1. Brief von Axel an den MehringHof
JVA Wuppertal, 22/12/99
Hallo ihr Lieben,
Jetzt ist der MehringHof doch noch fast pünklich zum 20
jährigen in die Schlagzeilen geraten, und die Massen scharen sich
schützend und diskutierend um ihn herum.
Ich habe das alles erst gestern beim Anwaltsbesuch erfahren und war
danach ganz aufgeregt. Selbst die Knackis mit denen ich heute sprechen
konnte, wußten alle schon Bescheid und waren tief beeindruckt.
Sorry, aber so habe ich das natürlich nicht gewollt, und ich
entschuldige mich besonders bei den Kollegen und Kolleginnen für die
viele Arbeit, die dadurch angefallen ist und beim ganzen Haus für
entstandenen Aufgeregtheiten.
Aber ganz im Ernst, der Anlaß ist natürlich alles andere als
heiter, eher schon absurdes Theater mit viel Sprechgesang eines
Mistkäfers, Kettengerassel und vermutlich ohne Happyend.
Oder vielleicht doch, gerade höre ich in den Nachrichten, daß
Herr Schneider Weihnachten doch in Freiheit feiern kann und sich mit
Altbundeskanzler Kohl Heiligabend zu einem langandauernden Zungenkuß
verabredet hat, nach dem gefüllten Saumagen, versteht sich.
Über mein alptraumhaftes Erwachen am besagten Sonntagmorgen, auch
meine Freundin durfte nicht weiterschlafen, der weniger traumhaften Fahrt
in standesgemäßer schwarzer Kutsche, mit vorweg und hintennach
Schutz, mit blauem techno-spots (sind eben hip diese durchtrainierten,
sonnenbebrillten, base-cap Jungmänner) und ultramodernem
Gansicherheitsgurt quer durch die Republik, mit Station in Karlsruhe bis
ins Tal der Wupper, wird euch Tommy schon berichtet haben.
Heute bin ich hier zu den 'schweren Jungs' verlegt worden. Etwas
zweischneidig, aber zunächst jedenfallsviel erträglicher als
meine erste Bleibe, wo Ekelgefühle in mir hochkamen. Hier ist's
leidlich frisch renoviert, Fernsehgerät und Radio auf der Zelle sind
von der Anstalt gestellt, die 'Jungs' und auch die Bediensteten
sind umgänglicher.
Alles in allem intimer, da kleiner, dafür etwas abgeschlossener,
vor Einbrüchen und Überfällen durch Kameras abgesichert und
durch geöffnete Fenster können keine lästigen Insekten
eindringen, dafür brauche ich auch keine Sonnenbrille.
Heute hatte ich schon meinen ersten Einkauf und habe für fast 300
Taler konsumiert (Rechnung auf MehringHof war leider nicht möglich).
Jetzt können sie kommen die Fetten Jahresendtage, und ich kann sogar 3
Wochen feiern bis zum nächsten Kaufmannsbesuch, dann wird euch wohl in
etwa auch dieser Brief erreichen, wenn überhaupt, aber das ist ja
schon im nächsten Jahrtausend.
Seid nicht traurig über das abrupte Verschwinden eures alten
Kollegen, Hausmeisters und Genossen,
auch ich habe jetzt schon große Sehnsucht nach euch und anderen
auch.
Dank für eure solidarische Haltung und bis gleich,
Axel
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