrupelloser. 1977 nahm zum
Beispiel der heute rechtskonservative Bernd Rabehl, damals prominentes
Ex-SDS-Mitglied und Redakteur der Zeitung "Neuer Langer Marsch"
an einer Internationalen Terrorismus-Konferenz mit Laqueur
(Haupttheoretiker der Anti-Guerilla-Strategie) und Horchem ( Chef des
Hamburger Verfassungsschutzes) teil. In diesem politischen Klima sahen zum
Beispiel die Revolutionären Zellen den Bruch zwischen der legalen und
bewaffneten Linken, und erklärten, nicht mehr Teil dieser Linken zu
sein Die Autonomie- Redaktion bezeichnete 1980 den Teil der Linken, den sie
für eine koordinierte Anti-Terror-Kampagne verantwortlich machte, als
"OSI - SB - SPD - Juso - Mafia" (Westberlin - Frankfurt), die
endlich "als neue sozialtechnische Intelligenz der Mittelklasse"
an Herrschaft beteiligt werden möchte. Das Buch von Hans Joachim Klein
"Rückkehr in die Menschlichkeit" im Rowohlt- Verlag und das
""Mahler - Baum - Gespräch" als Titelstory des
Nachrichtenmagazins Spiegel Ende 1979 stellten so etwas wie einen
Schlußstein in der "Anti - Terrorismuspolitik" dieser
Fraktion mit Hilfe des Hamburger Medienkapitals innerhalb der radikalen
Linken dar, danach hatten sich die Lager weitgehend geklärt, für
die, die an dieser Auseinandersetzung beteiligt waren. Solidarität und
Kritik an den bewaffneten Gruppen wechselten den Ort und Medium, zum
Beispiel vom Pflasterstrand zur Radikal, und wurden ein Angelpunkt der
entstehenden autonomen Linken. Die alten Konstellationen waren zerbrochen,
die ehemalige Neue Linke wurde in Teilen parlamentarisch, institutionell,
akademisch, publizistisch, und schaute befremdet und distanziert auf die
militanten Bewegungen der 80er Jahre. Dieser Bruch in der früheren
Neuen Linken führte bei Autonomen verbreitet dazu, die bewaffnete
Linke als das einzige Revolutionäre aus den politischen Bewegungen der
70er Jahre anzuerkennen. Und diese politische Annahme, eine lange
unhinterfragte Grundposition der autonomen Linken, verursacht heute die
großen Schwierigkeiten, die Geschichte der radikalen Linken und
insbesondere der bewaffneten Gruppen neu zu durchdenken.
Mit dem jetzt begonnen Prozessen gegen die Revolutionären Zellen
werden die "alten Konstellationen" aufgerollt, da sitzen
Europatags-Abgeordnete der Grünen, Stern-RedakteurInnen, Exilierte,
Privatiers und Autonome in einem Raum "vor Gericht", werden die
siebziger Jahre nicht lebendig, aber neu maskiert und initiiert, bekommen
Gesichter von Zeitzeugen und Gutachtern, Verfolgern und Verfolgten,
Verlierern und Gewinnern, Glaubwürdigen und Zweifelhaften, Angeklagten
und Anklägern. Geschichte ist der Anordnung der bürgerlichen
Justiz unterworfen, deren Zielen, Philosophie, Selbstdefinitionen und
Ökonomie der Macht, ihrem Anspruch auf Wahrheitsfindung und
Bestrafung, die auf der ersteren gründet.
"Daß aus der Bestrafung und Unterdrückung der
Ungesetzlichkeiten eine regelmäßige und die gesamte Gesellschaft
erfassende Funktion wird; daß nicht weniger, sondern besser gestraft
wird; daß vielleicht mit einer milderen Strenge, aber jedenfalls mit
größerer Universalität und Notwendigkeit gestraft wird;
daß die Strafgewalt tiefer im Gesellschaftskörper verankert
wird."
Diese Anordnung, den Diskurs der Macht zu durchbrechen, damit sich die
alte richtige Parole "Das letzte Wort wird nicht im Gerichtssaal
gesprochen" erfüllt, ist ein Ziel unserer Stellungnahme.
Was hat der anstehende Prozeß in Berlin mit den Revolutionären
Zellen zu tun?
Seit Oktober stehen Hans Joachim Klein und Rudolf Schindler in Frankfurt
vor Gericht. Verhandelt wird der OPEC-Überfall in Wien vor 25 Jahren,
an der Hans Joachim Klein als RZ-Mitglied teilgenommen hat, und nach seiner
Verhaftung 1999 R. Schindler beschuldigte, ebenfalls als RZ-Mitglied an der
OPEC-Aktion beteiligt gewesen zu sein. Anfang nächsten Jahres wird der
Prozeß gegen mehrere GenossenInnen beginnen, die von Tarek Mousli
beschuldigt werden, als Mitglieder einer Berliner RZ-Gruppe an
verschiedenen Aktionen beteiligt gewesen zu sein.
Das Solidaritätskomittee zur 'Freilassung de' sagt zu den
erhobenen Vorwürfen im Berliner Verfahren: alles Konstrukt ... oder
gar nichts. Selbst in dem Vorwurf des Verrats sieht es einzig und alleine
eine Gefahr für die Konstrukt-Theorie- als bräuchte es zum Verrat
die Wahrheit. Das mag eine juristische Entscheidung sein. Aber wir
sind weder Rechtsanwälte, noch die Gefangenen. Für einige ist
persönliche Betroffenheit Grund genug für Solidarität.
