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Briefe

Redebeitrag von Harald anläßlich der ersten zentralen Soli-Veranstaltung in Berlin am 24. März

"... sich nicht nur gegen diese Kriminalisierung zu wehren, sondern die jeweiligen politischen Inhalte aufzugreifen..."

"Ich möchte die Gelegenheit dieser Veranstaltung nutzen, um mich als erstes einmal ganz herzlich zu bedanken, bei all denjenigen die mich bzw. uns in den vergangenen Wochen unterstützt haben oder ihre Solidarität in anderer Weise ausgedrückt haben. Es ist schon fast ein umwerfendes Gefühl im Knast von Telegrammen, Postkarten und Briefen förmlich überschwemmt zu werden.

Zum Stand des Verfahrens läßt sich aus meiner Perspektive zur Zeit nur sehr wenig Neues sagen. Grundlage meiner Inhaftierung sind weiterhin die im Haftbefehl festgehaltenen Anschuldigungen des Kronzeugen. Allerdings ist dieser den ganzen Januar weiterhin verhört worden und hat gegen mich und andere weitere Anschuldigungen erhoben. Bislang haben wir nur eine Begrenzte Akteneinsicht erhalten, aber mir drängt sich trotzdem der Eindruck auf, daß auch in diesem Verfahren wieder das generelle Ausforschungsinteresse der BAW eine wichtige Rolle spielt. Über die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen und seiner Aussagen möchte ich mich zu diesem Zeitpunkt nicht weiter auslassen. Allerdings ist davon auszugehen, daß in dem zu erwartenden Prozeß die Rolle dieses Kronzeugen, die Kronzeugenregelung allgemein, die damit in Zusammenhang stehenden Sondergesetze rund um den §129a sowie die besonderen Machtbefugnisse die damit der GBA an die Hand gegeben worden sind um Ermittlungs,- und Gerichtsverfahren steuern und manipulieren zu können, juristisch eine zentrale Rolle spielen werden. Inwieweit das auch politisch zu einem wichtigen Thema gemacht werden kann, hängt nicht zuletzt vom Fortgang der Solidaritäts,- und Öffentlichkeitsarbeit ab, für die die heutige Veranstaltung ja ein bedeutender Schritt ist.

Bei den Durchsuchungen vom Dezember und bei den Verhaftungen von uns geht es meiner Meinung nach nur vordergründig um die Aufklärung lange zurückliegender Aktionen der Revolutionären Zellen. Der größte Teil der uns zur Last gelegten Straftaten ist längst verjährt. Die angeblichen terroristischen Vereinigungen haben ihre Aktivitäten vor mehreren Jahren eingestellt und existieren vermutlich gar nicht mehr. Die letzte bekannt gewordene Aktion der Revolutionären Zellen hat 1993 stattgefunden, und die der Roten Zora 1995.

Die eigentlichen Gründe für das massive Vorgehen des Repressionsapparates liegen meiner Meinung nach zum Einen in dem politischen Signal das damit gesetzt werden soll und zum Anderen in dem Ausforschungs,- und Einschüchterungsinteresse. Dem BKA und der GBA bieten sich mit dem massiv aufgebauten Kronzeugen in Verbindung mit dem §129a mal die Möglichkeit unbequeme und wiederständige Personen und Strukturen mal wieder gründlich zu durchleuch ten. Die durch nichts zu rechtfertigende Durchsuchung des Mehringhofes und deren publizistische Darstellung belegen dies aufs Deutlichste. Mit politischem Signal meine ich die mit unseren Verhaftungen verbundene Message: die Justiz hat einen langen Atem, sie kriegt alle , und Widerstand lohnt sich nicht, ganz egal ob dieser heute praktiziert wird oder ob er vor zehn oder zwanzig Jahren ausgeübt wurde.

Und wie immer, wenn politische Gruppen und Organisationen kriminalisiert werden, finde ich es wichtig, sich nicht nur gegen diese Kriminalisierung zu wehren, sondern die jeweiligen politischen Inhalte aufzugreifen, die den Kern und eigentlichen Hintergrund der Kriminalisierung bilden, und verstärkt in die Öffentlichkeit zu tragen. Die jetzt strafrechtlich verfolgten Aktionen der Revolutionären Zellen stehen in dem Zusammenhang einer von ihnen 1986 und 1987 betriebenen Flüchtlingskampagne und waren insofern Teil eines sich in den unterschiedlichsten Aktionsformen artikulierenden Widerstandes gegen die sich bereits damals abzeichnende rassistische Flüchtlingspolitik in der BRD.

Für die Entwicklung seit dieser Zeit will ich nur schlaglichtartig einige herausragende Ereignisse und Maßnahmen benennen:

  • die Aufrüstung und Abschottung der deutschen Ostgrenze seit der Übernahme der DDR,
  • die faktische Abschaffung des Rechts auf Asyl mit der Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes,
  • die Vereinheitlichung der Abschottungs- und Vertreibungspolitik auf westeuropäischer Ebene, unter anderem mit dem Schengener Abkommen und zuletzt mit dem EU-Gipfel in Tampere,
  • die Verbreitung und der Anstieg rassistischer Grundstimmung als deren Spitze die Zahl rassistisch motivierter Übergriffe und Gewalttaten kontinuierlich gestiegen ist.

Vielfältiger Widerstand dagegen hat diese Entwicklung nicht grundsätzlich aufhalten oder verhindern können. Da es für mich überhaupt keine Zweifel an der Berechtigung und der Notwendigkeit des Widerstandes gegen diese Menschenverachtende Politik gibt, kann es nur darum gehen Initiativen in diese Richtung zu unterstützen, zu stärken oder auch neue zu beginnen.

Von den praktischen Ansatzpunkten und Möglichkeiten will ich hier stellvertretend drei kurz erwähnen:

  • die Mehringhofpatenschaft für Flüchtlinge ohne Papiere, eine projektübergreifende Initiative zur Unterstützung von Illegalisierten,
  • den nun schon weit mehr als ein halbes Jahr währenden Widerstand von Flüchtlingen in Heimen des DRK gegen ihre Vertreibung und das Aushungern
  • die Karawane der Flüchtlinge und MigrantInnen als ein Versuch der Selbstorganisierung und den von ihnen geplanten Kongreß Gemeinsam gegen Abschiebungen und soziale Ausgrenzung vom 21.4.-1.5.00.

Die Verstärkung des Engagements in diesen oder anderen Initiativen antirassistischer Flüchtlingsarbeit wäre für mich eine der sinnvollsten Antworten auf die aktuelle Repression und gleichzeitig ein deutliches Zeichen praktischer Solidarität. In diesem Sinne wünsche ich euch eine interessante und anregende Veranstaltung."

MAIL
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