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Aus Briefen von Axel
05.08.2000
Gestern sind zwei heftige Gewitter über den Hof hier gezogen mit
Blitzen und Donnerkrachen und natürlich prasselndem Regen. Als das
zweite abzog, erschien erstmalig seitdem ich in diesen Ausblick gepresst
bin ein Stück Regenbogen am Himmel. Mit seiner wunderschönen
Buntheit hat er mich berührt...
20.09.2000
Nach dem Zahnarzt, heute ausnahmsweise um 10 Uhr, ging's auf den
Sportplatz. Winnie hatte sich für heute ein Intervalltraining
einfallen lassen, das bedeutet, nur einen Kilometer zu laufen, allerdings
so schnell wie möglich, dann Pause, dann wieder einen Kilometer
schnell etc. Aber es behagt uns beiden nicht so recht, wie wir festgestellt
haben. Winnie hat den ersten Kilometer gar nicht geschafft bei dem Tempo,
das er vorgelegt hat. Ich zwar schon, war jedoch danach so kaputt wie sonst
nach 10 Kilometern. Angeblich soll diese Art des Trainings die
Grundschnelligkeit erhöhen. Naja!
27.09.2000
Heute ist der erste der 'Neuen' in der Freizeit aufgetaucht.
Wieder eine Rotlichtgröße, und Größe charakterisiert
auch seinen Körper und Oberarmbau. Da wird es wieder ein paar Tage
brauchen um einschätzen zu können, wie es um seine sonstige
'Größe' bestellt ist. Der zweite Neue befindet sich auch
schon auf der Station, aber angeblich noch bis Samstag unter Isolation. Zum
ersten Mal in meiner Zeit hier, in der sogenannten
'Schlicht'-Zelle. Ich konnte da mal einen Blick reinwerfen, sie
besteht nur aus Brett als Bett, Tisch und Stuhl. Dieses ganze
'Inventar' ist unverrückbar verankert.
30.09.2000
Wiedereinmal ist Samstag, der September so gut wie vorüber, mal
schauen, was der nächste Monat bringen wird.
Das Wetter ist noch einmal überraschend angenehm, die Luft milde...
Seit vorgestern habe ich keine Post mehr bekommen, ich denke, es wird nicht
an den SchreiberInnen liegen. So ein Gang zur Poststelle kann eben sehr
ermüdend sein, zumal im aufreibenden Alltag eines Vollzugsbeamten.
Zwischenzeitlich habe ich das kleine Bändchen "Mitten im
Krieg" von Irina Liebmann gelesen. Das sind hübsche kleine
Geschichten, sehr schön geschrieben. Thematisch auch passend zum
Vereinheitlichungswirbel dieser Tage. Vorgestern nun habe ich ein ganz
außergewöhnliches Buch zu lesen begonnen. Es heißt
Vergeltung, der Autor Gert Ledig. Er schildert darin einen Bombenangriff
auf eine deutsche Stadt im letzten Weltkrieg. Zusammengepresst auf einen
Ausschnitt von einer Stunde schildert er schier unerträglich die
Grausamkeit und den Horror von Krieg, mit seinem ganzen Schmutz und Gestank
und Blut. Die Frage nach Gerechtigkeit spielt in dem Buch keine Rolle, es
geht ihm um die Darstellung der Sinnlosigkeit. Ich mußte mir beim
Lesen erst eine gewisse 'Abstandshaltung' zulegen, um
überhaupt weiterlesen zu können.
Neben der Aktualität, und daß auch dieser deutsche Staat
solcherart 'Mittel' wieder eingesetzt hat, tauchte bei mir noch
eine andere Frage auf. Was in diesem Buch geschildert wird, haben ja
tausende und abertausende aus der Generation unserer Eltern bzw.
Großeltern auf die eine oder andere Weise miterlebt. Was haben diese
tiefsttraumatisierenden Erlebnisse mit ihnen gemacht. Wie haben sie sie
'bewältigt', sind sie 'für sich' damit
umgegangen. Geredet wurde ja selten oder nie darüber. Und, daß
solcherart Erlebtes bei den physisch Überlebenden tiefe psychische
Verletzungen hinterlassen haben muß, ist spätestens nach
Lektüre dieses Buches unzweifelhaft. Bezeichnenderweise ist das Buch
zur Zeit seiner Entstehung Mitte der fünfziger Jahre kurz auf
großes Interesse gestoßen, danach aber wieder in der Versenkung
verschwunden. Der Autor hat nur drei Bücher, alle kurz hintereinander
und zu ähnlicher Thematik, geschrieben und ist letztes Jahr
verstorben.
04.10.2000
Heute kam wieder einige Post bei mir an... Ganz überrascht war ich,
unter der Post eine Zitty zu finden, bis ich nach einiger Zeit entdeckte,
daß ein langer Artikel über den Mehringhof und die Verhaftungen
drin steht. Ganz erfreulich. Der Rest des Heftes hat mich seltsam
wehmütig gestimmt, vieles so vertraut und doch schon recht weit
weg.
Nicht so viel Vergnügen bereitet mir derzeit der Aufenthalt im
Freizeitraum. Ich habe sogar den gestrigen Feiertag dazu 'genutzt',
wie ansonsten sonntäglich auf meiner Zelle zu verbleiben. Neben den
schon gängigen Kraftsportübungen ist jetzt durch das Erscheinen
des neuen 'Großen' auch noch Boxtraining aufgenommen worden.
Außerdem erfreut sich der Kicker einer bisher noch nicht dagewesenen
Beliebtheit. Und 'in Betrieb' verbreitet er einen derartigen Krach,
daß man die Stimme schon sehr erheben muß, um sich mit seinem
Tischnachbarn zu verständigen. Jedoch beabsichtige ich nicht, zum
Einsiedler zu werden.
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