Für uns bedeutet Solidarität die eigene politische Bezugnahme zu
dem, was in diesem Prozeß zur Anklage erhoben wird- unabhängig
davon, wieviel an den Vorwürfen wahr oder unwahr ist. Denn mit dem
Verfahren wird nicht nur den GenossenInnen der Prozeß gemacht. Es
geht auch darum, über die individuelle Tatzuweisung, unbehelligt und
unwidersprochen RZ-Geschichte zu reimen. Die Revolutionären Zellen
werden sich nicht zu Wort melden- sie haben sich faktisch 1992 selbst
aufgelöst. In den Prozessen wird die Geschichte der RZ von 1973 bis
1992 aufgerollt, enthüllt, erfunden und neu zusammengefügt.
Für die politische Bedeutung dieses Prozesses spielt es dabei keine
entscheidende Rolle, wieviel von der Anklage Konstrukt ist, wieviel Tarek
Mousli als Kronzeuge der Anklage tatsächlich weiß. Um Geschichte
zu schreiben, braucht es nicht die Wahrheit, sondern die Macht des
unwidersprochenen Redens. Allen Andeutungen folgend werden die Angeklagten
dazu schweigen.
Wenn wir uns im folgenden zur Geschichte der RZ äußern, dann
machen wir das folglich weder im Sinne der juristischen Anklage, noch im
Sinne der Angeklagten. Wir wollen uns in Beziehung setzen zur
politischen Bedeutung dieses Prozesses. Wir wollen weder das Reden
über die RZ, noch die 'Moral der Geschichte' dem Kronzeugen
Tarek Mousli, dem Staatsanwalt und am Ende dem Richter überlassen.
Was haben wir mit der RZ/ Rote Zora zu tun?
Für einige ist die RZ/ Rote Zora, die sie nur vom Hörensagen
kennen, Geschichte, lange her.
Für andere war sie persönlicher und kollektiver Bezugspunkt
innerhalb autonomer Bewegungen und Gruppenzugehörigkeit:
Ausgangspunkt, sich dem RZ-Konzept verbunden zu fühlen. Anlaß,
einzelnen Aktionen mit Freude zuzustimmen, Anstoß, die eigenen
politischen Entscheidungen zu hinterfragen, aber auch Kritik an der Theorie
und Praxis der RZ zu üben.
Unabhängig von diesen verschiedenen Erfahrungshorizonten stellt
sich uns gemeinsam die Frage, ob wir die Selbstauflösung der RZ, den
Prozeß gegen R.Schindler und Hans Joachim Klein in Frankfurt, den
anstehenden RZ-Prozeß in Berlin als Schlußstrich unter diesen
Teil militanter Geschichte begreifen- und schweigen.
Uns geht es nicht darum, die Geschichte der RZ zu (be-)hüten,
sondern deren strategische Überlegungen, deren Praxis, deren
Organisationsform als wichtige Erfahrung in all unsere zukünftigen
Überlegungen und Einschätzungen lebendig zu halten. Sie wird als
einTeil militanter Geschichte präsent bleiben, wenn wir deren
Stärken und Schwächen, deren Erfolge und Niederlage in dem
berücksichtigen, was militante, autonome Politk heute und morgen sein
kann und muß.
Die Geschichte der RZ läßt sich nicht wiederholen, weder als
Bekenntnis noch als Beschwörung. So täuscht die Parole "
Jedes Herz ist eine revolutionäre Zelle" ( Plakat
anläßlich der 3 Verhaftungen in Berlin im Nov. 1999) eine
Kontinuität und eine Identität vor, die es nicht gab und nicht
gibt. Sich für die RZ entschieden zu haben, war nicht dasselbe, wie in
einem besetzten Haus zu leben, in der Antifa oder in einer Frauengruppe
aktiv (gewesen) zu sein. Wir halten es für falsch und gefährlich,
diesen Unterschied zu verwischen. Das macht Solidarität nicht
unmöglich, sondern klarer.
Es gibt nicht die RZ, zu der wir uns in Beziehung setzen wollen-
so wenig es die Autonomen gibt. Tatsächlich lassen sich recht
verschiedenen Konzepte, recht unterschiedliche Praxen, z.T. weit
auseinanderliegende Zielsetzungen und Ausgangsbestimmungen
nachzeichnen.
Ganz grob lassen sich 4 Grundsäulen skizzieren, auf denen Theorie
und Praxis der RZ/ Rote Zora - wenn alles ganz gut lief- ruhten:
1.Die Notwendigkeit, klandestiner, geschützter Strukturen leitete
die RZ aus der staatlichen Repression ab, die der
außerparlamentarische Opposition Ende der 60er/ Anfang der 70 er
Jahre entgegenschlug. Die Antwort darauf sollte nicht nur eine breitere
Verankerung des Widerstandes sein, sondern auch der Aufbau von Strukturen,
die für eine Zerschlagung nicht offen zugänglich sind. Zum
anderen ging es darum ,neben der zu entwickelnden Massenmilitanz
Aktionsformen zu entwickeln, die in der Lage sind, sich einer
aussichtslosen direkten Konfrontation erfolgreich zu entziehen.
Diese Konsequenz sah -nicht nur- die RZ in den Ereignissen in Chile 1973
bestätigt, wo der parlamentarische, 'friedliche' Weg zum
Sozialismus durch einen Militärputsch blutig beendet wurde.
2. Das Konzept der RZ war darauf ausgerichtet, die Legalität nicht
freiwillig preiszugeben, die persönlichen und politischen
Lebenszusammhänge so lange wie möglich darin einzubetten.
Der Aufbau klandestiner Strukturen wurde nicht mit Illegalität
gleichgesetzt. In ihrem Verständnis war sie der letzt-mögliche
Schritt, um sich staatlicher Verfolgung zu entziehen.
3. Erklärter Bezugspunkt der RZ waren die radikale und autonome
Linke, die sozialen Bewegungen, die (militanten) Kämpfe in der BRD und
die (nationalen) Befreiungskämpfe und Unterklassen im Trikont. Ihre
Aktionen verstanden sie als Unterstützung und Ermutigung. Aber sie
sollten auch über das jetzt Mögliche und jetzt Erkannte
hinausweisen.
Die RZ vermieden es, revolutionäre Politik daran festzumachen, dem
Staat und seiner Repräsentanten den Krieg zu erklären, und damit
einer militärischen Logik zu unterliegen, die unter den gegebenen
Bedingungen nur in einer (militärischen) Niederlage münden
konnte. Aus diesem Grunde lehnten sie Tötung von Vertretern des System
ab.
4. Die RZ betonten die Gleichwertigkeit aller Formen des Widerstands.
Eine richtige Aktionsform sollte sich weder an der Höhe des
Sachschadens, noch mit der Höhe der Strafandrohnung messen, sondern an
der jeweils gemeinsamen Fähigkeit der Beteiligten, Möglichkeiten
und Bedingungen genau zu bestimmen.
Die RZ lehnte eine Hierarchisierung des Widerstandes ab. Weder war
für sie die Illegalität ein Kennzeichen für die 'einzig
richtige' politische Konsequenz, noch betrachteten sie den bewaffneten
Kampf als ein höheres Etappenziel.
Diese grundsätzlichen Positionen fanden im Laufe der über 25
Jahren RZ/ Rote Zora auf sehr verschiedene und z.T. sehr
widersprüchliche Art und Weise Beachtung. Die Sichtbarkeit bzw.
Unsichtbarkeit einzelner Positionen war nicht nur der inneren Dynamik der
RZ-Gruppen ausgesetzt. Ihre unterschiedliche Hervorhebung spiegelt mit
größter Wahrscheinlichkeit auch die verschiedenen Positionen
innerhalb der radikalen Linken wieder.
Denn die RZ haben nicht nur versucht, in soziale Bewegungen
(pädagogisch und/ oder avantgardistisch) zu intervenieren. Sie sind
auch immer wieder durch die dort gemachten Erfahrungen und dort
geführten Auseinandersetzungen geprägt worden.
So verschieden und zum Teil widersprüchlich die RZ-Praxen und
theoretischen Selbstverortungen waren, so unterschiedlich und verschieden
sind auch unsere eigenen Bezugnahmen. An einigen Beispielen möchten
wir dies verdeutlichen.
An der OPEC-Aktion 1975 nahmen neben 3 palästinensischen
Kommando-Mitgliedern -bisher unwidersprochen- Hans Joachim Klein, Winfried
Boese und Brigitte Kuhlmann als RZ-Mitglieder teil. Ziel war es, den
palästinensischen Befreiungskampf zu unterstützen.
Nach dieser Aktion erklärte Hans Joachim Klein seinen Ausstieg aus
der RZ. In seinem Buch "Rückkehr in die Menschlichkeit"
kritisierte er nicht nur die OPEC-Aktion selbst, sondern auch die
Bedingungen dieser internationalistischen Zusammenarbeit, die genau das
reproduzierten, wogegen er eigentlich zu kämpfen begonnen hat.
Begierig wurde diese Kritik von den Frankfurter Spontis aufgegriffen, die
sich den Kampf gegen die Guerilla auf die Fahnen geschrieben hatten.
Geschwiegen wurde in der radikalen Linken, die sich mit dieser Kritik
hätte auseinandersetzen müssen. Erst 13 Jahre später griff
ein Teil der RZ genau jene Kritik auf, die damals als Verrat gehandelt
wurde.
Mitte der 70er Jahre zerstörten die RZ im Rahmen der Proteste gegen
Fahrpreiserhöhungen Fahrscheinautomaten und Schwarzfahrerkarteien,und
brachten 100.000e gefälschte Fahrscheine in den Umlauf. Der Kampf auf
der Straße sollte durch diese Aktionsformen erweitert oder gar
zugespitzt werden.
Nicht immer wurde diese Zuspitzung als Bereicherung und Anregung
begriffen. Als im Zuge eines Arbeitskampfes 1974 die RZ das Auto vom
Geschäftsführer der Firma Krone anzündete, wobei auch Autos
von Arbeitern beschädigt wurden, meldeten Linke aus dem betreffenden
Betrieb Kritik an. Sie sahen in dieser Form der Intervention eine
Provokation, die den Rechten nutzte, anstatt den Arbeits-bzw. Lohnkampf zu
stärken.
Damit stand die Frage im Raum, welche Basis militante Aktionen haben
müssen, damit sie nicht von Rechten gegen den sich entwickelnden
Widerstand gewendet werden können.
Die Frage, inwieweit militante Aktionen eine mögliche Repression
mit zu berücksichten haben, inwieweit militante Organisationen
für die Verfolgung der 'legalen' Linken (mit)verantwortlich
sind, wurde dabei allzuoft als wehleidig zurückgewiesen, anstatt
ernsthaft beantwortet.
Die Macht institutioneller Gewalt besteht gerade in ihrer
Anonymität. Mit dem Angriff auf Amtsinhaber und Repräsentanten
staatlicher Macht sollten die Gesichter und Namen zum Vorschein kommen, die
sich dahinter sicher und unangreifbar wähnen. Mit dieser Intention
wurden z.B. das Büro des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer
Frankfurt 1977 zerstört oder die Knieschüsse auf den Asylrichter
Korbmacher abgegeben.
Aber sie sollten auch am eigenen Leib, in ihren eigenen vier Wänden
erleben, was es bedeutet, wenn sich die Gewalt, die sie ausüben, gegen
sie kehrt. Sie sollten zu spüren bekommen, welchen Schmerz sie
verursachen. Ob (Gegen-)Gewalt eine solche therapeutische Wirkung haben
kann oder die Ideologie des herrschenden Strafsystems nur wiederholt, ist
nur ganz am Rande von der radikalen Linken diskutiert worden.
Mitte der 80er Jahre unternahmen die RZ verschiedene Aktionen gegen
Institutionen und Repräsentanten des staatlichen Rassismus. Sichtbar
werden sollte damit die Kontinuität und Deutungsmacht jener
Gewaltverhältnisse. So wurde z.B. die Datei zur Erfassung von Roma
entwendet und vernichtet oder ein Anschlag auf das Zentralregister der
Ausländerbehörde in Berlin verübt. Anlaß waren die
staatlich lancierten Hetzen gegen "Überfremdung" und
"Ausländerkriminalität" und die damit geschaffene
Zustimmung zu Verschärfungen des Asylrechts.
Diese Aktionen richteten sich nicht nur gegen den Staat, sondern auch an
eine radikale Linke, die dazu weder Protest organisierte, noch inhaltlich
Stellung bezog. Die RZ kritisierten damit -offen oder nicht- ein linkes
Politikverständnis, das vorallem um die eigene Betroffenheit kreist,
in der das Opfer-sein einen ausschließlichen Bezugspunkt
bekommt. Darin war die Aufforderung enthalten, auch das Wissen um die
eigenen Privilegien zum Ausgangspunkt kollektiver Veränderungen zu
machen.
Den avantegardistischen Anspruch, sich nicht nur in dem zu bewegen, was
ist, sondern auch auf das hinzuweisen, was sich erst noch als Widerspruch
formieren muß, erklärte ein Teil der RZ 1992 ("Das Ende
unserer Politik") für gescheitert.
Militante Aktionen der RZ hatten nicht nur einen unterstützenden
oder antizipierenden Charakter, deren Wirksamkeit schwer
überprüfbar ist. Es gab auch Aktionen der RZ, deren Zielsetzung
sich am unmittelbaren Erfolg messen wollte. Die Rote Zora unternahm 1987
mehrere Brandanschläge gegen Filialen des Bekleidungskonzerns
"Adler". Diese erfolgten zu einer Zeit, als sich Arbeiterinnen in
Südkorea "gegen die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft..und..gegen den
alltäglichen Sexismus" zur Wehr setzten. Nachdem der Schaden in
die Millionen ging, gab der Konzern nach und erfüllte die Bedingungen,
die die Rote Zora an die Beendigung ihrer Aktionen knüpfte.
Die Organisierung von Frauen in der Roten Zora machte jedoch auch einen
anderen Konflikt sichtbar: die Tatsache, daß das Patriarchat keine
äußeres Gewaltverhältnis ist, das im Kampf gegen das
'System' einfach mitverschwindet, sondern durch die radikale Linke
hindurchgreift. Die Tatsache, wie wenig männliche Wertsetzungen und
männliches Dominanzverhalten (von Männern) in Frage gestellt
wurden, macht der (organisierte) Rückzug von Frauen aus gemischten
autonomen Zusammenhängen deutlich. Ähnliche Erfahrungen und
Enttäuschungen dürften auch der Grund für Frauen der Roten
Zora gewesen sein, sich als eigenständige Zellen organisiert zu haben.
Ein wesentlicher Schwerpunkt der Aktionen der Roten Zora war der Kampf
gegen die Bio - und Gentechnologie, die sie als neues Instrumentarium
imperialistischer,
patriarchaler Bevölkerungspolitik gegen die Frauen im Trikont und
"Überflüssigen" in den Metropolen brandmarkte. Die Rote
Zora versuchte durch ihre Praxis einen militanten, antipartiarchalen
Antiimperialismus in der feministischen Frauenbewegung wach zu halten.
Die Geschichte militanter Kämpfe war und ist nicht nur eine von
Bewegungen. Überall, wo solche Bewegungen an die Grenzen innerer
Dynamik stießen, wo derer Radikalität gebrochen, deren
"Humankapital" integriert wurde, entstanden Überlegungen,
wie man die Begrenzheit, die Selbstbezogenheit und Vergeßlichkeit von
Bewegungen überschreiten kann. Wie kann man die Breite, die
Spontanität von Bewegungen mit dauerhaften Strukturen von Gegenmacht
verbinden? Diese Frage ist nicht neu, sondern von grundsätzlicher Art.
In unserer eigenen Geschichte gab es darauf verschiedene Antworten: die
Strategie der Kleingruppen und die regionale und überregionale
Koordinierung politischer Initiativen innerhalb sozialer Bewegungen und
über sie hinaus.
Die RZ/ Rote Zora sind darin weder etwas ganz neues, noch etwas ganz
anderes. Sie haben auf die Frage, die sich uns gemeinsam stellt, eigene
Antwort gefunden. Antworten, die in über 25 Jahren in Wort und Tat
dokumentiert sind. Mit der Selbstauflösung der RZ/ Rote Zora sind deren
Antworten nicht überflüssig oder wertlos geworden. Solange wir
noch an eine Überwindung des Bestehenden glauben, werden Theorie und
Praxis der RZ/ Rote Zora mit den Humus für die kommenden Antworten
bilden.
Verrat und Verräter
Die Nähen und Distanzen zwischen der Politik der RZ/ Rote Zora und
den autonomen Bewegungen scheinen nun exemplarisch und bedauerlich
detailliert in der Person des Tarek Mousli sichtbar zu werden, der angibt,
beiden angehört zu haben. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft in
dem am 6.12.2000 begonnenen Prozeß gegen Tarek Mousli sowie in den
folgenden Prozessen gegen Sabine E., Harald G., Axel H. und Mathias B. wird
im wesentlichen auf den Aussagen basieren, die Tarek Mousli gegenüber
der Polizei (und Staatsanwaltschaft) gemacht hat. Auf tausenden Seiten
machte er Angaben sowohl zu den Revolutionären Zellen als auch zu
autonomer Politik der 1980er und frühen 1990er Jahre. Die (Vor-)
Geschichte dieses in der Szene gemeinhin als Verrat bezeichneten Verhaltens
und seiner bisherigen Folgen soll hier nicht nochmals nachgezeichnet
werden. Sie ist nachlesbar (interim, Zitronenfalter).
Was wir leisten wollen, ist eine Diskussion und Kritik zum einen des
gängigen Verständnisses von Verrat, zum anderen des Verhaltens
von Tarek Mousli. Der Fokus soll hierbei auf dem ehemaligen Genossen Tarek
liegen, und seinen Umgang sowie den der linksradikalen Szene mit der
vergangenen gemeinsamen Geschichte reflektieren. Eine solche Kritik soll
über eine leicht zu habende Abgrenzung von der verachtenenswerten
Person des "Verräters" hinausweisend zur
Selbstverständigung über eine politische Haltung zum Verrat und
den Umgang mit dem Verratenden wie dem Verratenen fruchtbar gemacht
werden.
Hierzu sind verschiedene in der Diskussion und Verurteilung von Tarek
Mouslis Verhalten bislang miteinander vermischte Ebenen zu unterscheiden.
Zunächst einmal ist die Person des ehemaligen Genossen Tarek
Mousli, von seiner konkreten Handlung, seinem Verhalten vor dem
Staatsapparat zu trennen: sich selbst und andere durch Aussagen zu
belasten. Der Faktor Zeit spielt eine Rolle wann war Tarek Mousli Teil der
autonomen Szene, wann (wie von ihm behauptet) der RZ? Wann machte er seine
diesbezüglichen Aussagen? Die Reaktionen der Szene auf sein Verhalten
schließlich verdient eine gesonderte Würdigung. Beginnen wir mit
dieser.
Die Positionierung der radikalen Linken zum Phänomen des Verrates
gibt Aufschluß über ihr Selbstbild, ihre politischen Kriterien,
und bietet eine Möglichkeit der Postionsbestimmung und der
Klärung von Begriffen und des Verständnisses von linker Politik,
das sie beinhalten.
Die Versuche, die Person Tarek Mouslis im Nachhinein - durch die
Denunziation seines Verhaltens als promisk und großmäulig - von
einem von vielen geschätzten Genossen zu einer immer schon
zwielichtigen Type umzudichten, wurden rasch wieder eingestellt.
Vermutlich, da diese bekannte linksradikale Strategie der Abgrenzung von
Verrätern angesichts des Ansehens, das Tarek offenbar genoß,
keinen ausreichenden Erfolg versprach. Beachtung verdient dieser Versuch
allein deswegen, weil er so idealtypisch wiederspiegelt, wie die radikale
Linke gerne versucht, sich Verrat und Verräter dadurch vom Halse und
aus dem Haus zu schaffen, daß sie den Verräter als den immer
schon ganz anderen darstellt, der im Grunde eigentlich "keiner von
uns" gewesen sein kann. Hierbei wird gerne tief in die Trickkiste
linker Moral gegriffen, die doch so wenig mit dem Alltag der
ProtagonistInnen gemein hat. Etliche Jahre alt, gleichwohl noch immer nicht
verjährt sondern sehr aufschlußreich hierzu ein Bonmot zum Thema
Verrat, das die Recherchegruppe Wiesbaden zur Person des Spitzels
Klaus Steinmetz 1993 veröffentlicht hat. Sie zitieren in ihrem 2.
Bericht, die zum Verständnis der Verrates offenbar wichtige
Information, daß Steinmetz "in seiner WG (...) Hausarbeit nur
auf Aufforderung erledigte". Sinn solcher Veröffentlichungen ist
offensichtlich die Selbstkonstituierung der radikalen Kritiker des Verrates
als saubere Linke, die "sowas" (Verrat, Geschirr nicht
spülen, außerehelichen Sex machen) nie tun würden,
weil sie ganz anders sind als der Verräter.
Diese essentialistische Denunziation eines Verräters (und weniger
seines Verrates) ist eher religiös (Judasfigur) denn politisch.
Gleichwohl ist es menschlich nur zu verständlich, daß ehemalige
GenossInnen ihrem Zorn und ihrer Betroffenheit über das Verhalten
eines ehemaligen Mitstreiters und Freundes Luft verschaffen und meinen,
sich durch Abgrenzung, vor ihm und der neben eventuellen juristischen
Folgen - persönlichen Verletzung, die sein Verhalten für sie
bedeutet, schützen zu können. Sie fühlen sich
persönlich verraten, verlassen, betrogen. An dieser Stelle ist die
Vermischung von persönlicher Verletztheit mit einer politischen
Diskussion des Verrates jedoch wenig hilfreich, um zu einem Verhalten zu
gelangen, das dem Verrat und dem Verratenden die Stirn zu bieten vermag,
ohne dafür die geteilte politische und persönliche Geschichte
leugnen zu müssen. Denn Verrat ist ja nur möglich auf Basis
gemeinsamer Übereinkünfte. Da diese in der autonomen Szene in der
Regel nicht verschriftlicht wurden (werden), sondern in Erfahrungen und
Auseinandersetzungen entstehen, ist hierzu gerade eine gemeinsame
Geschichte notwendig. Jemand, mit dem keine gemeinsame Übereinkunft
besteht, kann keinen Verrat begehen. Zu diskutieren ist, ob jemand, der
gemeinsame Übereinkünfte nicht mehr teilt, als
"Verräter" bezeichnet werden kann.
Nun mag es konsequent erscheinen, die Person des Verräters dadurch
unglaubwüdig machen zu wollen, daß geleugnet wird, er sei je
Teil der Szene gewesen. Das wird sich nicht durchhalten lassen, und
ähnelt eher einer Vogelstraußpolitik, oder, psychoanalytisch
gesprochen, dem vielpraktizierten Versuch des Verdrängens durch
"Ungeschehen-Machen". Auch hier wieder: als erste Reaktion auf
den Schock, den ein Verrat darstellt: verständlich. Wenn eine solche
Haltung zur Strategie wird, ist dies politisch fatal. Die skizzierte
Haltung dient dann faktisch dazu, sich der politischen Auseinandersetzung
zu entziehen und jegliche Kritik abzuwehren. Sie will sich so einerseits
unangreifbar machen und kann sich andererseits alle juristischen
Handlungsmöglichkeiten offenhalten. Entscheidend ist für uns
demgegenüber, den heutigen Blick der linksradikalen Szene auf die mit
Tarek Mousli geteilte Geschichte zu dessen Version eben dieser Geschichte
in Kontrast zu setzen!
Geschichte ist nichts Statisches, Festgeschriebenes, autonome Geschichte
allemal nicht. Das Erzählen von Geschichte(n), sei es von der StA oder
auf einer autonomen Veranstaltung zum Thema Verrat werden sich
grundsätzlich voneinander unterscheiden, sind vom gegenwärtigen
Interesse der Erzählenden geleitet. Was ist nun das Motiv eines
ehemaligen Genossen, der sich von der Szene angeblich seit Jahren
verabschiedet hatte, und nun in die Fänge des Staatsapparates geraten
ist, Geschichte(n) zu erzählen? Ganz klar: Er will seine Haut retten.
Hierzu mag bei vielen in ähnlichen Situationen eine Art foucaultscher
Geständniszwang treten, die Lebensbeichte, der die kathartische
Klärung des verwirrten Gemütes folgen möge. Ob auch Tarek
Mousli diesem zugegebenermaßen kindlichen Wunsch an den juristischen
Übervater, er möge die justiziabel gemachte Lebenserfahrung
abstrafen und dem Delinquenten dadurch das Gewissen erleichtern, erlegen
ist, kann getrost dahingestellt bleiben. Wir glauben es eher nicht, denn
diese Vermutung impliziert tendenziell einen zumindest subjektiven
Wahrheitsgehalt des Ausgesagten. Entscheidend ist für uns: Er will
seine Haut retten. Dafür war er bereit, einiges zu sagen, was er
glaubt zu wissen, und etliches herbeizulügen, was er nicht wissen
konnte. Möglicherweise fühlte sich Tarek Mousli von ehemaligen
GenossInnen selbst verraten, vielleicht hat er auch nur kühl
kalkuliert. Es kann so aussehen, als sei er im Stich gelassen mit
gemeinsamen Altlasten, die "als Leichen in seinem Keller" liegen
blieben, nachdem alle anderen gegangen waren. Diese Vermutung enthebt Tarek
jedoch keineswegs selbst der Verantwortung seiner Geschichte und den
ehemaligen GenossInnen gegenüber. Tarek Mousli ist, wie wir alle, in
Maßen und im Rahmen gewisser Zwänge frei, sich zwischen
Alternativen zu entscheiden. Zu verurteilen ist, wie er sich
entschieden hat. Er ist kein Opfer linksradikaler Geschichte, auch wenn er
sich zur Selbstlegitimation, wie auch Hans-Joachim Klein das tat,
vielleicht selbst so sehen mag. Er ist Mitproduzent der politischen
Verhältnisse, von denen er sich nach seinem Szeneausstieg nun nochmals
durch seine Aussagen distanzieren will. Er hat jedoch, wie alle politischen
Subjekte, wissen können, daß sein Verhalten der Gegenwart und
Vergangenheit Folgen für die Zukunft haben kann. Daß er davor
offenbar die Augen verschloß, ist ihm nicht persönlich
vorzuwerfen, dies ist "gute" schlechte Strategie eines
großen Teils der radikalen Linken. Keinesfalls entschuldigt dies
jedoch sein Verhalten und entbindet ihn nicht von der Schweigepflicht
gegenüber dem Staatsapparat! Tarek Mouslis Verhalten aus einer
Position der Nähe heraus zu kritisieren dient jedoch der
Schärfung der eigenen Wahrnehmung: So anders als die meisten in der
Szene ist der nicht!
Tarek Mousli ist wiederholt aufgefordert worden, seine gegenüber
der Polizei und Staatsanwaltschaft gemachten belastenden Aussagen
zurückzunehmen. Dieser Text sollte ursprünglich für den der
Sprache der Polizei inzwischen wohl hinreichend kundigen Tarek Mousli die
sogenannte "dritte Aufforderung" formulieren, die eigene
Positionierung zu überdenken, auf der Gegenseite das Feld zu
räumen und vor Gericht keine belastenden Aussagen zu machen. Mit
Konsequenzen im Falle der Weigerung wird nicht gedroht. Aus der Szene hat
Tarek sich bereits selbst ausgeschlossen und das Beispiel der Ermordung von
als Verräter bezeichneten (ehemaligen) Genossen, das der "2.
Juni" 1974 einführte, als er Ulrich Schmücker erschoß,
hat in der Geschichte der radikalen Linken in der BRD glücklicherweise
nicht Schule gemacht. Wozu also die "dritte Aufforderung"? Sie
wird den zum Bullenassistenten gewordenen Tarek Mousli kaum mehr erreichen,
jedoch: Sie dient der eigenen Positionierung. Zu Aussagen vor der Polizei
kommt es nach Verhaftungen aus vielerlei Gründen immer wieder. Von
Verrat zu sprechen ist unserer Meinung nach angebracht, wenn jemand
endgültig die Seiten gewechselt hat. Die letzte Instanz, vor der
gemachte Aussagen aufrecht erhalten oder noch immer zurückgenommen
werden können, ist das bürgerliche Gericht. Wenn ein ehemaliger
Genosse seine Aussagen vor Gericht aufrechterhält und damit
justiziabel macht, ist von Verrat zu sprechen. Bis dahin besteht noch immer
die Möglichkeit, belastende Aussagen zurückzunehmen, auch wenn
sein Verhalten bis zu diesem Zeitpunkt bereits zu erheblichen
Unannehmlichkeiten für die von ihm Belasteten geführt hat. Die
Trennungslinie, die zwischen Verräter und Szene gezogen wird, ist eine
endgültige. Sie darf nicht gezogen werden, solange der Verratende sich
nicht unwiederruflich selbst zur völligen Abkehr von ehemals
gemeinsamen Fundamenten entschieden hat. Eine Szene, die Aussagen vor der
Polizei mit der Keule des "ganz anderen" bekämpft, nimmt
sich selbst politisch nicht ernst. Unserer Ansicht nach sollten gemachte
oder zurückgezogene belastende Aussagen vor Gericht das Kriterium
sein, nach dem der Begriff "Verrat" vergeben wird und nicht die
"Schwere" von Aussagen bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft.
Inzwischen hat Tarek, wie zu erwarten, zuerst am 30.11.2000 im Frankfurter
OPEC-Prozeß vor Gericht andere belastende Aussagen gemacht und u. a.
versucht, Rudolf Schindler die Schüsse auf Hollenberg und Korbmacher,
sowie Sabine Eckle und Rudolf Schindler den tödlichen Anschlag auf
Karry in die Schuhe zu schieben. Und selbst jetzt: Solange die
Gerichtsverfahren in Sachen RZ/ Rote Zora gegen ihn und andere laufen
besteht noch immer die Möglichkeit, diese Aussagen
zurückzunehmen. Wir fordern Tarek Mousli daher ausdrücklich auf,
die belastenden Aussagen zurückzunehmen und sich der politischen
Auseinandersetzung über sein Verhalten zu stellen!
Weiter zum Faktor Zeit: Kann jemand eine gemeinsame Idee verraten, die
er nicht mehr teilt? Ist von Verrat zu sprechen, wenn eine/r ehemalige
GenossInnen bei den Bullen verpfeift, die ihm und denen er nicht mehr
Genosse ist? Können sich Privatiers gegenseitig verraten? Wenn das
politische Kollektiv, demgegenüber private Bedürfnisse (nach der
Freiheit, nicht im Knast zu sitzen) zurückstehen sollen, nicht mehr
existiert, kann dieses dann noch verraten werden? Ist es also noch
möglich, die RZ zu verraten?! Fragen dieser Art sind wichtig für
eine linksradikale Kritik des Verrates, für das politische und
persönliche Selbstverständnis einer Szene, die bald mehr
Altlasten als Mitglieder zu haben scheint. Moralisch scheint Tarek Mousli
kaum mehr zu verurteilen zu sein. Ihn voller Wut ein Schwein zu schimpfen
ist ebenso richtig wie folgenlos, politisch zu begegnen ist seinen
Belastungen aber umso mehr:
Lassen wir die oben gestreiften Fragen einmal beiseite, so bleibt allein
das Faktische: Tarek Mousli hat in seinen Aussagen vor Polizei,
Staatsanwaltschaft und Gericht, bei dem Versuch, aus seinem juristischen
Interesse heraus (er will seine Haut retten) mit dem dafür dienlichen
Blick andere und sich selbst erheblich belastet. Diesem Verhalten
läßt sich auf der faktischen-juristischen wie auf der
politischen Ebene erwidern.
Wer zur Aussageverweigerung aufruft und zur politischen Anklage
schweigt, macht das Schweigen zur gemeinsamen Basis und nicht unseren
Widerstand
Was hindert die Betroffenen, gegenwärtig die als
RZ/ RoteZora-Mitglieder Angeklagten (künftig möchlicherweise auch
Autonome...) daran, nun ihrerseits mit entlastenden Aussagen,
Richtigstellungen des Faktischen zu betreiben?
Im Zuge der Aussagen des heutigen Kronzeugen Tarek Mousli wurden und
werden ZeugInnen vorgeladen. Dagegen eine Aussageverweigerungskampagne zu
stellen ist richtig. Doch wer keine blinde Solidarität fordern will,
muß benennen, was mit unserem Schweigen politisch geschützt
werden soll. Wer von ZeugInnen erwartet, daß sie schweigen, und damit
Zwangsgelder bishin zur Erzwingungshaft riskieren, muß das
bescheidene 'Risiko' auf sich nehmen, sich selbst in Beziehung zur
politischen Anklage zu setzen - ohne hilfesuchend und fluchtartig auf die
Gefangenen und/ oder ihre RechtsänwältInnen zu verweisen.
Die Aussageverweigerung markiert eine Grenze, unsere grundsätzliche
Weigerung mit der Justiz nach ihrer Wahrheit zu suchen. Meist wird dann
eine Aussageverweigerungskampapagne zum Leben wiedererweckt, wenn eine(r)
belastende Aussagen gemacht hat, und damit GenossInnen Verhaftungen und
Knast droht. So auch dieses Mal: Der jetzige Kronzeuge Tarek Mousli ist
aufgrund seiner Aussagen bereits für vier Verhaftungen, zwei
internationale Haftbefehle, mehrere Hausdurchsuchungen und
Ermittlungsverfahren verantwortlich. Mit der Aussageverweigerungskampagne
soll das Karussell aus Aussagen, Widersprüchen, vermeintlichen
Richtigstellungen und Selbstentlastungen gestoppt werden. Aus gutem Grund:
in Ermittlungsverfahren hat unsere Wut über Verrat, unsere Suche nach
Erklärungen und Fehlern nichts zu suchen. Im Stadium der
Anklageerhebung dient jede Aussage lediglich der Präzisierung
der Anklage.
Die Grenzen der Aussageverweigerungskampagne
Nichts spricht dafür, daß wir irgendwo noch Tarek Mousli mit
unseren Vorstellungen von Militanz, Verrat und gemeinsamen Fehlern
konfrontieren können. Alles spricht dafür, daß Tarek Mousli
die Auseinandersetzung um die Geschichte der RZ in den Gerichtsaal verlegt
hat. Wir sind heute nicht in der Lage, andere Orte für eine solche
Auseindersetzung zu wählen. Angesichts dieser Schwäche werden wir
Wege finden müssen, dem Kronzeugen Tarek Mousli zu folgen, wohin er
die Geschichte der RZ getragen hat: vor Gericht. Im Schutze der
Aussageverweigerungskampagne deutet der Kronzeuge Tarek Mousli -
unwidersprochen - mit Belastungen Genossinnen und Genossen für
jahrelange Haftstrafen heraus. Wir sind nicht bereit, ihm mit unserem
Schweigen diese unfreiwillige Deckung zu geben. Aus diesem Grunde
begrüßen wir Entlastungen - auch vor Gericht. Vorausetzung
dafür sind kollektive Absprachen und eine politische Bestimmung
juristischer Interventionen. Denn jede noch so richtige und
erfolgversprechende Entlastung muß immer auch den Preis mitdenken,
der bezahlt wird: die Glaubwürdigmachung des Gerichtssaales als den
Ort, wo Recht gesprochen wird.
Wenn wir mit dieser Position deutlich machen, daß wir dem
Kronzeugen das Terrain des Gerichtssaales nicht überlassen wollen,
dann meinen wir das nicht nur im juristischen Sinne. Die Zeugenaussage des
ehemaligen RZ-Mitgliedes Gerd Schnepel im OPEC-Prozeß hat nicht nur
Rudolf Schindler entlastet. Sie hat vorallem das bleierne Schweigen
über die RZ durchbrochen, hat Platz geschaffen, sich an die Erfolge
militanten Widerstandes zu erinnern und Voraussetzungen geschaffen,
über Fehler und Schwächen zu reden - anstatt die Rede dem
Terrorismus-Bekämpfer Daniel-Cohn Bendit und seinem "Sohn"
Hans-Joachim Klein zu überlassen.
Wohlgemerkt: Sinn kann nicht sein, sich selbst zum Werkzeug des
Staatsapparates zu machen und nun Tarek Mousli zu belasten. "Wir
wissen um die ohnmächtige Wut derer, die von diesen Belastungen
betroffen sind" schrieben 1988 Autonome Gruppen in einer
"Plattform zu den 2.11. Prozessen" zu den Aussagen des Andreas
Eichler, und weiter: "Sich gegen diese Belastungen zur Wehr zu setzen,
heißt, im Prozeß u.U. Aussagen zu machen, unser Schweigen zu
brechen. Unsere Solidarität mit diesen Angeklagten spürbar zu
machen, heißt, in diesem konkreten Fall uns als Entlastungszeugen zur
Verfügung zu stellen (...) Voraussetzung allerdings für
Entlastungsaussagen überhaupt ist ein gemeinsame Konzept, das statt
individualisierter Absprachen den gesamten Prozeß im Blick
hat."
Vor zwölf Jahren wurde dies realisiert, mit der Folge, daß
der Beklagte Andreas Eichler, der Frank Hoffmann beschuldigte, mit einer
Sig Saur - Pistole auf die vorrückenden Polizeiketten an der Startbahn
West geschossen zu haben, alleine zu fünfzehn Jahren Haft wegen
Totschlag verurteilt wurde, während Frank Hoffmann frei kam.. ....
Auf der politischen Ebene ist den Belastungen Tarek Mouslis, die
autonome Politik betreffen, durch einen offensiven Umgang mit der eigenen
Geschichte und ihren Erfordernissen zu begegnen. Was hindert uns daran, zu
Aktionen Stellung zu nehmen, die allemal verjährt sind? Was hindert
uns daran, öffentlich zu erklären, daß zum Gelingen einer
(militanten) Demo ein Demoschutz ebenso wie das Abhören des
Polizeifunks notwendig sind? Was hindert uns daran, zu offensivem
militantem Verhalten als Mittel autonomer Politik zu stehen?
Klar, niemand möchte alleine im Rampenlicht mit zum privaten Outing
geratenden Bekenntnissen stehen. Das ist auch nicht gemeint. Dieser Text
versucht demgegenüber sowohl die unpolitische und sogar juristisch
unkluge, weil zu kurz greifende Haltung des
Solidaritätsbündnisses, wie auch den individualisierten Umgang
Einzelner mit den Folgen der Belastungen durch Tarek Mousli zu
durchbrechen. Wir wollen eine Selbstverständniserklärung
formulieren, anhand derer und zu der sich möglichst viele
positionieren können, und so dazu beitragen, daß die politische
Diskussion über die Ereignisse vorangebracht wird.
Einige Autonome aus Berlin und Frankfurt
Dezember 2000
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